Das Netzwerk lexikalische Kompetenz ist 2024 an die Universität Tübingen verzogen
Willkommen auf der Homepage des Netzwerks Lexikalische Kompetenz
Zielsetzung
Das Netzwerk lexikalische Kompetenz (NLK) wurde 2022 in Kooperation der Professuren für Didaktik der romanischen Sprachen der Technischen Universität Dresden, der Universität Augsburg und der Universität Paderborn gegründet.
Das NLK versteht sich als Forum für den fachdidaktischen Austausch zur lexikalischen Kompetenz von schulischen und universitären Fremdsprachenlernern. Ziel ist die Stärkung und Sichtbarmachung dieses in der Fremdsprachendidaktik vernachlässigten Bereichs. Der Schwerpunkt des NLK liegt in den romanischen Schulfremdsprachen Französisch, Spanisch und Italienisch. Gleichzeitig ist es interessiert am Austausch mit den Didaktiken anderer Fremdsprachen sowie mit weiteren angrenzenden Fachdisziplinen (z. B. Linguistik).
In Vorträgen und Diskussionsrunden sollen neuere Arbeits- und Forschungsergebnisse vorgestellt werden mit dem Ziel, der fachdidaktischen Forschung und Unterrichtspraxis zukunftsweisende Impulse zur Entwicklung lexikalischer Kompetenz zu verleihen. Das Netzwerk richtet sich an interessierte Fachdidaktiker, Lehrkräfte und Studierende.
Ausgangslage
Die Gründung des NLK beruht auf der Annahme, dass lexikalische Kompetenz für das tatsächliche Erreichen der interkulturellen kommunikativen Handlungsfähigkeit eine Schlüsselrolle spielt. Sowohl verbreitete Klagen aus der Unterrichtspraxis als auch empirische Studien zu rezeptiven Wortschatzkompetenzen von Fremdsprachenlernern zeigen jedoch, dass sich zwischen dem berechtigten Anspruch auf eine solide lexikalische Kompetenz und dem tatsächlichen Aufbau dieser Kompetenz tiefe Lücken auftun (vgl. Bürgel/Siepmann 2010, 2012; Bürgel 2020).
Möglicherweise hat die Kompetenzorientierung im Fremdsprachenunterricht zu einer Übergewichtung der funktionalen kommunikativen Kompetenzen bei gleichzeitiger Vernachlässigung des Wortschatzes geführt (vgl. Bürgel/Siepmann 2010: 191; Plikat 2020). Wie Abel (2002: 14) zurecht betont, werden sprachliche Kompetenzen allerdings nur in dem Umfang erreicht, in dem man auch über den jeweils erforderlichen Wortschatz verfügt. Mehr noch: Die Fähigkeit, eine Fremdsprache auf hohem Niveau zu verstehen und sich flüssig, differenziert und angemessen in ihr äußern zu können – mit anderen Worten: die interkulturelle kommunikative Handlungsfähigkeit –, hängt in hohem Maße vom rezeptiv und produktiv verfügbaren Wortschatz ab. Diese im deutschen Diskurs offenbar in Vergessenheit geratenen Zusammenhänge sind seit den 1970er Jahren durch zahlreiche empirische Studien eindrücklich belegt worden (vgl. Pike 1979; Steltmann 1979; Meara/Jones 1990; Staehr 2009; Bürgel/Siepmann 2012).
Gerade aus kompetenzorientierter Sicht kann der Fremdsprachenunterricht heute nicht nur deklaratives Wissen zu Einzelwörtern oder grammatischen Strukturen vermitteln, sondern muss gleichzeitig deren Umsetzung, d. h. prozedurales Wissen und Können im Blick haben. Daher liegt es nahe, weiterhin verbreitete Formen der Wortschatzarbeit nun im Hinblick auf lexikalische bzw. lexikogrammatische Kompetenz weiterzuentwickeln.
Zusammenfassend lassen sich aktuell mehrere Problemfelder umreißen, welche das Themenfeld lexikalische Kompetenz in Forschung und Unterrichtspraxis gleichermaßen betreffen:
- Viele Schülerinnen und Schüler, aber auch viele Studierende und Lehrkräfte verfügen nicht in ausreichendem Maß über die lexikalische Kompetenz, die sie für das jeweils angestrebte fremdsprachliche Kompetenzniveau benötigen.
