May 10, 2019
Carl-Friedrich-Gauß-Medaille 2019
Die Braunschweigische Wissenschaftliche Gesellschaft (BWG) verleiht die Carl Friedrich Gauß-Medaille 2019 an Herrn Univ.-Prof. Dr-Ing. Dr.-Ing. E.h. Manfred Curbach, Direktor des Instituts für Massivbau der Technischen Universität Dresden, in Würdigung seiner Leistungen und Verdienste bei der Erforschung und Anwendung neuer Baustoffe und Bauweisen für den Betonbau.
Manfred Curbach ist einer der herausragenden Bauforscher dieser Zeit. Er hat besondere Leistungen für die Entwicklung der Bautechnik im Betonbau erbracht.
Auf seine Impulse, seine Kreativität und seine begeisternde Überzeugungskraft sind maßgebliche moderne Entwicklungen zurückzuführen, wie die Textilbetonbauweise, wie der Paradigmenwechsel des Betonbaus von „schwer, massig, trist“ zu „filigran, leicht, elegant“ und wie die aktuelle Erforschung von Carbonbewehrung im Betonbau an Stelle von Stahlbewehrung.
Manfred Curbach versteht es in beeindruckender Weise, zukunftsweisende Forschungsthemen zu erdenken, zu realisieren, die Ergebnisse zu vermitteln, in die Baupraxis umzusetzen und dort zu erfolgreicher Anwendung zu begleiten. Durch seine Arbeiten werden maßgebliche Weichenstellungen für die Entwicklung des Bauens in der Zukunft zu verbesserter Leistungsfähigkeit, Ästhetik, Ressourcenschonung und Wirtschaftlichkeit ermöglicht
Die Medaille wird im Rahmen der Feierlichen Jahresversammlung der BWG am 10. Mai 2019 um 16.00 Uhr in der Dornse des Altstadtrathauses der Stadt Braunschweig verliehen. Am Vormittag (9.30 Uhr) desselben Tages findet zu Ehren des Preisträgers im Bürgermeisterzimmer des Altstadtrathauses ein öffentliches Wissenschaftliches Kolloquium statt mit dem Thema „Bauen im Jahr 2050: Erfordernisse, Chancen, Ideen“.
Quelle: Pressemitteilung Braunschweigische Wissenschaftliche Gesellschaft
Interview mit Prof. Manfred Curbach
Straßen asphaltieren, Wohnhäuser, Hochhäuser und Brücken bauen, bei Planungen öffentlicher Gebäude wie Sportstadien, Schwimmbädern oder Einkaufszentren beratend für die Prüfung der Statik dabei sein, vor Ort auf der Baustelle den Ton angeben – sehen so die typischen Tätigkeiten eines Bauingenieurs aus?
Eigentlich muss man dies ein wenig stärker differenzieren. Es gibt Bauwerke, bei denen Bauingenieure tatsächlich diejenigen sind, die entwerfen, die konstruieren, die rechnen und bei der Bauausführung maßgebend tätig sind. Das sind zum Beispiel Brücken, Straßen oder Industriebauwerke. Dann gibt es natürlich eine ganze Reihe von Gebäuden, bei denen sich Bauingenieur und Architekten die Arbeit teilen, z. B. bei Hochhäusern. Die Entwürfe stammen in der Regel von Architekten, die auch die Detailplanung machen. Die statische Berechnung und Konstruktion werden von Bauingenieuren durchgeführt. Die Aufgaben im Zuge der Bauleitung, Kalkulation, Abrechnung eines Bauingenieurs in einem Unternehmen finden im Büro statt. Ein weiteres wichtiges Aufgabenfeld eines Bauingenieurs ist die Kontrolle der Statik anderer als Prüfingenieur. Diese haben sich zusätzlich zur Grundausbildung zum Bauingenieur weitergebildet, bereits eine Menge Erfahrung und Kenntnisse und eine sogenannte Prüflizenz bekommen, um die Statik anderer prüfen zu können. Dann haben wir viele Bauingenieure in der öffentlichen Verwaltung, die Ausschreibungen vorbereiten, frühe Planungsphasen begleiten und natürlich hinterher auch kontrollieren, ob das gebaut wurde, was sie bestellt haben und auch abnehmen. Und dann gibt es noch Bauingenieure in der Wissenschaft.
Inspiriert durch die Schweizer Bauingenieure Robert Maillart und Christian Menn, bildeten Langlebigkeit, Ästhetik, Leichtigkeit und Ressourcenschonung das Tragwerk Ihrer damaligen Zukunftsvision. Wie hat sich diese Zukunftsvision entwickelt?
