Sommersemester 2009
Performance - Seminar geleitet von Marie-Luise Lange und BBB Johannes Deimling,
mit Studierenden der TU – Dresden, Fachbereich Kunstpädagogik in Rehlovice (Tschechien) 2009
Abschluss
Am Samstag wurden ab 15 Uhr 21 Performances realisiert. 4 Blöcke a 5, bzw. 6 Performances, zwischen den Blöcken wurde Pause gemacht. Die Dauer der einzelnen Performances variierte zwischen 5 Stunden und 5 Minuten.
Block 1
1.1 Julia Wahle (Speicher)
Titel: frisörtermin, 15 Minuten
Handlungsbeschreibung: Ich stehe im Speicherraum, barfuss, schwarz gekleidet, ein weißes Tuch, wie eine Schärpe über die rechte Schulter gelegt. Auf dem Holzfußboden neben mir fünf leere Gläser mit der Öffnung nach unten und in einigem Abstand zueinander aufgereiht. Das Publikum betritt den Raum, jeder mit zwei Pflastersteinen in den Händen, auf die sie sich nach vorheriger Anweisung stellen und während der Aktion balancieren sollen. Sobald das Publikum seinen Platz auf den Steinen eingenommen hat, drehe ich mich zu den Gläsern, die nun in einer Reihe vor mir stehen. Ich steige auf die ersten beiden Gläser, bewege mich auf ihnen fort, indem ich mein Gewicht auf ein Bein verlagere, so dass ich das andere Glas mit der Fußspitze einige Zentimeter vorwärts schieben kann. Nach einigen „Schritten“ erreiche ich das dritte Glas, steige darauf und stehe nun auf dem zweiten und dritten Glas. Ich gehe in die Hocke, greife nach dem freien Glas hinter mir, spucke hinein und verschließe es mit einem Schraubdeckel, den ich aus meinem Tragetuch herausnehme. In diesem verstaue ich das Glas und setze meinen Weg fort. Oft muss ich in meinen Bewegungen innehalten, um meine Balance wiederzufinden. Ich erreiche das vierte Glas, gehe wieder in die Hocke, schneide mir mit einer Schere aus dem Tragetuch einen Fingernagel ab und „konserviere“ ihn in dem freien Glas hinter mir, das ich daraufhin ebenfalls in meinem Tragetuch verstaue. Als ich meinen Weg fortsetzen will, um das letzte Glas zu erreichen, kippt ein Glas beim Vorwärtsschieben um und rollt über den Holzfußboden einige Meter davon. Nur noch auf einem Glas stehend kann ich meine Balance nicht mehr halten, gerate ins Straucheln und muss absteigen. Dabei gleitet das Glas, gefüllt mit meiner Spucke, aus dem Tragetuch, fällt zu Boden und rollt ebenfalls davon. Ich stelle mich vor die beiden letzten Gläser, die nun in größerem Abstand zueinander stehen, halte kurz inne und steige wieder auf. Es gelingt mir nicht, die beiden Gläser durch Gewichtverlagerung etwas näher aufeinander zu zu bewegen, um meine Körperhaltung entspannen und meinen Weg fortsetzen zu können. Balancierend hole ich erneut die Schere aus meinem Tragetuch, greife einen Büschel meines Haares und schneide ihn ab. Den linken Fuß auf dem Glas, die rechte Fußspitze auf dem Boden, bekomme ich das letzte Glas vor mir zu fassen und lasse den Haarbüschel hinein fallen. Ich steige von dem Glas herunter und verharre kurz, dem Publikum zugewandt, das offene Glas mit meinen Haaren in beiden Händen. Ich knie mich nieder, stelle das Glas vor mir ab, lege das Tragetuch rechts neben mich, hole das Glas mit dem Fingernagel heraus und stelle es links neben mir auf. Das Glas mit den Haaren stelle ich darauf und entnehme dem Tragetuch eine Schachtel Streichhölzer. Neben den aufgestellten Gläsern kniend entzünde nacheinander vier der Streichhölzer und lasse sie in das Glas mit Haaren fallen. Die Haare fangen langsam an zu schwelen, Rauch steigt auf und der Geruch von verbranntem Haar verbreitet sich langsam im Raum. Ich lege das Tragetuch wieder an, stehe auf und verharre mit Blick auf das Publikum neben den Gläsern stehend. Dann verlasse ich den Raum.
Hintergrund: Schon zu Beginn des Workshops entdeckte ich für mich in verschiedenen Übungen das Thema Balance. Ich merkte, dass ich das Bedürfnis hatte an diesem Thema weiterzuarbeiten – das Leben als ständiger Balanceakt, in dem es auch Krisen gibt, Zeiten des Verlusts der eigenen Balance, Zeiten mit unsicheren Wegen, die vor einem liegen, deren Begehen anstrengend ist und einem viel abverlangt, die man am Ende aber gestärkt, reich an Erfahrungen und dem tiefen Bewusstsein über die eigene Persönlichkeit verlassen kann, um bereit für eine neue Herausforderung, den nächsten Balanceakt zu sein.
1.2 Johanna Riese (Teich)
Titel: Offenbarung, 10 Minuten
Handlungsbeschreibung: Ich stehe in einem weiten Kleid mit dem Rücken zum Teich auf dem Hof des Kulturgutes Rehlovice. In einigen Metern Abstand vor mir befinden sich die Zuschauer. Ich wende mich nach links und schreite langsam die quadratische Form des Teiches an dessen Böschungskante ab. Als ich ihn fast umrundet habe, werde ich von Büschen verdeckt. Die Betrachter sehen mich nicht mehr. Ich verharre einige Zeit im Unsichtbaren und renne dann plötzlich auf den Teich zu. Ich springe mit einem Kopfsprung von dem kleinen Steg hinein und gleite unter Wasser einige Meter bis in dessen Zentrum. Dort befreie ich mich in einem hektischen Kampf von meinem Kleid. Darunter trage ich einen „Anzug“ aus Schichten dünner Nylonstrumpfhosen, der meinen ganzen Körper bedeckt. Ich ziehe nun noch ein Stück Strumpfhose über meinen Kopf. Die Verwandlung ist vollzogen und ich tauche wieder auf. Ich stehe bis zu den Schultern im Wasser und richte den Blick auf das Publikum. Während ich langsam auf die Betrachter zugehe, wird mein veränderter Körper immer weiter sichtbar. Ich steige aus dem Teich und greife ein großes Küchenmesser, das am Ufer im Sand steckt. Am Ausgangspunkt der Performance stehe ich dem Publikum gegenüber und reiße mit dem Messer meine „zweite Haut“ von Brust- bis Schambein auf. Mein von der Schwangerschaft gewölbter Bauch kommt zum Vorschein.
