Warum haben Lehramtsstudierende scheinbar oft Extrawünsche?
Wenn eine recht große und heterogene Studierendengruppe signifikant negativer wahrgenommen wird als andere, dann sollte man sich die Frage stellen, ob dies systemische Gründe hat. Tatsächlich sind die üblichen Herausforderungen eines Studiums durch die spezifischen Strukturen des Lehramtsstudiums (an der TU Dresden) noch einmal potenziert.
Beispielsweise durch eine Unklare Lage: Aufgrund unterschiedlicher Studienordnungen besuchen Lehramtsstudierende zwar gemeinsam mit Bachelor- oder Master-Studierenden einige Lehrveranstaltungen, teilweise sind die Prüfungsleistungen nichtsdestotrotz unterschiedlich. Häufig wird in den Lehrveranstaltungen diese Lage nicht transparent dargestellt, sodass es zu Unsicherheiten oder Frust auf Seiten der Studierenden kommen kann.
Zusätzlich zu den systemischen Bedingungen, haben Lehramtsstudierende mit Vorurteilen zu kämpfen. 2016 hat im Rahmen der ersten Förderphase von TUD-Sylber eine Datenerhebung unter Dozierenden, Mittelbauvertreter*innen und Lehramtsstudierenden der TU Dresden stattgefunden. Diese hat unter anderem folgendes ergeben:
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Lehramtsstudierende haben die Erfahrung gemacht, als Halbwissenschaftler*innen bezeichnet zu werden.
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Lehramtsstudierenden sind Situationen ausgesetzt, in denen sie als weniger fachlich geeignet als Bachelor- und Masterstudierende hervorgehoben werden.
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Fachdozierende nehmen Lehramtsstudierende als weniger engagiert sowie minder interessiert wahr.
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Laut einigen Fachdozierenden sind Lehramtsstudierende zudem nicht um Ausreden verlegen, wenn etwas terminlich oder inhaltlich daneben geht.
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Lehramtsstudierende fühlen sich in fachwissenschaftlichen Veranstaltungen seltener adressiert und weniger respektiert als ihre Bachelor-, Masterkommiliton*innen und daher häufig als Studierende zweiter Klasse.
Zum letztgenannten Punkt passen auch neuere Ergebnisse einer ZLSB-Lehramtsstudierenden-Befragung vom Sommersemester 2021. Dort wurde unter anderem abgefragt, ob sich die Lehramtsstudierenden in fachwissenschaftlichen Veranstaltungen als solche wahrgenommen fühlen. Zwar differieren die Ergebnisse stark von Fach zu Fach, jedoch fühlen sich auch im besten Fall nur 80% der Lehramtsstudierenden in fachwissenschaftlichen Veranstaltungen entsprechend zur Kenntnis genommen. Im Extremfall haben nur knapp über 20% mit "trifft zu" oder "trifft eher zu" geantwortet.
Warum sind Lehramtsstudierende nicht immer regelmäßig in den Lehrveranstaltungen anwesend?
Keine Überschneidungsfreiheit: Da Lehramtsstudierende sowohl Veranstaltungen der Erziehungswissenschaften, der zwei Fachwissenschaften sowie der je dazugehörigen Fachdidaktiken besuchen, kommt es leider immer wieder zur zeitlichen Überschneidung von Veranstaltungen.
Profession: Die Datenerhebung von 2016 hat außerdem gezeigt, dass sich Lehramts- studierende häufig eher als Pädagog*innen sehen, denn als Fachwissenschaftler*innen. Bei Doppelbelegungen in ihrem Stundenplan sind sie daher häufig eher geneigt, bei den didaktischen Formaten anwesend zu sein. Wenn sie dann noch das Gefühl bekommen, in den Fachwissenschaften nicht willkommen zu sein oder zu stören, wird der Fluchteffekt in die Didaktiken sowie die Erziehungswissenschaft zusätzlich verstärkt. Der Fall "Keine Praxisrelevanz!?" führt die Gedanken dazu noch weiter aus.
Aufwand: Durch drei selten aufeinander abgestimmte Studienbereiche (Erstes Fach, Zweites Fach, Erziehungswissenschaft), müssen Lehramtsstudierende ungleich mehr Zeit für Studienorganisation aufwenden. Der Vergleich einiger Studienordnungen zeigt außerdem, dass auch der zeitliche Aufwand für Vor- und Nachbereitung in einigen Fachdisziplinen ungleich höher angesetzt wird als für Fachstudierende.
Kann eine Vorauswahl z. B. durch eine fachliche Eignungsprüfung die Lösung sein?
Nein, und dies nicht nur, weil das Format von Eignungsfeststellungsprüfungen aufgrund des druck- und stresserzeugenden Settings fragwürdig ist. Solange sich an den hier mit Fettdruck hervorgehobenen Rahmenbedingungen des Lehramtsstudiums (an der TU Dresden) nichts ändert, werden auch vermeintlich "fachlich geeignetere" Studierende nicht mit besseren Leistungen, engagierter oder interessierter an Lehrveranstaltungen teilnehmen können.
Warum geht es vielen Studierenden scheinbar nur um das Bestehen?
Wenn man als Lehrperson das Gefühl hat, den Studierenden ginge es nur ums Bestehen, dann kann es ebenso gut sein, dass Bestehen den Lernenden genügen muss. Denn nicht selten erschweren die Studienbedingungen, finanzielle und familiäre Zwänge sowie weitere Aspekte das Erbringen besserer Leistungen. Das Bild von faulen Studierenden, denen es nur um Bestehen geht, ist daher häufig nicht mehr als ein Vorurteil, welches die Umstände außer Acht lässt. Es ist klar, dass so keine lernförderliche Beziehung zustande kommen kann. Noch mehr zu diesem Thema bietet der Fall "Es geht nur noch um die Noten".
Wo bleibt das Interesse der Studierenden?
Opportunitätskosten: Wollen die Studierenden ihr Studium trotz Überschneidungen möglichst in der Regelstudienzeit absolvieren, sind sie zu bestimmten Aufwand-Nutzen-Abwägungen gezwungen. So werden häufig Seminare gewählt, die noch irgendwie in den Stundenplan integrierbar sind, aber deren thematische Ausrichtung nicht ganz den persönlichen Interessen entspricht.