Wir wollen in den Westen reisen!
Zeitzeugenbericht über die Dresdner Studentenproteste vom Mai 1956 unter Verwendung von Originalprotokollen.
Die Westberliner Abendzeitung „Der Kurier“ brachte am 31. Mai 1956 die Schlagzeile: „Studenten-Rebellion in Dresden erzwingt Aufhebung der Reisesperre“ und führte weiter aus: „Der bereits seit einiger Zeit an den Universitäten der Zone spürbare Widerstand gegen die hinhaltende Taktik, mit der sich die SED-Führung vor den Konsequenzen, die andere Ostblockstaaten bereits aus der Abkehr vom Stalinismus gezogen haben, zu drücken versucht, ist jetzt an der Technischen Hochschule Dresden in eine offene Rebellion umgeschlagen. Etwa 2000 Studenten protestierten gegen eine Anordnung des Prorektors Turski, die es den Angehörigen der Hochschule verbot, nach Westdeutschland zu reisen, und zwangen ihn, die Verfügung wieder rückgängig zu machen.
Was war geschehen?
Am 23. Mai 1956 fand abends in der Mensa der TH Dresden eine Versammlung aller Seminargruppensekretäre der TH statt. Der Prorektor für Studentenangelegenheiten, Werner Turski, sprach über das Thema: Feriengestaltung in der vorlesungsfreien Zeit.
Turski teilte mit, dass kein Student der TH Dresden in den kommenden Semesterferien nach Westdeutschland fahren dürfe, und gab dafür drei Begründungen an:
- Statistisches Moment. Die Zahl der in den Ferien nach Westdeutschland gefahrenen Studenten (im Vorjahr 14000) wird von der Westpresse für propagandistische Zwecke ausgenutzt.
- Abwerbungsargument. An den Grenzpunkten würden Gutscheine für Spanien- und Italienfahrten für einreisende DDR-Studenten ausgegeben, um sie abzuwerben und damit die DDR-Wirtschaft zu schwächen.
- Wichtigster und ausschlaggebender Punkt sei für Prorektor Turski: In Westdeutschland wird am 29.Mai das Wehrgesetz angenommen. Jeder Deutsche kann eingezogen werden, und die Bundesrepublik betrachtet sich auch als zuständig für die Deutschen in der DDR. Vor dieser Gefahr müsse der Prorektor die ihm anvertrauten Studenten schützen.
Von Seminargruppensekretären wurde darauf hingewiesen, dass das Wehrpflichtgesetz erst ab 1. Januar1957 in Kraft treten solle, und die Möglichkeit zur Wehrdienstverweigerung enthalte.
Warum könnten, wenn dies eine echte Sorge wäre, dann junge Arbeiter nach Westdeutschland reisen, nur Studenten nicht? Warum nicht wenigstens Studentinnen?
Der Unmut der Studenten war deshalb besonders groß, weil viele bereits entsprechende Reisepläne gemacht hatten, da im Zuge der Abkehr vom Stalinismus und der damit verbundenen Lockerungen im Verhältnis zu Westdeutschland die Hoffnung auf ein baldiges Ende des „Kalten Krieges“ bestand. Kurz zuvor war ein Interview des Dresdner Oberbürgermeisters Weidauer (SED) erschienen, der gesagt hatte, es gäbe keine gesetzliche Grundlage, irgendwelchen Personengruppen, z.B. Studenten und Jugendlichen, die Reise nach Westdeutschland zu verbieten.
Die mehrfach wiederholte Antwort von Prorektor Turski war, dass er es vor seinem Gewissen nicht verantworten könne, auch nur einen einzigen Studenten nach Westdeutschland reisen zu lassen. In Berlin hätte er eindeutige Beweise für die Machenschaften des Kaiser-Ministeriums (Ministerium für Gesamtdeutsche Fragen der Bundesrepublik) gesehen. Mehrmals wiederholte er: „Ich gebe meine Unterschrift nicht, um nur einen Studenten nach Westdeutschland zu lassen!“ Auf die Frage einer Studentin, ob sie ihre kranken Eltern besuchen könne, antwortete er: „Ich gebe meine Unterschrift prinzipiell nicht!“ Und wie sei es mit Besuchen bei Todesfällen? „Gestorbene Verwandte braucht man nicht mehr zu besuchen!“
Die überwiegende Mehrheit der 300 Seminargruppensekretäre (die vom Prorektorat für Studentenangelegenheiten selbst eingesetzt waren) protestierte scharf gegen eine derartige Behandlung der Studenten als unmündige Kinder. Die Diskussion verlief heftig bis 23 Uhr, aber ohne Änderung der vorgefassten Anordnungen Turskis.