- Lexikalische Kompetenz wird in der schulischen und hochschulischen Unterrichtspraxis meist in einer wenig effektiven und wenig effizienten Art und Weise gefördert.
- Strategien für den systematischen Aufbau lexikalischer Kompetenz werden in der Lehrerbildung kaum vermittelt.
- Die Auswahl des Wortschatzes verläuft meistens intuitiv und subjektiv und ist zu wenig am tatsächlichen Sprachgebrauch orientiert.
- Es besteht im deutschsprachigen Raum ein erhebliches Forschungsdefizit a) zur Lernerlexikologie (insbesondere zu empirisch abgesicherten Lernwortschätzen) und b) zur lexikalischen Kompetenz allgemein.
Lexikalische Kompetenz
Unser Verständnis von lexikalischer Kompetenz beruht auf…
- …der Kritik an einer strukturalistisch inspirierten words-and-rules-Konzeption von Sprache und vom Sprachenlernen
- …der durchgängig idiomatischen Verfasstheit natürlicher Sprachen, die sich in allen Arten lexikalischer Einheiten unterschiedlicher Komplexität zeigt (Kollokationen, Phraseme, Idiome usw.)
- …der Anerkennung der zentralen Bedeutung lexikalischer Kompetenz für erfolgreiches Fremdsprachenlernen und als Kern interkultureller kommunikativer Handlungsfähigkeit
- …der vorwiegenden Vermittlung a) lexikalischer Einheiten unter dem Aspekt der Nützlichkeit und Vorkommenshäufigkeit im Sprachgebrauch und b) grammatischer Kompetenzen als Lexiko-Grammatik
Ein solches weit gefasstes Verständnis lexikalischer Kompetenz umschließt die rezeptive und produktive Beherrschung lexikalischer Einheiten hinsichtlich Form, kommunikativer Funktion und situativ-kultureller Bedeutung (vgl. Siepmann 2007: 241; Targońska 2011; Nation 2013: 27).
Dabei ist entscheidend, dass sprachliches Handeln auf „sozial berechenbare“ (Feilke 1996: 262) Art und Weise mit dem Gebrauch von Worteinheiten einhergeht. Für sich wiederholende mündliche und schriftliche Kommunikationssituationen schaffen Sprecher standardisierte sprachliche Formulierungen. Kompetente Sprecher sind deshalb in der Lage, die für eine Kommunikationssituation erwartbare, bevorzugte und vorhersehbare Lexik zu verwenden (vgl. Aguado 2002, 2014).
Im Zentrum der lexikalischen Kompetenz stehen dabei nicht bloß Einzelwörter, sondern vor allem Mehrwortverbindungen unterschiedlicher Komplexität (Kollokationen, Idiome, Phraseme usw.). Dieser Fokus erklärt sich aus dem durch die Analyse von massenhaften Sprachdaten und -korpora sattsam belegten Umstand, dass Sprache bis zu 80% aus Mehrwortverbindungen besteht (vgl. Altenberg 1998). Kompetenter Sprachgebrauch zeichnet sich deshalb durch eine intensive Verwendung von lexikalischen ,Fertigbauteilen‘ aus (idiom principle, vgl. Sinclair 1991).
In diesem Sinne ist die lexikalische Kompetenz Dreh- und Angelpunkt der interkulturellen kommunikativen Handlungsfähigkeit. Sie muss deshalb den ihr gebührenden Stellenwert beim Fremdsprachenlehren und -lernen erhalten.
Geplante Aktivitäten des NLK
- Organisation eines jährlichen Kolloquiums, das im Wechsel an einem der Standorte Dresden, Augsburg und Paderborn stattfinden soll
- Dokumentation von Forschungsaktivitäten zum Themenfeld lexikalische Kompetenz
- Kooperation mit Akteuren der 1., 2. und 3. Phase der Lehrerbildung
- Kooperation mit Schulbuchverlagen
Kontakt
Sie beschäftigen sich in der Forschung oder in der Lehre mit dem Themenfeld lexikalische Kompetenz? Zögern Sie nicht, mit uns Kontakt aufzunehmen!
