Triff die Koryphäe unter der Konifere
Nadelbäume als Baum der Erkenntnis? Immer am dritten Sonntag des Monats gibt es unter den Koniferen im Botanischen Garten einiges über innovative Forschung, ungelöste Probleme und den langen Weg zu neuen Antworten zu erfahren. Kommen Sie mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der TU Dresden ins Gespräch und stellen Sie Ihre Fragen!
Das aktuelle Programm finden Sie in unserer Veranstaltungsübersicht.
Mitschnitte der vergangenen Veranstaltungen finden Sie unten sowie auf den gängigen Podcast-Portalen, wie Spotify.
Table of contents
Bestäubungsökologie - Dr. Katharina Stein
Börge Mehlhorn - Moderator: Herzlich willkommen im Botanischen Garten! Das ist jetzt die dritte Ausgabe von der diesjährigen Veranstaltungsreihe "Die Koryphäe unter der Konifere. Genau, worum soll es heute gehen? Um Bestäubung im hauptsächlichen Teil und im Speziellen um die Bestäubung durch die Biene. Und das ist ja auch ein recht aktuelles Thema. Vom Bienensterben hört man ab und zu in den Medien. Und ich würde das Ganze vielleicht anfangen mit einem Zitat von Albert Einstein, der ja sagte: Wenn die Biene ausstirbt, dann dauert es nicht mehr lange, bis die Menschheit auch ausstirbt. Und jetzt, da ich auch Laie bin, würde mich interessieren, was denn die Wissenschaftlerin dazu zu sagen hat.
Dr. Katharina Stein: Vielen Dank Börge. Ein dramatischer Einstieg. Ich gehe auch gleich darauf ein. Ich stelle mich ganz kurz vor. Mein Name ist Katharina Stein. Ich bin Biologin, und ich habe in Leipzig Biologie studiert, habe dann in Halle Saale promoviert. Darauf komme ich auch ganz kurz gleich zurück. Und habe dann meine Postdoc-Phase - also wenn man promoviert ist, die Phase danach, bis man irgendwann hoffentlich mal eine Professur ergattert - habe ich in Westafrika verbracht und habe dann angewandt geforscht. Darum geht es jetzt gleich in den nächsten Minuten. Ich freue mich sehr, Sie zu sehen. Und ich freue mich, dass der Botanische Garten einen Pavillon zum Sonnenschutz errichtet hat. Das ist, das ist fein, vielen Dank dafür. Barbara Ditsch, die Kustodin des Botanischen Gartens. Und genau, um die gleich die Frage zu beantworten von Börge Mehlhorn: Albert Einstein ist ein schlauer Mann gewesen. Und auch was die Bienen angeht, hat er recht gehabt. Denn ungefähr 90 Prozent der Blütenpflanzen sind abhängig von Bestäubung, nicht nur von den Bienen, aber zumindest teilweise, für eben die sexuelle Reproduktion, das heißt Samenproduktion, damit die sich eben fortpflanzen können. Und 75 Prozent unserer Nahrungsmittel sind von Bestäubung abhängig. Darauf komme ich nachher noch. Wenn die Biene fehlt, haben wir wirklich ein signifikantes Problem was die Ernährungssicherheit angeht. Also wenn wir nicht nur noch Kartoffeln und Getreide essen wollen, dann müssen wir die Bienen erhalten. Und ich habe ein schönes Beispiel mitgebracht. Das ist jetzt - ich reiche das einfach herum. Das hab ich jetzt einfach nur mal ausgedruckt. Ein Supermarkt. Die Marke steht jetzt drauf, ist aber auch egal. Dort hat man in 2018 alle Produkte über Nacht aus den Regalen genommen, die irgendwas mit Bestäubung zu tun haben. Kaffee, Kakao, Obst, Gemüse... Und von ungefähr 2500 Produkten, die in so einem Supermarkt so regulär angeboten werden, sind 1600 irgendwie abhängig von Bestäubung. Na also, die haben jetzt nicht nur den Honig aus dem Regal genommen. Und sie haben in der Frühe, ohne die Leute vorzuwarnen, einfach die Türen geöffnet. Und haben wirklich verblüffte Gesichter erlebt. Also manche waren auch sauer. Also, manche ältere Leute, die sich mühsam auf den Weg gemacht haben, konnten eben nicht ihre Einkäufe erledigen. Aber ich gebe das einfach mal rum, dass Sie es sehen. Und die Aktion war eine Zusammenarbeit mit dem Nabu und hieß halt "Biene weg, Regal leer". Also einfach ein schönes - ja, es ist einfach ein medienwirksames Experiment gewesen, auch nur einen Tag lang. Aber um diese Bedeutung zu untermauern
Und das Erste, was ich meine Studenten frage zum Beispiel ist: Was ist denn Bestäubung? Und es ist eine ganz einfache Definition. Sie kennen ja - stellen Sie sich einfach mal eine Kirschblüte vor. Die hat glaube ich jeder vor Augen. Und da haben Sie den weiblichen Teil der Blüte. Na, also, den Stempel mit der Nabe. Und dann haben Sie die Staubfäden mit den Staubbeuteln, wo der Pollen produziert wird - das ist der männliche Teil. Also ein Großteil der Blüten ist Hermaphrodit. Das heißt, die haben beide Geschlechter in einer Blüte. Und Bestäubung ist einfach nur die Übertragung vom Pollenkorn auf die Narbe vom Griffel eben. Mehr ist das nicht. Das ist einzig und allein Bestäubung im botanischen Sinne. Und Bestäubung kann manchmal auch durch Bewegungen, durch Wachstumsbewegungen von alleine stattfinden. Aber normalerweise braucht so ein Pollen irgendeinen Vektor. Der braucht quasi so etwas wie einen Zug, mit dem er irgendwie zur Narbe gelangt. Das kann der Wind sein. Wasser. Aber natürlich am wichtigsten ist das durch Tiere. Also Tierbestäubung ist unglaublich effektiv und wie gesagt 90 Prozent aller unserer Blütenpflanzen sind irgendwie tierbestäubt zu irgendeinem Ausmaß. Die wichtigsten Bestäuber sind Insekten. Das ist einfach Fakt. Und unter den Insekten sind es die Bienen. Es gibt 20.000 Bienenarten auf dieser Welt, in Brasilien ungefähr 3000. In Deutschland schwanken die Angaben, je nachdem, was man liest. Aber ungefähr 550 bis 580 Bienenarten gibt es in Deutschland. Und Barbara korrigier mich, aber hier im Botanischen Garten habt ihr ungefähr 150 Bienenarten - sind zu viele? Ja aber trotzdem toll. Also chapeau! So als Refugium mitten in der Stadt. Also Bienen sind die wichtigsten Bestäuber weltweit. Egal welche Bienenart. Und dann kommen natürlich viele Schmetterlinge, Fliegen, Käfer. Und in den Tropen gibt es eine Besonderheit, da werden viele, auch viele Früchte, die wir konsumieren, von Wirbeltieren bestäubt, und zwar von Kolibris zum Beispiel, von Vögeln und von Fledermäusen. Genau, nur, um ganz kurz auf meine Doktorarbeit zu kommen. Das war Grundlagenforschung. Komplette Grundlagenforschung. Habe ich in Brasilien gemacht, in Südamerika, und zwar hier im Osten von Brasilien, in der Nähe von Rio de Janeiro. Da ist der atlantische Küstenregenwald. Was in so Braun dargestellt ist, ist die ursprüngliche Ausbreitung. Was in grün ist, ist noch das, was übrig ist davon. Das ist ein Biodiversitäts-Hotspot. Wird gerne in aller Munde verwendet, aber im ökologischen Sinne ist ein Hotspot eine Fläche, die mindestens 1500 endemische Gefäßpflanzen aufweist. Das heißt, das sind Pflanzen, die wirklich nur regional sehr limitiert vorkommen. Ja also, die finden sie nicht in Argentinien und Kolumbien, sondern mitunter auch ein superkleinen Refugien. Und die mittlerweile schon bis zu 70 Prozent ihrer ursprünglichen Fläche verloren haben. Na also, es ist eine schöne Auszeichnung, ein Hotspot zu sein. Aber eigentlich ist das dramatisch. Nun also: Besser, man ist keiner. Es gibt 34 Hotspots mittlerweile, die ausgewiesen sind. Madagaskar natürlich, die Regenwälder Westafrikas und so weiter. Dort habe ich gearbeitet, im Regenwald und habe mir zwei Pflanzenarten angeguckt. Eine musste jetzt hier leiden, aber die darf wurzeln und hat eine zweite Chance und zwar Nematanthus. Das ist eine - das gehört zur Familie der Gesneriengewächse. Usambaraveilchen haben Sie bestimmt alle auf der Fensterbank stehen. Sie können das jetzt zugeben, aber müssen Sie auch nicht. Und jetzt fliegen mir meine Fledermäuse davon... Auf jeden Fall gehören die zur gleichen Familie, man glaubt es kaum. Ja also, ich habe mir verschiedene Pflanzenarten angeschaut. Und zur gleichen Familie wie die gehört auch diese. Die heißt Besleria, die so gelb ist, so kleine gelbe Blüten, Gelb, Weiß. Und im Vergleich dazu eine, die so schön Pink ist, und die hat so ganz tubuläre Blüten; also ähnlich wie die. Und es gibt ein tolles Konzept aus der Bestäubungökologie. Da war ich als Studentin total begeistert von. Das nennt sich Bestäubungsyndrome. Das heißt je nachdem, wie die Blüte ausschaut - na?: welche Farbe hat die? Wann blüht die? Blüht die nachts? Duftet die? Hat die Nektar?- kann man bestimmen, wer potenziell als Blütenbesucher oder sogar als Bestäuber vorbeikommt. Na, das ist das Konzept. Und diese Blüte sagt: Hier kommt ein Kolibri. Erstens, wir sind in Südamerika, da gibt es sowieso - also Kolibris sind nur in den Amerikas vertreten, und deswegen habe ICH mir gedacht bei diesen Pflanzen: Da kommen hundert Prozent Kolibris. Und bei dieser, die eher so gelb-weiß blüht, kommen bestimmt eher Bienen oder irgendwelche anderen Tiere. Wahrscheinlich mehr Insekten als Vögel. Weil das Syndrom mir eben sagt: Das findet eine Biene schöner als ein Kolibri. Und um das kurz zu halten, weil das war wie gesagt man eine ganze Doktorarbeit, die ging vier Jahre: Es kommt immer alles anders, als man denkt. Und wie es so war: Diese perfekten ornithophilen, also vogelbestäuben Blüten - Da waren mehr Bienen als Besucher da. Und bei der, wo ich denke, da passt doch perfekt die Biene dazu: Da kamen mehr Kolibris. Nun also bloß dieses kleine - ja, es ist frustrierend, wenn man das publizieren soll, aber einfach nur als kleines Beispiel: Es lohnt sich hinzuschauen, Konzepte zu hinterfragen, weil die Realität ist immer komplexer. Und Pflanzen mögen spezialisiert sein, aber die Tiere sind eben mobil. Und die sind meistens auch nicht ganz so wählerisch. Also viele spezialisierte Blüten, wie diese hier, werden eben auch von generalistischen Insekten besucht. Also, das war die Quintessenz in a nutshell von meiner Doktorarbeit.
Und als Beispiel, was es noch für schöne Syndrome gibt - ich gebe das nur rum, ich habe gar keine Zeit, darauf einzugehen. Aber es gibt halt, wie gesagt, viele Nutzpflanzen, die von Fledermäusen und Flughunden bestäubt werden. Zum Beispiel Durian, können sie sich gleich noch mal anschauen. Die Banane. Tequila zum Beispiel, also Tequila wird natürlich jetzt nicht aus der Blüte gewonnener. Man ritzt die Pflanze ein und aus dem Wundsaft heraus nutzt man diesen Zuckersaft zur Vergärung. Aber die Pflanze an sich ist Fledermaus bestäubt. Und auch genau Durian. Das gebe ich mal rum. Das können Sie sich einfach mal anschauen. Und hier sind noch ein paar andere niedliche Fotos. Ja, ich gebe einfach mal was rum, und es gibt auch - nur so als Aha-Effekt - es gibt auch nicht-fliegende Wirbeltiere, die zufällig als Bestäuber agieren. Das sind kleine Nagetiere und auch Beuteltiere. Zum Beispiel in Australien, die da auf den Eukalyptus- und Protea-Gewächsen lang sausen. Die haben eine ganz lange Schnauze, denn die haben eine lange Zunge, und mit der langen Zunge kommen die eben an diesen tief verborgenen Nektar ran. Und wenn man eine lange Zunge hat, die manchmal 150 Prozent länger ist als die eigene Körpergröße - also, da wäre meine Zunge jetzt drei Meter oder so was. Da muss man die ja auch irgendwo verstauen. Und deswegen haben diese - schauen Sie sich mal die kleinen Kerle an - es ist total niedlich. Deswegen haben die auch so ein langes Rostrum. Also erstens angepasst, um mit dieser langen Schnauze in die Blüten reinzukommen, in die Blütenstände. Gleichzeitig muss die Zunge auch irgendwohin. Ich gebe es einfach nur mal rum, und damit springe ich schon, weil die Zeit eben nicht dazu da ist, hier meine Standard Vorlesung zu halten - Okay, gehe ich mal weiter.
