Nachhaltige und lebenswerte Städte erforschen, entwerfen und umsetzen
(interviewt im Jahr 2023)
Dagmar Möbius
Wiebke Klemm wuchs im Vogtland auf. Von jeher fühlte sie eine Affinität zu Natur und Landschaft. Doch sie wollte auch kreativ tätig sein und den Lebensraum von Menschen positiv beeinflussen. Seit 20 Jahren arbeitet und lebt die promovierte Landschaftsarchitektin in den Niederlanden. Die 45-Jährige hat zahlreiche Preise gewonnen, zuletzt den 1. Preis der „Steenbreektrofee 2022“, zusammen mit ihren Kollegen, für das Nature Smart Cities-Projekt Wijkpark Cromvliet in Den Haag.
Schon ihre Mutter studierte an der TU Dresden – Lebensmitteltechnologie. Die Nähe zur Heimat, die Stadt Dresden und die Fachrichtung spielten eine Rolle, als sich Wiebke Klemm 1996 für das Studium der Landschaftsarchitektur entschied. „Das war damals eine sehr unbekannte Studienrichtung. Ich erinnere mich, dass wir einmal einen Sternlauf über die Prager Straße veranstalteten, um Aufmerksamkeit zu wecken“, erzählt Wiebke Klemm. Die 60 Kommilitonen wurden „die Landies“ genannt. Über das Alumninetzwerk ist sie mit ihrer Universität im regelmäßigen Kontakt.
Entwerfen am Zeichenbrett
Beim späteren Rektor der TUD, Professor Hermann Kokenge († 2014), lernte sie das Handwerk der Entwurfstechnik. „Damals noch am großen Zeichenbrett und mit Transparentpapier“, schmunzelt Wiebke Klemm. „Die Entwürfe sollten wir nach einem Glas Wein über Nacht liegenlassen.“ Wenn am nächsten Tag weitergearbeitet wurde, hatte das Unterbewusstsein geholfen, Gedanken zu sortieren. „Noch heute habe ich nachts oft gute Gedanken, auch wenn ich nicht mehr so viel entwerfe wie damals.“ Die angenehme, kreative Arbeitsatmosphäre in den Ateliers, so wie sie sie zu Studienzeiten kennengelernt hat, hat sie in ihrer Laufbahn bei verschieden Arbeitgebern sehr zu schätzen gelernt. „Man musste nicht immer alles gleich aufräumen“, lacht sie.
Auch das Handwerk des Formgebens und integralen Entwerfens von städtischen Freiräumen nutzen ihr bis heute. Sie erinnert sich an die Lehrmethode der Stehgreifentwürfe, in denen es darum ging, innerhalb von kürzester Zeit eine räumliche Situation zu analysieren, eine Entwurfsidee zu entwickeln und aufzuzeichnen. „Wenn ich mit Kollegen aus anderen Abteilungen oder Experten von verschiedenen Fachrichtungen arbeite, ist es wichtig, mich schnell auf Umgebungen einzustellen, Kontexte und Prozesse zu analysieren und Vorschläge für zukünftige Pläne, Entwurfe, Prozesse zu illustrieren. Es ist ein großer Vorteil, wenn man im Beisein anderer schnell zeichnen und skizzieren kann. Sie verstehen Ideen so besser und man kann gemeinsam daran weiterarbeiten“, erklärt die Landschaftsarchitektin. Ganz wichtig empfindet sie die Grundlagenfächer der Natur- (Boden, Wasser, Meteorologie etc.) und Forstwissenschaften. Zusammen mit den Grundlagenfächern des Lehrstuhls Städtebau/Architektur vermittelten sie ihr erforderliches Basiswissen für das Entwerfen von nachhaltigen, lebenswerten Städten.
Beginn der Holland-Faszination und Brachland-Akupunkturen
Mit einem Erasmus-Stipendium verbrachte Wiebke Klemm im Jahr 2000 erstmals ein halbes Jahr in den Niederlanden. „Alle wollten in englischsprachige Länder, ich gehe da hin, der Platz ist mir sicher“, dachte sie. An der Universität Wageningen „trifft man die ganze Welt im Dorf“, beschreibt sie die sehr verbindende Gemeinschaft von Menschen, die dort studierten. Die Sprache lernte sie in einem ersten Kurs in Dresden. Zwei weitere folgten in Wageningen und in Amsterdam, letzterer über ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes: „Niederländisch ist eine sehr schöne Sprache. Lustig und aufgeweckt, sie passt zu mir.“ Ihre gemeinsam mit Thomas Schwager verfasste Masterthesis „Brachland-Akupunkturen Dresden“ war 2003 für einen internationalen Preis für Architekturstudenten nominiert. Längst ist der ehemals unbebaute Fleck an der Elbe bebaut. Wiebke Klemm hat davon gehört und will sich das Gebiet bei ihrem nächsten Dresden-Besuch anschauen.
