Invektivität (Lukas Schmitz)
Im folgenden Abschnitt soll das Konzept der Invektivität kurz vorgestellt werden. Wiewohl versucht wurde, alle für diese Arbeit relevanten Dimensionen zu erfassen, ist es freilich nicht möglich, sämtlichen Facetten dieses doch sehr vielfältigen Konzepts gerecht zu werden.11
Invektivität ist – neben seiner eigenen Begriffsgeschichte, die hier nicht näher beleuchtet werden soll – der Schlüsselbegriff eines interdisziplinären Sonderforschungsbereiches der TU Dresden und beschreibt ein analytisches Konzept zum Verstehen von Herabsetzungen, Schmähungen und Beleidigungen als „Störungs-, Stabilisierungs-, und Dynamisierungsmomente“ gesellschaftlicher Ordnungen. Invektivität wird mithin verstanden als „performatives Geschehen, als relationales Geflecht von Zuschreibungen, Resonanzen und Anschlusskommunikationen (…) im Kontext ihrer sozialen, diskursiven und medialen Erscheinungsmöglichkeiten".22 Die Praxis der Ausgrenzung, Positionierung und Kategorisierung, als die Invektive verstanden wird, besitzt demzufolge eine gesellschaftliche Funktion, indem sie zunächst Zugehörigkeits- und Ausschlussmechanismen vorantreibt. Auf einer übergeordneten Ebene wird aber auch der Rahmen des Sagbaren in den Blick genommen, der sich um bestimmte Seinsauslegungen und Deutungskontexte formiert. Inwiefern diese Funktionen wechselseitig ineinanderwirken, ist in diesem Konzept von besonderem Interesse.
Dabei geht es keineswegs allein um die bloße, grobe, intentionale Beleidigung; vielmehr sind gerade die subtilen – vielleicht auch ungewollten – Invektiven, die sich nur über eine genaue Rekonstruktion der Deutungsrahmen erschließen lassen, von Bedeutung in Hinblick auf das Verstehen der Funktionalität von Invektivität in einer konflikttheoretischen Tradition.
Um einen Zugang zu Invektivität als kommunikative Praxis zu bekommen, ist es unerlässlich, sich ihre performativen und medialen Komponenten zu erschließen. So unterscheidet das Konzept der Invektivität zwischen Anwesenheits- und Abwesenheitskommunikation, um die interaktive sowie mediale Bedingtheit der Invektive beschreiben zu können. Auch der performative Charakter der Invektivität spielt eine gewichtige Rolle; ‚Sprechakte‘, Schimpfworte und Gesten sind demnach kommunikative, ritualisierte, stereotypisierte Handlungen, die in der Interaktion für Kommunikation nutzbar gemacht und so auch verstetigt werden. Ein Modellansatz, welcher die Grundlage für ein systematisches Verstehen von Invektivität bilden soll, ist die Invektive Triade – die Interaktion zwischen Invektierenden, Invektiertem und einem ‚antizipierten‘ Publikum bringe Kommunikationsprozesse hervor, die Invektive erzeugen, zur Sprache bringen, verhandeln und verstetigen würden.
Neben Emotionen und Affekten, die jeder Kommunikation zugrunde liegen, geht das Konzept der Invektivität von einer Prämisse aus, die das Subjekt als „sozial [also auch sprachlich] konstruierten, symbolischen Körper“ beschreibt. Erst vor diesem Hintergrund wird das Potenzial der Invektive erkennbar: Wird das Subjekt durch Sprache hervorgebracht, kann es durch diese auch wieder ‚zerstört‘ werden.
Abschließend genannt werden soll die Bedeutung der „raumzeitlichen Verortung invektiver Konstellationen“. In einer invektiven Konstellation (wie etwa der invektiven Triade) werden immer auch sozial-historische Bezüge hergestellt, welche die „Ordnungen des Sagbaren und performativ Darstellbaren“ bestimmen. Ob und wie eine Invektive sich darstelle, Wirkmächtigkeit entfalte, verpuffe, verhandelt werde, sei immer nur über eine Rekonstruktion der raumzeitlichen Bezüge, also auch über die mediale Beschaffenheit von Diskursivität, nachvollziehbar.
Fußnoten
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Die folgende Darstellung orientiert sich an: Dagmar Ellerbrock; Lars Koch, Sabine Müller-Mall et al.: Invektivität – Perspektiven eines neuen Forschungsprogramms in den Kultur- und Sozialwissenschaften. De Gruyter Open 2017. Abrufbar unter: https://tu-dresden.de/gsw/phil/ige/nnge/ressourcen/dateien/pdfs/Invektivitat__Perspektiven_eines_neuen_Forschungs.pdf/?lang=de (zuletzt aufgerufen am 20.3.2019); im folgenden nutze ich den Kurztitel: Invektivität.
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Invektivität, S. 3