„Mit richtiger Motivation ist mehr drin“
(porträtiert im Jahr 2021)
Dagmar Möbius
Stefanie Gentzsch studierte schon mit 15 Jahren im TUD-Frühstudium. Nicht nur eine Verletzung brachte sie auf diesen Gedanken. Doch das ist nicht die ganze Geschichte. Die 25-Jährige hat einige Wünsche, was sich an Deutschlands Schulen ändern sollte. Ein Absolventenporträt der etwas anderen Ausrichtung.
„Spontane Ideen sind meist die besten Einfälle“, sagt Stefanie Gentzsch, wenn sie zurückdenkt. In der 8. Klasse verletzte sich die frühere Turnerin, sie hatte dadurch unfreiwillig mehr Zeit als vorher, und begann Fachzeitschriften im Bereich Psychologie zu lesen. Im darauffolgenden Schuljahr kam ein Praktikum bei der Psychosozialen Beratungsstelle des Studentenwerkes Dresden zustande. Kurz vor Beginn las Stefanie Gentzsch erstmals über das Frühstudium in der TUD-Schüleruniversität, und erzählte gleich zu Beginn Dr. Sabine Stiehler, der Leiterin der Beratungsstelle, davon. „Sie empfahl mir dann eine Diplomarbeit über das Frühstudium. Die habe ich gelesen und dachte spontan, ja, das mache ich“, erzählt sie. Innerhalb einer halben Stunde stellte sie alle Dokumente inklusive Motivationsschreiben für die Bewerbung zusammen. Dann „überfuhr“ die in München Geborene und in Dresden Aufgewachsene ihre Eltern förmlich: „Ich brauche eine Unterschrift von euch.“ Sie stimmten zu. Das von der Schule benötigte Gutachten war die nächste Hürde. „Sie sollten bestätigen, dass ich für das Frühstudium, damals auch Schüleruniversität genannt, geeignet bin. In anderen Worten: ob ich es mir leisten kann, Sachen zu versäumen und ob die Schule meinen Wunsch unterstützt.“
Im Januar 2012 bewarb sie sich, im Februar kam die Zusage, im April begann sie (früh) zu studieren. Zunächst Psychologie, ein, zwei Lehrveranstaltungen wöchentlich, ca. vier Stunden pro Woche. Durch eine steigende Anzahl an Kursen später mehr. Gleich zu Beginn merkte sie: „Uni entspricht mir, ich kann mir alles selbst einteilen. Sogar die Noten waren besser als in der Schule.“ Pro Semester begegnete sie zwischen 20 und 25 Frühstudierenden. Nur wenige Schulen kennen das Projekt oder unterstützen Lernende, hörte sie.
Ist sie hochbegabt? Bei dem Wort verdreht sie schmunzelnd die Augen und sagt: „Ich störe mich an dem IQ-Begriff. Mit richtiger Motivation ist mehr drin. Es hat mit der persönlichen Einstellung zu tun. Etwas Begabung hilft, dass man mehr schafft.“ Einen anerkannten IQ-Test hat sie nie gemacht. „Nur einen im Rahmen eines Studienfachs, 135, das ist nicht so repräsentativ.“ Einen Bachelor-Abschluss im Frühstudium wie ein Kommilitone hätte sie nie geschafft, meint Stefanie Gentzsch. Nach einem Semester unterbrach die junge Frau ihr Frühstudium für einen dreimonatigen Sprachkurs an der English Communication School in Malta. Beendet mit Zertifikat C1.
