20.12.2021
Rückblick auf die erste interdisziplinäre Online-Tagung des Schaufler Kolleg@TU Dresden (1.-3. 12.2021) zum Thema „Künstliche Intelligenz als geistes- und sozialwissenschaftlicher Begriff“
Die erste interdisziplinäre Online-Tagung des Schaufler Kolleg@TU Dresden fand vom 1. bis 3. Dezember 2021 statt und beschäftigte sich mit dem Thema „Künstliche Intelligenz als geistes- und sozialwissenschaftlicher Begriff“.
An drei Tagen setzten sich insgesamt 29 Wissenschaftler:innen in acht Panels und zwei Keynotes mit konzeptuellen Fragen zu KI in den Geistes- und Sozialwissenschaften auseinander. Ausgangspunkt der Tagung war die Frage, wie sich gegenwärtige gesellschaftliche und politische Debatten um den Einsatz von KI durch dezidiert geistes- und sozialwissenschaftliche Zugriffe ergänzen lassen. Ziel war es, gegenwärtige Debatten um Impulse zu begrifflichen Konzepten sowie kulturellen Effekten des Einsatzes von KI-Techniken zu ergänzen.
Die durchweg lebendige Teilnahme an der Tagung spiegelte die hohe Relevanz des Themas wider – nicht nur für die Arbeit des Schaufler Kolleg@TU Dresden, die dessen Sprecher Lutz Hagen in seiner Einführung vorstellte, sondern auch für die Schärfung des KI-Begriffs innerhalb der auf der Tagung vertretenen Disziplinen.
Beide Keynotes sowie ein Panel sind als Mitschnitte in unserer Mediathek zu finden. |
Das Tagungsprogramm steht hier zum Download bereit. |
Ann-Kristin Kühnen eröffnete den inhaltlichen Teil der Tagung als Moderatorin des Panels zum Thema „Sozialität mit Maschinen“, das drei soziologische Beiträge umfasste. Eine systemtheoretische Analyse von Jan Tobias Fuhrmann kontrastierte die prominente Darstellung von KI als abgeschlossenem System mit einem relationalen Verständnis einer verteilten Intelligenz. Mit einem ähnlichen Anspruch etablierte Hannah Link den Begriff der Verschaltungsintensität für das Wahrnehmungsverhältnis von Robotikforscher:innen zu den in ihrem Arbeitsfeld vorherrschenden KI-Techniken. Jonathan Hardt und Maximilian Locher präsentierten im letzen Beitrag des Panels eine Untersuchung der Dynamiken in der Genese sozialer Relationsmuster zwischen Mensch und Technik.
Das zweite Panel mit dem Titel „Technopoetologien“ begann mit der Frage nach der performativen Einbettung von KI als (Ko-)Autor:in von literarischen Texten am Beispiel von Pharmako-AI (K Allado-McDowell, 2020). Anschließend stellte Christian Heck das Konzept der Adversarial Poetry vor, in dem sich durch die Verbindung von Code und politischem Aktivismus auch in algorithmisch strukturieren Umgebungen subversive Räume prägen lassen. Das von Carsten Junker moderierte Panel schloss mit einem Beitrag von Sara Morais dos Santos-Bruss. Ihr kritischer Blick in die historische Genese des Narrativs autonomer Maschinen, das sich im Paradigma von KI als einer technisch-neutralen Entität fortschreibt, wies auf die verdeckten Diskriminierungsweisen und prekären Arbeitsbedingungen hin, welche mit der Entwicklung und dem Einsatz von KI-Systemen einhergehen.
Im Anschluss an die von Dominik Schrage moderierte Keynote von Elena Esposito mit dem Titel „Artificial Communication“ endete der erste Tag der Jahrestagung mit einer ausführlichen Diskussion, in der zahlreiche Gedanken des Tages aufgegriffen und weiterentwickelt wurden. So wurde nicht nur die Frage nach einem angemessenen Intelligenzbegriff für algorithmische Systeme aufgegriffen, sondern auch diskutiert, inwiefern sich algorithmische Kommunikation mit herkömmlichen Kommunikationskonzepten vereinen lässt.
Den Beginn des zweiten Tages bildete das von Luise Müller moderierte Panel „Embedded Normativities“. Im Anschluss an Christoph Merdes’ Diskussion von Konzepten zur Rechtfertigung algorithmischer Entscheidungen anhand ihrer Vergleichbarkeit diskutierte Rita Jordan, inwiefern Ansätze partizipativer Designpraktiken eine politische Theorie demokratischer KI informieren können.
Das darauffolgende Panel „Historizität und Historisierungen“ wurde von Rebekka Roschy moderiert. Beiträge von Florian Müller, Helen Piel sowie Susanne Schregel widmeten sich dem Verhältnis der historischen Entwicklung des KI-Begriffs, seiner Utopien und gegenwärtiger Begriffsintentionen sowie parallel liegender Konzeptionsentwürfe.