Und zwar hatte ich dann promoviert und habe ein Angebot bekommen, als Postdoc und bin vom Regenwald und Kolibri-bestäubten Pflanzen gesprungen nach Westafrika in die Savanne. Also viel viel trockener, als mir lieb ist ehrlich gesagt und zur Bienenbestäubung. Also ich hatte nicht viel Ahnung von Bienen, und mittlerweile hat sich das etwas gebessert. Und ich konnte auch kein Französisch - hatte ja Portugiesisch in Brasilien. Also, man muss als Wissenschaftler nicht nur Forschung betreiben, man muss auch die ganze Infrastruktur drum rum mitmachen: die Sprachen, die Kultur, und da gehört noch viel mehr Kompetenz dazu, als man immer denkt. Und ich habe dann von 2012 bis 2017 aktiv in Burkina Faso gearbeitet. Sie müssen sich nicht schämen, wenn sie nicht sofort wissen, wo das liegt, das wusste ich auch nicht bei der Ausschreibung. Also wir sind hier in Afrika, hier ist der Westen, und das liegt südlich von Mali und nördlich von Ghana und Cote Ivoire. Also, das hab ich hier so rot indiziert.
Beim Human Development Index - also das ist ein Index über die Entwicklung dieser Länder. Da sind 189 Ländern gelistet. Burkina Faso ist auf Platz 185, also ist ein bettelarmes Land; wie viele in Westafrika. 80 Prozent - 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung lebt von ruraler Landwirtschaft. Subsistenzlandwirtschaft. Das heißt, was die anbauen essen, die auch auf und brauchen das auch. Extrem anfällig auch jetzt für den Klimawandel natürlich: Wenn es Dürren gibt oder wenn diese Heuschreckenplagen kommen. Und deswegen ist die Landwirtschaft dort wahnsinnig wichtig. Und ich habe mich jetzt nicht um Tomaten und Paprika gekümmert - wär auch spannend gewesen - ich habe mich um sogenannte Cash-Crops gekümmert. Und zwar sind das Feldfrüchte, die angebaut werden für den Export. Und Burkina Faso war mal der größte Baumwollexporteur von ganz Afrika. Wurde jetzt abgelöst durch Mali, aber ist immer noch an Platz zwei. Und ich habe mich eben auseinandergesetzt mit Baumwolle und mit Sesam. Weil das sind einfach die Sachen, die bauen die an, damit sie eben Geld gewinnen, wenn sie mal ... für Arztkosten, Schulgeld und so weiter. Also nur vom Feld in den Mund klappt nicht. Also auch da braucht man ein bisschen Geld. Und man glaubt es kaum bei einem Land was wirklich Top zwei ist für ganz Afrika am Baumwollexport: Es war nicht bekannt, welchen Beitrag Bienenbestäubung für die Ernte oder für den Ertrag dieser Feldfrüchte hat, von Sesam und von Baumwolle. Es gibt in der Literatur sehr, sehr unterschiedliche Angaben. Manche Studien zitieren 60 Prozent Selbstbestäubung, was heißt, da muss man muss keine Biene kommen, dann muss kein irgendwie Bestäuber kommen, die bestäubt sich einfach selbst die Pflanze und macht Früchte und Samen. Und ich wollte es aber genau rausfinden mit der Art, die am meisten dort angebaut wurde. Also ich hab die Varietät genommen, die zu 80 Prozent in Burkina auf den Feldern angebaut wird und habe zuerst rausgefunden, zu welchem Ausmaß ist diese Pflanze selbst bestäubt? Und zu welcher Rate braucht die Fremdbestäubung durch Insekten, in dem Falle Bienen? Hier ist ein Exemplar einer Baumwolle, bereitgestellt vom Botanischen Garten. Tut mir leid, dass ich hier ein bisschen lachen, wenn ich die sehe. Wenn die auf dem Feld stehen, dann sehen die manchmal ein bisschen anders aus. Und zwar so ungefähr. Also die werden recht groß, so hüfthoch. Gut, es gibt viele Arten, manche klettern ja auch. Ja, und zunächst einmal schaut man sich diese Pflanze an und versucht zu verstehen. Denn als Bestäubungsökologe muss man genau wissen, wann muss man ins Feld gehen, um was zu beobachten oder was zu manipulieren. Und Baumwolle hat wunderschöne Blüten. Das ist an Tag eins, das hat so eine cremig-weiße Blüte. Duftet auch ganz leicht. Die öffnet sich 6.30 Uhr. Wenn es geregnet hat, dann eine halbe Stunde später. Und dann ist die quasi funktionell. Also man hat bei Baumwolle nur einen Tag, um irgendetwas zu machen als Bestäubungökologe. Tag zwei ist sie eigentlich noch schöner, dann ist sie sogar Rosa, die wird rosa über Nacht, aber die öffnet sich nicht mehr, die bleibt geschlossen. Und dann ist zwar rein optisch noch eine Blüte an der Pflanze, aber damit können Sie nicht mehr arbeiten. Also phänologisch - oder vom Blührhythmus her - ist es eine Zweitagesblüte. Aber funktionell ist es eine Eintagesblüte. Und das heißt, ich musste immer, egal, wie weit das Feld weg war, spätestens sechs Uhr 30 vor Ort sein, wenn die Blüte aufgeht, damit ich schneller bin als die erste Biene. Und wir haben dann natürlich rausfinden wollen, zu welchem Ausmaß kann die sich selbst bestäuben und haben - ich gebe es einfach rum, das können Sie auch sehen - Wir haben die einfach in Bestäubungsbeutel eingepackt die Knospen. Hier ist die Blüte dann schon geöffnet. Also man nimmt, die geschlossene Blüte noch. Man kennt die dann so gut, man sieht bei jeder Knospe, an welchem Tag die aufgeht, also man kann das genau dann abschätzen. Und die Bestäubungsbeutel sind furchtbar teuer, sehen aber eigentlich aus wie so ein Brötchenbeutel aus dem Supermarkt. Die sind aus Plastik, so leicht perforiert, und die sind Pollendicht, das heißt, durch diese Perforierung - Das Mikroklima ist wohl vergleichbar mit dem, was außen herrscht. Ist im Regenwald fragwürdig, ganz ehrlich. Aber es kann kein Pollen irgendwie zur Blüte gelangen. Und indem wir die eingetütet haben - Um das jetzt einfach zu halten: Wir haben da ganz viele Auskreuzungsexperimente gemacht, Pollen drauf und hin und her, ja, Pollen weggeschnitten und so weiter, aber um es einfach zu halten: Mit diesen Beutel haben wir Bestäuber ausgeschlossen. Das ist unser Scenario, dass wir alle Bestäuber oder alle Bienen verlieren. Das ist jetzt ein bisschen Schwarz-Weiß, erklärt aber "Beutel drauf - kann keiner ran". Das heißt, die Blüte kann sich nur selbst bestäuben. Nun haben wir am Ende geschaut, wie viele Früchte gibt es denn dann. Wenn man hundert Blüten eingetütet hat und hatte am Ende 60 Früchte, dann weiß man: "Okay, zu 60 Prozent kann die sich selbst befruchten". Und dann geht das natürlich noch weiter, weil eine reine Frucht zu haben - ich gebe das jetzt einfach mal rum... Bei Sesam haben wir das auch gemacht. Die reine Frucht an sich sagt noch lange nichts über die Qualität aus. Wir haben die Quantität, das ist schön. Ich weiß dann, wie viele Früchte wir haben durch Selbstbestäubung. Ich weiß auch, wie viele Früchte wir haben durch Auskreuzung. Wir haben natürlich dann auch Blüten offen gelassen, wo eine Biene Zugang hatte und haben am Ende - das wurde uns vom Botanischen Garten freundlicherweise bereitgestellt, mal ein paar Früchte von von der Baumwolle. Und am Ende haben wir das gewogen, weil die Bauern bekommen das Geld - also für ihren für einen Anbau - da kommen dann die Baumwollfirmen daher, und es wird schlichtweg einfach nur gewogen. Also das Einkommen wird nur über das Gewicht ermittelt. Also es ist wichtig, wie viele Samen da drin sind, weil die wiegen. Und wieviel Fasern da sind - die wiegen nicht viel. Also die Faserindustrie, die Textilindustrie, die schaut sich dann noch an, wie die Faser ist - wie lang die sind, verzweigt... Machen wir nicht. Aber für den Bauern ist es wichtig, dass diese Frucht so schwer ist wie geht. Und das haben wir eben verglichen mit Blüten, die von Bienen bestäubt wurden und mit Blüten, die eben das Szenario haben, also aus Selbstbestäubung resultieren. Ich geb das mal rum, das können Sie sich mal anschauen. Sie fühlen das auch. Wenn Sie das mal so ein bisschen durchfühlen. Das ist wie kleine Erbsen oder wie so kleine Böhnchen, die da drin sind. Das sind die Samen. Genau, Börge hilft mir, das ist nett von dir. Also ich weiß so weit, dass wir rausgefunden haben, zu welchen Prozentzahlen Baumwolle und Sesam selbst bestäubt sind. Da muss ich auf meinen Spickzettel schauen. Und zwar ist die Selbstungsrate tatsächlich sehr hoch bei Baumwolle, bei dieser Varietät, die ich genutzt habe, und zwar 61 Prozent. Das ist für den Bauern gut. Denn egal, was passiert, wie degradiert die Landschaft ist, der hat erstmal Früchte und kann die verkaufen. Also wenn man jetzt mal ökonomisch denkt. Bei Sesam waren es 20 Prozent, die sich ohne Bestäubung einfach Früchte bilden. Wenn wir aber Bienenbestäubung hatten, dann hatten wir einen Anstieg vom Gewicht oder von diesen Früchten um 62 Prozent bei Baumwolle und bei Sesam hat sich das Gewicht verdreifacht. Na also, ich habe es auch gleich monetär noch aufgeschlüsselt. Die Zahlen werden sie umhauen. Und wenn man das Szenario durchspielt, dass wir alle Bestäuber, alle Bienen verlieren würden, dann hätten die Bauern dort vor Ort mit den Gegebenheiten einen Ernteausfall von 37 Prozent Baumwolle und bei Sesam sind es 59 Prozent. Nun also das tut schon richtig weh.
Und dann gehen wir noch weiter, und zwar die reine, die reine Frucht und das Geld für die Ernte ist schön. Aber normalerweise benutzen die Bauern auch die Saat, die Samen für das nächste Jahr zur Aussaat. Also, die fummeln das raus - macht ganz viel Spaß, glauben Sie mir. Das haben wir natürlich auch gemacht. Jeden einzelnen Samen gewogen und so weiter, und das Saatgut wird dann eben im nächsten Jahr ausgebracht. Und deswegen haben wir uns mal die Keimung angeschaut. Wie keimen die, wenn die aus Selbstbestäubung resultieren? Und wie keimen die, wenn die Biene vorher da war? Und da auch wieder krasse Zahlen, muss ich sagen. Wenn die Biene bestäubt hat, dann haben die Samen in der F1 Generation, also in der Folgegeneration, um 72 Prozent gekeimt und bei Sesam waren es 62 Prozent. Ausschuss hat man immer, das ist normal. Wenn jetzt aber die die Blüte sich komplett nur selbstbestäuben musste und die Samen haben wir dann genommen zum Auskeimen, dann haben bei Baumwolle nur noch 47 Prozent ausgekeimt, also weniger als die Hälfte. Und bei Sesam sind 1,81 Prozent aller Samen noch gekeimt. Das heißt, Sie können sich vorstellen: 50 Kilo-Säcke an Sesam werden hat auf einen Acker ausgetrieben und zwei Prozent - noch nicht mal zwei Prozent! - davon keimt und wird wieder eine neue Pflanze. Na, da baut ja keiner mehr Sesam an. Na also, deswegen auch diese Kaskade von dieser Auskreuzung oder Bienenbestäubung ist halt so signifikant. Und ich habe, weil ich das - ich komme auch gleich noch mal zu den Zahlen, weil das... - oder ich mache es gleich, dann bleibt das stimmiger. Dann komme ich noch kurz auf die Bienchen. Ich habe ein paar Bienen mitgebracht. Da muss ich auch spicken, das habe ich natürlich nicht im Kopf. Das ist auch alles publiziert, also wer sich dafür interessiert, findet man auch alles im Netz. So ein Bauer hat, wenn der ganz normal seine Baumwolle angebaut, hat er ungefähr eine Tonne Ernte pro Hektar. 100 mal 100 Meter, dass ist so eine typische Feldgröße auch. Damit verdient er nach, nach dem was in Burkina damals bezahlt wurde, 2018, ungefähr 220 US-Dollar pro Hektar. Das bekommt er dafür. Da ist aber... da habe ich abgezogen, die Kosten das Saatgut zu kaufen, Düngemittel und Pestizide. Die haben normal angebaut wie immer. Ich habe den Bauern nicht gebeten, irgendetwas anders zu machen. Es sollte realistisch sein. Was ich nicht einkalkuliert habe, ist die Arbeitskraft. Also der Bauer, die Bäuerin, die Kinder - alle, die mit auf dem Acker helfen. Die Arbeitskraft habe ich nicht kalkuliert, dann würde die Bilanz noch ganz anders aussehen. Also da kriegt eigentlich so 220 US-Dollar pro Hektar, wenn wir alle Bienen.... die Baumwolle bestäuben, dort, dann hat der Bauer nur noch 600, ungefähr 600 Kilogramm pro Hektar und verdient nur noch 89 US-Dollar pro Hektar. Na also, von 220 auf 89. Das ist signifikant.