Hintergrund: Es war der Teich, der mir als erstes auffiel, als wir auf dem Hof des Kulturgutes in Rehlovice einfuhren. Nicht wegen seiner Besonderheit, denn die Gebäude der Gutsanlage sind optisch viel anziehender und bieten dem Betrachter unendliche Möglichkeiten des visuellen Entdeckens. Der Grund ist seine Funktion: Er stellt das quadratische Zentrum der Anlage dar; das Auge, in dessen (nicht ganz exakter) Mitte; einen Ruhepunkt, von dessen Ufer man mit Blick auf die sanften Wellen und mit dem Geräusch des leisen Wasserplätscherns das Gefühl hatte „im Irgendwo“ zu sein. So viel universelle Ruhe, Klarheit und Frieden strahlt er aus. Ich hatte von Anfang an den Drang, Teil dieser Harmonie zu werden und sie gleichzeitig (wenn auch nur vorübergehend) in ihrer erhabenen Unantastbarkeit zerstören zu wollen. Das konnte in dieser Form nur durch ein massives Eindringen durch die gespannte Haut, die Wasseroberfläche, des Teiches passieren. Dabei würde gleichzeitig die sanfte Stille des Plätscherns laut übertönt werden. Seine „Schönheit“ wäre dahin. -Aber auch meine. Denn was würde ein derart gewalttätiges Eindringen in etwas so Vollkommenes bei mir verursachen? Was würde passieren, wenn ich einem so intuitiv begehrten Zerstörungsdrang wirklich nachgebe? Wenn ich der „bösen“ Stimme in mir folge? Würde nicht das zerstörerische Bad ein tiefstes Inneres offenbaren? Würde gar ein anderes „Ich“ seinen Weg nach Außen finden? So steige ich als verwandelter und bloßgelegter Mensch aus dem Wasser und offenbare mit dem Messer, noch mehr als ich es durch den Akt des Zerstörens der Schönheit bereits getan habe, meine andere Seite. Die Bewertung des Zerstörungs-/ Offenbarungsprozesses ist dem Urteil der Zuschauer vorbehalten. (Geistiges „Vorbild“ dieser Performance sind eigene Kindheitserinnerungen und –zwänge. Stilistisch wurde sie wohl durch meinen Besuch der Sammlung Götz in München im April geprägt, bei dem ich eine Videopräsentation von Mike Kelley zu einem japanischen Gewässer-Mythoswesen -dem Kappa- gesehen habe.)
1.3 Meike Lettau (Brauerei aussen)
Titel: Öffne dich, 12 Minuten
Handlungsbeschreibung: Ich stoße einen Flügel eines großen Eisentores auf und trete mit einem rechteckigen mit Wasser gefüllten Eimer in der Hand heraus. Dann fokussiere ich eine Mischmaschine und beginne auf einer gerade Linie, auf der ich mich die ganze Performance lang bewege, auf sie zu zulaufen. Angekommen schütte ich das Wasser in die Öffnung, stelle den Eimer ab und drehe langsam das Rad der Mischmaschine bis der Großteil der Wassermenge aus dem Behältnis in Richtung der Zuschauer ausgelaufen ist. Hierbei sind Geräusche von Dingen in der Maschine zu hören, die an die Wände schlagen und umherkullern. Danach bewege ich das Rad in die andere Richtung bis die Öffnung dieses Mal ganz dem Boden zugewandt ist und die Dinge aus dem Behältnis kippen: Glühbirnen, eine leere Tube, Lichterkettenlämpchen, Schrauben, ein Pinselstück, Teelichter, Kabelstücke, Steine und Nägel. Ich beginne auszusortieren, werfe einige Dinge auf den Platz neben mich, wähle einen Gegenstand aus, platziere ihn in einem Sieb im Eimer und gehe auf der geraden Linie Richtung Tor zurück. Plötzlich bleibe ich stehen, stelle den Eimer ab, knie mich nieder, hebe ein Stück Rasenfeld aus der Wiese heraus, tue den Gegenstand hinein und verschließe das Erdfeld wieder mit dem Rasenstück. Hierbei befestige ich einen weißen runden unaufgeblasenen Luftballon in der Erdspalte, sodass eine Lasche zum Öffnen des „Faches“ entsteht. Ich gehe zurück zur Mischmaschine und wiederhole den Vorgang bis fünf Fächer mit Gegenständen gefüllt sind. Dann verschwinde ich mit dem Eimer in der Toreinfahrt und ziehe das Tor hinter mir zu. Kaum bin ich verschwunden ertönt ein Piepen aus dem letzten „Fach“. Das Publikum ist irritiert, versucht das Piepen zu orten und öffnet dabei das Fach. Danach stoppt das Geräusch und das Publikum fährt mit dem Öffnen der „Fächer“ fort, bis schließlich keins mehr geschlossen ist.
Hintergrund: Meine Performance behandelt das Grundthema der Distanz von Individuen und ihrer Kommunikationsaufnahme über Erinnerungen/Erfahrungen/Lebensstücke. Inwieweit besteht eine Grenze zwischen: jemanden an etwas teilhaben lassen, jemandem etwas preisgeben oder jemandem etwas vorenthalten?
