Regionalbotschafterin für die Ukraine und Großbritannien an der TUD
(interviewt im Jahr 2022)
Susann Mayer
Regionalbotschafterin vorgestellt: Ianina Scheuch hat Internationale Beziehungen und Wirtschaftswissenschaften studiert. Von Dresden aus unterstützt sie die weltweite Community der TUD-Regionalbotschafter, engagiert sich für die Internationalisierung der Universität und den Aufbau internationaler Beziehungen.
Seit einigen Wochen treibt die gebürtige Ukrainerin die Sorge um ihre Landsleute um, die sie buchstäblich Tag und Nacht mit dem Einsatz all ihrer Beziehungen und persönlicher Energie unterstützt. Eine Nachwuchswissenschaftlerin, vielfach international vernetzt, die zur Resilienz forscht und gerade ihre Dissertation abgeben wollte, als ein Krieg begann. Im Interview spricht sie mit der Redakteurin (die sie schon lange kennt und daher per Du ist) über ihren Werdegang, die aktuelle schwierige Lage in der Ukraine und ihr Engagement für die jungen Akademikerinnen und Akademiker von dort.
Ianina, danke, dass Du trotz dieser – für Dich besonders erdrückenden – Ereignisse uns von Dir erzählen möchtest. Erzähl doch bitte, was der Grund war, sich für die TU Dresden zu entscheiden.
Ich habe Wirtschaftswissenschaften sowie internationale Beziehungen in der Ukraine und Deutschland studiert. Bereits in jüngeren Jahren interessierte ich mich für andere Kulturen, Kunst, Literatur und Menschenrechte, und hatte so den Wunsch, selbst internationale Erfahrung zu sammeln. So absolvierte ich ein deutsch-ukrainisches DAAD-Austauschprogramm, darauf aufbauend mein Studium der Wirtschaftswissenschaften und Internationale Beziehungen unter Förderung der Konrad-Adenauer-Stiftung. Bereits während des Studiums habe ich mich bei internationalen Themen, insbesondere bei der Unterstützung von Studierenden aus anderen Ländernn engagiert. So begleiteten mich stets die Themen Internationalität und Integration. Weil es mir wichtig war, meinen Horizont zu erweitern und meine Sprachkenntnisse zu verbessern, kam ich dann zum Studium nach Dresden. Heute, nach mehreren Jahren in anderen Städten und Ländern, bin ich mit meiner Familie sehr glücklich und dankbar, mein Zuhause in Dresden und an der TUD gefunden zu haben.
Woran arbeitest / forschst Du gerade?
Ich arbeite in einem BMBF-geförderten Verbundprojekt „MP-INVET - Metaprojekt zu Forschung zur Internationalisierung der Berufsbildung“ das von der TU Dresden, der Universität Mainz und der Universität Bremen geleitet wird. An der TU Dresden ist es an der Professur für Erwachsenenbildung, Schwerpunkte berufliche Weiterbildung und komparative Bildungsforschung angesiedelt, wo wir federführend für Monitoring, Evaluation und Netzwerkbildung von internationalen Forschungsprojekten aus Europa, Asien, Afrika zuständig sind. Auf der Forschungsebene arbeite ich vor allem zu den aktuellen Themen rund um Resilienzförderung und Diversität und promoviere an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften. Hier leite ich ein aktuelles TransCampus Projekt zur Kompetenzbildung im Bereich Resilienz und Wohlbefinden von Studierenden in Zusammenarbeit mit Kings College London (KCL).
Ich weiß, Du engagierst Dich außerdem …
Meine Erfahrung in internationalen Projekten im Bereich Bildung und Kultur nutze ich, um z.B. Workshops und Seminare von Stiftungen zu organisieren und zu moderieren. Und – daher kennen wir beide uns ja – ich engagiere mich ehrenamtlich als TUD-Regionalbotschafterin, aber auch als Mentorin für junge Wissenschaftlerinnen sowie Schülerinnen und Schüler v. a. mit Migrationshintergrund.