Und bei Sesam ist es noch schlimmer. Vor allen Dingen: Sesam ist Frauenarbeit. Die Felder gehören den Frauen. Es ist sehr, sehr aufwendig. Das sind meistens die schlechtesten Böden, ehrlich gesagt, die schlechtesten Standorte, aber das wird den Frauen zugeteilt: Hier hast du dein Feld, kannste was machen. Und für Sesam, weil es eben eine harte Arbeit ist, bekommen sie ungefähr 200 Kilogramm Ernte raus, verdienen damit 52 US-Dollar pro Hektar. Das Monatseinkommen, durchschnittliche Monatseinkommen in Burkina Faso ist bei 30 Euro im Monat, also deswegen 50 Euro verdienen ist besser als nichts. Wenn wir die Bienen verlieren würden, dann kann die Frau statt 200 Kilogramm pro Hektar nur noch 83 Kilogramm pro Hektar ernten. Und mit allen Kosten abgezogen, ohne ihren eigenen Arbeitsaufwand verdient sie pro Hektar ein Dollar achtzig. Und damit baut keiner mehr Sesam an.
Also deswegen nur, diese Zahlen untermauern das, wie unglaublich wichtig diese Ökosystemleistungen ist der Bienen, die eben sogenannt "gratis" auf die Felder ziehen und dort die Bestäubung leisten. Und das ist das, was wir vermitteln wollen: Erhalte die Savanne! Erhalte die natürlichen Systeme, wo die Biene lebt! Sesam und Baumwolle blühen vier bis sechs Wochen im Jahr. Aber was frisst denn die Biene für den Rest des Jahres, die braucht ja auch Nektar und Pollen durchgängig. Und die braucht Nisthabitate und so weiter. Deswegen ist halt unglaublich wichtig, überall auf dieser Welt, die natürlichen Habitate zu erhalten, damit wir eben von dieser Ökosystemleistung profitieren. In dem Beispiel ist es die Bestäubung. Genau.
Und jetzt wissen wir, dass die Biene wichtig ist. Aber wir wissen nicht, welche Biene wichtig ist. Biene ist nicht Biene. Ich habe gesagt 20.000 Arten, ne. Und das wusste in Burkina Faso auch keiner. Es wusste auch keiner, welche Bienenarten dort überhaupt existieren. Deswegen haben wir Bienen gefangen, zwei Jahre lang. Wir haben über 800 Fallen aufgestellt, sogenannte pan traps. Sie kennen ja sicherlich solche Plastikschalen, aus dem... die sind ja jetzt Gottseidank verboten, ab nächstem Jahr, nicht? Aber diese, die man so bei.. bekommt. Diese kleinen weißen Plastikschälchen. Die haben wir angesprüht mit UV-Farbe in Blau, Gelb und Weiß. Weil das sind die Farben, die für Bienen am attraktivsten sind. Das haben wir dann an so einen Holzpflock gepackt. Also einfach nur ein Holzpflock. Drei so ne Schalen dran. Das wird befüllt mit einer Salzlösung, mit einer gesättigten Salzlösung. Ist so was wie ein Konservierungsmittel, weil wir das drei Tage in der Savanne offen gelassen haben. Und ein ganz kleines bisschen Seife rein, damit die Oberflächenspannung zerstört wird. Das heißt, wenn die Biene kommt - das klingt jetzt martialisch - wenn die Biene kommt, dass die nicht erst noch schwimmt, stundenlang, sondern gluck gluck weg ist sie. Und Insekten - für alle, die das jetzt furchtbar finden - Insekten haben keinen Neocortex. Und da ist das Schmerzzentrum lokalisiert. Das heißt, was die Tierphysiologen uns beigebracht haben, ist, dass Insekten keinen Schmerz wahrnehmen können.Wir haben über 40.000 Bienen gefangen, für die Wissenschaft und haben erstmal rausgefunden, welche Bienen existieren. Was macht Landnutzung auch mit den Bienen? Das halte ich jetzt kurz. So können Sie noch Fragen stellen, wenn sie mögen, also je nachdem, wie degradiert die Landschaft ist, sehen wir da schon Unterschiede. Und welche Biene besucht die Blüten von Sesam und Baumwolle und vor allen Dingen: Wie effektiv ist eine Biene? Nicht jeder Blütenbesucher ist gleich effektiv. Manche stehlen Nektar oder manche räubern einfach den Pollen weg. Oder andere sind effektiv, aber wenn man eine größere Biene ist es vielleicht effektiver. Und das haben wir eben herausgefunden. Auch sehr, sehr aufwendig. Die Methodik spare ich mich jetzt mal hier. Und wir haben herausgefunden, dass eine Wildbiene, eine Langhornbiene - kann ich Ihnen auch umgeben, die heißt Tetralonia fraterna - ist eigentlich ganz hübsch das kleine Kerlchen, die ist hier drauf. Hab ich jetzt nicht mit, die ist in Brüssel im Naturkundemuseum, weil die so wertvoll ist. Genau, also diese Biene ist der effektivste Bestäuber neben Honigbienen, die wild vorkommen in Westafrika, von Baumwolle. Und bei Sesam war es eher die Honigbiene. Ich geb das einfach mal rum.
Und weil mir das so wichtig ist: Ich habe hier einen Kasten mit der Westlichen Honigbiene. Wenn man von Biene spricht, spricht man von dieser Art. Welche Unterart das ist, weiß ich nicht, ist auch nicht relevant hier in dem Moment. Also das ist ein Kasten von unseren genadelten Honigbienen. Wir haben für jede Biene, von den über 40.000, haben wir GPS-Koordinaten. Wir wissen, wo wir die gefangen haben und wann. Na, also Feld, in der Savanne, in welchem Monat, in welcher Falle. Riesendatensatz. Den haben wir ausgewertet und damit, dass es auch ... ich geb es einfach mal rum. Damit Sie auch mal sehen, dass es andere Bienen gibt, außer die normale Honigbiene, habe ich hier mal stachellose Bienen mitgebracht. Die sind so klein, die können Sie nicht mehr nadeln, die muss man kleben. Also mit Insekten- ... entomologischem Kleber. Wahrscheinlich ist es auch nur normaler Leim. Aber der wird teuer verkauft, weil man kann ihn wieder auflösen. Wenn man doch noch einmal nachbestimmen muss, könnte man das von diesem Blättchen wieder runterlösen und noch mal nachschauen. Also sind kleine stachellose Bienen, die machen auch Honig. Wird in - auch in Westafrika, vor allen Dingen aber in Südamerika - wird auch dieser Honig vermarktet. Also das ist eine wichtige Wertschöpfungskette, dass man diese Bienen hat. Die stehlen gerne Pollen, dafür sind sie berühmt, aber sie sind auch wichtige Bestäuber. Na also, die haben ein bisschen schlechten Ruf. Aber bei uns waren die sehr, sehr abundant. Das heißt, sie kamen sehr, sehr häufig vor. Aber haben dadurch eben auch eine gewisse Leistung erzielt. Genau, Sie machen das ganz prima, herzlichen Dank. Genau. Und da bin ich jetzt eigentlich zeitlich... Wo stehe ich denn, Börge? Gibst du mir mal ein Input? Oh, also dann, höre ich jetzt mal auf und freue mich auf auf Ihre Fragen. Danke!
Mehlhorn: Ja, das war ja schon ein schneller Abriss über eine sehr, lange wissenschaftliche - oder nicht sehr lange, aber eine längere wissenschaftliche Karriere. Ich hoffe, Sie konnten Folgen. Ähm, genau. Und ich würde es vielleicht noch mal ganz kurz zusammenfassen: Wir haben angefangen mit Forschung in den Regenwäldern in Südamerika. Da ging es darum, vorherzusehen, welche Blüten von welchen Bestäubern bestäubt werden und sind dann gegangen nach Afrika, um relativ anwendungsbezogene Forschung zu ähm, haben wir von dieser relativ anwendungsbezogenen Forschung erfahren, wo es um die alltäglichen Probleme der dortigen Bauern geht. Und es geht um Baumwolle, es geht um Sesam, es geht um Geld, das fasst es denke ich ganz gut zusammen. Die Biene spielt quasi eine große Rolle im finanziellen Leben der Menschen dort. Und jetzt bin ich gespannt auf Ihre Fragen. Seien Sie mutig, und wenn Sie Fragen haben, dann melden Sie sich kurz, weil wir zeichnen auf, und es wäre gut, wenn Sie dann das Mikrofon sprechen können.
Gast: Okay, mich würde interessieren was passiert genau mit der Landschaft, warum die Bienen eventuell weniger vorkommen. Oder leben die solitär, sind es irgendwie im Volk lebende Bienen? Was brauchen die Bienen in der Landschaft? Das finde ich spannend.
Stein: Und das ist eine richtig gute Frage. Da sind wir nämlich noch dabei, das herauszufinden. Also die meisten sind ja Wildbienen, die wir untersucht haben. Und die meisten Wildbienen sind solitär. Für alle, die das nicht wissen, das sind keine staatenbildenden Bienen. Und wir haben - also die, wie sagt man so - diese Faktoren, die das Bienensterben oder das Insektensterben eben ausmachen, sind natürlich Landschaftsnutzungswandel. Na also, wir haben intensivierte Landschaft. Wir haben Fragmentierung von Habitaten, haben Waldzerstörung. Was eben in Westafrika... Dieser Wandel wird halt ganz stark degradiert, weil eben die Nutzfläche benutzt wird für die Landwirtschaft. Die Bevölkerung wächst, man muss sich ernähren - Das ist bei uns übrigens auch nicht anders - Und weil eben die Böden nicht viel hergeben, aber der Bedarf höher ist, wird eben immer mehr natürliches Habitat degradiert oder sogar einfach nur abgeholzt, damit man dort ein Feld etabliert. Das meiste, was man an Holz braucht, ist auch für die Energiegewinnung, fürs tägliche Kochen. 80 Prozent des Energiebedarfs wird über Feuerholz gedeckt. Also der größte Effekt dort ist eigentlich die Degradierung der Waldhabitate und der Savanne. Dann kommt - in Westafrika noch nicht, aber was natürlich hier in den industrialisierten Ländern der große Fall ist - intensivierte Landwirtschaft mit riesengroßen Monokulturen. Starker Pestizid- und Insektizid-Einsatz, was die Bienen dezimiert. Und für Westafrika haben wir das noch nicht ganz verstanden. Also, was ich habe: Wir sehen schon, dass, je nachdem, wie stark diese Landschaft gestört ist - Also je einfacher die wird, sagen wir es mal so - je mehr Felder mann hat, je homogener die Landwirtschaft wird, sehen wir, dass einige Arten sind Gewinner, wie zum Beispiel diese ganz winzigen, stachellosen Bienen. Die leben auch gerne in Häusern, sind nicht wählerisch, was die Nahrung angeht. Aber wir sehen das einige spezialisierte Bienenarten schon fehlen. Also, da gibt es auf jeden Fall große Effekte und wir sind jetzt dabei - oder meine Kollegen vor Ort - seit einigen Jahren. Wir machen Netzwerkanalysen, das heißt, wir schauen, welche Pflanze oder welche Baumart, Bäume und Sträucher wird besucht von welcher Bienenart? Da sind wir gerade dabei. Das ist unglaublich viel Arbeit und stundenlang im Feld zu sitzen. Es sind die Tropen. Da gibt es natürlich auch viele Mücken, die einen ärgern. Und wenn man Bienen beobachtet, darf man kein Repellent benutzen. Also man kann sich nicht einfach eindieseln und riecht nach Autan - funktioniert nicht. Es heißt, es ist wirklich aufwendig, und da sind wir gerade dabei. Wir haben jetzt schon eine große Liste: Welche Pflanzenart wird von wie vielen Bienenarten besucht? Was bieten die an? Bieten die Pollen und Nektar an? Und wann blühen die? Damit man eben auch das Nahrungsangebot über den Jahresverlauf irgendwann mal abdeckt. Genau die Frage, die wir noch nicht beantworten können. Da sind wir tatsächlich noch dran.
Mehlhorn: Ja danke für die Frage und danke für die Antwort. Dann war hier vorne eine Frage.
