Am Tag der Ernennung
Am ersten September 1980 fuhr ich mit meiner Frau und dem Wartburg nach Berlin, um meine Ernennung in dem damaligen Haus der Ministerien auf der Leipziger Straße entgegenzunehmen.
Die Sonne strahlte, der Tag war schön und auf der Autobahn wenig Betrieb. An der Ausfahrt aus der großen Schleife Dresden-Berlin, nach dem Abzweig Cottbus, winkte mich eine rote Kelle rechts heran. Wenige Meter zuvor stand ein Streifenwagen, dem ein zweiter „Kollege“ entstieg, der mich zum Wagen begleitete und fragte: „Wie viel sind sie denn jetzt gefahren, Herr?“ Er blätterte in meinen Papieren. Ich überlegte schnell, wie viel denn wohl angebracht seien: „Vielleicht knapp über achtzig, achtzig waren erlaubt.“ „Nein, nein“, sagte er, „neunzig sind sie gefahren, vielmehr gibt ihr Wartburg ja nicht her, aber hier waren nur sechzig erlaubt“. „Ja, wissen sie, wir waren ins Gespräch vertieft und ich habe nur das Schild mit 80 gesehen“. „Ach, kommen Sie, Herr Doktor“, er führt mich zum Streifenwagen und übergibt mich und meine Papiere seinem Kollegen am Pult mit den Worten: „Der Herr Doktor hat es scheint’s eilig, aber er hat nur die 80 gesehen, entscheide du das“ und geht, um einen weiteren Sünder in Empfang zu nehmen. Der Kollege am Pult, in die Papiere vertieft: „Warum denn so eilig bei dem schönen Wetter, da ist es doch zu schade um die dreißig Mark, die es bei 30 Stundenkilometer mehr kostet?!“ Ich erzählte ihm, dass ich nach Berlin führe ins Ministerium, zur Ernennung und ich reichte ihm drei Zehnmarkscheine durch das offene Fenster mit den Worten: „Wissen Sie was, Herr Leutnant, nehmen Sie ihre zwei Genossen und fahren Sie die nächste Abfahrt nach Guben und trinken Sie auf mein Wohl“. „Nein“, sagte er, „so geht es nicht“ und reichte mir zwei Scheine zurück“, in Anbetracht der Situation und weil sie nur 80 gesehen haben, sind wir beide mit zehn Mark1 gut bedient“.
Wir kamen noch rechtzeitig in Berlin an, die Zeremonie verlief mit Spannung, aber sonst reibungslos, bis auf die Kleinigkeit, dass meine Frau (wie andere auch) nicht auf die Zuschauertribüne gelassen wurde. Nach einer kurzen Rede des Ministers, des dicken J. Böhme und des Akademiepräsidenten W. Scheler, zu den kommenden schweren 80iger Jahren, wurden je zwei in alphabetischer Reihenfolge zum Empfang der Urkunden nach vorn gebeten. Vor mir tänzelte Vera Ölschlegel, die damals Herrin des Kulturpalastes und Konrad Naumanns war und machte einen artigen Knicks als Professorin für Kunst und Kultur. Die Worte von W. Scheler, die er mir zugedacht hatte, gingen in den wiegenden Hüften von Vera Ölschlegel und dem Geraune im Saal unter, nur seinen etwas kühlen und schweißigen Händedruck nahm ich wahr.
Feodora, meine Frau, war frustriert von der barschen Abweisung des Einlassdienstes und ihre Umarmung fiel entsprechend mager aus. Sie grummelte auch noch, als wir über den Alexanderplatz bummelten und ich sie zur Feier des Tages ins Rote Rathaus zu einer Schweinshaxe mit Sauerkraut einlud. Auch in Anbetracht der eingesparten Mark auf der Autobahn wäre das ein festliches Essen. „Ach, spar dir das, kauf hier am Kiosk ein paar Tafeln Schokolade für deine Enkel und wir fahren heim, mir hat’s den Appetit verschlagen.“ Sie drängelte.
Zuhause war die gesamte Familie im Wohnzimmer versammelt und begrüßte mich mit Hurra, Harmonika, Gesang und der dreijährige Enkel, Sven, sollte die Blumen überreichen. Den ganzen Tag hatte Bodo, sein Onkel, ihm eingeübt: „Herzlichen Glückwunsch zum Professor!“ Doch als ich eintrat, sprang er mir strahlend entgegen: „Opa, Opa, hast du Schokolade?“
Fußnoten
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Das Bier kostete damals im Biergarten von Guben 82 Pfennig der Notenbank der DDR, sie konnten so jeder drei Glas trinken.