Anfang der 1980er Jahre war ich für einen Auslandskurs in Princeton/USA und der dortige Gastprofessor war Christian Menn, damals Professor an der ETH Zürich. Als ich dort war, hielt er gerade eine Vorlesungsreihe und hat z.B. über die Brücken von Robert Maillart geredet, aber natürlich auch über seine eigenen Ideen (Anmerkung der Redaktion: Christian Menn erhielt 1998 ebenfalls die Gauß-Medaille) Er hat mich, was Entwurf und Konstruktion von Brücken angeht, sehr geprägt. Herr Menn hatte ziemlich radikale Ideen. Das begann damit, dass er sagte „Eine schöne Brücke zu bauen muss nicht teurer sein als eine schlecht gestaltete Brücke“. Man braucht also nicht Geld um schön zu bauen, sondern eher Geist. Jede Brücke verlangt nach ihrem eigenen Stil in Abhängigkeit von der Umgebung, in der sie gebaut wird. Und es muss immer ein Gleichgewicht geben, nicht nur zwischen den Kräften – das ist selbstverständlich – auch zwischen der Struktur, der Form und der Last, die abgetragen werden soll. Das ist nicht automatisierbar, das kann kein Computer. Ich sehe nur, das eben sehr viel gebaut wird, was diesen Regeln nicht unbedingt entspricht. Es gibt eine Art Standard-Querschnitt und Standard Statisches System, das gerne immer wieder angewendet wird und teilweise zu durchaus plumpen Brücken führt.
Bleiben wir beim Brückenbau: Welche Ziele stehen bei Ihnen noch auf der Agenda?
Wenn ich mir meine eigenen Brücken so anschaue, dann hält sich das schwer in Grenzen. Meine Wirkung ist oft eher eine mittelbare. Studierende so auszubilden, dass sie dieses Bewusstsein möglichst frühzeitig mitbekommen und dann in Zukunft hoffentlich schönere Brücken bauen. Da würde ich mich eher als Lehrer sehen und weniger als Ausführender.
Termine, Meetings, Dienstreisen, Konferenzen, Abstimmungen – was motiviert sie und wie gelingt Ihnen dieser Kraftakt?
Das ist schwer zu beantworten! Ein Grund könnte sein, der aber gleichzeitig ein großes Handicap ist, dass ich mich für sehr viele Dinge interessiere. Wenn man neugierig ist, dann möchte man wissen was Kollegen und Mitarbeiter auf dem Herzen haben. Sie haben alle auch gute Ideen und es wäre natürlich schade wenn das hinten herunterfallen würde. Es ist diese Neugier als Grundeigenschaft, deswegen auch Geschichte und zukünftige Materialien in einem. Wir haben ein wichtiges Forschungsvorhaben am Institut zur Geschichte eines zu Unrecht nicht so bekannten Bauingenieurs, der hier in Dresden gewirkt hat – Willy Gehler. Er ist nach dem 2. Weltkrieg fast in Vergessenheit geraten, er durfte nicht mehr erwähnt werden, hat aber in der ersten Hälfte des Jahrhunderts unglaubliche Leistungen erbracht, von den wir heute noch zehren. Auf der anderen Seite versuchen wir ein Material zu entwickeln, das die Zukunft bestimmt – den Carbonbeton.
Welches bestehende Bauwerk auf der Welt begeistert Sie besonders und warum?
Es gibt so einige Brücken von Maillart, die fast so vollkommen sind, dass sie heute noch mit den vorhandenen Materialien kaum nachgebaut werden können. Mit hochfestem Beton oder mit Carbonbeton schaffen wir es vielleicht wieder, so schöne schlanke Brücken zu bauen. Das hat Maillart damals mit dem ordinären Stahlbeton geschafft. Die Salginatobelbrücke wird von vielen gern als besonderes Bauwerk benannt. Eine, die mich schon immer fasziniert hat, ist die Brooklyn Bridge in New York. Und das eigentlich mehr aufgrund der Historie und der damaligen Bedeutung. Entworfen wurde sie von Johann Roebling, geboren in Mühlhausen in Thüringen, oder wie er später in den USA hieß John August Roebling. Mit etwa 25 Jahren ist er ausgewandert. Im Staat New Jersey hat er angefangen eine Fabrik zum Spinnen von Seilen aufzubauen. Er war wirtschaftlich schnell erfolgreich. Dann kam er auf die Idee, diese Seile im Brückenbau zu verwenden und hat einige Brücken gebaut, z. B. in Pittsburgh oder die erste dauerhafte Eisenbahn- und Straßenbrücke über den Niagara River. Sein größter Entwurf war dann die Brooklyn Bridge, den er noch selber angefertigt hatte. Zur Fertigstellung 1883 war sie die am weitesten gespannte Hängebrücke weltweit, auf Mauerwerkstürmen aufgehängt mit einer ganz leichten Fahrbahn aus Metall und Holz. Nach seinem Tod hat sein Sohn Washington, ebenfalls Bauingenieur, die Brücke weiter gebaut. Das ist eine Brücke, die so eng mit der Familie Roebling verbunden ist und eine solche Leistung für die damalige Zeit darstellt. Technisch ist ja inzwischen vieles möglich. Aber damals ohne die Kenntnisse eine derartige Brücke zu bauen, erfordert einen ungeheuren Mut. Das ist etwas, was ich an unseren Vorgängern so bewundere. In außergewöhnlichen Momenten besaßen sie einen außergewöhnlichen Mut, um eine Idee umzusetzen.