Freiraumplanerin, Wissenschaftlerin und Gründerin
Nach ihrem Studienabschluss als Landschaftsarchitektin im Jahr 2003 waren Stellen in ihrer Branche rar. Sie kehrte nach Holland zurück. Zunächst arbeitete sie an der Universität Wageningen als Mitarbeiterin für den internationalen Kurs für Landschaftsarchitektur, den sie einst selbst besucht hatte, und bekam einen tieferen Einblick in die niederländische Landschaftsarchitektur. Fünf Jahre wollte sie ursprünglich bleiben. „Doch das Leben nahm seinen Lauf“, lacht Dr. Wiebke Klemm. Mit ihrem Partner, einem Niederländer, hat sie zwei Töchter. Sie war – mit siebenjähriger Unterbrechung, in der sie in einem Forschungsinstitut und danach in einem Landschaftsarchitekturbüro tätig war – wissenschaftliche Mitarbeiterin und Forschungsgruppenleiterin an der Universität Wageningen. Sie promovierte über klimafreundliche Freiraumplanung und verteidigte ihre Doktorarbeit 2018. Unter dem Thema „Clever and cool – generating design guidelines for climate-responsive urban green infrastructure" beschäftigte sie sich unter anderem damit, wie Stadtgrün das Stadtklima und den thermischen Komfort der Bewohner beeinflusst und wie sich dieses Wissen bei der Gestaltung klimagerechter Außenräume nutzen lässt. Zudem entwickelte sie Gestaltungsrichtlinien, um städtische Freiräume klimafreundlicher zu gestalten. Im gleichen Jahr gründete sie ihre eigene Firma UrbanGreenscape. Schwerpunkt ist die Beratung (incl. Vorträge und Workshops) für Kommunen und Geschäftskunden aus dem Gartenbau im Bereich Klimaanpassung und städtische grüne Infrastruktur.
Anerkannte Expertin für nachhaltige Stadtentwicklung
Seit fünf Jahren arbeitet Dr. Wiebke Klemm hauptsächlich bei der Stadt Den Haag. Dort ist sie im Stadtplanungsamt als Expertin für nachhaltige Stadtentwicklung gefragt und kümmert sich um Themen wie Klimaanpassung, Grüne Infrastruktur und Integrale nachhaltige Stadtentwicklung. Zudem leitet sie das Europäische Nature Smart Cities Projekt. In diesem Rahmen konnte sie ihr Herzensprojekt umsetzen: Im sozial benachteiligten Stadtteil Laak wurde ein Platz zusammen mit Anwohnenden in einen attraktiven und klimaadaptiven Stadtteilpark (Community Park) umgestaltet. Regenwasser von umliegenden Straßen und Dächern wird lokal aufgefangen, anstatt in der Kanalisation zu verschwinden. Das Wasser wird gefiltert und für Trockenperioden gespeichert. Im Sommer, wenn es heiß ist, kann das Wasser benutzt werden, um die Vegetation der städtischen Farm und des Gemüsegartens im Park zu bewässern. So ist der Park im Sommer angenehm, und es wird Trinkwasser gespart. „Waren Land und Gemeinde anfangs noch sehr zurückhaltend beim Thema Klimaadaption und Klimaanpassung, wird das Konzept langsam zum Mainstream. Gute Referenzprojekte helfen hierbei!“, weiß die Landschaftsarchitektin. In ihrem Fach verknüpft Dr. Wiebke Klemm die Perspektiven von wissenschaftlicher Forschung, Entwurfspraxis und kommunaler Politik. Diese Schnittstellen sind wichtig, um Lösungsansätze für klimafreundliche, lebenswerte Städte nicht nur wissenschaftlich zu unterbauen, sondern auch um Richtlinien zu entwickeln, diese im Entwurf anzuwenden und in verschiedensten Projekten in den Kommunen umzusetzen. Klimafreundlichkeit müsse heute in jeden Plan integriert und finanziell ermöglicht werden. Diesen Umschwung in Gang zu bringen und klimafreundliche und lebenswerte Städte für die Zukunft zu bauen, begeistert sie.
Geflügeltes Wort für globales Thema
In Holland gibt es ein Sprichwort, in dem von „Stock und Möhre vorhalten“ die Rede ist. Das meint: Hält man einem Esel einen Stock vor, zwingt man ihn. Bei einer vorgehaltenen Möhre kommt er von selbst. Für Dr. Wiebke Klemm ist das geflügelte Wort viel mehr als ein Sinnbild. Sie sagt: „Natürlich sind Regelwerke und Leitlinien (der Stock) wichtig, um klimafreundliche und lebenswerte Städte zu realisieren. Doch bieten solche nachhaltigen Städte viel mehr: Sie verbessern das Wohlsein und die Gesundheit von Menschen. So wächst das Bewusstsein, und Bewohner sind immer mehr bereit, ihre privaten Freiräume anzupassen (die Möhre): zum Beispiel Kunststeinplatten im Garten auszutauschen mit einer Bepflanzung. Städtische Freiräume, von Gärten bis Parkanlagen, die ganzjährig zum Verweilen anregen, zum Bewegen und Einanderbegegnen, sind Lebensräume, in denen wir gesund sind. Das ist ein globales Thema, das wir wieder zurück zur Einzelperson bringen. Die Stadt ist fürs Große verantwortlich, aber nur gemeinsam können wir Städte zukunftsbeständig gestalten.“
Mit ehemaligen Studierenden der Lehrstühle Landschaftsarchitektur und IÖR ist Dr. Wiebke Klemm noch in Kontakt, außerdem arbeitet sie mit diversen Universitäten und Hochschulen in den Niederlanden und in Deutschland zusammen.
Kontakt:
UrbanGreenscape
Dr. Wiebke Klemm
Landschapsarchitect BNT
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