Den akademischen Abschluss des zweiten Tages bildete das von Kerstin Schankweiler moderierte Panel „Ästhetiken maschineller Intelligenz“. Fabian Offert konzeptualisierte durch Generative Adversarial Networks geschaffene Bilder als multidimensionale Skulpturen während Michael Klipphahn KI als Anlass künstlerischer Arbeit und Narrativ jenseits technischer Einbettung in der Kunst untersuchte. Miriam Akkermann fokussierte in ihrem Beitrag auf die Möglichkeiten von KI in der Musik und das Verhältnis von Autor:innenschaft und Werk unter Berücksichtigung der Einbettung maschineller Verfahrensweisen.
Im Anschluss führten die Artists in Residence des SchauflerLab@TU Dresden, Christian Kosmas Mayer und Anton Ginzburg, virtuell durch die Ausstellung „A & I“ in der Galerie der Kustodie im Görges-Bau. Die Präsentation schloss mit einem Gespräch mit dem Publikum, moderiert von der für die Ausstellung verantwortlichen Kuratorin Gwendolin Kremer.
Der dritte Tag der Jahrestagung begann mit einer Präsentation von Jan Georg Schneider und Katharina Zweig zur Aussagekraft von algorithmisch generierten Vorhersagen und ihrer Einbettung in gesellschaftliche Praxis. Die kritische Untersuchung des E-Raters, als ein Tool, das Merkmale in Bezug auf die Schreibfertigkeit identifizieren möchte, um Bewertungsaussagen zu treffen, mündete in eine von Susann Wagenknecht moderierte, ausgiebige und produktive Diskussion.
Das siebte Panel vereinte Ansätze zu automatisierter Sinnstiftung und wurde von Simon Meier-Vieracker moderiert. Claire Y. Song stellte die Frage, ob und wie maschinelle Lernverfahren semiologische Sprachsysteme ersetzen und zwischen ihnen vermitteln. Darauf rekurrierend untersuchten Jonathan Roberge und Tom Lebrun die epistemologische und historische Konstruktion von Sprachmodellen, die auf maschinell trainierten künstlichen neuronalen Netzen basieren. Yaoli Du und Nadine Schumann exemplifizierten Zugänge zum Informationsbegriff als Notwendigkeit in der der Interaktion zwischen Mensch und Maschine anhand sozialer Kognitionskonzepte.
Im letzten, von Richard Groß moderierten Panel der Tagung („Spatial Topologies of AI“) setzten sich sowohl Lukás Likavćan als auch Patricia Reed und AA Cavia mit topologischen Annäherungen an KI sowie deren Auswirkung auf philosophische und geopolitische Konzepte auseinander.
Die Jahrestagung schloss mit einer von Orit Halpern moderierten Keynote von Matteo Pasquinelli mit dem Titel „What kind of knowledge is machine learning? For a political epistemology of AI“. Die Keynote ging der Frage nach, welche Wissensmodelle durch maschinelle Lernverfahren repräsentiert und unterstützt werden. Diesbezüglich waren die Konkurrenz zwischen den Paradigmen der deduktiven und induktiven Logik, symbolischer Repräsentation und statistischer Modellierung, auch aus historischer Perspektive, sowie die Rolle ideeller Diskurse bei der Rezeption und Vermittlung von KI Gegenstand des Vortrags und der Diskussion.
Die Beiträge zur Jahrestagung sowie die davon angeregten Diskussionen haben aufgezeigt, dass KI nicht nur einen ergiebigen empirischen Gegenstand geistes- und sozialwissenschaftlicher Forschung darstellt, sondern ebenso einen spannenden Anlass für theoretische Reflexionen liefert, die gegenwärtige Herausforderungen im interdisziplinären Diskurs zu markieren vermögen. Es wurde deutlich, dass die konzeptuelle Beschäftigung mit KI nicht etwa eine Entfremdung von der Einschreibung algorithmischer Techniken in Gesellschaft und Kultur bedeutet, sondern vielmehr einen umso differenzierteren Blick auf deren soziokulturelle Einbettungen eröffnet.
Von der Jahrestagung bleiben zahlreiche offene Fragen, wie etwa an der panelübergreifenden Debatte um angemessene Intelligenzbegriffe deutlich wurde. Auch die Beschäftigung mit der Übersetzbarkeit von Problemstellungen und Phänomenbestimmungen zwischen technischen Disziplinen und geistes- und sozialwissenschaftlichen Diskursen ist nicht abgeschlossen.
Im kommenden Jahr wird ein Tagungsband erscheinen, der die Ergebnisse zusammenfasst.
Die Tagung wurde organisiert von den Kollegiat:innen Richard Groß, Rita Jordan, Michael Klipphahn und Ann-Kathrin Koster.