Gast: Eigentlich habe ich zwei Fragen, die eine Frage ist: Wird diese Selbstbestäubung, kann man das als so eine Art Notbestäubung der Pflanzen sehen, wenn keine Bienen da sind? Also, dass die so zur Arterhaltung sich auf so eine Notbestäubung reduzieren? Und die andere Frage, die sich mir stellte, war: Gibt's schon wie bei uns - in Gewächshäusern und so was werden ja schon gezüchtete Insekten eingesetzt, um bestimmte Bestäubung oder auch gegen Schädlinge, Schädlingsfeinde sozusagen einzusetzen. Gibt es so was schon in Afrika?
Stein: Okay, dann sage ich erst mal vielen Dank. Ich beantworte erst einmal Frage eins, ob Selbstbestäubung für die Pflanze, ähm, ja eine Notlösung sein könnte. Und es ist tatsächlich so. Also Inzucht - Selbstbestäubung führt zu Inzucht, das wissen Sie ja alle, denke ich - ist natürlich evolutionär gesehen nicht der goldene Weg. Aber es ist eine Möglichkeit. Das nennt sich reproductive assurance - also eine Art Reproduktionssicherung. Also wenn gar nichts klappt, dann hat man immer noch wenigstens die Selbstbestäubung, um eben Saatgut zu machen. Das sehen wir auch in den alpinen Gebieten, wenn die Winter sehr hart sind oder wenn es einfach ... der Sommer ist misslungen, es regnet, es kam keiner vorbei quasi. Dann ist wenigstens die Selbstbestäubung noch diese Versicherung, dieses Hintertürchen, die sie haben. Also das ist eigentlich bekannt und wird aber tatsächlich auch nur als so eine Art, ja Hintertür angesehen. Zumindest im evolutionären Sinne konnte man das nicht anders einordnen.
Und zur zweiten Frage: Natürlich hier... Es gibt ja viele, viele Nützlinge - Bestäuber und eben auch Prädatoren, also zum Beispiel Marienkäfer und Wespen, die man in den Gärten, in so Glashäusern... Schlupfwespen, was man so einsetzt, um das irgendwie ökologisch diese Schädlingskontrolle zu betreiben. Für West-Afrika weiß ich es nicht, weil dort eigentlich nicht im großen Stil unter - in Glashäusern stattfindet. Das ist alles, was ich weiß. Es ist unter freiem Himmel. Auch andere Cash-Crops. Unten im Süden hat man dann ganz viel Kakao, an der Elfenbeinküste. Sie haben Cashew, aber da ist, das ist alles draußen. Und deswegen versuche ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen, mit Wissenschaftlern vor Ort, auch mit Entwicklungszusammenarbeit eben die Menschen zu sensibilisieren. So gut es geht eben diese Habitate zu erhalten, damit sie die Leistungen erhalten. Aber ich weiß hier in Deutschland hat man natürlich - also man kauft natürlich Bestäuber ein. Also Hummeln im großen Stil für Erdbeeren zu
Gast: Ja für Erdbeeren, dass die Erdbeeren ja auch Fremdbestäubung größer werden,
Stein: Genau, also selbstbestäubte sind so deformiert und klein. Und der Markt zahlt halt für ne pralle, perfekte Erdbeere. Und je mehr Bestäubung und auch - das ist lustig: Es ist nicht nur, dass irgendwie Bestäubung stattfand, sondern es geht sogar darum - das haben Kollegen aus Würzburg von mir rausgefunden: Es geht um die Kombination. Welche Biene an der Erdbeerblüte war. Also nicht nur einmal, sondern das waren drei, vier, fünf. Ich weiß nicht, wie viele Masterarbeiten das geworden sind. Aber auch die Kombination von Bienenarten haben dann am Ende die perfekte Erdbeere gemacht. Deswegen, dieser Input, dass tatsächlich die Bestäuber einzukaufen und in die Glashäuser reinzubringen, das rentiert sich wirtschaftlich trotz aller Mühe.
Mehlhorn: Ja danke für die Frage. Hier gibt es eine weitere Frage?
Gast: Es gibt ja diese schwedische Bestsellerautorin Maja Lunde, die auch über Bienen geschrieben hat. Mich interessiert - da geht es ja speziell um die Frage des Bienensterbens - Das ist ja eigentlich eine Publikation, die versucht, die Menschen darauf hinzuweisen. Mich interessiert jetzt mal, wie aus wissenschaftlicher Sicht, sagen wir mal, diese Publikation bewertet wird.
Stein: Ich kenne die leider nicht. Es wird aber sehr, sehr viel über Insektensterben publiziert. War das eine wissenschaftliche Publikation? Oder war das so ein...?
Gast: Sie ist eine Autorin mit gewissen biologischen Hintergrund. Aber sie ist keine Wissenschaftlerin mit dem Sinne. Sie ist eine Romanautorin eigentlich.Hat monatelang auf der Bestsellerliste ganz oben gestanden.
Stein: Ich bin tatsächlich nicht dazu gekommen, das zu lesen. Aber es ging wahrscheinlich um die Honigbiene, also um die westliche Honigbiene. Das ist immer ja, wie gesagt, es gibt wahnsinnig viele Wildbienen, die höchste bedroht sind, die unseren Schutz vielmehr bräuchten als die westliche Honigbiene. Die wird gemanagt. Die hat natürlich viele Probleme. Wir wissen alle: also Pilze, Bakterien, die Varroa-Milbe und so weiter; Neonicotinoide, die Pflanzenschutzmittel, die da neurologische Störungen machen. Das ist alles wahr. Aber die Honigbiene, würde ich nicht als bedrohte Art dieser Welt einordnen. Die ist gemanagt, die wird gepampert, die wird mit Medikamenten verfüttert, also um die würde ich mir keine Sorgen machen. Machen Sie sich Sorgen um die ganzen Wildbienen, die keine Lobby haben und die die wichtigeren Bestäuber sind und die am meisten bedroht sind. Das wäre eine Stellungnahme, ohne das tatsächlich zu kennen, was die Maja Lunde geschrieben hat.
Gast: Welche Chancen haben Sie denn, dass ihre Forschungen auch wahrgenommen werden? Dort vor Ort?
Stein: Sind Sie von der DFG zufällig? Nein, neider nicht. (lacht) Nee, also das Problem ist... also vor Ort wahrgenommen werden wir. Das war ein großes Anliegen. Ich habe erstens - oder wir in unserem großen Projekt - wir haben ausschließlich afrikanische Doktorandinnen und Doktoranden gefördert, damit wir eben - das nennt Capacity Building - damit wir eben das Wissen dort aufbauen, damit das dort weitergetragen wird. Und wir haben unsere Ergebnisse an unsere Bauern natürlich kommuniziert in den lokalen Sprachen. In Burkina allein sind es 60 lokale Sprachen. Ähm, damit wir wenigstens etwas zurückgeben. Und wir haben natürlich Berichte angefertigt und den Ministerien gegeben. Und wir sind auf Konferenzen tätig. Was jetzt der nächste schöne Schritt wäre, wenn wir Förderung hätten, die wir zurzeit nicht haben: Wir wollten Booklets machen, also kleine Informationsbroschüren. "Mein Freund der Bestäuber" - da gibt es ein tolles Buch in Kenia und so was wollten wir für Westafrika machen. Ganz einfach erklärt. Das ist: Comics. 80 Prozent der Leute sind alliterat und damit die, auch wenn sie nicht lesen können, das einfach verstehen können. Da habe ich Kollegen, die haben auf Madagaskar Comics entwickelt, mit den Leuten zusammen. Wenn da der Baum falsch gezeichnet war oder die falsche Farbe hatte, haben die das absolut nicht akzeptiert. Es musste wirklich so sein, wie es eben dort ist. Und dann, mit diesen Comics kann man halt viel Wissen verbreiten auf einfache, spielerische Art und Weise. Also uns fehlt tatsächlich die Finanzierung, um diesen Wissenstransfer vor Ort zu machen. Aber wir waren in den Schulen auch und haben kleine Workshops gemacht. Wie nachhaltig das jetzt ist bei solchen kurzfristigen Sachen, wage ich zu bezweifeln. Aber das ist uns bewusst. Und da sehe ich auch großen Handlungsbedarf tatsächlich.
Gast: Das ist alles sehr interessant und spannend. Vielen Dank. Sie sagten gerade, um die Wildbienen sollten wir uns Sorgen machen. Haben Sie jetzt für uns praktisch Handlungsempfehlungen zu geben, was wir tun können?
Stein: Ja, tatsächlich. Also, das habe nicht nur ich, sondern da gibt es ganz, ganz tolle Broschüren. Also nicht nur die botanischen Gärten publizieren das, auch der Nabu zum Beispiel. Was Sie als erstes machen können, wenn sie ein bisschen Grün haben. Nehmen Sie einfach mal ... bauen Sie bienenfreundliche Pflanzen an. Lokales Saatgut, keine gefüllten Blüten, damit eben noch Pollen drin ist und nicht nur einfach es schön aussieht, wo die Biene aber nix mehr findet. Lassen Sie einfach mal eine Ecke ein bisschen wüst in Ihrem Garten. Also wenn der Nachbar motzt, dass Sie zu faul wären, sagen Sie einfach: "Ich mache hier Insektenschutz aktiv". Weniger mähen, also Mahd reduzieren und einfach eine Totholz-Ecke mal lassen, das sind Nisthabitate. Oder lassen Sie auch mal eine Brennessel stehen, damit man eben auch Nahrungsspezialisten, auch Schmetterlinge zum Beispiel, unterstützt - jetzt nicht nur an Biene gedacht. Und wenn man kann, einfach mal nicht so viel Boden versiegeln, zum Beispiel. Na also, dass sie sich ... weil der Großteil der Wildbienen sind Bodennister: 75 Prozent nisten im Boden. Und da einfach - da hat der Botanische Garten auch toll mit Sand und Lehmmischung und auch viele Erfahrungen gemacht, was zusammen rieselt wieder und was klappt. Aber einfach mal so ein bisschen wegschauen und Mal machen lassen. Das sind einfache Sachen, die kosten wenig. Und auch der Botanische Garten hat Saatgutpäckchen hier. Ich werde dafür nicht bezahlt, hier Werbung zu machen. Aber es ist einfach nur: Da wissen Sie, was sie haben, und es ist so einfach und da können Sie ganz, ganz viel leisten schon für die Wildbienen mit wenig Aufwand und vor allen Dingen wenig monetären Input.
Ditsch: Vielleicht kann ich da vonseiten des Botanischen Gartens noch etwas anfügen. Ein ganz wichtiger Punkt wäre auch, beim Mähen darauf zu achten, nicht die ganze Wiese auf einmal, weil damit natürlich dann auch komplett in dem Moment sämtliche Futterpflanzen auf eins weg sind. Also die Insektenkundler empfehlen schon Streifenmahd, dass man sozusagen seine Wiese in zwei oder drei längst gerichtete Streifen aufteilt und die sozusagen immer mit so 4wöchigem Abstand etwa mäht, sodass die Tiere praktisch dann von der gemähten Fläche immer noch auf eine noch intakte überspringen oder übergehen können. Und ein zweiter Hinweis dazu: Wir haben zum Thema Wildbienen hier im Botanischen Garten einen Info-Pfad im Moment in Vorbereitung. Also kommen Sie einfach noch einmal in vier Wochen wieder. Da werden die Tafeln dann stecken. Und da sind zu verschiedensten Aspekten der heimischen Wildbienen interessante Informationen zusammengetragen.
Mehlhorn: Danke. Wir haben noch eine Frage, sehr gut.
Gast: Jetzt noch weiter zu den Wildbienen hier, zu den heimischen, wenn wir jetzt diese kleinen Habitat errichten würden im Garten, also irgendwelche Ecken, wo die Nahrung finden, inwieweit ist es ein Problem, dass die Habitate eventuell zu weit auseinander sind? Also inwieweit können die Bienen fliegen, um zur nächsten ein Futterpflanzen zu kommen? Muss da irgendwie minimal oder maximal zehn Meter dazwischen sein? Oder was für Distanzen sind das?
Stein: Auch eine sehr, sehr gute und sehr, sehr schwierige Frage zu beantworten. Quintessenz ist, je kleiner man ist, desto weniger weit fliegt man. Das klingt doof, aber es ist eine wichtige Erkenntnis. Und bei diesen, was jetzt unsere heimischen Wildbienen für Distanzen schaffen, das kann ich nicht sagen. Ich weiß es für die westliche Honigbiene und da ist bekannt, dass die gerne ungefähr in einem Ein-Kilometer-Radius bleiben von ihrem Stock. Aber wenn Sie eben eine größere Fläche haben, wo eben kein Rapsfeld zum Beispiel daneben steht, na, dann ist es ungefähr fünf Kilometer, maximal acht. Nun also das ist die Distanz, die die fliegen. Da sehe ich eigentlich weniger das Problem also von der Habitatfragmentierung. Also ich glaube, die Kerlchen, die Distanzen kriegen die locker hin, dass die von einem kleinen Garten zum nächsten - oder Barbara hast du da mehr...
