Sprachsensible politische Bildung
Politische Bildung hat eine Brückenfunktion – sie soll unterschiedlichste Konzepte aus Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und vielen anderen Bereichen für alle Bürger:innen zugänglich machen. Um dies zu erreichen, nutzen politische Bildner:innen ihre Sprache. Was so naheliegend ist, erscheint bei näherer Betrachtung allerdings als ein hochkomplexes Unterfangen – denn gerade wenn es gelingen soll, Bürger:innen für politische Bildungsangebote empfänglich zu machen, bedarf es einer adäquaten Sprache, welche sich vor allem durch einen zentralen Aspekt auszeichnet: Verständlichkeit. Die u.a. von Schulz v. Thun benannten Merkmale der Verständlichkeit beziehen sich auf Texte, aber wie steht es um die mündliche Kommunikation und Interaktion, welche ebenfalls grundlegend für politische Bildung ist?
Die Grenzen des Sagbaren werden in den letzten Jahren immer stärker versucht zu übertreten – Vor allem die AfD verändert die Sprache der Politik in Deutschland. Seitdem immer mehr populistische Parteien eine Stimme bekommen haben, verändert sich auch die Sprache der Politik immer stärker in eine Richtung, die Rassismen, Stereotype und Hetze als „sagbar“ erscheinen lassen. Social Media und ihre vermeintliche Anonymität verstärken diesen Effekt, Echokammern, d.h. die ausschließliche Beschäftigung in der eigenen „Meinungsblase“, unterstützen dies, indem sie keine anderen Perspektiven mehr zulassen. In diesem Zusammenhang zeigt sich auch ein immer stärker werdendes Kommunikationsvakuum zwischen Menschen verschiedener politischer Einstellungen. Vorwürfe der „Lügenpresse“ und Nutzung „alternativer Medien“ zeigen einen starken Vertrauensverlust in die herkömmlichen Medien und die Politiker:innen.
Gerade junge Menschen informieren sich vor allem über Plattformen wie YouTube oder Instagram über Themen, die sie interessieren. Studien zeigen auf, dass die Interessen von Jugendlichen durchaus politisch sind, auch wenn sie selbst dies nicht als solches erkennen. Daher lohnt sich ein Blick auf diese Vermittlungsformate mit einem Fokus darauf, wie sie sprachlich gestaltet sind und was wir daraus für die Arbeit als politische Bildner:innen lernen können.
Ein Beispiel: Die gute alte Tagesschau – Nicht nur Menschen, die aus sogenannten „bildungsfernen“ Familien stammen, haben durchaus Verständnisschwierigkeiten, wenn es darum geht, klassische Informationsmedien zu konsumieren, wie beispielsweise die Tagesschau oder eine klassische Tageszeitung. Durch die Kürze und Prägnanz der ausgewählten Nachrichten kommt es zu einer Verdichtung der Sprache, die dadurch das Verstehen erschwert. Im Falle der Tagesschau kommt die Vermittlungsform durch das gesprochene Wort erschwerend hinzu, die ein zweites Hören nicht möglich macht.
Soziale Medien setzen hier an und können wichtige Funktionen übernehmen, um die Verständlichkeit von Informationen zu erhöhen. Das populäre Video von Rezo zur „Zerstörung der CDU“ zeigt dies sehr gut auf. Neben der sprachlichen Ebene werden hier die Möglichkeiten des Mehrfachhörens und weiterer vertiefender Literatur bzw. die direkte Verlinkung von Quellen als Mittel genutzt, was dem Verständlichkeitsproblem entgegenwirken kann.
Gleichzeitig birgt die Informationsbeschaffung via Social Media durch ihren algorithmenbasierten Aufbau die Gefahr der Einseitigkeit und Unsicherheit in Bezug auf die Seriosität der konsumierten Medien. Hier muss eine enge Verzahnung mit mediendidaktischen Überlegungen ermöglicht werden.
Für die außerschulische politische Bildung lohnt sich eine stärkere Beschäftigung mit Sprache vor allem aus Gründen der Teilhabeperspektive: durch eine ausschlussarme Sprache gelingt es uns, Teilhabe für alle zu ermöglichen. Indem wir Bildungsformate unter einer sprachsensiblen Brille betrachten, wird es möglich, Hemmnisse aufzudecken und dem inklusiven Anspruch politischer Bildung gerecht zu werden.