Am nächsten Morgen versammelten sich die 75 Studenten des 8. Semesters Chemie, um von Seminargruppensekretär Horst Zehlicke die Ergebnisse der Vorabendsitzung zu erfahren. Die Wogen der Empörung über die geplanten Beschränkungsmaßnahmen gingen sehr hoch, vor allem auch über die rüde Form ihrer Verkündigung und deren kurzfristigen Termin, zwei Tage vor Semesterende, der eine Umgestaltung der Ferienpläne äußerst schwierig machte. Es wurde angeregt, Protestresolutionen an Oberbürgermeister Weidauer, an das Staatssekretariat für Hochschulwesen und an Präsident Wilhelm Pieck zu richten, einen Artikel an verschiedene Zeitungen zu versenden und eine Versammlung aller Hochschulstudenten einzuberufen, um der Kritik mehr Gewicht zu verleihen. In Eile wurden die Aufgaben verteilt, um alle noch an der Hochschule anwesenden Studenten für 16 Uhr desselben Tages einzuladen. Prof. Simon stellte den großen Anorganischen Hörsaal zur Verfügung unter der Bedingung, dass es zu keinen Protestaktionen gegen Prorektor Turski käme. Durch mündliche Benachrichtigung, Plakate und den Hochschulfunk wurde die Einladung verbreitet.
Auch die SED-Mitglieder des Semesters kritisierten das krasse Vorgehen Turskis als nicht im Einklang mit den Prinzipien des Staates stehend. Die SED-Fakultätsgruppenleitung Chemie berief darauf sofort eine Sitzung ein, auf der zu der Frage der Studentenversammlung Stellung genommen werden sollte. Auch hier wurden von einigen die angekündigten Maßnahmen des Prorektors kritisiert und festgestellt, dass daraus voraussichtlich für unseren Staat mehr Schaden als Nutzen erwachse. Die Kollegin Schütz vom Prorektorat kritisierte, dass nicht einmal begründete Ausnahmefälle genehmigt werden sollten. Wenn keine Verordnungen der Regierung vorlägen, seien die Maßnahmen ungesetzlich. Was böte man von unserer Seite den Studenten denn an gegenüber der von Turski erwähnten Spanienfahrt? Bisher waren sogar die Volksdemokratien für Reisen völlig verschlossen! Die SED-Fakultätsgruppenleitung beschloss, die geplante Versammlung durch Teilnahme von Genossen der SED in vernünftige Bahnen zu lenken und in sachlichen Diskussionen der Mißstimmung unter den Studenten entgegenzutreten.
Am Vormittag des 24.5.1956 wurden im Hochschulgelände fünf Plakate angebracht mit dem Text: "Die Chemiestudenten laden ein zu einer öffentlichen Diskussion über das Thema: "Warum dürfen wir nicht nach Westdeutschland fahren?" Heute 16 Uhr im Großen Chemiehörsaal. Chemie 8. Semester "
Dieselbe Mitteilung wurde dreimal durch den Hochschulfunk gebracht und dann verboten. Die Plakate wurden bereits nach kurzer Zeit vom Betriebsschutz entfernt. Inzwischen hatte nämlich die SED-Hochschulleitung die Versammlung um 16 Uhr als „illegal“ verboten und für den nächsten Tag, Freitag, den 25.Mai 1956 eine Versammlung um 14 Uhr in der Mensa angekündigt, auf der sie das Erscheinen kompetenter Gesprächspartner zum Thema der Westreisen ankündigte.
Trotzdem versammelten sich in dem Hof vor dem Chemiehörsaal bis 16 Uhr etwa 1200 Studenten aller Fakultäten. Der Hörsaal hätte diese Zahl ohnehin nicht fassen können. Die Verschiebung der Diskussion auf den nächsten Tag wurde zur Kenntnis genommen, aber auf Vorschlag einiger Berufspädagogen eine Protestresolution an den Ministerpräsidenten der DDR, Otto Grotewohl, verfasst. Der Chemiker Eberhard Schmidt ergriff spontan die Versammlungsleitung und stellte die Resolution zur Abstimmung. Sie wurde gegen die Stimmen von 18 SED-Genossen von allen übrigen Anwesenden gebilligt. Diese Versammlung im Freien verlief diszipliniert und löste sich bald auf.