Ditsch: Das kommt wirklich auf die Größe der Biene an. Die ganz Kleinen für die sind zwei 300 Meter schon ein Problem.
Stein: Und wenn dann Wind dazukommt, dann...
Ditsch: Ja, deswegen eben auch diese Geschichte mit dem abgestuften Mähen, damit einfach die nächste Futterpflanze nicht zu weit weg ist.
Stein: Aber das ist total artspezifisch. Also ich bin mir auch nicht sicher, ob man das tatsächlich in Deutschland kennt - für die ganzen Wildbienenarten. Weiß ich tatsächlich nicht.
Ditsch: Wahrscheinlich nicht. Für einzelne wird es untersucht sein.
Börge: Danke für die Fragen. Haben Sie noch Fragen? Es wäre jetzt noch die Chance. Gerade haben wir die Wissenschaftlerin noch da. Vielleicht auch Fragen mehr noch zum tatsächlichen Forschungsgegenstand in Afrika? Noch eine Frage?
Gast: Ja, zur Methodik, wieviel Blüten wurden da zum Beispiel mit den Beuteln versehen, wieviel Stück waren das so?
Stein: Also wir haben verschieden... ist schwierig zu beantworten. Also für die Bestäubung-Experimente... Wir haben sechs verschiedener Bestäubungs-Treatments gemacht, also nicht nur Selbstung und Auskreuzung, ganz verschieden. Und da war Minimum immer 100 für ein Dorf. Und ich habe das halt wiederholt an drei verschiedenen Standorten, auch um diesen Land-, also die Nutzungsintensität reinzubekommen. Das heißt für, sagen wir mal pro Dorf also 600 Blüten. Und für die für die Effektivität zum Beispiel - also, dass wir wissen, welche Biene ist wie effektiv - haben wir 300 Blüten eingetütet. Das klingt wenig, aber das ist furchtbar aufwendig. Kann ich ganz kurz erklären. Also man geht den Tag zuvor übers Baumwollfeld zum Beispiel sucht eine Knospe, die am nächsten Tag geöffnet sein wird. Man weiß, dass dann irgendwann sehr, sehr gut. Das wird dann eben in diesen Betäubungsbeutel eingepackt. Markiert. Weil das ist gar nicht so einfach, so eine markierte Blüte auf so einem grünen Baumwollfeld wiederzufinden am nächsten Tag. Und am nächsten Morgen, wie gesagt, um sechs Uhr 30 ungefähr, geht man eben dorthin, sucht sich eine Knospe, wo man dann recht hatte. Die meisten sind dann leicht geöffnet, nimmt den Beutel ab, geht dort ein Stückchen weg und stellt sich so lange hin, bis die erste Biene kommt. Und das kann Stunden dauern. Und auch da, wie gesagt, kein Mückenschutz oder so, man darf kein Perfum benutzen. Na also, Geruch ist für Bienen extrem wichtig. Also, man sollte so gut wie nicht da sein. Ich hatte auch Studenten dabei, die haben tolle Outdoor-Klamotten angehabt in knalle Rot - ist Quark. Na also, dann locken die... Das sind so Effekte - man muss quasi nicht da sein, so gut es geht. Also irgendwie Grün und nach nichts riechen am besten. Und dann wartet man, dass die erste Biene kommt. Dann haben wir immer die Blüte schnell zusammen gemacht, die Blütenblätter. Haben dann die Biene eingefangen. Dann haben wir die betäubt, und dann kamen die in Ethanol. Und dann wurde die Blüte wieder in diesen Beutel gepackt, damit keine zweite Biene rankommt. Das war jetzt nicht diese Forschung mit der Erdbeere. Das wäre auch wieder was Tolles. Einfach mal machen: Was ist denn, wenn zwei, drei kommen und vielleicht noch verschiedene Arten. Konnten wir alles nicht leisten. Aber Blüte wieder eingetütet, wieder markiert. Und dann ist es ganz oft auch passiert, dass bei diesem letzten Aspekt die Blüte abgebrochen ist. Bum, weg war se - dann alles verloren. Geht man zur nächsten Blüte. Und wir haben Tage gehabt - ich hab da mit meinen Feldassistenten im Feld gesessen - da haben wir in vier, fünf Stunden haben wir 20 Bienen gefangen. Und deswegen - 300 klingt wenig, aber da ist unglaublich viel Aufwand dahinter. Und dann wartet man, bis die Trockenzeit kommt. Im Oktober ist die Baumwolle reif, dann platzen die eben auf diese Kapseln und - was hier rumging - also kommen eben schön diese Fasern raus. Da sein müssen. Und da muss man wieder eher seien als Ziegen, Elefanten, Affen, Esel, Kinder, auch die Bauern, Feuer. Also man hat so viel Verlust, weil alles, was ich am Ende brauche, ist diese Frucht. Wenn die mir verloren geht, hab ich die ganze Vegetationsperiode für umsonst gearbeitet. So viel zu unserer Sample size, zum Stichprobenumfang. Klingt wenig, aber da steckt viel dahinter.
Mehlhorn: Ja, danke für die Frage und für die unglaublich aufwendige Forschung. Hier ist noch eine Frage.
Gast: Ich hab nochmal eine Zusatzfrage eigentlich. Mich interessiert, weil sie gerade noch einmal die Bauern erwähnt hatten, wie haben denn die Bauern, sagen wir mal, Ihre Forschungsarbeiten begleitet. Also es gibt ja ein relativ breites Vorurteil gegen Wissenschaft. Wir erleben das ja gerade bei uns mit der Pandemie in einem ganz anderen Feld. Wo ja doch, also auch mit Argusaugen „Das ist alles falsch“. Und ich könnte mir vorstellen, dass auch bei Bauern – also ich will da niemandem zu nahe treten - aber ich könnte mir vorstellen, dass da auch eine gewisse Reserviertheit besteht. Sind Sie ernst genommen worden? Haben Sie den Eindruck, dass das doch mit wirklichem Interesse verfolgt wurde? Gab es auch eventuell etwas hämische Bemerkungen? Oder ging es doch relativ gut zu? Also, dass sie ordentlich arbeiten konnten und nicht behindert worden sind, auch durch solche Bemerkungen vielleicht.
Stein: Gut, dann muss ich, glaub ich, mal ganz kurz das Prozedere beschreiben, wie es ist, wenn man in Westafrika arbeitet. Man kann nicht einfach wie in Deutschland irgendwo hingehen und sagen: „Schönen guten Tag, hier bin ich. Ich mache jetzt meine Forschung.“ Diese Felder gehören entweder dem Dorf oder dem Dorfvorsteher - also da gibt es verschiedene Besitzregelungen - und das Allererste, was man macht, ist mit einem Übersetzer natürlich - also ich habe irgendwie versucht, Französisch zu reden und der Übersetzer hat das dann in die lokale Sprache übersetzt. Das erste, was man macht, ist, man verabredet sich und dann sitzt man dort mit den Dorfältesten und mit den Männern - alles Männer - je nachdem, wo also ja... unter einem Mangobaum und auf solchen kleinen Holzschemeln - so kleine Holzschemel, wo so ein halber Hintern draufpasst ehrlich gesagt. Und dann sitzt man dort stundenlang und erzählt erst mal, wer man ist und was man macht. Wenn dann der Übersetzer eben das dann irgendwie übersetzt, sitzt man halt grinsend daneben und hofft nur, dass er das irgendwie erklärt und kann halt nicht viel.... Irgendwie: Man kann nur hoffen. Man wird halt auch beäugt, na also, man ist dann halt wirklich... Viele Kinder die ersten, vielen Wochen sind schreiend weggerannt, wenn sie mich gesehen haben. Na also, wenn die Langnase kommt und dann auch noch weiß. Und haben sich dann aber daran gewöhnt. Also es ist ein langer Prozess, um Vertrauen zu gewinnen. Und dann haben wir aber auch ganz, ganz eng zusammengearbeitet. Und ohne diese Bauern vor Ort hätten wir unsere Forschung nicht durchführen können. Es war ganz, ganz toll. Die haben uns unterstützt. Die kamen immer auch, und manche haben auch direkte Bedarfe signalisiert. Ich habe ja nun zur Bestäubung gearbeitet. Anderen Bauern war ganz wichtig: Es gibt ja viele Schädlinge, die ihn da die Ernte zerstört haben. Dann kamen sie an: Mach mal hier was dagegen bitte. Find mal raus! Und ich sage, puh, tschuldigung, ich gucke mir jetzt erst mal nur die Biene an. Aber also das war eine exzellente Zusammenarbeit. Und ich werde tatsächlich immer noch angerufen, alle paar Monate mit der Frage, wann ich zurückkomme. Also, und die sind auch wenn sie vielleicht nicht lesen können, die sind so intelligent, die wissen genau, was Sache ist, und die haben mich auch angerufen. Ich habe dann, damit die nicht im Busch-Taxi einen Tag unterwegs sind, um mit mir zu reden -- Ist auch passiert: Auf einmal kam der Bauer zu meiner Feldstation. Er war ein Tag unterwegs, um mit mir zu sprechen! -- habe ich Handys besorgt - also solche kleinen Credits halt und dass die mich anrufen, wenn was ist. Ne und die haben mich bevor sie spritzen, haben sie mich immer angerufen, weil sie wussten, dann wenn die gespritzt haben – Pestizide -, dann haben wir die nächste Woche oder bis zum nächsten Regen keine Biene mehr gefangen. Damit wir auch nicht unnütz durch die Gegend.... Also wir haben ganz wunderbar zusammengearbeitet, und ich wüsste jetzt sofort, wo ich wieder hingehen kann und wo wir weitermachen könnten. Also das war super.
Mehlhorn: Vielen Dank für die Frage. Sehr interessante Geschichten, die du erzählen kannst aus Afrika. Noch weitere Fragen? Ja, dann, würde ich sagen: Vielen Dank, dass du hier warst! Wir haben angefangen mit Albert Einstein. Deswegen noch eine kurze Endbemerkung von mir einfach nur, um auszudrücken, wie mich das begeistert, dass man in der Botanik so unglaublich komplexe Systeme untersucht. In der Physik sucht man sich ja immer nur das Allereinfachste, und das allersimpelste Zeug raus, wo man es am besten sogar noch mathematisch beschreiben kann. Und mit der Botanik hat man Systeme, die man nie irgendwie vorhersehen kann. Aber trotzdem es ist dir gelungen, da belastbare Ergebnisse rauszuholen. Und das ist eine sehr, sehr große Leistung, die mit großem Aufwand zusammenhängt. Und deswegen wollte ich einfach nur noch mal Danke sagen. Und danke, dass du hier bei uns warst.
Stein: Dankeschön, vielen Dank für Ihr Interesse.
Diese Veranstaltung wurde gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und dem Freistaat Sachsen im Rahmen der Exzellenzstrategie von Bund und Ländern.
Das Quantenpendel - Prof. Michael Kobel
Moderatorin, Lilith Diringer: Jetzt natürlich zu unserem Gast. Sie wurden gerade auch schon angekündigt: Professor Michael Kobel. Selbst habe ich erstmal ein Zitat gefunden von ihrerseits, und zwar: "Unsere Forschung ist ein Kulturgut, getrieben von der menschlichen Neugier, die wir alle innehaben. Und Kultur ist etwas, was nur lebt, wenn sie miteinander geteilt wird." Genau dafür sind wir heute da: Wir teilen Forschung, und dazu passt natürlich auch, dass sie Prorektor für Bildung der TU Dresden sind, also immer auch das Wissen, dass man forscht, auch weiterzugeben und didaktisch aufzubereiten. Wir sind super gespannt. Wir sehen hier auch schon vielversprechend ein Modell, auf das wir auch gleich noch mal zu sprechen kommen werden. Sie selbst sind Teilchenphysiker und forschen über die fundamentale Ebene der Elementarteilchen und nicht mehr teilbare Grundbausteine des Universums. Also super spannend schon mal, als ich mich da so ein bisschen eingelesen hab. Und deshalb möchte ich auch gar nicht mehr lange Sie vorstellen, sondern das könnten Sie gerne jetzt einmal selbst tun und einen kurzen Input geben. Was hat es denn mit Ihrer Forschung auf sich? Was tun Sie den lieben langen Tag?
