„Man kann Dinge bewegen, die so in Deutschland nicht möglich sind.“
(porträtiert im Jahr 2019)
Susann Mayer / Dirk Lebe
Banken in Afrika aufbauen? Mit Kakaobauern in Asien am Sparen arbeiten? An einer Uni in Sibirien lehren? In Lateinamerika mit indigenen Maya-Frauengruppen übers Geschäft reden? Wie kommt man denn zu so einem Job? Tja, wohl eher ein glücklicher Zufall – das zumindest meint Wirtschaftswissenschaftler Dirk Lebe.
Schon während seines BWL-Studiums an der TUD war er ein Semester in Salvador de Bahia, einer Stadt in Brasilien, die merklich von afrikanischen Einflüssen geprägt ist. Direkt nach dem Studium ging es 2004 nach Ghana. Wenn er davon spricht, hat er als erstes ein Bild vor Augen, in dem „farbenfrohe Gewänder auf den Märkten“ dominierten. „Herrlich,“ schwärmt er noch immer.
Viele kennen sicherlich das Konzept von microfinance, bei dem das Bankgeschäft auf das Notwendigste reduziert wird. Es geht hauptsächlich um kleine Kredite für selbstständige „Unternehmer“ und um Sparprodukte für Kunden, die für die meisten Banken keine sehr interessante Zielgruppe sind. „Nach dem jahrzehntelangen Mikrokredit-Hype muss man das Ganze aber kritisch sehen. Samariter sind viele Banken nämlich nicht,“ resümiert Lebe. Auch sind viele der Kunden nicht wirklich Unternehmer. Es sind Ein-Mann-Geschäfte, weil es an Jobs mangelt und die soziale Absicherung inexistent ist. Da geht es nur, wenn man versucht, mit einem Business über die Runden zu kommen. Hier fehlt es dann aber oftmals an Geld und vielen fällt dazu nur ein, dass die Lösung ein Kredit sei.
In Angola hat Dirk Lebe eine Mikrofinanzbank mit aufgebaut. „Kaum vorstellbar, dass man einem 45-Jährige gegenübersitzt, der einem bei der Kontoeröffnung mit leuchtenden Augen sagt, dass er gerade das allererste Konto seines Lebens eröffnet hat.“ Andere Sachen fand er eher zum Kopfschütteln, wie zum Beispiel die Geldtransportfirma, die beim Geldtransport den leeren Transportkoffer fürs Geld vergessen hat. Das muss man dann mit Humor nehmen und packt eben mal eine hohe Summe in die Handtasche der Kollegin, sitzt mit acht 1,90 m bis 2 m großen Sicherheitsleuten, alle mit einer Kalaschnikow in der Hand, in einem Geldtransporter und fährt dann mit Blaulicht von der Zentralbank zurück zur Filiale, vorbei am chronischen Stau in Luanda. Ausbildungsniveaus sind, gerade in Afrika, teilweise extrem niedrig – was eine große Herausforderung und oft ziemlich frustrierend ist. Schulen kosten Geld; Geld, das nicht jeder hat.
Das erste Mal in Indonesien war er in Aceh im Norden von Sumatra. Der Wiederaufbau nach dem Tsunami 2004 brachte die guten und schlechten Seiten der Entwicklungszusammenarbeit hervor, insbesondere, wenn weltweite Spendenbereitschaft zuviel Geld in eine Region spült und ausgegeben werden will. „Auch Banken waren betroffen und mussten funktionsfähig gemacht werden.“ Nach einem Zwischenstopp in Deutschland, wo Lebe „bei der Konkurrenz in Frankfurt“ promoviert hat, ging es weiter nach Mosambik, erneut für den Aufbau einer Bank. Weiter ging es für ein Semester an einer Uni in Sibirien. „Da war es natürlich ein bisschen frisch im Winter“ sagt er und lacht. Bei minus 49 Grad gefrieren sogar die Wimpern. „Dafür kann man über gefrorene Flüsse fahren und die Juwelierläden blinken nur so von den da geförderten Diamanten.“ Der zusätzliche tägliche Russischkurs fing immer schon vor Sonnenaufgang an. Gut, dieser war auch erst 10.30 Uhr.
Ganz „klassisch“ hat er seine Frau an einer Straßenbahnhaltestelle in Dresden kennengelernt. Sie kommt aus Jakutien, eben jener sibirischen Provinz, in der er gelehrt hat und die neun Mal so groß wie Deutschland ist. Gerade mal eine Million Einwohner leben da. Sie hat ebenfalls an der TU Dresden studiert – Humanmedizin – und war die letzten Jahre mit in der Welt unterwegs. Sie hat u.a. in Mosambik in der Kinderabteilung eines Krankenhauses gearbeitet.
