E-Learning – was bleibt?
Rückblick und Ausblick anlässlich des Jubiläums „Ein Jahr Distanzlehre“
PD Dr.-Ing. habil. Ulrich Maschek
Jahrelang bemühte man sich seitens der TU Dresden, E-Learning-Formate einzuführen. E-Teaching-Tag, Weiterbildungen und Förderprogramme waren Instrumente, mit denen man sich redlich mühte, doch ein durchschlagender Erfolg blieb aus. So war dann in den Evaluationsbögen der Lehrveranstaltungen zum Thema E-Learning-Angebote häufig angekreuzt: „Es gab keine, aber ich hätte mir welche gewünscht“. Selbstverständlich nutzten viele Opal, doch vorrangig nur zur Organisation und Verteilung von Lehrmaterialien. Echtes E-Learning war das nicht.
Man mag sich fragen, warum, und die Antwort ist nicht schwer: Die Lehrkräfte benötigen hierzu
- Motivation,
- die technische Basis und
- Kapazitäten,
denn die Erstellung derartiger Formate ist nicht „nebenbei“ zu erledigen. Die technische Basis steht seit langem zur Verfügung. Ich hatte zwar Motivation, doch meine Kapazität reichte gerade so für die Teilnahme an Weiterbildungen, gute Vorsätze, Beantragung von Förderungen (die abgelehnt wurden) und eine Online-Vorlesung pro Jahr. Das waren immerhin gute Ansätze, aber immer noch kein echtes E-Learning.
Disruptives Ereignis
Und dann kam der März 2020. Die Schließung der Hochschule und die Umstellung aller Lehrformate auf „online“ als disruptives Ereignis zu bezeichnen, ist wahrscheinlich noch untertrieben. Diejenigen, die glaubten, in ein paar Wochen in den Hörsaal zurückkehren zu können, irrten. Insofern war es gut und richtig, gleich ein echtes E-Learning-Angebot zu erarbeiten. Mein Heimbüro verwandelte sich dauerhaft in ein Ton- und temporär in ein Videostudio. Glücklicherweise gab es jetzt die Kapazität für die Erarbeitung, denn alle Dienstreisen entfielen, Projekte liefen auf Sparflamme. Es hieß nun, mit Hochdruck gute Inhalte zu produzieren.
Gute Inhalte in der Distanzlehre bedeuten aber nicht, die Vorlesung 1:1 über elektronische Medien zu verbreiten. Einem neunzigminütigen Vortrag am Bildschirm zu folgen, ist weitaus ermüdender als im Hörsaal (wobei es natürlich auch im Hörsaal von der Lehrkraft abhängt). Deshalb teilte ich meine Vorlesungen in geistig gut verdauliche „Häppchen“ von 15–30 min auf und streute dazwischen Wiederholungsfragen mittels des in Opal integrierten Testsystems Onyx – dieses asynchrone Lehrformat kam sehr gut an. Um auch anderen Lehrkräften diese Arbeitsweise zugänglich zu machen, wurde das YouTube-Tutorial „Von der Präsenz ins E-Learning“ erstellt. Übungen und Seminare liefen synchron per Videokonferenz. Alles in allem eine runde Sache und endlich echtes E-Learning.
Klausuren ohne Papier
Dann nahte die Prüfungszeit. Schon im Mai wurde bekanntgegeben, dass „auch wesentlich abweichende Prüfungsformate durch die ... Prüfer angeboten werden“ dürfen – das war die Chance, endlich Onlineprüfungen durchzuführen, das Projekt, dessen Förderung bisher immer abgelehnt wurde. Flugs erstellte ich eine Umfrage im aktuellen Modul mit dem Ergebnis, dass ca. 80 % der Teilnehmer keine Vorbehalte gegen diese Prüfungsform hatten. Wer hätte gedacht, dass das ein Semester später der Standard sein wird! Da die Prüfungen mit „offenen Büchern“ geschrieben werden, war klar, dass die Fragen entsprechend gestaltet sein mussten. Nicht so klar war jedoch, ob sich die Teilnehmer an das Kommunikationsverbot halten werden. Interessanterweise gab es in meinen Klausuren keine großen Veränderungen im Notendurchschnitt und das ganze Notenspektrum wurde ausgeschöpft.