Am nächsten Tag schien der SED-Hochschulleitung auch die von ihr selbst einberufene 14-Uhr-Versammlung in der Mensa zu gefährlich zu sein, und so verbot der stellvertretende Rektor und Professor für dialektischen und historischen Materialismus, Dr. Ley, jede Versammlung im Hochschulgelände, mit der Begründung, die gestrige Versammlung sei von adenauerhörigen Spitzeln und Agenten inszeniert worden. Um 14 Uhr war die Mensa so voll, dass kaum noch ein Mensch hineinpasste. Jedes Mal, wenn der Hochschulfunk die Mitteilung über das Versammlungsverbot durchbrachte, erhob sich ein großer Proteststurm. Schließlich zogen an die 2000 Studenten vor das Prorektorat und verlangten dort in Sprechchören den Prorektor zu sprechen. Es kam dabei auch zu nicht mehr ganz sachlichen Zwischenrufen wie: „Wir wollen unseren Großmufti Turski sehen!“
Nachdem zwei Omnibusse voller SED-Bezirksleitungsmitglieder zwischen die Studenten verteilt waren, und man lange vergeblich gewartet hatte, bequemte sich endlich Dr. Ley, per Lautsprecher zu den Studenten zu sprechen. Zunächst gab er auf die Forderung einiger Studenten nach Aufklärung die Antwort: „Geschlechtliche Aufklärung kann ich euch leider nicht geben!“, betrat dann die Treppe, wo das Mikrofon stand, die Hände in den Hosentaschen, eine Zigarette schief im Mundwinkel, und erklärte, dass die heutige Versammlung aufgelöst sei und morgen (Samstag, der letzte Studientag!) in den Fakultäten weiterdiskutiert würde. Dann flocht er eine Drohung gegen Provokateure ein, von denen man sich nicht verhetzen lassen solle, und rief: „Ich möchte nur anständige deutsche Studenten an unserer Hochschule haben!“ … Brausender Beifall, den er wohl an dieser Stelle nicht erwartet hatte. Er schloss mit den Worten: „Ich rate ihnen, nicht bis morgen hier vergeblich zu warten, es könnte inzwischen regnen!“ Als nicht lange darauf wirklich ein Gewitterguss einsetzte, löste sich die Versammlung auf.
Um die Situation etwas zu beruhigen, ließ Prorektor Turski am 26. Mai einen Aushang anschlagen, worin er die Reiseerlaubnis in Sonderfällen nach persönlicher Rücksprache zusicherte (drei Tage vorher hatte er noch erklärt: „Ich verweigere prinzipiell meine Unterschrift!“). Für die seit einem halben Jahr von der Chemiefakultät in Göttingen eingeladene Delegation des 8. Semesters Chemie wurde daher noch einmal ein Antrag eingereicht. Am 7 Juni 1956 kam dann jedoch der Bescheid, dass drei der Eingeladenen inzwischen als Rädelsführer entlarvt worden seien und daher auf keinen Fall nach Westdeutschland fahren dürften.