Prof. Kobel: Herzlichen Dank auch an Christoph, für die Einführung. Ich bin sehr froh, hier sein zu dürfen, bisschen was über meine Forschung erzählen zu können. Ich selber bin seit 15 Jahren in Dresden, habe aber auch vorher schon Elementarteilchenforschung gemacht an verschiedenen Orten Europas. Das passiert mit großen Beschleunigern, wo wir die Teilchen, bekanntere wie Elektronen oder Protonen, auf sehr hohe Energien bringen. Das tun wir, um ganz nahe an die Entstehung des Universums ran zu kommen. Ganz am Anfang des Universums, vor 13,8 Milliarden Jahren, wie man jetzt weiß, ist Raum, das Universum, alle Elementarteilchen, alle Materie in einem großen - ja, ob es einen Knall war, ob es irgendjemand hören konnte, das weiß man nicht - Aber das, was man Big Bang nennt, hat vor 13,8 Milliarden Jahren stattgefunden. Dass ist ungefähr dreimal so alt wie unsere Sonne alt ist. Und wir versuchen, möglichst nah ran zu kommen, im Nachstellen von Dingen, die passiert sind, von Prozessen, die passiert sind. Und wir kommen jetzt schon sehr nahe ran, nämlich eine Billionstelsekunde nach dem Big Bang. Eine Billionstelsekunde ist, kann man sich nicht mehr vorstellen. Das Licht schafft es gerade drei Haaresbreiten weit in so einer Billionstelsekunde, also sehr, sehr nah. Und die Prozesse stellen wir gerade an dem sogenannten Large Hadron Collider nach in Genf. Und da haben zum Beispiel die Elementarteilchen, Elektronen, die wir kennen, erst ihre Masse bekommen durch einen Mechanismus, den man Higgs-Mechanismus nennt, aber über den heute ich nicht reden will. Ich will heute hauptsächlich über Neutrinos reden, weil die sehr viel zu tun haben mit dem, was dann passiert ist. Es ist dann, das Universum hat sich ausgedehnt, hat sich abgekühlt in den Bruchteilen von Sekunden danach. Es gab noch keine Kernbausteine, wie wir sie heute kennen. Es gab so eine Suppe aus Teilchen, die wir Quarks und Gluonen nennen, das sogenannte Quark-Gluon-Plasma, was man als weiteren Aggregatzustand - nach fest, flüssig, gasförmig kann die Materie auch diesen Aggregatzustand einnehmen. Und aus diesem Quark-Gluon-Plasma sind dann die Kerne entstanden. Die Kern-Bausteine erst mal, wie wir sie heute kennen, Protonen und Neutronen. Das passierte ungefähr nach einer Mikrosekunde. Darunter kann man sich schon ein bisschen was vorstellen, aber auch noch sehr kurz. Und dann hat es noch länger gebraucht, bis die sich zu den einfachen Kernen zusammenschließen konnten. Helium zum Beispiel war einer der ersten Kerne, die gebildet wurden, nach einigen Sekunden oder auch Minuten. Was aber auch währenddessen passiert ist - und da kommen das erste Mal vielleicht die Neutrinos ins Spiel - Wir wissen es noch nicht - Ist das eine Milliarde Mal mehr Materie da war, als wir heute im Universum haben. Es war nämlich nicht nur Materie vorhanden. Es war Antimaterie auch vorhanden. Und eigentlich sagen alle Gesetze der Physik: Es muss immer gleich viel Materie und Antimaterie entstehen. Antimaterie ist eigentlich dasselbe wie unsere bekannte Materie. Nur alle Ladungen sind umgedreht, sind entsprechend positiv oder negativ andersrum. Und wir könnten auch prinzipiell alle aus Antimaterie hergestellt sein. Dann würden wir im Anti-botanischen Garten sitzen und von nem Anti-Direktor begrüßt werden. Und das würde aber genauso aussehen, wie es jetzt aussieht. Wir würden es nicht merken, und es hätte sich eigentlich alles wieder vernichten müssen. Hat es aber nicht, weil ein Milliardstel Überschuss von Materie gegenüber Antimaterie ganz am Anfang entstanden ist. Und da könnten die Neutrinos mitgespielt haben, das wissen wir noch nicht. Und dann hat sich in den ersten Sekunden alles wieder in einer riesigen Vernichtungsschlacht vernichtet, und ein Milliardstel ist übriggeblieben. Und das ist das, was wir hier sehen. Sterne, Galaxien, Planeten, fast 3 Milliarden Jahre alte Gesteinsformationen, die hier auf diesem Planeten entstanden sind. Insofern passt dieser Ort wunderbar: 2,8, Milliarden Jahre alt. Und dann war es erst mal recht langweilig. Dann war unser Universum sehr undurchsichtig. Die Elektronen flogen noch rum, ungefähr ein Viertel war Helium. Dreiviertel war Wasserstoffkerne, und es musste erst für das Universum sehr kalt werden, nämlich 3000 Grad kalt. Ich habe vergessen zu sagen, wie heiß es war, als diese Billionstelsekunde: Da war es eine Billiarde Grad heiß. Das ist ungefähr so viele Male heißer als das Zentrum der Sonne, wie das Zentrum der Sonne von 0,1 Grad Kelvin am absoluten Nullpunkt weg ist. Also von da aus gesehen war die Sonne eiskalt, wenn es sie schon gegeben hätte. Und von diesen Billiarden Grad hat es sich dann nach 400.000 Jahren auf 3000 Grad abgekühlt. Das ist so die Temperatur von rot glühenden Eisen. Und dann konnten sich endlich Atome bilden, Atomhüllen - die Atomkerne haben die Elektronen eingefangen, und das Universum wurde auf einmal durchsichtig. Das war es vorher nicht. Und war sogar im sichtbaren Licht rot. Ist dann langsam abgekühlt, so ins Grün und Blau, und dann wurde es dunkel. Dann war es Infrarot, das hätten wir nicht mehr sehen können, wenn wir damals dagewesen wären. Und dann ist auch etwas ganz Seltsames passiert. Was, wo auch man gedacht hatte, dass die Neutrinos damit zu tun haben, dass sich diese Wasserstoff- und Heliumkerne so ein bisschen geklumpt haben, an bestimmten Orten angesammelt haben, dass sie Gaswolken gebildet haben. Und da wurden sie rein geholt durch dunkle Materie, von der wir nicht wissen, was es ist. Da dachte man erst, das seien die Neutrinos. Aber wir können diskutieren, warum sie es nicht sind oder nur ein kleiner Teil. Und dann sind die ersten Sterne entstanden. Dann sind Gasbälle entstanden, so wie unsere Sonne aus Wasserstoff und Helium. Und die waren im Zentrum so dicht, dass dann Kernfusion anfing. Und bei der Kernfusion, da sind jetzt wirklich die Neutrinos auch dabei, weil da wird Wasserstoff zu Helium gebrannt. Und da müssen sich Protonen in Neutronen umwandeln. Und das heißt, irgendwo müssen die positiven Ladungen weg in Form von Antielektronen und eben Neutrinos, die entstehen. Die Neutrinos sind die elektrisch neutralen Partner oder Geschwister der Elektronen. Ja, und das ist das, was wir heute hier haben. Die Sonne, scheint. Es ist jetzt die dritte Generation von Sternen. Also die Sonne ist nicht 13 Milliarden Jahre alt, die Sterne sind ungefähr hundert bis 200 Millionen Jahre nach dem Urknall entstanden. Die Sonne ist schon die dritte Generation. Auch alle Atome, aus denen wir - die schweren Elemente - aufgebaut sind, sind inzwischen schon in zwei Sterngenerationen gebacken worden und dann wieder ins Weltall geschleudert worden und dann hier irgendwann auf der Erde angekommen. Und jetzt sitzen wir hier und fragen uns, warum das alles so funktioniert #00:12:07-3#
Diringer: Super spannend, auf jeden Fall. Vielen Dank für die ist wirklich sehr, ja sehr prägnante Wrap-Up sozusagen. Eine Geschichte der Jahrmillionen. Vielleicht auch gerade da einhaken: Sie meinten jetzt schon häufiger das Ganze ist recht unvorstellbar. Und auch diese ganzen Sekündelchen. Und diese großen Mengen Grade, Minusgrade. Wie schaffen Sie es, sich da immer wieder was vorzustellen oder sich das zu versinnbildlichen innerhalb ihrer Forschung?
Prof. Kobel: Ich versuche, mir Vergleiche zu holen, dass man sich Entfernungen vergleicht, dass man sich, dass man sich - Alter ist schon sehr schwer zu fassen, weil wir können gar nicht in Millionen Milliarden von Jahren denken. Wir werden nur100 Jahre alt. Die Geschichtsschreibung hat vielleicht mit der Menschheit vor einigen 10.000 Jahren angefangen, aber alles andere ist schwierig. Aber diese Faktoren kann man sich immer mit - ich zumindest - mit Verhältnissen von Entfernungen vorstellen. Auch wenn ich mir die Größen von Atomen und Atomhülle vorstellen will, dann suche ich mir als Atomkern eine Erbse zum Beispiel und frag mich "Wie groß ist denn dann das ganze Atom? Und dann kommt so ungefähr ein Fußballfeld raus. Und dann kann ich mir vorstellen, wie winzig dieser Atomkern ist im Vergleich zum Ganzen Atom? Und entsprechend mache ich das mit den Temperaturen, dass ich mir Verhältnisse angucke, dass man, sich fragt wie viel heißer ist es denn als in der Sonne? Und die Sonne ist ja schon unvorstellbar heiß, und wenn es dann noch mal hundert Millionen Mal heißer ist als in der Sonne, dann ist es richtig heiß.
Diringer: Da sind wir ja mit, ich glaube, so angenehmen 26 Grad noch ganz gut im kühlen, aber auch sehr spannend. Also, ich glaube, alle werden jetzt am Essenstisch und im Fußballstadion an Quantenphysik denken. Auf jeden Fall sehr schöne, anschauliche Bilder. Und bevor wir zum anschaulichen Modell hier kommen, vielleicht noch eine kurze Überleitungsfrage, was Sie denn antreibt in ihrer Forschung? Das ist ja jetzt nicht so, dass wir jetzt im Alltag direkt Dinge daraus verwenden können oder dass Sie irgendetwas ja praktisch forschen, was wir dann direkt umsetzen, wie jetzt, wie auch immer der Corona-Impfstoff, deren sofort irgendwie da ist. Was treibt Sie denn da an? Und welche Anwendungsfelder gibt es denn konkret?
Kobel: Also mich selber treibt wirklich die Grundlagenforschung, die grundsätzlichen Fragen, an. Was finden die Gesetzmäßigkeiten, nach denen das funktioniert und auch das, was Einstein mal gefragt hat: Hätten, die auch anders aussehen können? Hätten die Naturgesetze anders sein können, ein anderes Universum rauskommen können? Oder ist das die einzige Art wie ein Universum entstehen kann. Davon sind wir noch weit entfernt. Dazu brauchen wir das, was man immer als diese mystische "Weltformel" an die Wand schreibt. Wir haben eine kleinere Weltformel, aber die beschreibt noch nicht bei weitem alles. Das treibt mich an, zu wissen, wie das entstanden ist und einfach, was Sie auch vorhin zitiert haben, diese Neugier, die man dann auch gerne mit anderen Menschen teilen will. Und es ist dann wie in anderen Forschungen auch: Es kommt irgendwann auch was Anwendbares raus, auch wenn man nicht... Es funktioniert, meistens auch viel besser. Also ich vergleiche es auch gern mit einem Feld das man düngen muss, bevor was wächst. Und Grundlagenforschung ist der Dünger für das Feld der Anwendung. Wenn wir den nicht haben, kann da nichts wachsen. Und wir wissen noch nicht, was wächst. Aber irgendwann wächst etwas. Und das war zum Beispiel mit der Antimaterie, die ja in den 90er-Jahren erst einmal völlig theoretisch postuliert wurde von Dirac. Keiner hat ihm geglaubt, aus purem mathematischen Gründen. Da hat er gesagt, da gibt es eine zweite mathematische Lösung, die muss doch auch in der Welt vorhanden sein. Und alle hatten gesagt: Das ist doch in Mathematik, das hat doch nichts mit der Wirklichkeit zu tun. Und dann hat wirklich acht Jahre später Anderson das erste Antimaterie-Teilchen gefunden. Und dann hat es 50 Jahre gebraucht, bis die in der Anwendung war. Ist heute Alltag in der in der Medizin, heißt Positron-Emissions-Tomographie. Da verwendet man Dinge, die also... man nimmt in den Körper Positronen, also Antielektron-Strahle auf, die dann, wenn man sie so da anhängt, dass der Körper sie sehr gut verarbeiten kann, dahin transportiert werden, wo besonders viel Aktivität im Körper ist. Und dann kann man mit Teilchendetektoren sehen, wo sind die Stoffe hingewandert? Wo ist live gerade viel Aktivität. Organe untersuchen, insbesondere die Gehirnaktivität untersuchen. Man kann zugucken, wie das Gehirn gerade denkt, welche Gehirnregion aktiv ist, um auch Krankheiten im Gehirn zu heilen oder um eben zu gucken, wie überhaupt das Gehirn funktioniert. Da hat Dirac sicherlich nicht dran gedacht, als er vor fast hundert Jahren die Antimaterie postuliert hat.
Diringer: Also auf jeden Fall eine wichtige Relevanz, dann auch von der Grundlagenforschung. Ich würde erstmal noch sagen, wir gehen zu dem Modell über, und dann können wir die die Fragen mal sammeln, die sich bisher auch schon sicher aufgetan haben. Wir müssen ein bisschen aufpassen, dass wir es schön anschaulich auch in unsere Mikrofone sprechen, für jetzt diejenigen, die nur die Audiospur dann bekommen. Aber ich glaube, das bekommen wir hin. Und ich bin schon ganz gespannt was ist hier mit diesen Pendeln, die ich jetzt einfach mal so benennen würde, auf sich hat?
