Das Jahr 1960 aus studentischer Sicht
Das Jahr 1960 weist nicht viel Eintragungen zum studentischen Leben auf. Obwohl der Prototyp der „152“ – Stolz des DDR-Flugzeugbaues – bereits im März 1959 abgestürzt war, ging es mit dem Flugzeugbau in der DDR weiter, und damit auch mit dem entsprechenden Lehrbetrieb an der TU (ich studierte an der Fakultät Luftfahrtwesen).
Das Praktikum fand wie üblich in den Flugzeugwerken Dresden statt, wo ich aufgabenbedingt Zugang zum stark abgesicherten nächsten Versuchsmuster (V 4) dieses Typs hatte. Breiten Raum in meinen Aufzeichnungen nimmt unser zweiter Reservistenlehrgang ein, den wir in Bautzen bei der Waffengattung „Luftstreitkräfte“ absolvierten. Entsprechend unserer Studienrichtung war es natürlich sinnvoller, uns als eine Art Flugzeugmechaniker auszubilden, anstatt uns – wie beim ersten Reservistenlehrgang – mit Panzern durchs Gelände zu schicken. Allerdings war mit der eigentlichen Ausbildung nicht viel los, denn in meinen Aufzeichnungen über diese vier Wochen ist einige Male von Gammelei, sinnlosem Warten und nicht einsatzfähiger Technik die Rede. Trotzdem war unsere Ausbildung, wenn ich sie damit vergleiche, was mir ab und zu mal jemand vom „Bund“ erzählt, durchaus ebenbürtig. Ein Beweis für den saloppen Dienst in Bautzen ist, dass ich in den vier Wochen vier Kilogramm abgenommen hatte.
Hier wurden am Wochenende – wenn Not am Manne war, auch an Wochentagen – Ernteeinsätze durchgeführt. War es doch eine interessante Abwechslung, es gab viel zu Futtern und zu Trinken, auch ein Handgeld, was bei den Studenten immer willkommen war. Außerdem – wenn man etwas Glück hatte, konnte man auch eine „Dorfschöne“ erwischen. Da gab's u. a. den Nachtdrusch in Storcha (damals waren noch nicht genügend Mähdrescher vorhanden, so dass auf stationäre Dreschmaschinen zurückgegriffen werden musste). Anschließend – beim Dreschen wird man furchtbar staubig – sprangen wir alle nackt in den Feuerlöschteich des Dorfes. Ob uns das später „Manne“ Krug in dem schnell wieder aus dem Verkehr gezogenen Film „Spur der Steine“ nachgemacht hat?
Da gab's den Ernteeinsatz im VEG Pommritz (heute LebensGut), wo wir die Garben zu Puppen aufsetzten. Die Disteln, die in jeder Garbe waren, stachen ganz schön in die Arme. Aber wer wollte sich schon zimperlich zeigen? Dann waren die getrockneten Garben auf den Erntewagen zu laden. Vier Mann – drei Studenten und unser Vorgesetzter, ein Major – direkt vom VEG, eine ziemliche „Hacke“, bedingt durch die vorangegangene Erschöpfung. Für mich brachte der Reservisten-Lehrgang jedoch noch ein besonderes Geschenk – ich lernte beim Tanzen (mit richtiger Tanzkapelle, Disko gab's damals noch nicht) meine spätere Frau kennen, und damit war der Grundstein für die Familie gelegt. Vielleicht ist es inzwischen altmodisch, aber wir sind immer noch zusammen.
Einige Wochen später findet sich die Eintragung „FDJ-Gruppenversammlung, Stunk wegen meines Briefes nach Bautzen“. Wie ist das zu verstehen? Als ein Mensch, der immer versucht, die Zeit so rationell wie möglich zu nutzen, hatte ich bestimmte Dinge (die Gammelei) darin kritisiert, damit es beim nächsten Male besser gemacht werden könne. Solcherlei Kritik schien aber nicht erwünscht gewesen zu sein.
Noch eine Sache finde ich im Tagebuch zum Reservisten-Lehrgang: Ein Schreiben, in dem der Chef der Gesellschaft für Sport und Technik (verantwortlich für die vormilitärische Ausbildung) darum bittet, dass ich meinen Erholungsurlaub verlegen kann. Wie ist das zu verstehen? Wer in der DDR eine Urlaubsplatz haben wollte, noch dazu einen Seeplatz im Sommer, musste früh aufstehen. So war es mir am Jahresanfang gelungen, einen Zeltplatz in Prerow zu ergattern. Aber dann überschnitt sich der gewährte Termin mit dem Lehrgang. Ohne eine entsprechende Erklärung hätte man nicht zu einem anderen Zeitpunkt anreisen können. Man wäre sofort zurückgeschickt worden. Wenn das aber irgendetwas mit der Landesverteidigung zu tun hatte, ging das eben. Übrigens haben mich die zwei Wochen in Prerow 154 Mark gekostet (Fahrt mit der Bahn, Zeltplatzgebühren, Verpflegung, ausgehen usw.). Bei 230 Mark Stipendium (Grundstipendium und erste Leistungsstufe) eine Sache, die man sich durchaus nicht nur einmal im Jahre leisten konnte.