Weitere wichtige Aspekte in diesem Zusammenhang sind unter anderem gendersensible sowie rassismuskritische Sprache sowie die Konzepte Leichte bzw. Einfache Sprache. Diese sind keinesfalls unumstritten, zeigen aber, welche Bereiche bei der Beschäftigung mit Sprachsensibilität in der außerschulischen politischen Bildung ebenfalls beachtenswert sind.
Teilnehmerorientierung ist eines der wenigen Prinzipien der außerschulischen politischen Bildung, welches als konsensfähig gilt. Klaus-Peter Hufer beschriebt dieses als „Orientierung an den Lerninteressen, -bedürfnissen und -voraussetzungen der Teilnehmenden“ (Hufer 2015). Unter diesem Gesichtspunkt erscheint es als elementar, sich ebenfalls an den konkreten sprachlichen Bedürfnissen und -voraussetzungen der Teilnehmer:innen anzupassen. Dies ergibt sich schon allein aus der großen Bandbreite, die sich hinsichtlich der bisherigen Bildungs- und Sozialisationserfahrungen der einzelnen Teilnehmenden zeigt.
Zusammenfassend zeigt sich für den (außerschulischen) Bildungskontext folgendes: Konkrete Studien dazu, wie Sprachsensibilität in der außerschulischen Jugend- und Erwachsenenbildung gelingen kann, gibt es derzeit nicht. Betrachtet man aber die Ergebnisse allgemeiner Studien zu Sprache in der Politik und Sprachsensibilität, kann folgendes entnommen werden:
- Angebote sollten auch in Bezug auf die von den Bildner:innen verwendete Sprache niedrigschwellig sein, um alle Adressat:innen erreichen zu können.
- Gerade in klassischen Vorträgen und Seminaren können die politischen Bildner:innen selbst auf ihre Sprache achten. Aber vor allem auch bei der Verwendung von Methoden und Medien muss mitbedacht werden, inwiefern diese auf der sprachlichen Ebene Teilhabe für alle ermöglichen.
„Was ebenfalls auffällig war, ist, dass die Sprache im politischen Feld, wie sie etwa in Zeitungsartikeln oder politischen Diskussionen zum Ausdruck kommt, immer wieder thematisiert wurde. Diese erschwert vielen die Auseinandersetzung mit politischen Themen.“ (Pape 2017) Politische Bildner:innen müssen ihre Brückenfunktion erkennen und wahrnehmen. Wenn wir wollen, dass sich Bürger:innen mit politischen Themen befassen, müssen wir sie so „übersetzen“, dass alle teilhaben können. Durch ein waches Auge auf Komplexität von politischer Sprache beispielsweise hinsichtlich Fachwörtern, verkürzten Satzkonstruktionen, Nominalisierungen und Komposita kann es gelingen, diese den Adressat:innen der Bildungsangebote besser verständlich zu machen. Ganz allgemein sollte ein angstfreier Umgang mit Verstehensschwierigkeiten und eine Offenheit der politischen Bildner:innen dahingehend, dass politische Sprache schwer verständlich sein kann, zur Normalität gehören. Beispielsweise kann dies gelingen, indem der Weg von der Alltags- hin zur Bildungssprache ganz bewusst in Bildungssituationen vorgenommen wird.
Sprachsensibel bei der Planung von Bildungsangeboten vorzugehen, sollte demnach als ein grundlegendes Prinzip der außerschulischen politischen Jugend- und Erwachsenenbildung verstanden werden.
Literaturempfehlungen:
Arnold, Nina/ Fackelmann, Bettina/ Graffius, Michael/ Krüger, Frank/ Talaska, Stefanie/ Weißenfels, Tobias (2011): Sprichst du Politik? Ergebnisse des Forschungsprojekts und Handlungsempfehlungen, Berlin. online verfügbar
Diese Studie zeigt eindrücklich auf, dass Jugendliche ein großes Problem mit der „Sprache der Politik“ haben. Medien und politische Bildner:innen sollten eine „sprachliche Brückenfunktion“ einnehmen, was aber ebenfalls nicht gelingt. Um dieses Dilemma aufzulösen, werden von den Autor:innen Handlungsvorschläge gemacht.