Natürlich ist die Erarbeitung einer solchen Prüfung mit weitaus größerem Aufwand verbunden, zumal beim ersten Mal – wie bei der Produktion der Lehrinhalte. Aber ist es einmal erarbeitet, sind Pflege und Anpassung keine große Sache mehr. Der größte Vorteil jedoch ist die Korrektur mit einer unheimlich anmutenden Schnelligkeit. In der Regel lagen einen Tag nach Prüfungsdurchführung die Ergebnisse meiner Klausuren vor! Wenn man bedenkt, wie viele Arbeitstage wir früher mit Klausurkorrektur verbracht haben …
Kein Vorteil ohne Nachteil
Es soll nicht verschwiegen werden, dass sich bestimmte Lehrformate schwer bis gar nicht in den virtuellen Raum verlegen lassen: Laborpraktika und Laborseminare. Aber wenigstens teilweise konnte auch hier Ersatz gefunden werden: Mit Videoproduktionen z. B. zum ETCS-Seminar oder zum Stellwerksseminar. Diese wurden teilweise sogar untertitelt, um auch hörbehinderten oder nicht deutschsprachigen Wissenskonsumenten den Zugang zu ermöglichen. Was uns zu einem weiteren Vorteil asynchroner Lehre führt: Barrierearmut. Asynchrone Lehrformate sind auch immer ein Beitrag zur Inklusion, wofür sich die TU Dresden einsetzt. Hierzu zählen auch zeitliche Behinderungen, wenn z. B. wegen Betreuung von Kindern oder Angehörigen nicht immer zum Zeitpunkt der Lehrveranstaltung teilgenommen werden kann.
Nachteilig bei asynchroner Lehre ist die Gefahr der Prokrastination (Aufschieben), was bei synchronen Elementen naturgemäß nicht auftreten kann. Aber auch hier kann gegengesteuert werden: Durch einen detaillierten Fahrplan, der vorgibt, wann welches Element abzuarbeiten ist. Der Rest ist Selbstdisziplin.
Die technische Unterstützung soll noch einmal lobend erwähnt werden. Videokonferenzsysteme, Opal, VideoCampus Sachsen, Matrix-Chat – die Aufzählung ließe sich fortsetzen – wurden eingerichtet bzw. ertüchtigt und liefen (fast) immer stabil. Gewiss ist nicht alles perfekt, doch andere Lehreinrichtungen sind deutlich schlechter ausgestattet. Die Unterstützung durch das ZiLL, die ich mehrfach in Anspruch nahm, war immer schnell und hilfreich, ebenso durch das Sachgebiet 7.5 „Web und Video“.
Was bleibt?
Mittelfristig werden wir in den Hörsaal zurückkehren. Doch was bleibt von den guten E-Learning-Angeboten, die wir jetzt mit viel Anstrengung erarbeitet haben? Gewiss: Für Übungen und Seminare ist die Präsenzform die beste Wahl, für Laborpraktika sowieso. Aber warum soll man seine Vorlesung mit wenig oder keiner Interaktion Jahr für Jahr zur gleichen Zeit im Hörsaal halten? Können wir unsere Zeit nicht besser einteilen? Hier können asynchrone Lehrformate weiterhin ihre Vorteile ausspielen – wenn sie gut gemacht sind.
Ein weiterer Vorteil sind die Onlineprüfungen, die wir jetzt keinesfalls aufgeben dürfen. Der hohe Arbeitsaufwand der Erstellung amortisiert sich erst bei mehrfacher Nutzung. Und der Vorteil der schnellen Korrektur wäre mit Papierprüfungen wieder zunichtegemacht. Da wegen der offenen Bücher nun Wissensfragen wenig sinnvoll sind, ist die etwas aufwendigere Erarbeitung von Fragen zur Anwendung („Transfer“) notwendig. Doch ist es nicht viel besser, die Anwendung des Wissens zu prüfen, als das Wissen selbst?
Was bleibt also? Für mich im Wesentlichen zwei Dinge: Gut gemachte, asynchrone Vorlesungen mit Selbsttests und Onlineprüfungen, die besser funktionierten, als ursprünglich angenommen. Für letztere ist allerdings die Überarbeitung der Prüfungsordnungen notwendig, denn momentan basieren sie rechtlich auf befristeten Ausnahmeregelungen.
Auch wenn der Grund kein erfreulicher war: Auf die gut gemachten, neuen Inhalte können wir stolz sein. Echtes E-Learning. Das bleibt.