Was würdest du heute jüngeren Menschen empfehlen? Gerade heute kommen so viele Menschen aus der Ukraine zu uns.
Deutschland gibt einem sehr viele Möglichkeiten, aber man muss auch sehr hart für den Erfolg arbeiten. Das gilt für alle, dass man dem Glück und Zufall ein wenig mit Fleiß und Motivation nachhelfen muss. Heute haben wir dennoch eine besondere Lage: Viele junge Menschen mussten ihre Familien oder Freunde in der Ukraine lassen. Sie fühlen sich hilflos und haben kein Kraft oder Motivation, die sie hier vorantreiben sollte. Sie brauchen unsere Hilfe und persönlichen Support – ich freue mich, dass ich als Regionalbotschafterin an der TUD helfen kann.
Als Regionalbotschafterin für die Ukraine bist Du (eigentlich) aktiv, um beide Länder beim Studierenden- und Forscheraustausch zu unterstützen. Seit letzter Woche geht es vor allem um Unterstützung Deiner Landsleute. Kannst Du kurz beschreiben, was in den ersten Tagen passiert ist?
Der 24. Februar markierte eine Zeitwende. Mit dem Überfall auf die Ukraine haben sich auch unsere persönlichen Geschichten geändert. Der Angriff startete am frühen Morgen. Meine Familie in der Ukraine hat eine Bombendrohung gehört und mich sofort angerufen, sie sind dortgeblieben und haben eine Schule für geflüchtete Kinder gegründet. Mein Bruder ist im Wohnheim in Deutschland aufgewacht, er hätte am nächsten Tag zurück in die Ukraine fliegen müssen, da sein Erasmus-Studium und seine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland beendet war. Meine Cousine aus London war in der Ukraine, da sie ihre Großeltern und ihre kleine Schwester besuchte und nach dem Angriff dortbleiben wollte, um vor Ort zu helfen. Ich musste sofort handeln – für meine Familie, aber auch für all diejenigen, die meine Hilfe benötigten. Innerhalb einer Stunde hatte ich 500 E-Mails auf Deutsch, Englisch, Ukrainisch oder Russisch erhalten, wo meine Hilfe benötigt war. Am 25. Februar 2022 – zu meinem Geburtstag (an diesem Tag wollte ich meine Dissertation abgeben, was ich nun verschieben musste) – konnte ich bereits 300 Menschen, u.a. Studierende und Professorinnen, weitervermitteln. Rückblickend verstehe ich, wie viel wir in diesen ersten Tagen bewegen konnten. Und ich bin sehr dankbar für die ganze Unterstützung von all denjenigen, die mitgeholfen haben, oder einfach auf die Straßen in Berlin, Hamburg oder Dresden in den ersten Tagen gegangen sind.
Kurz nach Kriegsausbruch fragten wir vom Absolventenreferat besorgt bei unseren ukrainischen Alumni nach ihrer Lage, und gaben Dich als Notfallkontakt in Dresden an. Ein gelungenes Beispiel ist das Willkommen einer anderen Regionalbotschafterin, Frau Dr. Nataliya Sadretdinova, mit ihren Kindern hier in Dresden ...
Ja, das freut mich sehr, dass wir noch einer Familie aus der Ukraine helfen durften. Dr. Nataliya Sadretdinova kommt aus einem Vorort in der Nähe von Kiew und musste nach dem Angriff ihr Zuhause sofort verlassen. Wir haben sie und ihre beiden Kinder am Wochenende aus Wroclaw geholt und ein Apartment in Dresden besorgt. Seitdem haben wir sie unter unsere Patenschaft genommen, in unsere Familie integriert und auf ihrem Weg begleitet. Wir helfen bei Formalitäten und Behördengängen, bei der Schulsuche und Integration, beantworten Fragen im Alltag, vermitteln Sprachkurse, zeigen ihnen die Stadt und die Umgebung. Wir verbringen Zeit miteinander und tauschen uns aus, da auch eine normale Umgebung für sie alle so wichtig ist. Vor kurzem hat Frau Dr. Sadredinova ein DAAD-Stipendium erhalten, und kann ihr neues Forschungsvorhaben bei Prof. Yordan Kyosev an der Professur für Entwicklung und Montage von textilen Produkten an der TU Dresden realisieren – darüber freuen wir uns alle sehr. Es kommen auch schon weitere Frauen mit Kindern an, wo Nataliya uns mitgeholfen hat und vermitteln konnte. Wir helfen uns gegenseitig und es ist sehr schön zu sehen, wie die Menschen sich öffnen und zusammenhalten.