Kobel: Ich muss dann ein bisschen beschreiben, was man sieht. Also ich habe hier ein Pendel, nicht nur eins, sondern drei Pendel aufgebaut und auf den Pendeln, das kann man von hinten vielleicht nicht sehen, steht ein ein griechischer Buchstabe "My", mit einem kleinen anderen Buchstaben, unten im Satzkript. hier steht ein "E". Was heißt, dass dieses Neutrino, der Partner oder die Partnerin, das Partner, was auch immer es für ein Geschlecht hat, des Elektrons ist. Und es gibt dann auch, das ist was, was wir noch nicht verstanden haben, gibt alle Elementarteilchen, aus denen die Materie aufgebaut, ist in dreifacher Ausfertigung, in drei sogenannten Generationen, die sich im Wesentlichen nur durch die Masse unterscheiden. Es gibt also ein schweres Elektron, das heißt "Myon". Da hat vielleicht der eine oder die andere von ihnen schon davon gehört. Die entstehen ständig, - jetzt auch - in der Erdatmosphäre und fliegen auch ständig durch uns hindurch und sind ein Teil der natürlichen Strahlenbelastung, denen die Menschen ausgesetzt sind, diese Myonen. Und dann gibt es noch schwerere, die aber so kurz leben, dass sie sofort wieder verschwinden, die "Tauonen". Und zu jedem dieser Elektron-Geschwister gibt es ein Partner-Neutrino. Und das lustige und das Merkwürdige an Elementarteilchen ist - Und das hat in dem Fall, was mit Masse und mit diesem berühmten Higgs-Mechanismus zu tun ist, dass die sich ineinander umwandeln können. Also das ist was, was eigentlich eine Revolution ist im Denken. Was die Alchemisten im Mittelalter geträumt haben, dass man aus Eisen Gold machen kann, also, dass sich Stoffe ineinander umwandeln lassen. Und das hatte ich ja schon bei der Kernfusion in Sternen erzählt, dass da Neutronen, wenn man Helium machen will, aus Protonen entstehen. Und jetzt können eben auch Neutrinos sich ineinander umwandeln. Das hat man erst in den letzten 20 Jahren gemerkt, und das ist nur deshalb möglich, weil sie eine Masse haben. Und man kann eben interessanterweise aus der Tatsache, wie schnell sie sich ineinander umwandeln, ausrechnen, wie groß die Massen oder die Massenunterschiede sind. Und das ist eine Antwort auf die Frage schon die ich am Anfang hatte. Diese mystische, dunkle Materie, die überall im Universum ist, hat genau die Eigenschaft, die Neutrinos haben. Und als ich studiert hab, waren Neutrinos der heiße Kandidat und alle dachten, das wird die dunkle Materie sein, wir müssen nur deren Masse messen. Und jetzt haben wir gemessen, dass die einige hundert Mal zu leicht sind. Dass die Neutrinos, also so was wie ein Prozent der Dunklen Materie ausmachen. Aber dass wir den Rest nicht verstanden haben. Also viele offene Fragen. Und wie man draufgekommen ist, ist, dass man auf der Erde, wenn die Neutrinos in der Kernfusion in der Sonne entstehen, entstehen nur diese hier blau markierten Neutrinos und man weiß ungefähr - man weiß ja, wie hell die Sonne ist. Dann können Astrophysiker ausrechnen, wie viel Kerne sich da im Zentrum pro Sekunde verschmelzen müssen. Das heißt auch, wie viel Neutrinos da pro Sekunde rauskommen müssen. Sind höllisch viele, also pro Daumennagel pro Sekunde durchdringen uns 60 Milliarden Neutrinos, die praktisch nicht wechselwirken. In unserem Lebensalter wechselwirken vielleicht drei Neutrinos in unserem Körper. Ich habe schon zwei hinter mir dieses Jahr - es wechselwirkt das dritte, also so alle 20 Jahre eins. Und wenn man genügend lange wartet - es kommen ja genügend viele an - und genügend große Detektoren aufstellt, dann kann man schon so ein paar am Tag messen, und das hat ein sehr geduldiger Mensch versucht, in einer unterirdischen - Ich weiß gar nicht, was es für eine Mine war in Kanada - und der hat so ungefähr 1 pro Tag erwartet und hatte aber dann nur eins, alle drei Tage
gemessen. Und der Grund ist - und das kann ich jetzt mal vorführen - das habe ich jetzt hier mit Federn dargestellt, es entsteht - und dieser Pendelausschlag das ist diese quantenmechanische Amplitude - wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, ein Neutrino zu finden? Es entsteht am Anfang das das blaue Neutrino in der Sonne. Aber nach einer Weile ist es weg. Nach einer Weile ist nur noch das grüne und das rote da. Und dieser Detektor, den dieser Physiker hatte, der war halt so aufgebaut, dass der nur das blaue messen konnte. Und wenn Sie jetzt die andere Hälfte halten - Ich hab’s es leider nicht anders als mit so einer Sichtblende - Wenn man wirklich nur auf das blaue sieht und guckt, wieviel kommen denn dann so pro Tag an, dann fehlen einfache welche und das liegt eben daran, dass das sich in die anderen umwandelt. Und dann konnte man ausrechnen, wie schnell sich das umgewandelt hat und wie schwer sie sind und konnten rausfinden, dass die nicht die dunkle Materie sind.
Diringer: Ganz kurz noch für die Audio Zuschauer noch mehr zum Modell. Wir sehen jetzt eben, dass das mittlere der Pendel schwingt und dadurch, dass sie mit den Federn mit dem Grünen und dem orangenen verbunden sind, eben hier auch mit in Schwingung geraten. Wir hatten jetzt gerade zwei Sichtblenden davorgehalten und haben eben nur das blaue gesehen. Und das wäre ja genau dann, dass der der Forscher, der Detektor sozusagen immer nur das blaue gemessen hat,
Kobel: Ja genau. Und das blaue ist eben - manchmal hat das einen Ausschlag, und wenn es einen Ausschlag hat, heißt es, man kann es messen. Aber manchmal hat es auch keinen Ausschlag und das heißt es hat sich in dem Moment in die beiden anderen umgewandelt. Und die fliegen dann komplett unmessbar durch den Detektor durch. Und drum misst man eben weniger als man ausgerechnet hat. Und dieser geduldige Mensch hat wirklich das 30 Jahre lang gemessen, jeden Tag oder alle drei Tage eins, bis er es genügend statistisch beweisen konnte. Auch das war eine Geschichte, erstmal haben viele gedacht na gut, dann haben sich die Sonnen-Theoretiker verrechnet. Aber es hat sich dann herausgestellt, es ist wirklich dieser Effekt. Und er hat dann den Nobelpreis dafür gekriegt.
Diringer: Da haben sich die 30 Jahre ja gelohnt. Sehr spannend auf jeden Fall, auch hier wieder. Und nachdem wir jetzt auch schon Einblicke in diese vielen einzelnen Teilchen hier auch schon schön bunt gezeigt und dargestellt bekommen haben, würde ich einmal in die Runde gucken und Sie auffordern: Welche Nachfragen gibt es? Welche Gedankengänge haben Sie auch? Das Mikrophon kommt gleich von da hinten an. Genau dann würde ich Sie bitten, erst mal kurz zu warten, bis das Mikro da ist. Sie schlängelt sich durch die Zuschauenden,
Gast: Wenn er nur das Blaue beobachtet hat. Und dann war es mal weg, dann war es mal wieder da. Warum hat er nicht das rote zusätzlich beobachtet und hat gesagt, wenn ich das blaue, das rote, - das grüne brauche ich nicht, denn das ganze System muss ja wahrscheinlich eine Einheit bilden, da ergibt sich das. Aber dann hätte ich wenigstens nicht solche Zeiten, wo ich nichts messe und ich weiß, was eigentlich los ist. Geht das prinzipiell nicht oder warum ist er gerade auf das Blaue gekommen?
Kobel: Eine sehr, sehr gute Frage, also sogar in zweifacher Hinsicht. In der Tat stimmt die Aussage, dass es genügt, zwei zu messen, weil es darf nichts verloren gehen, irgendeins muss da sein. Das ist genau das, was man machen kann. Aber sein Detektor konnte wirklich nur das blaue messen. Er hat einen riesigen Tank an ja so eine Art Reinigungsmittel gehabt, 300.000 Liter, in dem Chlor drin war. Und dieses Chlor, der Chloratomkern wurde durch das Neutrino umgewandelt in Argon, also in ein Edelgas und das passierte eben mit einem Atomkern alle drei Tage. Und es ist sowieso unvorstellbar, wie man in einem 380.000 Liter Tank findet, dass da ein Atomkern sich in Argon umgewandelt hat. Das ist eh schon einen Nobelpreis wert, dass es überhaupt funktioniert hat. Aber die zwei anderen, die können das nicht, weil die nicht - die Neutrinos, die aus der Sonne kommen, nicht die nötige Energie dazu haben, weil die müssen sich immer in ihr Partner-Teilchen umwandeln. Und dieses Elektron-Neutrino muss sich immer in ein Elektron umwandeln, wenn's im Chlor ein Proton in ein Neutron umwandelt. Und das Myon-Neutrino muss sich eben immer in ein Myon umwandeln. Nur ist dieses Myon jetzt 200 Mal schwerer als das Elektron. Das heißt, ich brauche 200 Mal höhere Energie. Und so viel Energie haben die Neutrinos nicht aus der Sonne. Das heißt mit dem Prozess ging es wirklich nur mit dem Elektron-Neutrino. Aber mit der Idee, die sie haben, hätten Sie, wenn es nicht schon jemand gemacht hätte, den 2ten Nobelpreis dann auch absahnen können. Es gab nämlich eine zweite Gruppe, die genau das gemacht hat, die gesagt hat: Ich konstruierenden anderen Detektor, der nicht nur das blaue, sondern auch das rote und das Grüne nachweisen kann. Nämlich einen großen Tank aus schwerem Wasser. Das ist also, wo ein Wasserstoff durch Deuterium - da ist einfach im Atomkern ein Neutron mit am Proton dran. Und die haben ich glaube fast das gesamte schwere Wasser der Welt zusammengeLIEHEN, wohlgemerkt nicht gekauft, das hätten sie gar nicht bezahlen können. Und haben dann, das kann man dann nämlich mit solchen anderen, die können das aufteilen in ein Proton und ein Neutron. Und dann hat man gemessen das wirklich hundert Prozent ankommen. Die Theorie der Sonne hat gestimmt. Es kommen genauso viele Neutrinos an, wie man ausgerechnet hab, nur eben zum Teil als Grüne und als rote. Und da gab es dann vor 15 Jahren den 2ten Nobelpreis,
Diringer: Also Fast-Nobelpreisträger hier im Publikum. Hier gab es auch noch eine Meldung.
Gast: Meine Frage reicht weiter zurück. Sie sprachen davon, dass Materie und Antimaterie sich vereinigt oder vernichtet hat. Wie ist die energetische Seite dieses Vorgangs?
Kobel: Da ist sehr viel Energie frei geworden am Ende, hauptsächlich in Form von Licht, also von Photonen und die fliegen noch heute durchs Weltall. Das ist das, was man die kosmische Hintergrundstrahlung nennt. Und das ist auch das Untersuchungsobjekt, aus dem man all das weiß, weil man eben mit Untersuchung der kosmischen Hintergrundstrahlung zurückgucken kann und auch gucken, wie intensiv kommt sie denn aus unterschiedlichen Richtungen. Da sieht man dann diese Dichte-Fluktuationen von 13,8 Milliarden Jahre alt, wo dann die Sterne entstanden sind und das ist - heute kommt natürlich alles Fernsehen digital aus der Steckdose - aber als man früher noch alle - noch analoge Fernsehapparate hatte, mit Antenne und so was und den Sender falsch eingestellt hat, sodass es rauschte, da ist wirklich zwei bis drei Prozent von diesem Rauschen ist die kosmische Hintergrundstrahlung, die man da wohl mit dem eigenen Fernsehapparat messen konnte. Und die ist einfach noch da und ein total spannendes Untersuchungsobjekt,
Diringer: Vielen Dank nochmal für die Frage. Und da gibt es auch schon die nächste. Eine Reihe weiter hinten.
Gast: Dankeschön. Ja, meine Frage wäre - also es ist bisher super spannend - aber mich würde interessieren: Zum einen wie schnell ist der Erkenntnisprozess momentan. Also, wie schnell findet man da neue Erkenntnisse? Flacht das jetzt irgendwie auch langsam ab die Kurve. Und was macht ihr vielleicht auch gerade in Dresden? Also wir haben ja keinen großen Elektronenbeschleuniger oder so. Plant ihr da eher die Forschungsvorhaben? Und vielleicht noch eine dritte Frage, naja, zweieinhalb. Wie schaffst du es jetzt, mit deinem neuen Amt als Prorektor Bildung ja auch irgendwie den Bezug zur Forschung zu halten, weil ich denke, dass das ja nicht mehr so viel Platz und im Alltag haben wird.