1.4 Tina Hoezel (Brauerei)
1.5 Sabine Alex (Brauereigewölbe)
Titel: - / +, 20 Minuten
Handlungsbeschreibung: Ich warte in einem Nebenraum im Brauereigebäude darauf dass sich das Publikum in einem definierten Halbkreis im dunklen Gewölbegang aufstellt und zur Ruhe kommt. Ich trage schwarze Kleidung und Schmuck. Dann betrete ich mit zwei Blecheimern das Gewölbe, positioniere mich vor das Publikum und stelle die beiden Eimer jeweils links und rechts vor mir ab. Ich beginne nacheinander meinen Schmuck links von mir abzulegen. Danach greife ich in den linken Eimer und reibe jedes einzelne Körperteil mit der darin befindlichen Asche ein. Nun schöpfe ich Wasser aus dem rechten Eimer und benetze damit jedes einzelne Körperteil. Die Asche verbindet sich mit dem Wasser zu Schlamm, anstatt vom Wasser abgewaschen zu werden. Nun ziehe ich die verschmutzte Kleidung aus und eine saubere schwarze Kleidung kommt zum Vorschein. Diese Prozedur wiederhole ich noch zwei weitere Male um dann an dem über mir befindlichen Strick zu reißen. Dadurch entleert sich der mit Wasser gefüllte Blecheimer über mir. Ich halte kurz inne und gehe durch die Menge ab.
Hintergrund: In meiner Performance beschäftige ich mich mit den Themen Trennung, Chaos und anschließender Neuordnung.
Block 2
2.1 Johanna Landwehr (Teich)
Titel: Der Traum des Froschkönigs, 300 Minuten
Handlungsbeschreibung: Die Performance fand um den See herum statt. Im Vorfeld hatte ich 6 Holzpfähle in den Seeboden gerammt, direkt am Ufer. An jedem hing eine aufgeschnittene Plastikflasche, deren Böden kleine Löcher hatten. In jeder Flasche befand sich ein goldener Tischtennisball. Die Performance begann und endete ohne (offizielles) Publikum. Ich kam mit einer Glaskaraffe (ca. 0,7l) zum See und hockte mich am Ufer neben den ersten Pfeiler. Ich füllte die Karaffe mit Seewasser und ließ den Inhalt in die Flasche plätschern. Beim Füllen schwamm der goldene Ball hüpfend mit dem Wasserstand nach oben. Gleichzeitig tropfte das Wasser unten durch die Löcher leise hörbar in den See zurück. Ich ging weiter um den See herum und wiederholte diese Handlung bei allen restlichen Flaschen. Wieder bei der Ersten angekommen, war das Wasser bereits abgelaufen und der Ball wieder an den Grund zurückgesunken. Ich füllte die Flasche abermals mit Wasser auf und lief weiter um den See herum, immer im selben Tempo, immer auf dem gleichen Weg, die Flaschen füllend. Das Tropfen und die Ringe auf dem Wasser folgten mir. Nach einer Weile zeichnete sich mein Weg als Spur auf dem Rasen ab. Nach ungefähr fünf Stunden ließ ich die Karaffe fallen und ging weg.
Hintergrund: Hintergrund ist unter anderem der Ideenfindungs-Prozess der Abschlussperformance. Es geht dabei um den Kontrast zwischen Schönheit, Faszination, Klarheit und dem zermürbenden immer wiederkehrenden Akt sinnloser, zerstreuender Tätigkeit, die zu keinem Ergebnis führt und einzig Ablauf bleibt.
2.2 Sophia Pontius (Brauereigewölbe)
Titel: ohne Titel, 330 Minuten
Handlungsbeschreibung: In den Gemäuern des Brauereigebäudes, in einem hohen Raum mit quadratischem Grundriss stehen in der Mitte einmal vier und einmal zwei aufeinandergeschichtete würfelartige Steine, die durch fahles Oberlicht beleuchtet werden. Auf dem obersten Stein liegen insgesamt 21 weiße Garnrollen. Ringsherum an den Wänden sind in zwei Meter Höhe Nägel in kurzen Abständen in die Wände angebracht worden. Ich trete von hinten durch das Publikum durch in den Raum und beginne mit meiner Performance, indem ich in den vier Ecken alle Taschenlampen, vorher in zwei Metern Höhe befestigt, anschalte. Danach schaue ich das Publikum an und wende mich dann dem Stein mit dem Garn zu. Ich nehme mir die erste Garnrolle und binde das Ende des Fadens an einem der Nägel fest und wickle die Rollen, eine nach der anderen, ab, indem ich quer durch den Raum zwischen den Nägeln hin und her laufe. Nach einigen Stunden, als Tages- und Taschenlampenlicht fast vollends verlöscht sind, beende ich meine Performance, indem ich mich auf den höchsten Stein setze und meinen Kopf und die Arme durch das Netz hindurchstrecke, sodass ich mich mit meinem Körper nicht mehr unterhalb, sondern mitten in dem selbsterschaffenen Fadengewirr befinde.
Hintergrund: Zwei Dinge haben mich von ihrer Beschaffenheit her angesprochen: das war einmal der Raum – hoch, mit sphärischem Licht, ein wenig verfallen, dieses Gemäuer, von dem der Putz abbröckelt und die Natursteinmauer zum Vorschein kommt – und der weiße Faden – dünn, zart, kaum sichtbar (erst in der Menge), unaufdringlich und leicht. Hinzu kamen das anstrengende und das ausdauernde Moment. Ich habe eher intuitiv als überlegt gearbeitet – deshalb hier vielleicht noch ein paar Gedanken: Konzentrationsfähigkeit, Ausdauer und Disziplin testen, Netz spannen, manche Nägel haben die Verbindungen durch die Fäden halten können, andere nicht –sie haben nachgegeben, soziales Netz, Kokon, Heim bauen, sakral, zelebrieren, Abhängigkeiten.