Ihre Studienfachwahl für Psychologie begründet sie neben dem Interesse mit ihrem Faible für Zahlen: „Mathe war mein Ding. Wie baue ich ein Experiment auf? Wie kann ich Daten interpretieren?“ Aber den Beratungsansatz oder Psychotherapie wollte sie beruflich nicht umsetzen. Auf Forschung festgelegt zu sein, reizte sie nicht. Sie stellte fest: „Man muss viel auswendig lernen. Ist nicht meine Welt.“ Deshalb wechselte Stefanie Gentzsch im 4. Semester des Frühstudiums zur Sozialpädagogik. „Ich bin nicht so ein Beziehungsmensch, es interessierte mich, wie ich mit anderen interagieren kann.“
In der 11. Klasse beschäftigte sie sich im Rahmen der Besonderen Lernleistung mit dem Frühstudium. „Mit der richtigen Schule hatte ich immer Probleme“, sagt sie. Vom staatlichen Gymnasium wechselte sie an ein privates. Alle wissenschaftlichen Arbeiten schauten bis dato immer von draußen, noch nie aus dem eigenen Blickwinkel. Stefanie Gentzsch führte aufwändige empirische Studien und Interviews durch. Die endgültige Arbeit „Gratwanderung Frühstudium: Eine empirische Untersuchung zu Chancen und Risiken des Frühstudiums für Schülerinnen und Schüler“ mit einem Umfang von 60 Seiten plus 250 Seiten Anhang ist nicht veröffentlicht. Doch Interessierten stellt sie die von Dr. Sabine Stiehler betreute und Katarina Stein (Projektkoordinatorin Frühstudium) unterstützte Abhandlung gern zur Verfügung.
Ihre Vorleistung aus drei Jahren Frühstudium erkannte die Schule nicht an. „Ich musste die Abitur-Prüfungen 2015 komplett wie alle anderen ablegen“, erzählt sie. Danach direkt weiterstudieren wollte sie nicht: „Ich habe gelernt, dass es wichtig ist, den Körper aus der Maschinerie zu bekommen.“ In einem Freiwilligen Sozialen Jahr beim Diakonischen Werk Sachsen war sie in einer Kinder- und Jugendwohngruppe „Mädchen für alles“ und kümmerte sich in einer Schule für geistig behinderte Kinder um einen Bezugsschüler.
Wohin sie beruflich gehen will, wusste sie ziemlich genau: „Die Richtung sollte etwas mit Mathe und Zahlen zu tun haben. Aber für mein Ziel Wirtschaftsingenieurwesen war mein NC zu schlecht. Pädagogik war mir zu weich.“ Nach einer Beratung studierte Stefanie Gentzsch von 2016 bis 2018 Wirtschaftspädagogik im Bachelor-Studiengang an der TU Dresden. „Ich hatte einen besseren Start im Studium, wusste, wie der Hase läuft“, sagt sie. Im 5. Semester konnte sie zum Wirtschaftsingenieurswesen wechseln. Begleitend war sie als Werkstudentin bei der B+P Bau- und Projektmanagement Dresden GmbH und ein Jahr selbstständig im Bereich Qualitätsmanagement – Auditvorbereitung und -dokumentation tätig. Seit 2018 studiert sie weiter: Wirtschaftsingenieurswesen auf Diplom an der TU Dresden. Gelegentlich wird sie auf ihr Frühstudium angesprochen. Wer einen Rat möchte, bekommt ihn von ihr. „Auch Lehrende haben mich schon gefragt, was sie besser machen können“, schmunzelt sie. Drei Semester hat sie noch vor sich. Perspektivisch sieht sie sich in der Energiewirtschaft, im Bereich erneuerbare Energie arbeiten. Durch ihre Vertiefung Produktionstechnik sei vieles möglich.
Im Rückblick auf ihre Schulzeit findet sie vieles problematisch: Von 8 bis 16 Uhr in der Schule sitzen, wo alles vorgegeben ist. „Ich kann nicht gut damit umgehen, Stunden abzusitzen“, sagt sie. Oft erledigte sie ihre Hausaufgaben schon in der Schule. „Es ist ein Spagat: es heißt allgemeinbildende Schule, aber die sozialen Komponenten fallen hinten runter“, bedauert sie. Ein Schulfach wie „Soziale Verantwortung“ belegte sie selbst und ist überzeugt: „Das müsste es überall geben.“ Gelehrt werden sollte, wo man Informationen herbekommt, wie man lernt, auch Autogenes Training zum Beispiel. „Das Notensystem sagt nichts darüber, wie man als Person ist“, findet Stefanie Gentzsch. „Es sollte zusätzliche eine verbale Einschätzung geben.“
Vom Leistungsturnen musste sie sich verabschieden. Aber sportlich ist sie nach wie vor. Sie fährt Inline-Skating, spielt Badminton und tanzt – Standard und Latein. Als Ausgleich. Ein Wort wie Langeweile hört man von Stefanie Gentzsch nicht. Denn: „Mit richtiger Motivation ist mehr drin.“
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