Besand, Anja/ Hölzel, Tina/ Jugel, David (2018): Inklusives politisches Lernen im Stadion - Politische Bildung mit unbekannten Spieler*innen und offenem Spielverlauf - Abschlussbericht der wissenschaftlichen Begleitung des Projekts Lernort Stadion, Dresden. online verfügbar
Im Abschlussbericht des Lernorts Stadion wird auch aus sprachlicher Sicht beschrieben, wie Lernorte beschaffen sein müssen, um Teilhabe für alle zu ermöglichen. Sprach- und Textentlastung als grundlegende Aspekte einer Materialauswahl und eine teilnehmer:innenorientierte, beziehungsförderliche Themenauswahl sind dabei entscheidend. Visuelle Hilfsmittel bieten die Chance, sprachentlastend zu arbeiten. Als ein Element einer vorgelagerten Diagnostik zeigt sich hinsichtlich der Aneignungsstrukturen auch eine Fokussierung auf sprachliche Aspekte, wie das Sprachniveau oder der Umgang mit Texten.
Kämper, Heidrun Deborah (o.J.): AfD im Parlament – neue Sprach- und Kommunikationsstile, Leibniz-Institut für Deutsche Sprache. Die Vorfassung ist online verfügbar
Eine aktuelle Studie zur Veränderung der Sprache in der Politik durch die AfD findet sich von Prof. Dr. Heidrun Deborah Kämper. In der Studie wurden die Parlamentsprotokolle der 16. Legislatur des baden-württembergischen Parlaments analysiert und mit der vorangegangenen Legislatur verglichen. Die Ergebnisse zeigen deutlich: seitdem die AfD im Parlament ist, ist die Sprache in der Politik härter geworden. Die AfD selbst nutzt Störungen und Protestieren als Kommunikationsstil. Durch dieses Verhalten haben auch die anderen Parteien einen anderen Sprachstil angenommen.
Kümpel, Anna Sophie/ Rieger, Diana (2020): Kann Instagram auch Politik? Beeinflussung der Informationsnutzung und Effekte für die Meinungsbildung durch politische Inhalte, Berlin. online verfügbar
Kann Instagram auch Politik? Dieser spannenden Frage widmet sich die Meta-Studie von Anna Sophie Kimmel und Diana Rieger. Interessant ist hier vor allem die Erkenntnis, dass Instagram durch seine Bildhaftigkeit einen stärkeren Einfluss auf die Urteilsbildung hat als der Text. Andererseits wird aufgezeigt, dass Politiker:innen Instagram bisher eher als entpolitisiertes Kommunikationsmittel nutzen, welches vor allem positiv auf sie wirken soll. Zusammenfassend wird konstatiert, dass Instagram die Informationsschere allerding noch weiter öffnet, denn gerade bereits politisch interessierte Menschen nutzen auch diesen Kanal als weitere Informationsquelle, wohlwissend, dass diese aber für eine umfassende Informationsgewinnung unzureichend ist.
Pape, Natalie (2018): Literalität als milieuspezifische Praxis. Eine qualitative Untersuchung aus einer Habitus- und Milieuperspektive zu Teilnehmenden an Alphabetisierungskursen, Münster.
Im Dissertationsprojekt von Natalie Pape zur Alltags- und Handlungsrelevanz von Schriftsprache für funktionale Analphabet:innen stellt sie einen Zusammenhang zwischen Milieuzugehörigkeit und Umgang mit den eigenen Lese- und Schreibproblemen her. Dies ist insofern spannend, als dass viele Teilnehmende aufgrund von Scham über ihre geringen Lese- und Schreibkenntnisse keine Weiterbildungsangebote nutzen. Des Weiteren befragte sie die Teilnehmenden zu Formen politischer Partizipation und nach Stellungnahmen zu Politik. Das Interview mit der Transferstelle politische Bildung Fr. Dr. Pape finden Sie hier.
Literatur zur weiteren Vertiefung:
Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e. V. (Hrsg.): Fachzeitschrift Außerschulische Bildung Nr. 03/15.
Besand, Anja/ Jugel, David (2015): Zielgruppenspezifische politische Bildung jenseits tradierter Differenzlinien. In: Dönges, Christoph/ Hilpert, Wolfram/ Zurstrassen, Bettina (Hrsg.): Didaktik der inklusiven politischen Bildung, Bonn, S. 99-109.
Mansfeld, Clara (2020): Menschen mit Lernschwierigkeiten als Vermittelnde von Geschichte. Historisch-politische Bildungsarbeit und inklusive Begegnungen in der „Euthanasie“-Gedenkstätte Brandenburg. In: Meyer, Dorothee/ Hilpert, Wolfram/ Lindmeier, Bettina (Hrsg.): Grundlagen und Praxis inklusiver politischer Bildung, Bonn, S. 239-252.