Danke, liebe Ianina, für Dein herausragendes Engagement. Was möchtest Du zum Schluss den Leserinnen und Lesern – alle wie Du TUD-Alumni – sagen?
Ich denke, dass jeder helfen kann. Wir alle haben eine Stimme, um zum Frieden aufzurufen. Ich weiß, dass wir gemeinsam stark sind. Ich habe als Ukrainerin zwischen Ost und West – zweisprachig aufgewachsen – nie den einfachen Weg im Leben gewählt, aber ich versuche auch immer, nicht alleine zu gehen. Wir – die TU Dresden-Gemeinschaft – können helfen, wenn wir das gemeinsam tun. Ob die zentrale Stelle „We-Care“, Engagements an Fakultäten wie Sprachkurse am Institut für Slawistik oder auch zahlreiche Initiativen, bei denen Studierende mitmachen können, wie bei der Refugee Law Clinic oder der Lernwerkstatt für Schulkinder auf ukrainisch – alle helfen mit.
Aber auch zusammen in der Stadt Dresden oder überregional – es gibt bereits so viele schöne Initiativen und Plattformen, wo man helfen kann. Ich würde mich freuen, wenn noch mehr Menschen Empathie zeigen und in diesen schwierigen Zeiten Familien aus der Ukraine unterstützen würden.
Zusatz der Redaktion:
Die TU Dresden hat mit WE-CARE eine Kontaktstelle geschaffen, die umfangreiche Informationen wie Anlaufstellen und Hilfsangebote für Geflüchtete zur Verfügung stellt. Im Fokus sind TUD-Angehörige und -Alumni aus den vom Krieg betroffenen Ländern. Kürzlich hat die Universität für Dr. Natalya Sadretdinova und zehn weitere ukrainische Wissenschafter Anträge auf eine Förderung durch die Philipp Schwartz-Initiative der Alexander von Humboldt-Stiftung gestellt. Eine Förderzusage würde es ihr ermöglichen, die Forschung in den kommenden zwei Jahren an der TU Dresden fortzusetzen. Bis dahin arbeitet sie am Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik von Prof. Yordan Kyosev, gefördert durch ein Stipendium des DAAD.
Zudem gibt es eine Spendenaktion der TUD-Freundesgesellschaft für die durch den Krieg in Not geratenen Studierenden sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Und noch zu Ianina Scheuch: Sie war nach einer Anfrage des TUD-Schülermentorings sofort bereit, als Interviewpartnerin beim „Profiverhör“ interessierten Schülerinnen und Schülern zu ihrem Studium „Internationale Beziehungen“ Rede und Antwort zu stehen. Sie sollen durch dieses Projekt auf die Herausforderungen des Studiums wie auch des Berufsfeldes, bezogen auf jeweils bestimmte Studiengänge, aufmerksam gemacht werden. Mit dabei war auch Benedikt Wiedenhofer. Fazit beider Seiten: Eine gelungene Veranstaltung durch die IB-Alumni.
Kontakt:
Ianina Scheuch
Regionalbotschafterin der TU Dresden für die Ukraine und Großbritannien
TU Dresden
Fakultät für Erziehungswissenschaften
Institut für Berufspädagogik und berufliche Didaktiken
Professur für Erwachsenenbildung
01062 Dresden
Tel.: +49 351 463-39296
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