2.3 Theresa Wienhold (Stall)
2.4 Katrin Hieke (Speicher)
2.5 Franziska Ripprich (Brauerei neben dem bepflanzten Dach)
Titel: Unterwegs, 15 Minuten
Handlungsbeschreibung: Ich stehe im Eingang einer höher gelegenen Ruine. Die Zuschauer sehen mich bereits von unten und müssen über eine Leiter zu mir heraufklettern. Der Raum besteht nur noch aus den Grundmauern, welche von Rissen, abbröckelndem Putz, herauswachsenden Pflanzen und freigelegten Steinen gekennzeichnet ist. Die Mauern wirken sehr charakteristisch durch die Zeitspuren und wirken trotz ihres Verfalls doch sehr lebendig. Ich beginne langsam den Raum zu betreten und taste mich langsam mit den Füßen am Boden fort. Ich versuche den Raum zu erspüren, ihn zu erforschen und zu entdecken. Als Zeichen hinterlasse ich mit Kreide meine Spuren, indem ich die Umrisse von meinen Füßen auf den Boden zeichne. Langsam bewege mich zu der ersten Mauer. Dort stehe ich ein paar Sekunden angelehnt und hinterlasse auch dort wieder meinen Umriss. Ich bewege mich nun suchend an der Mauer fort. Ertaste ihre Struktur, die Ecken und Einwölbungen, untersuche vorsichtig das Mauerwerk. Ich ziehe meine Schuhe aus und taste mich mit den Füßen weiter auf dem Boden fort, beginne diesen jetzt kriechend und liegend zu erfühlen. Während meiner Reise hinterlasse auch ich Spuren im Raum. Nach und nach sind meine Hände, meine Füße, meine Körperumrisse im Raum zu erkennen. Auf dem Boden liegend, stehe ich auf und bewege mich langsam zu einem großen offenen Türrahmen. Ich bleibe mit dem Rücken zum Publikum stehen, schaue in die Ferne, unter mir der Abgrund. Langsam beginne ich meine Jacke auszuziehen. Darunter kommt auf meinem T-Shirt aufgedruckt die Aufforderung ans Publikum: „Follow me“ zum Vorschein. Zögernd trauen sich die ersten zu mir heran und schauen ebenfalls nach unten und sehen meine Fußspuren mit Kreide auf einem Weg eingezeichnet. Nach und nach verlassen alle meinen Raum über die Leiter nach unten und folgen weiter den Zeichen. Ich stehe immer noch oben und schaue hinunter auf meine Spuren, welche in eine Garage führen. Dort hängt ein T-Shirt von mir mit dem Aufdruck „me“. Die Reise ist zu Ende, das Publikum ist nun bei mir angekommen.
Hintergrund: Auf der Reise in dem Raum, welcher voller Zeit-Spuren gekennzeichnet ist, versuche ich durch meine Umrisse meine Spuren zu hinterlassen. Während der ganzen Performance versuche auch ich stückweit ein Teil von mir zu suchen, um zu erfahren „Wer bin ich“, „Wo möchte ich hin“. Mich faszinierte dieser Raum, der nur noch aus den Grundmauern bestand, in seiner Einzigartigkeit. Durch die vielen Risse, Steine, Pflanzen und dem abbröckelndem Putz zeigte er ein Stück Vergangenheit. Jeder konnte nur noch erahnen, wie er vielleicht mal ausgesehen hat, wer darin gewohnt hat etc. Die Reise durch den Raum verbinde ich auch mit einer Reise zu mir selbst- daher ja auch das T-Shirt in der Garage mit der Aufschrift „me“.
Block 3
3.1 Laura Hoffmann (Stall)
Titel: Dinner for one, 12 Minuten
Handlungsbeschreibung: Wir befinden uns im hinteren Bereich des White-Cubes, ehemaliger Kuhstall. Der Handlungsraum wird gestaltet durch die verwaschenen, kahlen Wände und den wässrig blauen Boden. In der Mitte des Handlungsraumes, einige Meter von der Rückwand entfernt, hängt ein schlichter Kleiderbügel in Schulterhöhe an einem Strick. Auf dem Boden liegen ein Holzbrett, ein großes Messer und ein Haufen roter Äpfel, beleuchtet durch zwei 500 Watt – Scheinwerfer, die die Gegenstände lange Schatten werfen lassen. Nachdem sich das Publikum in Richtung des Handlungsraumes positioniert hat und Ruhe eingekehrt ist, betrete ich den Aktionsraum und gehe hinter den Gegenständen zum Kleiderbügel. Kurz bleibe ich stehen. Mir fällt es schwer meinen Mund geschlossen zu halten, da er mit einer Masse gefüllt ist. Ich ziehe meine Jacke aus, hänge sie auf den Bügel und schließe den Reißverschluss. Ich stelle mich neben die hängende Jacke. Als nächstes knie ich mich vor dem Brett auf den Boden und beginne einen Apfel in kleine Stücke zu schneiden. Danach füttere ich den Halsausschnitt meiner Jacke mit diesen Apfelstücken unter Zuhilfenahme einer großen Grillzange. Die Stückchen fallen durch die Jacke auf den Boden. Beim Schneiden und Füttern der folgenden Äpfel erhöhe ich mein Tempo immer mehr, so dass meine Bewegungen unkoordinierter werden und ich mir schlussendlich in die Finger schneide. Während ich noch immer Äpfel schneide, tropft das Blut auf den Boden und auf die Äpfel. Schließlich stehe ich auf, stelle mich in Richtung des Publikums, lasse das Messer fallen und führe meinen blutenden linken Finger an mein Gesicht. Ich schaue das Pubklikum an, suche Blickkontakt. Langsam umfahre ich meinen Mund und schmiere mir mit dem Blut eine grinsende Fratze ins Gesicht. Nach einem Moment gehe ich wieder zur Jacke, ziehe diese an und spucke, den Handlungsraum verlassend, die Äpfel aus meinem Mund dem Publikum vor die Füße.
Hintergrund: Die Idee zur Performance entstand aus einer Materialaffinität heraus. Dabei handelte es sich um eine Rettungsdecke, eine Maske, Äpfel und ein Messer. Die ursprünglichen Bilder und Gegenstände abstrahierte und reduzierte ich so lange, bis nur noch die Dinge übrig hatte, die im Rahmen meiner Handlung eine sinnvolle, inhaltliche Funktion hatten. Durch meine Handlungen wollte ich die Erfahrung vermitteln, wie es ist, zu erkennen, dass die hohen Ansprüche, denen man glaubt gerecht werden zu müssen, von einem selbst geschaffen wurden.
