"Die Lernenden sind doch alle gleich."
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Stellen Sie sich vor, Sie lehren das erste Mal in einer Lerngruppe. Sie bringen eigene Erfahrungen und Erwartungen davon mit, wie Lernende sind oder sein sollten. Sie haben vielleicht auch im Kollegium bereits etwas über diese Lerngruppe gehört. Sie schauen in die Namensliste. Zu ein paar Namen haben sie Assoziationen - gute und auch weniger positive. Sie sehen das erste Mal in die Gesichter der Lernenden. Auch zu diesem ersten Eindruck kommen und gehen Gedanken in ihrem Kopf.
Und jetzt die entscheidende Frage: Hat das alles einen Einfluss auf Ihre Lehre oder nicht?
Es liegt in der Natur der Sache...
Trifft man eine neue Person, so kennt man diese noch nicht. Kenntnis wäre jedoch wichtig, um sich beispielsweise für eine spezifische Art und Weise der Kontaktaufnahme zu entscheiden (Delhees 1994: 108). Unser Erfahrungsschatz hilft uns hier aus. Wir leiten vermeintlich angemessenes Verhalten häufig vom Äußeren einer Person (ebd.) oder aufgrund von Rollenerwartungen ab (Griese 2014: 411). Letzteres lässt sich beispielsweise häufig am Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden beobachten.
Oft wirken unsere Erwartungen auf diese Art "entlastend und schenk[en] uns die notwendige Verhaltenssicherheit im Umgang miteinander" (Henecka 2015: 16). Sie helfen uns also dabei, uns in der Welt zurecht zu finden. Wir müssen uns jedoch bewusst machen, dass die soziale Wahrnehmung nicht objektiv ist. Je nach Art der Sinneswahrnehmung und aufgrund der individuellen Aufnahmefähigkeit der Sinnesorgane ist sie vielmehr selektiv (Kopp 2014: 602). Hinzu kommt noch eine weitere subjektive Färbung durch individuelle Annahmen, Vorlieben und Empfindungen (ebd.). Bleiben die spontanen Annahmen über Personen unreflektiert, können sich Vorurteile in unserem Denken verfestigen. Das ist folgenreich, weil sich die Vorurteile der Lehrenden auf Lernen und Entwicklung auswirken (Prengel 2013b: 56). Pädagogische Interaktionen werden durch Vorurteile mitgestaltet, denn Lehrende behandeln Lernende entsprechend ihrer Annahmen (ebd.). Darauf reagieren wiederum die Lernenden, wodurch die Leistungen1 schlussendlich verhältnismäßig oft den Erwartungen entsprechen (ebd.). Dieser Effekt wird auch als Pygmalion-Effekt bezeichnet.
Pädagogische Beziehungen die mit Vorurteilen belastet sind, können zudem nicht das Maß an Wertschätzung und respektvollem Miteinander erreichen, das für erfolgreiches Lernen und Entwickeln nötig wäre. Jedoch ist es nicht leicht, die eigenen Denkmuster stets zu reflektieren und bewusst durch den Alltag zu gehen. Dies bedarf der Übung. Dafür haben wir zwei konkrete Fälle aus der Praxis aufbereitet:
Fall 1 - "Bestehen reicht denen..."
Lehrende haben manchmal den Eindruck ihre Lernenden seien unengagiert, uninteressiert und das Bestehen würde ihnen ausreichen. mehr erfahren
Fall 2 - "Die kannst du vergessen!"
Im Lehrer*innenzimmer hört man manchmal wahre Horrorgeschichten über einzelne Schüler*innen oder ganze Klassen. mehr erfahren
Fall 3 - Jede*r trägt etwas mit sich herum
Es stimmt schon, alle haben ihr Päckchen zu tragen, aber sind die Pakete nicht doch individueller als man denkt und ein genauerer Blick lohnt sich? mehr erfahren
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1 Der Leistungsbegriff ist im Zusammenhang mit Inklusion nicht unkritisch. Lesen Sie dazu unseren Beitrag zu Leistung im Wiki.