Inzwischen hatte am 28. Mai eine Sitzung der Hochschulparteileitung stattgefunden, auf der die Protestaktion der Chemiestudenten als westlich gelenkte „gezielte Provokation“ dargestellt und die verständnisvolle Haltung der Fakultätsgruppenleitung Chemie als unverzeihlicher Fehler gebrandmarkt wurde. Aus dem Sitzungsprotokoll:
„Wenn die Studenten glauben, sie können mit der Arbeiter- und Bauernmacht spielen, dann irren sie sich und wir werden das auch einigen Studenten beweisen. Es gilt heute Klarheit zu schaffen, wer von den Studenten, von den Organisatoren und Provokateuren von der Hochschule entfernt wird. . . . Für die Genossen Nestler und Horn wird Entzug des Stipendiums und Parteiverfahren beantragt. Für die Studenten Schmidt, Zehlicke und Bellmann wird Exmatrikulation, für Richter, Rauschenbach und Uhlig Einleitung eines Disziplinarverfahrens (evtl. Verweis) vorgeschlagen.“
Die Leitung der Hochschule folgte den Parteianweisungen:
Am 7. Juni 1956 wurden sechs Chemiker des 8. Semesters und drei Berufspädagogen (die den Text der Resolution an Grotewohl verfasst hatten) zum stellvertretenden Rektor Dr. Ley bestellt. Dieser verkündigte ihnen lakonisch: „Es wird gegen Sie ein Disziplinarverfahren angestrengt, das voraussichtlich in den meisten Fällen mit der Exmatrikulation enden wird. Bis dahin ist das Stipendium entzogen.“ Die Begründung war „Unakademisches Verhalten“. Eine Konkretisierung dieses Begriffes wurde nicht gegeben. „Das werden Sie noch rechtzeitig zur Verhandlung erfahren!“
Äußerst betroffen von der Ankündigung des Disziplinarverfahrens blieben die neun Beschuldigten zusammen und berieten, was sie gemeinsam tun könnten. Sie setzten eine Stellungnahme in mehreren Exemplaren auf, die alle unterzeichneten. Drei von ihnen wollten nach Berlin fahren und diese Schreiben persönlich beim Zentralkomitee der SED, beim Büro von Ministerpräsident Grotewohl und beim Staatssekretariat für Hochschulwesen abgeben und dabei möglichst mit maßgeblichen Personen sprechen.
Wegen der Prüfungen waren die Chemiker des 8. Semesters noch in Dresden. Es gelang, sie am gleichen Abend zu einer Semesterversammlung unter freiem Himmel, außerhalb des Hochschulgeländes im Fichtepark in Plauen zusammenzurufen. Alle waren empört über das Vorgehen von Dr. Ley. Sie sicherten ihre Unterstützung zu und unterzeichneten beim Schein einer Taschenlampe ebenfalls alle ein Solidaritätsschreiben, das den Sachverhalt der Ereignisse vom 24. Mai klarstellte und an den Dekan der Fakultät I, Herrn Prof. Köhler, übergeben wurde. (Die Parteigenossen unter den Unterzeichnern mussten später auf Druck der SED ihre Unterschrift wieder „zurückziehen“!)
Die persönlichen Schreiben wurden am 8. Juni im Büro von Ministerpräsident Grotewohl abgegeben, wo aber niemand zu sprechen war, und im ZK der SED, wo man sehr ablehnend reagierte. Besser lief es am 9. Juni im Staatssekretariat für Hochschulwesen, wo die Herren Thiel und Schröder für ein ausführliches Gespräch bereit waren und gewisses Verständnis für die Motive der Studenten zu zeigen schienen. Inzwischen hatten sich auch die Dresdner Professoren aktiv für die Studenten eingesetzt.
Die SED-Hochschulparteileitung fuhr jedoch scharfes Geschütz auf und gab ein Flugblatt heraus:
„Kein Student kann es mit seiner Ehre und seinem Gewissen vereinbaren, seinen Urlaub in dem Staat zu verbringen, dessen Machthaber die Vernichtung der DDR als Zielstellung haben. Kein Student unserer Hochschule fährt nach Westdeutschland! Es bedarf dazu keines Verbotes! Die Reaktion der westlichen Imperialisten auf unsere Meinung entsprang der Voraussicht, dass die Kontaktstellen leer bleiben, dass die Abwerbung, vor allem der künftigen technischen und naturwissenschaftlichen Intelligenz, schwierig wird. Da musste etwas geschehen!
Es geschah!
- Bildung eines illegalen Kommitees
- Ansetzen einer Versammlung durch dieses Komitee
- Anbringen von nicht genehmigten Plakaten und Aushängen in allen Fakultäten
- Einbeziehen des Hochschulfunkes zur Einladung der Studenten
- Organisieren eines Hörsaales unter Vortäuschung einer FDJ-Versammlung
- Abfassung einer Resolution an Ministerpräsident Grotewohl mit Abstimmung und Unterschriftensammlung usw.
Deshalb fordert die Mehrheit unserer Studenten: Behandlung vor dem Disziplinarausschuss! Entfernung der Provokateure von der Hochschule!“
Dieses Flugblatt erntete überall nur Gelächter, wo es auftauchte. Es wurde dann bald zurückgezogen.