3.2 Nicole Gläßer (Stall)
Titel: Secondhand, 10 Minuten
Handlungsbeschreibung: Ich betrete den weißen Raum. In der Hand halte ich wie zwei Waffen rote Lippenstifte. Klack, Klack, Klack- ich laufe die ersten Schritte. Erschrecke über meine Geräusche, die Blicke der Zuschauer, die vorher mit dem Rücken zu mir standen. Ich ziehe meine Steppschuhe aus und mache weitere Schritte auf die Zuschauer zu. Ich ziehe mir meine ungeschminkten Lippen dick mit rotem Lippenstift nach. Wenig später, auf dem Boden liegend, benutze ich ihn, um meine Körperkontur zu umfahren. Ich stehe auf und betrachte die Markierung. Ich gehe erneut auf die Zuschauer zu und fange an mir mithilfe einer Geste Sachen von ihnen zu erbitten. Erst eine Jacke, dann ein Tuch...später die Hose eines Zuschauers. Solange bis ich komplett angezogen bin. Ich mache jedoch immer weiter. Noch ein Pullover und noch einen, einer- drei, vier, fünf. Tücher, Jacken. Zwei Paar Schuhe- Laufen wird langsam unmöglich. Erschöpft lasse ich mich zu Boden fallen und umrande erneut meinen Körper mit dem Lippenstift. Nun sind zwei Markierungen meines Körpers auf dem Boden zu sehen. Ich stehe auf. Ziehe schnell alle fremden Sachen aus und bedecke mit ihnen die Markierungen auf dem Boden. Ich drehe mich von den Zuschauern weg und ziehe meine Steppschuhe wieder an. Klack, Klack, Klack verlasse ich den Raum wie ich gekommen bin- zumindest äußerlich.
Hintergrund: Man hastet durch die Zeit. Läuft erst schnell und dann immer schneller. Kopfloses versteigen in Irrwegen. Ein Ziel- ein Licht. Vorwärtsjagen im Takt mit Anderen. Wessen Takt treibt mich an. Ich versuche mich zu schützen. Aber ich bin atemlos- der Klang das Alltags braust in den Ohren und zwängt seinen Rhythmus auf. Ich baue Barrikaden. Ich passe mich an. Ich halte Inne, versuche mich zu hören- keine Ruhe, ich kann micht nicht verstehen: Bilder, flüchtige Gedanken, Begegnungen, Einflüsse. Der Blick streift die Vorübergehenden. Man läuft weiter. Man startet beim Möchten, passiert wenig später das Wollen und endet beim Sollen. „Take it easy“( von Mascha Kaléko)- „Nimms auf die Leichte Schulter […]Doch du hast zwei/ Nimms auf die leichte/[...] Und wurde schief. Weil es die andre Schulter auch noch gibt.“
3.3 Kristin Heller (Speicher)
Titel: Miteinander , 30 Minuten
Handlungsbeschreibung: Ich betrete den Raum des Speichers, in den Händen ein Tablett haltend, auf dem weiße verschlossene Pakete nebeneinander gereiht sind. In der Mitte des Raumes liegt ausgebreitet eine weiße Tischdecke. Um sie herum ruhen nacheinander verschiedene Lebensmittel wie unter anderem Kohlrabis, Bananen, Gurken, Möhren, Kartoffeln, Erdnüsse. Mit dem vollen Tablett gehe ich geradewegs auf das Publikum zu. Jeder der Zuschauer nimmt sich ein weißes Paket. Dann stelle ich das leere Tablett auf den Boden, ziehe langsam die Schuhe aus und begebe mich auf die weiße Tischdecke. Ich nehme mir eines von den am Rand liegenden Lebensmitteln und lege es auf die weiße Decke. Daraufhin wiederhole ich dieses Vorgehen mit anderen Lebensmitteln, die am Rand liegen und lege sie nacheinander an. Plötzlich stehe ich auf, sehe die Zuschauer an und ziehe meinen Pullover bis zum Bauchnabel hoch. „Öffnen“ steht auf meinem Bauch. Ein Raunen geht durch das Publikum. Bedächtig öffnen die Zuschauer ihre weißen Pakete und holen ganz verschiedene Lebensmittel daraus hervor. Ich setzte mich wieder auf die weiße Decke und fahre damit fort, Lebensmittel vom Rand der Decke zu nehmen und sie auf dieser aneinanderzureihen. Und abermals erhebe ich mich und ziehe meinen rechten Ärmel hoch. „Rechts oben“ ist darauf zu lesen. Gemurmel im Publikum. Ein Zuschauer betritt die rechte obere Hälfte der weißen Decke und legt eines der Lebensmittel aus seinem Paket an die Lebensmittel die schon daliegen an. Weitere machen es ihm nach. Ich betrete genauso die Fläche und mache weiter. Dann stehe ich erneut auf und ziehe den linken Ärmel meines Pullovers hoch. „Links oben“ steht geschrieben. Einzelne Zuschauer begeben sich auf die linke Hälfte der weißen Decke und legen dort ihre Lebensmittel an. Noch einmal begebe ich mich zu ihnen und mache mit. Daraufhin stehe ich ein weiteres Mal auf und ziehe mein rechtes Hosenbein bis zum Knie hoch. „Rechts unten“ können alle lesen. Nun begeben sich auch jene Zuschauer auf und um die Decke herum, die sich die vorigen Male nicht trauten, um ihre Nahrungsmittel anzulegen. Ich geselle mich zu ihnen und mache mit. Und nochmals stehe ich auf und ziehe mein linkes Hosenbein bis zum Knie hoch. Darauf ist „Links unten“ zu lesen. Nun machen wirklich alle mit und bauen begeistert drauf los. Ich stehe auf, nehme ein an der Seite liegendes Messer, begebe mich auf die Decke und schneide eine darauf liegende Möhre in kleine Stücke. Dann richte ich mich auf und gehe der Reihe nach zu jedem Zuschauer. Jeder von ihnen nimmt sich ein Stück Möhre. Nachfolgend verlasse ich den Raum.
Hintergrund: Meine Idee war ein „Miteinander“ zu schaffen. Ich wollte mein Publikum in meine Performance miteinbeziehen, dass wir miteinander in Kontakt treten, etwas „Gemeinsames“ schaffen, was uns verbindet und die zwischenmenschlichen Beziehungen untereinander stärkt und festigt, dem Einzelkämpferdasein in unser heutigen Gesellschaft entgegenwirken.
