Internationale interdisziplinäre Konferenz „Linguistik als diskursive Schnittstelle zwischen Recht, Politik und Konflikt“
Gefördert durch: Graduiertenakademie der TU Dresden
Titel: Linguistik als diskursive Schnittstelle zwischen Recht, Politik und Konflikt
Ort und Zeit: Dresden, 02.02.2017–04.02.2017
Programm: Link zum Programm der Konferenz (Download als PDF)
- Prof. Dr. Holger Kuße
- Dr. Martin Henzelmann
- Marianna Novosolova
Die Wechselwirkungen zwischen Recht, Politik und Linguistik sind heutzutage hochgradig aktuell, denn Konflikte und kriegerische Auseinandersetzungen wie die in der Ukraine, aber auch in Syrien oder in Libyen prägen die mediale Landschaft nachhaltig, dazu kommen sogenannte eingefrorene Konflikte wie die im Baskenland, im Kosovo oder in Transnistrien, die jeder Zeit wieder unerwartet aufflammen können. In diesem Spannungsfeld treten politische Argumentation, aber auch konfliktgeladene rhetorische Konzepte hervor, die in den jeweiligen Staaten und Regionen äußerst unterschiedlich ausgeprägt sind. Ziel der Tagung ist es daher, eine Verknüpfung von juristischen und diskursiven Ansätzen methodologisch vor dem Hintergrund linguistischer Ansätze zu reflektieren.
Am Institut für Slavistik der Technischen Universität Dresden wird die wissenschaftliche Konzeption der kulturwissenschaftlichen Linguistik seit einigen Jahren erfolgreich betrieben. Die Methode wurde in den Lehrplan und in die wissenschaftlichen Aktivitäten des Instituts nachhaltig integriert. Ein entscheidendes konstituierendes Merkmal ist das Anliegen, alle Bereiche des menschlichen Lebens, in denen kommuniziert wird (z.B. Recht, Politik, Gender, Wirtschaft, Religion etc.) aus linguistischer Perspektive zu betrachten. Das verleiht der Methode der kulturwissenschaftlichen Linguistik ein hohes Maß an Interdisziplinarität, da sie an wissenschaftliche Methoden entsprechender Fachgebiete wie der Rechtswissenschaft, Politologie, Wirtschaftswissenschaft oder Religionswissenschaft anknüpft. Die Rechtslinguistik und die relativ neue mit ihr korrelierende Richtung der Konfliktlinguistik sind für die kulturwissenschaftliche Linguistik von besonderem Interesse, da sie gesellschaftliche Phänomene im Spiegel allgemeiner linguistischer und kulturspezifischer Tendenzen betrachten.
Die Rechtslinguistik konzentriert sich auf die Besonderheiten der juristischen Fachsprache als präzisen funktionalen Stil, auf den sprachlichen Aspekt der Normativität von Rechtstexten sowie auf die Analyse von Gesetzesdokumenten im Hinblick auf ihre Eindeutigkeit, Genauigkeit und Verständlichkeit. Darüber hinaus befasst sie sich mit der Auswertung von Sprachstrategien in gerichtlichen Prozessen und führt etwa im Bereich der Kriminologie sprachliche Expertisen in Bezug auf das Erkennen verdeckter pragmatischer Einstellungen des Sprechers durch. Einen weiteren Schwerpunkt der Rechtslinguistik bilden Untersuchungen zur äquivalenten Übersetzung von Gesetztexten in der Europäischen Union und anderen juristischen Dokumenten im mehrsprachigen juristischen Diskurs.
In den letzten Jahren wurde darüber hinaus die Konfliktologie zu einer selbständigen wissenschaftlichen Disziplin ausgebaut. Sie erfreut sich in den letzten Jahren wachsender Popularität, denn die Anhänger dieser Strömung betrachten die Schlüsselrolle der Sprache als Entwicklungsinstrument, aber auch als Bewältigungsmedium von Auseinandersetzungen jeglicher Art. Die Konfliktlinguistik orientiert sich an mehreren aktuellen Problemen und hinterfragt die Ursachen unbeabsichtigter kommunikativer Misserfolge, die zu Verständigungsschwierigkeiten und zu Konfrontationen zwischen Kommunikationspartnern führen, bis zur linguistischen Analyse von globalen Konflikten in ihren diskursiven Dimensionen (z.B. unter dem Aspekt des sogenannten Hatespeech, der Hasssprache in Medien oder sozialen Netzwerken). Die Konfliktlinguistik ist heute eine interdisziplinär-wissenschaftliche Richtung, die abhängig vom konkreten Untersuchungsgegenstand die Instrumentarien der Pragmatik, der Kommunikations- und Sprechakttheorien, unterschiedlicher Diskurstheorien sowie der Kulturwissenschaft, der Soziologie, der Genderforschung, der Psychologie, der Politologie und anderer Wissenschaften integriert. Im Allgemeinen zielt die Konfliktlinguistik darauf ab, eine Konfrontation als eine sozialkommunikative Handlung zu analysieren, das Phänomen linguistisch zu erfassen, seine nationalspezifischen kulturellen Besonderheiten nachzuvollziehen sowie mögliche sprachliche Werkzeuge und Handlungsstrategien der Konfliktvermeidung und ihrer Lösung zu suchen.