Wenn Sie eine Brücke Ihrer Wahl bauen dürften – wie sieht sie aus, wo steht sie und wen verbindet sie miteinander?
Was uns jetzt gerade umtreibt sind Brücken aus Carbonbeton, die den Vorteil haben, dass sie deutlich weniger Beton brauchen und damit erheblich schlanker sein können. Ich wünsche mir, dass es irgendwann mal Brücken aus Carbonbeton gibt, die in der Tradition von Robert Maillart stehen. Er baute schon vor über 100 Jahren Brücken, die diese Schlankheit aufweisen und letztlich auch die Dauerhaftigkeit, die mit dem Carbonbeton noch größer sein könnte. Wo sie einmal stehen könnte weiß ich nicht, denn es muss den richtigen Ort geben. Man musst erst den Standort sehen, um sagen zu können, welche Brücke an diese Stelle passt. Brücken verbinden Menschen miteinander.
Seit rund 25 Jahren entwickeln Sie Carbonbeton mit, um den globalen Herausforderungen unserer Zeit wie Bevölkerungswachstum und nachhaltiges Wirtschaften mit Ressourcen zu begegnen. Woher kommt diese Faszination für Carbonbeton und wie ist es Ihnen möglich, diese seit so langer Zeit aufrecht zu erhalten?
Als das vor 25 Jahren begann, ahnte ich noch nicht, welche Ausmaße das annehmen kann. Aber mir war sofort klar, dass dies eine Kombination ist, die Zukunft hat. Wir haben damals bei Sanierungsmöglichkeiten mit dünnen Schichten eine Nische gesehen. Das es dann über die Jahre immer mehr wurde, überrascht mich nach wie vor. Mittlerweile würde ich sagen, dass der Carbonbeton das Zeug hat, den Stahlbeton in einem beträchtlichen Anteil zu ersetzen. Das erklärt vielleicht ein bisschen, weshalb wir da immer noch daran arbeiten. Es gibt einen Druck hinter dem Ganzen, weil wir mit dem Stahlbeton nicht so weiter bauen können wie bisher. Das verbraucht viel zu viele Ressourcen. Sand wird mittlerweile knapp, auch in Deutschland. Selbst an Orten, an denen wir noch Sand haben, darf man ihn nicht abbauen. Das heißt, wir müssen mit dem Material, was wir haben, sehr viel sparsamer umgehen. Da wir aber nicht weniger u. a. aufgrund der Bevölkerungsentwicklung bauen können, bleibt uns nichts Anderes übrig, als etwas wie Carbonbeton zu verwenden.
Das Dresdner Brückenbausymposium findet 2020 bereits zum 30. Mal statt. Gibt es dann eine große Torte aus Carbonbeton? Spaß beiseite – was ist für das Jubiläum geplant, gibt es da bereits Ideen?
Wir hatten vor vier Jahren das 25-jährige. Das haben wir ein bisschen gefeiert. Der Tagungsband war statt dem gängigen TUD-Blau in Silber. Zum 50. können dann die Veranstalter vielleicht einen goldfarbenen Umschlag wählen. Für das 30. ist bisher nichts Größeres geplant. Am Vorabend wird bereits zum 8. Mal der Deutsche Brückenbaupreis verliehen. Dieser wird alle zwei Jahre vergeben und ist mittlerweile auch schon wieder zu einer kleinen Tradition geworden.
Die Gauß-Medaille, benannt nach dem Braunschweiger Mathematiker, der in jüngerer Zeit auch den 10 DM-Schein schmückte. Was bedeutet diese Auszeichnung für Sie, die bereits zum 70. Mal verliehen wird?
Das kann ich am ehesten daran festmachen, wenn ich schaue, wer den Preis bisher bekommen hat. Diese Medaille richtet sich ja an fast alle Wissenschaftsbereiche. Letztes Jahr war es der Verfassungsrichter Paul Kirchhof, 2017 die Meeresforscherin Antje Boetius, 1998 Christian Menn – ich empfinde das als sehr, sehr große Auszeichnung, in diese Gruppe von Menschen mit aufgenommen zu werden.
Das Interview führten Diana Uhlmann und Stefan Gröschel