19.12.2021
Romane als Lebensretter?
Dagmar Möbius
Welche Rolle spielt Fiktion in schwierigen Zeiten? Über die Wirkung von Literatur und aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen diskutierten Fachleute kürzlich beim Herrenhäuser Gespräch in Hannover. Mit auf dem Podium saß auch Prof. Lars Koch von der TU Dresden.
![Prof. Lars Koch](https://tu-dresden.de/studium/nach-dem-studium/ressourcen/bilder/alumni/magazin/ausgabe-4-2021/prof-koch/@@images/c21121ea-2c2f-4914-88db-824d62b4bda8.jpeg)
Prof. Lars Koch
„Flüchtlingskrise, Klimakrise, Corona-Krise – den Beginn des 21. Jahrhunderts prägen immer wieder außergewöhnliche Notsituationen. Die Gesellschaft reagiert mit zunehmender Unsicherheit und Angst auf die sich abzeichnenden Krisenszenarien. In schier aussichtsloser Lage suchen Menschen nach Überlebensstrategien und Fluchtpunkten. Doch wohin flüchten? Für Mitteleuropäer sind es häufig Bücher, die zum Anker in der Krise werden“, hieß es in der Ankündigung der Live-Diskussion, die Dr. Ulrich Kühn von NDR Kultur moderierte.
Mit ihm auf dem Podium: Prof. Lars Koch von der TUD-Professur für Medienwissenschaft und Neuere Deutsche Literatur und Prof. Friedrich von Borries von der Professur für Designtheorie der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Aus Toronto zugeschaltet wurde Prof. Irina Dumitrescu, sonst am Institut für Anglistik, Amerikanistik und Keltologie der Universität Bonn tätig. Dank digitaler Möglichkeiten wurde so demonstriert, dass Krisen auch Chancen bieten.
Die in Rumänien geborene Irina Dumitrescu schrieb in der Vergangenheit unter anderem über Häftlinge in rumänischen Gefängnissen. „Sie lernten einander Sprachen, sprachen über Musik und Bücher“ erzählte sie und zeigte sich von der Quelle der Resilienz beeindruckt. Beweise, dass Literatur empathischer mache, kenne sie nicht. (
„Rumba Under Fire: The Arts of Survival from West Point to Delhi“ (2016)
„Romane müssen nicht immer gut enden; sie können auch gefährlich sein, weil sie aus der Realität herausführen“, meinte Professor Lars Koch. Er leitet an der TU Dresden das Teilprojekt „Theater der Diskriminierung“ im Sonderforschungsbereich 1285: „Invektivität. Konstellationen und Dynamiken der Herabsetzung“. Schon in seiner Dissertation über ein Thema des Ersten Weltkrieges hat er sich damit beschäftigt, wie man klarkommt, wenn die Welt aus den Fugen gerät und politisch prekär ist. Nicht von ungefähr bezeichnet er sich selbst scherzhaft als „Fachmann fürs Deviante“. Interessierte können sich u.a. anhand seines 2020 open access veröffentlichten Buches „The Great Disruptor. Über Trump, die Medien und die Politik der Herabsetzung“ ein Bild davon machen.
Professor Friedrich von Borries ist schreibender Architekt. Im Sommer erschien sein Roman „Fest der Sorglosigkeit“. Darin geht es um Klimagerechtigkeit. „Literatur hat die Stärke zu zeigen, wie sich Menschen verhalten können. Das kann Architektur nicht“, sagt er. „Ob Literatur die Welt retten kann, weiß ich nicht.“ Zu denken gab ihm: „Viele trauen sich nicht, sich eine andere Zukunft vorzustellen.“
Das anderthalbstündige Gespräch wurde aufgezeichnet und wird am Sonntag, 9. Januar 2022, 20:00 Uhr, im NDR Kultur Sonntagsstudio gesendet. Interessierte erfahren dann auch, was Professor Lars Koch über die phantasieanregende Kraft von Literatur in der Corona-Zeit denkt, warum wir uns überhaupt Geschichten erzählen und wieso er eine Affinität zur Farbe pink hat.
Mit den Herrenhäuser Gesprächen präsentieren die VolkswagenStiftung und NDR Kultur aktuelle Themen aus Wissenschaft und Kultur, die unsere Gesellschaft bewegen. Ganz im Sinne von Gottfried Wilhelm Leibniz positioniert sich Herrenhausen damit als ein Ort des intellektuellen Diskurses, der weit über die Grenzen der Stadt Hannover hinaus eine breite Öffentlichkeit zum Mit- und Nachdenken anregt.
Kontakt:
TU Dresden
Bereich Geistes- und Sozialwissenschaften
SFB "Invektivität. Konstellationen und Dynamiken der Herabsetzung"
Prof. Lars Koch
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