Prof. Dr. Christoph Bürgel Prof. Dr. Christiane Fäcke Jun.-Prof. Dr. Jochen Plikat
Literatur
- Abel, Fritz (2002): „Eine wichtige Etappe auf dem Weg zur transparenten Zertifizierung von Fremdsprachenkenntnissen – nicht mehr“. In: Bausch, Karl-Richard / Christ, Herbert / Königs, Frank G. / Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen in der Diskussion. Arbeitspapiere der 22. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr, 9–21.
- Aguado, Karin (2002): „Formelhafte Sequenzen und ihre Funktion für den L2-Erwerb“. In: Zeitschrift für Angewandte Linguistik 37, 27–49.
- Aguado, Karin (2014): „‚Kannst du mal eben...?‘ Chunks als zentrale Merkmale eines kompetenten Sprachgebrauchs und Empfehlungen für ihre Behandlung im Fremdsprachenunterricht“. In: Magazin – Zeitschrift des andalusischen Germanistenverbandes. Sondernummer zu neuen Tendenzen im DaF-Unterricht 1, 5–9.
- Altenberg, Bengt (1998): „On the phraseology of spoken English: the evidence of recurrent word combinations“. In: Cowie, Anthony P. (Hrsg.): Phraseology: Theory, Analysis and Applications. Oxford: Oxford University Press, 101–122.
- Bürgel, Christoph (2020): „Je höher qualifiziert, desto besser? Rezeptive Phrasemkompetenzen von Französischlernenden“. In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 31: 2, 207–234.
- Bürgel, Christoph / Siepmann, Dirk (2010): „Was können Französischlehrer und -lerner? Wortschatz- und Hörverstehenskompetenzen auf dem Prüfstand“. In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 21: 2, 191–216.
- Bürgel, Christoph / Siepmann, Dirk (2012): „Wortschatz- und Hörverstehenskompetenzen von Französischlehrern und -studierenden“. In: Tinnefeld, Thomas (Hrsg.): Hochschulischer Fremdsprachenunterricht. Anforderungen, Ausrichtung, Spezifik. Saarbrücken: HTW Saar, 91–113.
- Feilke, Helmuth (1996): Sprache als soziale Gestalt. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
- Meara, Paul / Jones, Glyn (1990): Eurocentres Vocabulary Size Test User’s Guide. Zürich: Eurocentres.
- Nation, Ian Stephen Paul (2013): Learning vocabulary in another language. Second Edition. New York: Cambridge University Press.
- Pike, Lewis W. (1979): An Evaluation of Alternative Item Formats for Testing English as a Foreign Language. TOEFL Research Reports No. 2. Princeton, NJ.
- Plikat, Jochen (2020): „Lexikalische Kompetenz – Stiefkind der fremdsprachendidaktischen Forschung im deutschsprachigen Raum?“ In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 49: 2, 114–129.
- Schmitt, Norbert (2019): „Understanding vocabulary acquisition, instruction, and assessment: A research agenda“. In: Language Teaching 52: 2, 261–274. doi: 10.1017/S0261444819000053 (14.06.2022).
- Siepmann, Dirk (2007): „Wortschatz und Grammatik: zusammenbringen, was zusammengehört.“ In: Beiträge zur Fremdsprachenvermittlung 46, 59–80.
- Sinclair, John (1991): Corpus, concordance, collocation. Oxford: Oxford University Press.
- Staehr, Lars Stenius (2009): „Vocabulary knowledge and advanced listening comprehension in English as a foreign language“. In: Studies in Second Language Acquisition 31, 577–607.
- Steltmann, Karl (1979): „Überlegungen zur Leistungsüberprüfung im Fremdsprachenunterricht“. In: Praxis des neusprachlichen Unterrichts, 84–85.
- Targońska, Joanna (2011): „Lexikalische Kompetenz – ein Plädoyer für eine breitere Auffassung des Begriffs“. In: Glottodidactica XXXVII. https://repozytorium.amu.edu.pl/bitstream/10593/1684/1/Targonska.pdf (14.06.2022).