3.4 Aldine Gerhard (Speicher)
Titel: peritia, 25 Minuten
Handlungsbeschreibung: Der alte Speicher ist leer. Die Zuschauer stellen sich im linken Bereich auf, mit Blick zwischen die beiden sich im Raum befindenden Balken. Neben dem linken Balken liegen 7 Rollen Frischhaltefolie bereit. Ich betrete den Raum und bleibe kurz vor den Zuschauern, zwischen den Balken, stehen. Dann gehe ich zu den Rollen, nehme mir eine und beginne nun die Folie von einem Balken zum anderen um mich herum aufzuspannen. Dabei arbeite ich von unten nach oben. Die langen, klaren Bahnen der Folie lassen einen Raum um mich herum entstehen, der mich zunehmend einschließt und eine „Wand“ zu den Zuschauern aufbaut. Nur das Geräusch der sich lösenden Folie ist zu hören. Nachdem die 6. Rolle aufgebraucht und die entscheidende Höhe bis zu den Schultern erreicht ist, gehe ich zu dem rechten Balken und ziehe Leggings und Top aus. Mit Unterwäsche bekleidet lege ich mich auf den Boden, ziehe mich unter dem entstandenen Raum hervor und stehe vor den Zuschauern auf. Nun beginne ich mich mit dem Ende der letzten aufgewickelten Folie von oben nach unten einzuwickeln, beginnend über der Brust. Der Raum wird abgebaut. Durch die Drehungen (mit dem Rücken zum aufgebauten Raum)entsteht ein Kokon um meinen Körper, indem ich am Ende bis zu den Knien eingewickelt bin. Eine Bahn bleibt hängen. Ich laufe mit dem Kokon eine Runde um die Balken, um dann hinter dem Rest der Folie in Richtung der Zuschauer stehen zu bleiben. Mit einem großen scharfen Taschenmesser, schneide ich mir selbst den Kokon von oben nach unten auf. Milch läuft mir über den Bauch, zerplatzt durch den Druck des Messers. Die dicke Folienschicht lässt sich nur schwer mit einem Schnitt von mir lösen. Befreit lasse ich Hülle und Messer fallen und verlasse den Raum.
Hintergrund: Erfahrungen, Emotionen und Erwartungen meiner Schwangerschaft setzte ich in der Performance um: Der selbst aufgebaute Schutzraum - eine leichte Abkapselung, um das werdende Leben zu schützen; das kokonartige Einrollen – bezogen auf die intensiven körperlichen Veränderungen. Das Öffnen mit dem Messer - eine Erwartung des Neuen.
3.5 Katharina Voigt (Brauerei aussen)
Titel: Schlüsseldienst, 5 Minuten
Handlungsbeschreibung: Ich komme mit je einer Einkaufstüte in jeder Hand „nach Hause“ – in diesem Fall der kleine „Raum“ hinter dem Gemüsegarten mit seiner zugemauerten Tür. Ich bleibe stehen, kann nicht weiter gehen, da der Durchgang vermauert ist. Ich stelle meine Tüten ab und gehe auf die zugemauerte Tür zu, betaste sie, drücke, schiebe, kommen nicht weiter. Drei Hämmer stehen rechts neben der Tür. Ich greife zum Kleinsten und beginne vorsichtig gegen die Wand zu schlagen, steigere langsam die Intensität des Schlages. Nach kurzem Innehalten greife ich zum größeren Hammer und beginne erneut, aber immer stärker gegen das Gemauerte zu schlagen. Nach immer kräftigeren, schnelleren Schlägen greife ich schnell zum größten Hammer und schlage mit ganzer Kraft bis zur Erschöpfung, bis ich den Hammer nicht mehr halten kann. Nachdem ich den Hammer nicht einmal mehr heben kann, drehe ich mich um und verlasse den Ort.
Hintergrund: Sie beschreibt meine inneren Kämpfe. Auf welche Art ist ein Problem/eine Aufgabe am Besten zu lösen? Ist manchmal ein Problem im ersten Moment überhaupt lösbar oder muss man das eigene Scheitern akzeptieren, wenn man einfach nicht die richten Mittel zur Lösung finden kann? Ist man einfach zu kraftlos den eigenen Zielen gerecht zu werden?
3.6 Herdis Kuhne (Stall)
Titel: 15, 20 Minuten
Handlungsbeschreibung: Die Performance begann mit einem Stillleben. In einem weißen begrenzten Raum mit blauem Betonboden standen ein Holzstuhl und 11 Metalleimer, welche randvoll mit kaltem Wasser gefüllt waren. Ich betrat barfuß und ganz in schwarz gekleidet den Raum und betrachtete die Eimer, den Stuhl und mich. Danach legte ich mein T-Shirt, die Hose und mein Unterhemd auf den Stuhl. Ich ging zu einem der Metalleimer, hob ihn hoch und schüttete das eiskalte Wasser über meinen Kopf. Dies wiederholte ich mit den restlichen 10 Eimern. Dazwischen nahm ich je eines der Kleidungsstücke von dem Stuhl und machte es in einem der Eimer nass und ließ es auf dem Boden liegen. Als alle Metalleimer leer waren, stand ich in der Mitte des Raumes mit ausgestreckten Armen. Dadurch konnten die Zuschauer mich beim Erkalten und Zittern betrachten. Anschließend zog ich die nassen Sachen wieder an und trat ins Publikum. Ich schaute mich um und forderte wortlos eine Beobachterin auf mich zu umarmen. Die Kommilitonin tat dies auch, um mir Wärme zu spenden. Danach wiederholte ich dies mit einer anderen Kommilitonin. Nachfolgend blickte ich ein letztes Mal in das Publikum und verließ den Raum gänzlich.
Hintergrund: Angefangen hat es mit dem Wunsch eine Performance mit einem starken physischen Moment durch Grenzüberschreitung zu schaffen und dabei ein starkes Gefühl zu transportieren. Arbeiten wollte ich unbedingt mit Wasser und meinem Körper.