Wer Schokolade mag, der beneidet Dirk wahrscheinlich um seinen letzten Job, in dem er vier Jahre im Kakaosektor in Indonesien gearbeitet hat. „Da isst man jahrelang Unmengen an Schokolade und weiß nicht mal, wie Kakao wächst.“ Das hat sich natürlich geändert; man stapft durch eine Kakaofarm und lässt sich das alles erklären. Danach pflanzt man sich einen Kakaobaum im Garten. „Absolut freie Hand zu haben, um den Job zu erledigen, das habe ich so in Deutschland nie erlebt und das ist das Interessante am Job. Man kann Dinge bewegen, die so in Deutschland nicht möglich sind.“ Der Job, das war Kakaobauern in einer Vielzahl von Gebieten zu trainieren, z.B. wie sie Bäume veredeln können, über Ernährung, Umweltschutz und auch Finanzwissen. „Auch, wenn schwer vorstellbar, sind genau dies typische Arbeitsfelder in der Entwicklungszusammenarbeit. Gleichzeitig sitzt man in einer Position, in der man Interessen ausgleicht und Farmer auch schützt, damit sie sich z.B. nicht komplett überschulden“, erklärt er. Als Teamleiter Finanzierungsangelegenheiten arbeitete er für die Schweizer NGO „Swisscontact“ in diesem bis zum Jahre 2020 angelegten Projekt. Hier werden 165 000 Farmer geschult. „Gerade Umweltschutz ist ein heikles Thema, wenn mal wieder Wälder für Ölpalmen, oder früher auch Kakao, abgeholzt werden. Zum Glück ist Kinderarbeit in Indonesien kein solches Problem wie in Afrika.“
Teil der Arbeit war auch, die Herkunft des Kakaos zu dokumentieren, damit er eben nicht aus abgeholzten Gebieten stammt oder verbotene Pestizide verwendet werden. „Die innere Befriedigung, die mit einem solchen Job kommt ist immens. Solange man jung ist, sollte man es mal probieren und manchmal lässt es einen nicht mehr los“, meint Lebe. Seit einigen Monaten lebt er wieder in Dresden und kümmert sich als freier Consultant für internationale Entwicklungszusammenarbeit um Studien und Projektevaluationen auf diesem Gebiet. Es ist weniger der Wunsch nach Sesshaftigkeit, sondern „lange genug hat meine Frau beruflich zurückgesteckt, jetzt bin ich dran. Ihre Facharztausbildung kann sie nur in Deutschland machen.“
Schaut er auf die letzten 15 Jahre zurück, hat für ihn das Leben im Ausland Vor- und Nachteile. Strände so schön wie im Nordosten von Mosambik sieht man selten. Für Meetings oder Konferenzen nach Bali zu fliegen, klingt auch eher nach Urlaub als nach Arbeit, wobei es in Indonesien deutlich schönere Inseln als Bali gibt. Und furchtbar ist es, wenn man auf Dienstreise ist, in einem Bungalow direkt am Meer übernachtet und dann streicht die Fluggesellschaft an einem Sonntag ausgerechnet den einzigen Flug, der einen wieder zurückbringt und man noch einen Tag dranhängen muss. „Für die Kinder ist es im Ausland natürlich prima. Die wachsen mit vier Sprachen auf und merken es nicht einmal.“ Dafür gibt es aber in Afrika teilweise zwei Wochen keinen Joghurt im Supermarkt, bei Kerzenschein mit seiner Kollegin zu essen ist bei drei Wochen ununterbrochenem Stromausfall auch nicht mehr romantisch, bewaffnet überfallen zu werden und sowohl kleinere als auch größere Erdbeben oder Vulkanausbrüche sind auch neue Erfahrungen, die nicht unbedingt notwendig wären. Beim kürzlichen Erdbeben in Palu war er bis zum frühen Morgen in der Stadt, bevor am Nachmittag dann die Welle kam. Reines Glück.
Für wen wäre sein bisheriges Arbeitsgebiet noch relevant?
Gerade für Ingenieure (z.B. Wasser/Abwasser), Ärzte (z.B. Kinder- oder Frauenärzte), Agronomen (nicht nur tropische Forstwirtschaft, wie sie auch an der TUD angeboten wird), Verkehrswirtschaftler (Stauexperten sind wohl die einzigen, die am Verkehr in Jakarta ihre helle Freude hätten), Tourismusstudenten (schon mal von Flores oder Toraja gehört?) und teilweise auch Lehrer (skills development ist ein riesiger Arbeitsbereich) ist die Entwicklungszusammenarbeit ein extrem spannendes Arbeitsfeld, wobei auch hier nicht alles Gold ist, was glänzt. Oft werden Hochschulabsolventen gesucht, oder auch Leute mit langjähriger praktischer Erfahrung, z.B. im Handwerk. Für BWLer gibt es Projekte. Vorteilhaft ist es, bereits vor und während des Studiums über den Tellerrand zu schauen. Das mag eine andere Sprache sein, ein Regionalstudium oder eine bereits absolvierte Ausbildung.
Bereut hat Dirk Lebe seine Entscheidung ins Ausland zu gehen nie. „Dafür erlebt man zu viel.“ Und wer weiß, wohin es ihn in einigen Jahren wieder verschlagen wird …
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