Glückstreffer - Dokument Dresdner Lehrerbildung aufgefunden
60 Jahre Universitätsarchiv: Im Bestand findet sich auch diese Rarität – das Originalzeugnis des Lehramtskandidaten Alexander Witting aus dem Dresdner Polytechnikum
Nach früheren Anfängen, die bis in das Jahr 1828 zurückgehen, wurde die eigenständige Lehrerabteilung an der Polytechnischen Schule Dresden – eine der Vorgängereinrichtungen der heutigen TU Dresden – im Jahre 1862 begründet. Unter dem Direktorat von Gustav Zeuner wurde sie weiter ausgebaut, und die Einrichtung einer eigenen Prüfungskommission am Polytechnikum im Jahre 1879 ließ sie – was die Ausbildung höherer Lehrer der Mathematik und Physik anbelangt – gleichberechtigt neben die Universität Leipzig treten. Diese Abteilung zur Ausbildung nicht nur technischer Lehrer, sondern auch von höheren Lehrern der Mathematik und der Naturwissenschaften, war etwas Besonderes; sie war die erste an einer deutschen technischen Bildungseinrichtung. (Ihr folgte sechs Jahre später die Münchner und dann lange Zeit keine weitere.) Ihren Mathematikstudenten vermittelte sie keinesfalls nur die übliche fundierte Fachausbildung und das unverzichtbare Rüstzeug des Pädagogen. Mit Darstellender Geometrie, Geodäsie und Analytischer Mechanik gehörten auch Fächer zum selbstverständlichen Lehrinhalt, die erst Ende der 1890er Jahre – im Zuge der Unterrichtsreformbewegung – in den universitären Bildungskanon künftiger höherer Mathematiklehrer aufgenommen wurden. Mit ihrer anwendungsorientierten Ausbildung waren die Absolventen der Dresdner Lehrerabteilung für die Zukunft ihres Berufsstandes also bestens gerüstet.
Heute ein Originalzeugnis der Lehrerabteilung des Polytechnikums in die Hand zu bekommen ist ein Glückstreffer! Das von Alexander Witting wurde über die Zeiten bewahrt. Alexander Witting (1861 – 1946) studierte von 1881 bis 1885 an der Lehrerabteilung des Dresdner Polytechnikums vornehmlich Mathematik und Physik – bei Professoren, deren Name bei Fachkollegen im In- und Ausland auch heute einen guten Klang hat: Axel Harnack, Aurel Voss, Louis Burmester, August Toepler.
Der Schulamtskandidat Witting verband das Probejahr an der Thomasschule in Leipzig mit der Arbeit an seiner mathematischen Dissertation, deren Thema er von Felix Klein erhalten hatte, im August 1886 wurde er Kleins erster Göttinger Promovend. (Zum Sommersemester 1886 war Felix Klein von der Universität Leipzig an die Universität Göttingen gewechselt.)
Alexander Witting unterrichtete Mathematik und Physik am Städtischen Gymnasium zum Heiligen Kreuz in Dresden – zuletzt als Professor und Oberstudienrat, war lange Zeit nebenamtlich an der TH Dresden und für die Dresdner Industrie tätig und blieb der Wissenschaft als Autor und Herausgeber verbunden. Er war Verfasser einiger sehr gefragter und wiederholt aufgelegter Bändchen der »Mathematisch- Physikalischen Bibliothek«, die er gemeinsam mit Walter Lietzmann begründet hatte. 1910 erschien sein Buch »Der mathematische Unterricht an den Gymnasien und Realanstalten nach Organisation, Lehrstoff und Lehrverfahren und die Ausbildung der Lehramtskandidaten im Königreich Sachsen «. Es gehört zu den Schriften, die Felix Klein als Präsident der Internationalen Mathematischen Unterrichtskommission herausgab. Ihre Gesamtheit zeigte den Ist-Zustand im mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichtswesen der verschiedenen Staaten und Länder und bildete das Fundament, von dem aus die Veränderungen und Reformen angestoßen werden konnten, die ein der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung angemessener Unterricht erforderte. Es überrascht nicht, dass um 1909/10 ein reger sachbezogener Gedankenaustausch zwischen Felix Klein und Alexander Witting stattfand. Das Überraschende ist, dass es noch eine größere Anzahl von originalen dienstlichen Briefen und Postkarten aus der Feder Felix Kleins gibt, die der Wissenschaft bis in die jüngste Zeit verborgen blieben.
Diese Briefe, das Zeugnis der Lehrerabteilung, die Promotionsurkunde und vieles anderes Geschriebenes und Gedrucktes hat Diplomlehrerin Helga Witting, eine Enkelin Alexander Wittings, sorgsam bewahrt. Dieser Schatz – dessen Übergabe Frau Witting beabsichtigt – wird einen historisch wertvollen Bestand des Universitätsarchivs der Technischen Universität Dresden bilden.
Dr. Waltraud Voss