03.05.2022
Neue Publikation: Wahrnehmung von Hate Speech in sozialen Medien
Das Diskursklima auf Social-Media-Plattformen ist in den letzten Jahren spürbar rauer geworden. Wie repräsentative Umfragen zeigen, gibt es immer mehr Nutzer:innen, die online bereits Hate Speech wahrgenommen haben. Insbesondere junge Nutzer:innen berichten häufig über Kontakt mit dieser Form inziviler Online-Kommunikation, die sich gegen (marginalisierte) soziale Gruppen richtet. Standardisierte Befragungen erlauben jedoch keine Rückschlüsse darauf, wie spezifische Nutzer:innen-Gruppen auf Hate Speech reagieren und welche Kontextbedingungen ihre Wahrnehmung verschiedener Formen von Hass beeinflussen. Ein solches Wissen ist aber essenziell, um adäquate Interventionsstrategien zu entwickeln sowie die individuellen und gesellschaftlichen Wirkungen von Hate Speech besser zu verstehen.
In einem neuen Aufsatz, der kürzlich in der Fachzeitschrift New Media & Society online erschienen ist, widmen sich Ursula Schmid (LMU München), Anna Sophie Kümpel (TU Dresden) und Diana Rieger (LMU München) daher der Frage, wie Social-Media-Nutzer:innen unterschiedliche Formen von Hate Speech wahrnehmen. Mithilfe einer innovativen qualitativen Mehrmethodenstudie haben sie untersucht, wie sich (1) personenbezogene Merkmale der Nutzer:innen, (2) die Darstellungsform (z.B. Bild vs. Text) sowie (3) inhaltsbezogene Merkmale der Hate Speech, wie deren Direktheit, die strafrechtliche Relevanz oder die angegriffenen Gruppen, auf nutzerseitige Wahrnehmungen auswirken. Die Autor:innen unterscheiden zwischen Wahrnehmungen erster Ebene – ob der Hate-Speech-Inhalt im Social-Media-Feed überhaupt auffällt und verarbeitet wird – und Wahrnehmungen zweiter Ebene, die sich aus einer eingehenderen Rezeption ergeben und etwa Gefühle und Einstellungen zum Inhalt umfassen.
Die Befunde zeigen unter anderem, dass Nutzer:innen vor allem direkte Hate Speech in visueller Darstellungsform wahrnehmen und auf diese reagieren. Hinweise gibt es zudem auf personenbezogene Unterschiede: Während ältere Nutzer:innen und solche, die eher weniger Zeit auf Social-Media-Plattformen verbringen, Hate Speech viel Aufmerksamkeit schenkten und sich tendenziell betroffener zeigten, beschäftigten sich habitualisierte und jüngere Social-Media-Nutzer:innen eher flüchtiger mit den Inhalten. Insgesamt jedoch waren die Wahrnehmungen hochgradig individuell, was auf die Relevanz einer differenzierten Auseinandersetzung mit dem Phänomen verweist.