Block 4
4.1 Susanne Schmelzer (Zimmer in der Brauerei)
Titel: Nightmare, 15 Minuten
Handlungsbeschreibung: Der Raum ist zweigeteilt. Die Zuschauer sitzen bequem auf Sofas und Stühlen in der einen Raumhälfte, ich selbst stehe im Zentrum der anderen Hälfte. Diese Hälfte des Raumes ist kärglich mit einer in der Ecke stehenden Kommode mit Vase, einer an der Wand hängenden Garderobe mit roter Lederjacke, einer Tür mit Vorhängeschloss sowie einer daneben befindlichen Holztruhe und einem großen Bett eingerichtet. Auf dem Bett befinden sich zwei Kissen und eine Decke, auf dem Boden brennt eine kleine rote Lampe, welche ein angenehm warmes Licht in Form eines Kreises ausstrahlt. Die Performance findet am späten Abend bei Dunkelheit statt. Ich beginne die Performance indem ich die Lampe ausschalte und im Dunklen langsam zu der Kommode laufe. Ich öffne unter Knarren das unterste Fach und nehme eine kleine Schachtel voller bunter Knöpfe heraus. Ich gehe zurück zu der kleinen Lampe am Boden und setze mich vor sie auf den Boden. Ich schalte die Lampe an, schütte langsam die Knopfschachtel aus und beginne Muster aus Knöpfen zu legen. Nach einiger Zeit hört man lauter werdende Fußgeräusche hinter der leicht geöffneten Tür in meinem Rücken. Ich springe sofort auf und drücke die Tür mit aller Kraft zu und verriegele sie mit dem auf der Holzkiste liegendem Vorhängeschloss. Den Schlüsselbund verstaue ich in meiner Hosentasche. Hinter der Tür scheint jemand an der Tür zu rütteln und zu klopfen, was bald verstummt und ich widme mich wieder den Mustern am Boden. Nach einiger Zeit klopft und rüttelt es vehementer an der Tür. Ich schalte die Lampe aus und krieche unter das Bett. Es verhallen die Klopfgeräusche und ich beginne in dem unter dem Bett befindlichen Sand mit einem Messer zu schaben und zu kratzen, mit den Händen noch mehr Sand von Draußen unter das Bett zu befördern. Nun krieche ich unter dem Bett wieder hervor, schalte die Leuchte wieder an und lege weiter Muster aus Knöpfen. Das Licht beginnt zu flackern. Wieder schwellen Geräusche hinter der Tür an, dumpfes Gepolter, Dröhnen, Schmettern, Getrommel. Ich knipse die Lampe noch einmal aus und krieche in die Holztruhe. Als das Getöse verstummt, kratze ich mit den Nägeln an der Innenseite der Truhe. Dann verlasse ich die Truhe, betätige wieder den Lichtschalter, klettere auf das riesige Bett und forme mit den zwei Kissen und der Decke einen Berg, als ob sich Jemand unter der Decke befinden würde. Plötzlich ertönt ein lautes Klirren hinter der Tür, welches schneller wird und in einem ohrenbetäubenden schrillen Getöse endet. Währenddessen verlasse ich langsam das Bett, hole den Schlüssel aus der Tasche hervor und werfe den Schlüssel beim Verlassen des Raumes durch die 2. Türe einem Zuschauer in den Schoß. Die Teilnehmer öffnen die verschlossene Türe mit einem der Schlüssel und finden ein in den Türrahmen gespanntes großes und verpixeltes s-w-Porträt von mir vor.
Hintergrund: Das Thema Kindheit sowie Alp(Träume) durchzieht meine aktuellen und kürzlich entstandenen Arbeiten wie ein roter Faden. Ich verwebe Kindheitserinnerungen wie das entdeckende/experimentierende Spielen mit Wäscheklammern, Steinchen, Knöpfen, Toilettenpapier etc. mit eigenen Traumsequenzen. Bei meiner Performance war es mir wichtig, den Zuschauenden an die eigenen Alpträume zu erinnern und gleichzeitig aufs Eindringlichste meine Bilder zu schildern. Träume bestehen oft aus Erinnerungen aus Kindheit, näherer Vergangenheit sowie aktuellen Bildern und fördern nicht selten Urängste und Unsicherheiten zu Tage, die schon seit langer Zeit bestehen. Meine Performance hat demnach mehrere Bedeutungsebenen, neben einer sehr persönlichen auch jene, dass es oft das eigene Selbst ist, das einen im Traum verfolgt.
4.2 Sandra Becker (Stall)
Titel: Küken, 7 Minuten
Handlungsbeschreibung: Ich sitze hinter einem Fenster auf dem Fensterbrett, dessen Glasscheibe durch zwei matte Folien ersetzt wurde. Das Publikum erwartet draußen (vor dem Fenster stehend) eine Performance. Es ist Nacht. Hinter mir geht das Licht an, so dass die Zuschauer nun meine Silhouette wahrnehmen können. Ich schreibe mit einem schwarzen Edding das Wort „Eigenartig“ zügig so oft über die gesamte Folie, bis diese mit einem Schriftteppich versehen ist. Nun suche ich den Weg nach draußen, ertaste langsam die Folie um diese zu zerreißen und dann schließlich aus ihr herauszuschlüpfen. Ich springe aus dem Fenster und verlasse den Aktionsraum.
Hintergrund: Ich habe in Übungen die von Johannes angeleitet wurden das Wort „EIGENARTIG“ für mich entdeckt. Durch die formale Ebene des Wortes fiel es mir leichter in einen Prozess zu starten, da ich so das Gefühl von Sicherheit hatte. Mir war schnell klar, dass ich das Wort bei meiner Abschlussperformance wieder aufgreifen wollte, jedoch habe ich versucht die ästhetische Ebene weiter zu entwickeln. Letztendlich konnte ich über meinen eigenen Schatten springen und herausbrechen.