Die Zielsetzung ist es, aktuelle gesellschaftliche Tendenzen einer ausführlichen linguistischen Analyse zu unterziehen. So sind juristische Fachtermini, daraus resultierende politische Debatten und Konfrontationen jeglicher Art soziale Phänomene, welche vor dem Hintergrund linguistischer Spezifika zwar einzeln, bislang aber noch nicht korrelativ thematisiert worden. So werden folgende Eckpunkte als grundsätzliche Orientierung betrachtet:
- Im Rahmen der Konferenz wird zwischen erfahrenen WissenschaftlerInnen mit herausragenden Leistungen in den genannten Fachgebieten und jungen WissenschaftlerInnen kooperiert, so dass die Erfahrungskontinuität gewährleistet und ein fundamentales Zukunftskonzept für einen unmittelbaren Austausch geschaffen wird.
- Dank des Aufeinandertreffens verschiedener wissenschaftlicher Traditionen wird der interdisziplinäre Austausch der Konferenz gesichert und ein Dialog im internationalen Format ermöglicht.
- An der Konferenz werden Vertreter verschiedener deutscher und ausländischer Universitäten teilnehmen, was die transnationale Ausrichtung sichert. Besonders hervorzuheben ist dabei das Einbeziehen bereits vorhandener Partnerschaften des Instituts für Slavistik.
- Im Rahmen der Fachveranstaltung wird ein effektives interdisziplinäres und länderübergreifendes Netzwerk für weitere wissenschaftliche Kooperationen aufgebaut.
- Nachhaltigkeit und Sichtbarkeit werden vor allem durch die Publikation der Materialien in einem Tagungsband in der slavistischen Reihe „Specimina Philologiae Slavicae“ (Verlag Otto Sagner, München bzw. Verlag Biblion, Leipzig) gesichert. Ein Tagungsbericht ist für die Zeitschrift für Slawistik vorgesehen.
- Die Veranstaltung steht Studierenden aller Fachrichtungen im Bereich AQUA/studium generale offen.
- Die Vorträge sollen als Richtlinie für die Wechselwirkungen von Rechtstraditionen, Politik und Konflikten konzipiert und vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen linguistischen Argumentationsstrukturen diskutiert werden. So sollen Möglichkeiten der Konfliktvermeidung erörtert werden, die auf kommunikativ-linguistischen Ansätzen beruhen und die Relevanz sprachlicher Realisierungsformen in den jeweiligen Diskursen beleuchten.
- Der Umgang mit ethischen und moralischen Werten ist in den drei Diskursformen, die im Mittelpunkt stehen sollen, hochgradig verschieden. Eine lohnenswerte und bislang noch nicht näher erörterte Überlegung ist daher, die Aufladung oder Abwertung bestimmter Begrifflichkeiten vor dem Hintergrund kulturwissenschaftlich-linguistischer Begebenheiten zu klären (so wie etwa der Begriff „Maidan“ erst nach den politischen Umbrüchen in der Ukraine in den russischen Medien negativ aufgeladen wurde und heute völlig andere Assoziationen hervorruft als in der Ukraine oder im restlichen Europa).
- Das sporadische Vorhandensein bisheriger Forschungen zum Zusammenspiel zwischen den unterschiedlichen Regionen Europa aus politisch-linguistischer Perspektive gibt den Anstoß für eine differenzierte Herangehensweise an alle zu untersuchenden Diskursformen. So stellt sich etwa die Frage, welche Strukturen die Ukraine oder Syrien zwar von etablierten Demokratien übernehmen können, aber nicht ohne weiteres inhaltskonform auf ihre Rechtssysteme übertragen können. Besonders eine linguistische Herangehensweise soll dazu beitragen, auf mögliche Problemfelder aufmerksam zu machen.
- In allen globalen Konflikten kollidieren gegensätzliche Interessensphären miteinander, die teilweise sehr unterschiedlich, oftmals aber auch durchaus ähnliche Absichten unterstreichen (Wiederherstellung des verloren gegangenen Friedens, Stabilität und Gesetzmäßigkeit für die Bevölkerung usw.). Von besonderer Wichtigkeit ist hier die Frage, wie sprachliche Signale zu deuten und kulturspezifisch eingebettet sind.