Kartoffel- und Rübenernte im „Typ 1“
Unser Transportzug, behördlicherseits abgewaschen, traf gegen Mitternacht auf dem Zielbahnhof der mecklenburgischen Kreisstadt ein. Eine Reihe von LKW’s standen bereit, um uns in die Ernteeinsatzorte zu bringen. Einem Fahrzeug zugeteilt, nannten wir dem Fahrer das verordnete Fahrtziel.
„Ach, ins ‚Land des Lächelns‘ wollt Ihr?“ war seine Antwort, „na, dann los!“ Am Einsatzort angelangt gab es trotz nächtlicher Stunde noch „Futter“ für die hungrigen Studiosi. Danach konnten die müden Häupter auf Stroh im Kulturraum lagern.
Unsere Wirte bildeten eine LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft) vom Typ 1. In dieser Übergangsform wurden die Felder gemeinsam bewirtschaftet, aber jeder Bauer hatte noch sein Vieh und einen kleinen Teil Land für sich, wie wir erfuhren. Nun war das Land da oben im Norden sehr ausgedünnt. Viele Bauern hatten ihre Höfe über Nacht in Richtung Westen verlassen. Daher bot der Bürgermeister, für den es nun gewiss nicht einfach war, jedem, der sich dafür interessieren würde, einen Hof an. Aber die Elektro-Studenten verzichteten jedoch dankend.
Die hiesige LPG Typ 1 bestand auch nur noch aus wenigen Leuten, besaß aber viel Land. Ihr Vorsitzender war täglich mit dem Motorrad unterwegs, um Kredite und Nahrungsmittel für die Helfer (Oberschüler oder Studenten, die sich während der gesamten Erntezeit auf den Feldern nützlich machten) zu beschaffen. Ein weiteres Mitglied, die Köchin, hatte auch ständig vollauf zu tun, die hungrigen Helfer-Mäuler zu stopfen. Das gelang ihr, wie auch wir feststellen konnten. Nun verblieben nur noch drei Bauern in dieser LPG, die abwechselnd mit den Helfern die Felder abernten mussten. Da sie aber noch ihren eigenen Hof besaßen, hielt sich deren Begeisterung für die gemeinsame Feldarbeit in Grenzen.
Ein von staatlicher Stelle geschaffenes Gesetz, die Versorgung der Bevölkerung trotz des im Norden entstandenen Vakuums sicherzustellen, hatte die örtlichen Instanzen für das Bestellen aller Felder verantwortlich gemacht. So waren auch die entsprechenden Äcker, vielleicht mangels Kapazität an Mitarbeitern, etwas stiefmütterlich bzw. im Eiltempo behandelt worden. Das Gesetz zum allumfassenden Ernten wurde offenbar für unnötig erachtet, da man auf Hilfskräfte zurückgreifen konnte.
Wir Studenten versuchten nun, die nicht sehr zahlreich im Acker gewachsenen Früchte dem Boden zu entreißen. Der jeweils delegierte Bauer half uns dabei mit seinem Gespann. Die Einstellung des Pfluges erschien uns aber nicht optimal, da immer nur die oberen Kartoffeln des Stockes ans Licht gebracht wurden und von den tiefer gelegenen Knollen allenfalls für Bratkartoffeln angeschnittene Teile herauskamen. Wir gruben oft mit den Händen tiefer, um das Ernteergebnis zu verbessern.
Auf einmal läuteten die Kirchenglocken Mittag ein. Sofort spannte unser Bauer seine Pferdchen aus und begab sich damit in Richtung seines Hofes. Unsere Versuche, nun die Einstellung des Pflugschars zu verbessern, waren erfolglos, da alles fest verschweißt war. So trotteten wir auch zum Mittagstisch. Immerhin hatten wir Dutzend Helfer am Vormittag ein Häuflein Kartoffeln, knapp mannshoch aufgeschüttet, zurückgelassen.
In der warmen Küche erwartete uns ein großer Stapel Kartoffelpuffer. Wir hauten tüchtig rein und lobten die Köchin. Diese kam mit dem Backen für die gefräßige Schar kaum nach. Gesättigt schaute einer aus dem Fenster und stieß einen erschreckten Schrei aus. Auf dem flachen Hügel oberhalb unseres Hauses, konnten wir das Schwinden unseres Ernteerfolges beobachten. Eine kleine Schafherde war aus der Umzäunung ausgebrochen und dabei, den Rest des Kartoffelhäufchens zu verschlingen. Der Gesamtwirkungsgrad des Vormittags war damit nur als gering einzustufen.
Mit Kartoffeln hatten wir in diesen vorgerückten Herbsttagen ohnehin nicht mehr viel zu tun. Es ging auf die Rübenfelder. Die Technik zum Rübenköpfen mussten wir uns erst anarbeiten, aber bald lief es effektiv. In den letzten Einsatztagen überraschte uns der November mit Macht. Eintrübung, Kälte und Regen ließen neben den nassen Blättern auch die Stimmung sinken. Vom Vorsitzenden wurden wir aber nicht im Stich gelassen. Sein Motorrad knatterte heran und er rief uns zusammen. Die Flasche „Klarer“ kreiste in der Runde, im Bauch wurde es wärmer, die Stimmung stieg wieder, der Erntetag wurde noch durchgestanden. Am Spätnachmittag holte uns einer der Bauern mit Traktor und Hänger vom Feld ab. Eine rasante Fahrt über die Hügel heimwärts nahmen wir jetzt ohne Angst in Kauf, obwohl wir nicht sicher waren, ob sich nicht auch der Fahrer vorher aufwärmen musste.
Insgesamt verließen wir das „Land des Lächelns" unbeschadet, um Erfahrungen reicher und im Bewusstsein, unseren kleinen Beitrag zur Sicherung der Ernährung beigetragen zu haben.
Glücklicherweise gab es dort im Norden erfolgreichere Produktionsgenossenschaften, denn an Kartoffeln mangelte es uns nicht im Lande.