4.3 Robert Hausmann (Brauereigewölbe)
Titel: ..., 45 Minuten
Handlungsbeschreibung: Mitte der Brauerei. Ein gestreckter Gang führt zu einem quadratischen, kompakten, überschaubaren Raum mit abgeplatztem Putz. In der Mitte steht ein Tisch mit rotgestrichen-benutzter Oberfläche, darüber eine Baulampe mit gelbweißem Licht und rundem Metallschirm. Klarheit herrscht. Das Quadrat des Raumes wird vom Tisch aufgegriffen, der wiederum seinen Schatten auf den erdigen Fußboden wirft. Alles umfasst der runde, helle Lichtkegel der Lampe. Vor dem Tisch liegen vier Ziegel. Es befinden sich darauf: Sardinendosen, Sicherheitsnadeln, Barbie und Ken, silbergraues Gewebeband. Ein Feuerzeug liegt dahinter. Jeweils links und rechts im Raum, außerhalb des Lichtkreises, befindet sich eine gespannte Schnur. Ich trete von hinten an die Zuschauer heran, gekleidet in einer schwarzen Unterhose und an der Stirn eine mit schwarzem Gewebeband befestigte helle Plastikhandbürste. Ich stehe im Lichtkreis, setze mich schräg vor die vier Ziegel. Mit den Händen den Boden schleifen, dann die Puppen nehmen und sie zwischen meine Beine legen. Abtasten. Ich beginne die Haare beider abzubrennen, zuerst die der Frau, die des Mannes folgen. Rauch. Verkrustung. Anfassen und mit Knacken auseinanderbrechen. Einzelteile. Anzünden der Plastikgeschlechtsteile. Qualm und stechender Geruch. Löschen am Erdboden. Geordnet nach Gliedmaßen lege ich alles vor mich hin. Das Gewebeband ausrollen. Ich nehme einen Kopf, zwei Arme, einen Körper und zwei Beine und schaffe ein neues Wesen, gewickelt in Band. Zwittrig, geschlechtslos. Ich stehe auf, den Zuschauern zugewandt reiße ich ein Stück vom Klebeband ab, um den Hybrid zwischen Nabel und Genitalbereich meines Körpers zu befestigen. Qualm steht unter der Lampe. Das Einwickeln meines Körpers mit Gewebeband folgt. Das rechte, dann das linke Bein, der Genitalbereich. Die Geschwindigkeit des Abrollens erzeugt gleichmäßig einen sirrend reißenden Ton. Schwere Beinbewegung. Vorn nehme ich die Sardinendosen vom Ziegel auf. Knirschende Geräusche des Bewegens. Gehe zu Tisch. Stelle sie ab. Das Licht der Lampe. Nehme die Handbürste vom Kopf, schrubbe kurz den Tisch. Ich öffne die erste Dose, haue sie auf die Fläche. Ordnen der Fische in Reihen, wie Abzählen. Nehme den ersten Fisch und schrubbe ihn mit der Handbürste, Rest. Ich halte ihn zwischen beiden Fingern, gehe vor den Tisch und hole den Ziegel mit Sicherheitsnadeln um ihn vorn auf die Arbeitsfläche abzustellen. Greifen einer Nadel, Öffnen und Befestigen des Rests; Anheften an die rechte Schnur im Raum. Zurück zu Tisch, die zweite Sardine wird geschrubbt. Breiiger Rest. Öl. Schwanz. Mit einer Sicherheitsnadel Anbringen an die linke Schnur. Roboterbewegung. Schwankend. Es werden insgesamt zwei Dosen geöffnet, die Sardinen gebürstet, die Reste nacheinander jeweils links und rechts aufgehängt, bis die Raumgrenze nach vorn zu den Zuschauern erreicht ist. Geruch. Ich stehe vor der schmierigen Arbeitsfläche. Befestige die fischfleischige Handbürste mit demselben schwarzen Gewebeband an meinem Kopf. Bewege mich vor den Tisch und reinige den Kreis mit den Füßen von den restlichen, dort liegenden Gegenständen. Abwickeln des Gewebebands von meiner Haut. Sirrend tief, klebrige Laute. Entwickelt, reinige ich erneut den Kreis von den Bandresten. Zwei Bänder nehme ich auf, um damit die Bürste an meiner Stirn zu verfestigen. Das Abnehmen des Hybrids vom Unterbauch in die rechte Hand. Auf die Knie, Kopf nach unten, Bürste auf die Erde, schleifend-dumpf Hinauskriechen bis zum Ende der Brauerei. Spur.
Hintergrund: Zwang, Rollen, Abtastungen, Bruch, Norm; Entleben die Grenzen.
4.4 Christin Wenk (Brauerei)
Titel: Schlaf, 7 Minuten
Handlungsbeschreibung: Meine Performance fand in vollkommener Dunkelheit statt. Ich befand mich im Dachstuhl eines alten, zweistöckigen Gebäudes und konnte auf einen freien Raum 3 Meter unter mir schauen, in dem sich das Publikum befand. Dieses stand wiederum vor einem rechteckigen Loch in der Decke, welches den Blick ins Erdgeschoss freigab. Nur der Lichtstrahl einer Taschenlampe warf einen Spot auf einen Haufen Knochen, denn ich mit Hilfe einer quergelegten Tür über dem großen Loch unter mir platzieren konnte. Durch die Taschenlampe, die auf meiner Sitzhöhe angebracht war, waren für die Zuschauer nur meine nackten Füße zu sehen. Nachdem sich alle in dem Raum versammelt hatten, fing ich ohne Ankündigung an, von oben mit einem Sieb Mehl über den Haufen Knochen zu sieben. Das gesiebte Mehl wurde beim leisen Fallen von dem Strahl der Taschenlampe beleuchtet. Nach und nach bedeckte das Mehl den Knochenhaufen mit einer feinen weißen Schicht. Nach ca. 7 Minuten hörte ich mit dem Sieben auf, zog meine Füße aus dem Lichtstrahl zurück und wartete bis sich der Mehlstaub gelegt hatte.
Hintergrund: Ich beschäftige mich im Zuge meines Staatsexamens mit dem Themenfeld „Erinnerung / Vergessen / Individuelles und Kollektives Gedächtnis“. Ich wollte ein Bild finden, das solche Prozesse umschreibt. Jedoch habe ich diese „Suche“ während des Workshops nicht forciert. Nach vielen Zwischenübungen und Gesprächen hat sich dieses leise Bild heraus kristallisiert.
Photos: Marie-Luise Lange und BBB Johannes Deimling