Am 27. Juni 1956 tagte von 9 bis 16.30 Uhr der Disziplinarausschuss der Hochschule; er
bestand aus Rektor Peschel, Prorektor Turski, den Professoren Klemm, Zschimmer, Schulz, Freimuth, Meißner, zeitweise zugegen waren Prof. Schwabe, Dr. Graf und Dr. Schulz.
Horst Zehlicke erinnert sich:
In den ersten zwei Stunden wurden die Anschuldigungen vorgebracht und die Vernehmungsprotokolle verlesen. Dann wurde eine Pause eingelegt. Ich musste auf die Toilette gehen. Während ich noch damit beschäftigt war, den Blasendruck zu erleichtern, kam Prof. Schwabe in die ansonsten leere Toilette und stellte sich direkt an das benachbarte Becken. Scheinbar von anderen Verrichtungen in Anspruch genommen, begann er mir die wichtigsten Punkte für unsere Verteidigungsstrategie darzulegen, was wir sagen und was wir lieber nicht anführen sollten. Ich besprach das dann noch in der Pause mit meinen Kollegen und wir hielten uns an diese wohlgemeinten Empfehlungen. Mit Erfolg, denn es wurden nach der langen Verhandlung keine Exmatrikulationen, sondern nur einige Verweise ausgesprochen. An diesem Abend feierten wir alle mit noch vielen anderen Semesterkollegen den guten Ausgang dieser Affäre bei „Mutter Unger“ in Loschwitz.
Die vier Wochen seit den „Vorfällen“ am 24. und 25. Mai waren ausgefüllt mit Intrigen und Machtkämpfen. Die Sache zog weitere Kreise, bis in höchste Regierungsstellen. Es war die Zeit des Aufstands in Posen und von Unruhen in Ungarn. Was man von Seiten der Hochschulparteileitung nicht einsehen wollte, dass durch immer stärkere Scharfmacherei alles nur immer schlimmer gemacht und die allgemeine Unzufriedenheit angefacht wird, hat man in der DDR-Regierung wohl doch erkennen müssen, und so wurde bestmöglicher Rückzug aus der unangenehmen Affäre empfohlen. Das Verfahren endete dann für die Chemiker mit Freispruch in drei Fällen wegen Geringfügigkeit der Anschuldigungen, es gab zwei Verwarnungen und schriftliche Verweise (Bellmann und Zehlicke) u. einen strengen Verweis (Eberhard Schmidt).
Auf erneuten Antrag vom 28. Juni wurde am 30. Juni von Prorektor Turski die Genehmigung für den Besuch der Delegation des 8. Semesters Chemie auf Einladung der Fachschaft Chemie an der Universität Göttingen erteilt. Dieser Besuch in Göttingen fand vom 23. Bis 30. Juli 1956 statt.
Auch an anderen Hochschulen wurden in diesem Sommer 1956 die geplanten strengen Reisebestimmungen für Studenten nach Westdeutschland wieder merklich gemildert.
Schließlich wurde im Juli durch das DDR-Innenministerium die Verordnung über die Ausgabe von Urlaubsbescheinigungen der Hochschule als Voraussetzung für die Beantragung einer Reiseerlaubnis nach Westdeutschland ganz aufgehoben. Kommentar von Prorektor Turski in einer Diskussion mit Karlsruher Studenten am 29. Oktober 1956 (kurz vor dem Höhepunkt des Ungarnaufstandes):
„Ich wollte niemanden mit meiner Unterschrift gehen sehen! Nach der Aufhebung der Verordnung über die Urlaubsbescheinigungen tangierte mich dies nicht mehr. Wer dann fuhr, der fuhr eben. Ich konnte für diese Aufhebung keine Rechenschaft vom Innenminister verlangen. Persönlich freute ich mich, dass ich diese zeitraubende Tätigkeit (Unterschriften geben) nicht mehr zu machen brauchte.“
Rückblickend kann man sagen, dass durch das geschlossene Handeln des 8. Semesters Chemie der TU Dresden und die Unterstützung durch einen großen Teil der Studentenschaft und der Professoren die DDR-Führung gezwungen wurde, das für den Sommer 1956 bereits verkündete Westreiseverbot für Studenten wieder aufzuheben.