Kobel: Das stimmt, da hast du recht. Ich kann mal mit der letzten anfangen. Ich habe glücklicherweise wie alle Prorektoren und Prorektorinnen eine Professurvertretung, also in meinem Fall einen jungen Nachwuchswissenschaftler, der die Gruppe übernommen hat und die Forschung weiterführt, solange ich Prorektor bin. Ich die gehe wirklich - ich schaffe es nicht häufiger - einmal pro Monat in unsere Gruppen-Meetings, um aktuell zu bleiben. Ich bin auch noch dabei in dem Experiment, indem ich bin, auch in sogenannten Editorial Boards zu sein - da war ich jetzt auch gerade - von Veröffentlichungen, die geschrieben werden, um einfach zu sehen, was macht mein Experiment und stell da mehr oder weniger kluge Fragen zu der Forschung, die die anderen machen. Und dann lese ich natürlich die Doktorarbeiten, die da rauskommen. Da freue ich mich schon auf drei, die vielleicht alle noch dieses Jahr fertig werden. Und so versuche ich da dran zu bleiben.
Das zweite ähm - das erste war: Wie schnell ist der Fortschritt? Das zweite war: Was machen wir in Dresden? In der Tat macht einer meiner Kollegen also die Professur für Kernphysik, Kai Zuber, macht Neutrinophysik und zwar auch speziell für Prozesse, die in der Sonne stattfinden. Er hat gerade auch mit seiner Kollaboration einen Preis gekriegt dafür, dass er einen 2ten Prozess der Energiegewinnung in der Sonne, der nur ein Prozent oder sogar weniger zur Energiegewinnung beiträgt, nachgewiesen hat, den man schon lange vermutet hatte. Funktioniert fast so wie im Auto der Katalysator, dass man diese Fusion von Wasserstoff zu Helium nicht macht, indem diese Wasserstoff und Protonen sich alle gemeinsam treffen müssen, sondern dass sie angelagert werden, an andere Kerne, sich an diesen anderen Kernen ein Helium bildet. Und was dann als fertiges Helium abgestoßen wird. Das ist der Kohlenstoff-Stickstoff-Sauerstoff-Zyklus, den Weizsäcker schon postuliert hatte. Der ist jetzt das erste Mal nachgewiesen. Und er guckt auch nach, äh, ganz lustigen Effekten in doppeltem Beta-Zerfall, aber den will ich jetzt nicht erklären. Ansonsten forschen wir eben, wie auch erwähnt wurde, an großen Beschleunigern, die woanders stehen. Das heißt ich habe - gut als Doktorand habe ich da gewohnt, wo der Beschleuniger war, nämlich in Hamburg, am Desy und habe da meine Doktorarbeit gemacht und wirklich auch jeden Tag am Detektor rumgeschraubt und an der Elektronik. Jetzt ist es so, dass wir mit 3000 Leuten einen Detektor gebaut haben, der in Genf steht, am CERN, und den betreiben wir auch mit - mit den Unis sind wir, wir sind knapp 40 Länder, 170 Unis, glaube ich, die an diesem Detektor beteiligt sind und das zu 3000 gemeinsam auswerten. Äh, das heißt, man kann diese großen Maschinen nicht in in jedem Uni-Ort bauen. Da gibt's ein, zwei, maximal drei Plätze in der Welt, wo das stattfindet. Und das machen einige von meinen Kollegen auch mit unterschiedlichem Forschungshintergrund.
Und das erste: Wie schnell ist der Fortschritt? Es ist eben immer relativ. Also für uns gesehen... Von außerhalb ist der Fortschritt in der Neutrino-Forschung gerade unglaublich schnell, weil innerhalb von 20 Jahren unglaublich viele Erkenntnisse herausgekommen sind. Aber man denkt wirklich in Jahrzehnten dabei. Also, dass man nächstes Jahr irgendetwas weiß, das ist hoffnungslos. Man muss viel Geduld haben und auch das, was ich selber forsche: Wirklich sagen zu können, das ist so, wie es vorhergesagt ist, das wird auch noch 20 Jahre benötigen. Wir haben jetzt den Prozess, den ich gesucht habe, nach zehn Jahren Forschung das erste Mal eine Handvoll von solchen Ereignissen gesehen und können jetzt sagen: "Ja, ihn gibt es." Aber ob die vorhergesagte Häufigkeit stimmt, wissen wir noch nicht. Und auch die Experimente, die wir betreiben - die immer so kostspielig vorkommen - die werden über viele Jahre betrieben. Der Detektor, an dem ich arbeite, ist - die ersten Ideen waren glaube ich schon in den 80er-Jahren wirklich konkret entwickelt. In den 90er-Jahren gebaut, in den Nullerjahren. Und dann wird er jetzt zwei bis drei Jahrzehnte lang in Betrieb sein. Mindestens zwei Jahrzehnte in Betrieb sein, vielleicht noch länger. Also Generationen von Physikern und Physikerin können da arbeiten.
Diringer: Auch die Jahrmilliarden, in denen wir ja auch schon denken, wo Sie meinen, Sie versuchen, so nahe wie möglich dran zu sein, obwohl es so eine unvorstellbare Zeit ist. Da sind ja dann die zehn oder die 30 Jahre, bei denen wir vorhin ja schon dran waren, bis dann der Nobelpreis erreicht wurde, doch eine sehr kurze Zeit. Aber trotzdem wünscht man sich ja hier und da natürlich auch schnelle Forschungserkenntnisse
Kobel: Es ist sehr selten, dass es in diesem Feld wirklich schnell geht. Weil die Technologie ist auch eine, die man nicht kaufen kann. Sondern auch die Detektoren müssen eben entwickelt werden, speziell für unsere Anwendungen. Was aber dann auch wieder diese berühmten Spin-Offs hat, weil wir hochpräzise hochempfindliche Detektoren entwickeln, die dann auch wieder woanders eingesetzt werden können. Zum Beispiel auch bei Röntgenaufnahmen beim Arzt, sodass man vielleicht auch die Röntgen-Dosis, die man abkriegt, die Strahlungsdosis vermindern kann, wenn man die Strahlung mit empfindlicheren Detektoren messen kann. All das sind so Dinge, die dann wirklich in die Anwendung - ganz nebenher hat dann jemand eine Idee: "Ach, könnte man das nicht auch beim Röntgen einsetzen?" Und schon hat man wieder eine Anwendung.
Diringer: Hier auch noch mal die Frage in die Runde, ob sich da noch mal Nachfragen ergeben haben. Da ist direkt eine.
Gast: Ich hab eine Frage, und zwar bezogen auf die Detektoren. Man hat ja zum Beispiel ATLAS oder den CMS. Die suchen ja nach relativ allem, was sie finden können. Und ich frage mich, wie viel ist da noch? Also erwartet man jetzt noch neue Grundbausteine? Oder denkt man, das Modell ist jetzt so, wie es ist, erst mal relativ abgeschlossen?
Kobel: Das ist eine sehr gute Frage. Was man wusste, was da irgendetwas ist, ist, dass die, das hatte ich kurz erwähnt, diesen Higgs-Mechanismus, dass es einen Mechanismus gibt. Oder man sollte vielleicht Brout-Englert-Higgs-Mechanismus sagen, weil die Idee kam mindestens von dreien. Das Higgs-Teilchen wurde von Herrn Higgs vorhergesagt, dass da irgendwas sein muss, was die Masse der Teilchen, also zum Beispiel die Masse des Elektrons macht. Das wusste man, und man wusste, dass dieser Mechanismus bei Energien stattfindet, die man mit dem Atlas und CMS Experiment hatte oder geplant hatte. Das heißt, es war einer der wenigen Fälle, wo man wusste, man wird irgendetwas finden. Man wusste nicht, ob es dieses Brout-Engler-Higgs-Modell ist, das war das populärste, das war das einfachste. Man hat 50-Jahre lang gesucht, aber es hätte auch was ganz anderes sein können. Aber man wusste, es passiert bei dieser Energie. Und dann hat man in der Tat das Higgs-Boson gefunden. Und es war doch das, was Higgs und Kollegen sich ausgedacht hatten. Bei anderen Dingen ist man - also man weiß zum Beispiel, hatte ich vorhin erwähnt, es gibt dunkle Materie, und man weiß inzwischen auch, das müssen irgendwelche Teilchen sein. Das sind also keine Planeten, die da irgendwo rum schwirren. Es gibt noch ein paar, die postulieren jetzt "vielleicht sind es ganz am Anfang entstandene kleine oder nicht so kleine Schwarze Löcher, die irgendwo rumfliegen". Aber das ist alles sehr unwahrscheinlich. Es ist es sind aller Wahrscheinlichkeit nach Elementarteilchen, die die Eigenschaften von Neutrinos haben. Nur die Neutrinos sind es nicht, das weiß man jetzt. Und das muss man irgendwann finden, das muss ja irgendwie DA sein. Oder - ich nehme es ein bisschen zurück - wenn sie genau dieselbe sogenannte schwache Wechselwirkung machen wie die die Neutrinos, dann wird man sie auch finden. Wenn man Pech hat, macht diese dunkle Materie nur Gravitation als Wechselwirkung. Und dann wird es richtig schwer. Also dann wage ich zu sagen, dass man die auch in 500 Jahren noch nicht gefunden haben wird, weil dann einfach - auf Teilchen-Niveau ist Gravitation so schwach, dass man deren Effekte nicht messen kann. Da braucht man schon so eine Erde, wo man dann merkt hier ist was, was einen anzieht. Und das ist eine offene Frage.
Die andere offene Frage ist, warum da drei Pendel sind. Unsere Theorie sagt das nicht vorher. Unsere Theorie kann wunderbar beschreiben, wie die Wechselwirkungen dieser Teilchen miteinander sind. Welche Kräfte da wirken, welche Umwandlungen wie häufig stattfinden, das kann man alles auf Promille genau vorhersagen. Aber warum es gerade drei gibt und warum gerade die und warum die nicht noch einen dritten Partner und Geschwister haben? Keine Ahnung. Und es ist auch so - dieser Aufbau dieser Pendel habe ich ganz ähnlich wie die sozusagen miteinander wechselwirken, habe ich so aufgebaut, wie es in der Natur auch ist. Und man sieht, da ist eine gewisse Symmetrie dahinter, weil auch die Federn sind - also das ist spiegelsymmetrisch zum Beispiel, wie man sieht. Der Aufbau, diese Symmetrie ist auch unverstanden. Und natürlich, die große Frage: Wo ist die Antimaterie hin? Warum ist sie verschwunden? Machen Antineutrinos ein bisschen was anderes als Neutrinos? Das will man wissen. Also viele offene Fragen noch die ganz zum Anfang zurückweisen. Ob der LHC und dieses Atlas- und CMS-Experiment, die klären wird, das weiß man nicht. Man plant jetzt schon einen nächsten Beschleuniger. Man weiß zum Beispiel noch nicht, wie diese Higgs-Teilchen miteinander wechselwirken. Das ist das nächste, was vorhergesagt wird, aber man noch nicht messen kann. Man weiß wie ein Higgs-Teilchen mit einem Elektron und - nagut, mit dem Elektro noch nicht - aber zumindest mit den anderen, mit den Top-Quarks und den Myonen wechselwirkt. Das hat man alles gemessen. Und das stimmt alles. Aber wieso zwei Higgs-Teilchen miteinander wechselwirken, das würde man auch gerne messen. Und da könnten ganz fundamentale Sachen rauskommen. Da könnte vielleicht rauskommen, dass wir in gar keinem stabilen Universum leben, sondern dass dieses Universum nur gerade glücklicherweise im einen Energie-Minimum ist und sich vielleicht irgendwann in ein anderes Energie-Minimum begibt, mit einer Lebensdauer von zehn hoch hundert Jahren, die uns keine Sorgen machen muss. Aber auch das ist schon wieder spannend, wo man sich fragt, ja, ist sozusagen das Ende unseres Universums schon klar durch solche Sachen. Das sind Fragen, die uns alle bewegen: Wo geht es hin? Wo kam es her?
Diringer: Also für alle im Publikum noch viel Potenzial für Mitforscher und Mitforscherinnen, wie ich hier höre. Hier auch noch mal so ein bisschen von meiner Seite: Die Forschung ist ja das eine Thema, das andere: Prorektor Bildung. Didaktisch sind sie da ja auch sehr gut aufgestellt. Sie haben auch gleich ein Modell mitgebracht. Ich habe gehört, dass sie sogar noch ein größeres Modell gerne mit dabeihätten. So dass es da auch vieles gibt zum Anschaulichmachen. Können Sie vielleicht dazu auch noch ein paar Worte verlieren? Wie kann man solche tiefe Forschung, in der man jahrelang steckt, wirklich auch der Außenwelt kommunizieren, jetzt auch in Formaten wie diesen? Was haben Sie da so bisher miterleben können?
Kobel: Ja, ich habe da so vor 20 Jahren ungefähr angefangen, weil es mir, äh, sehr schade vorkam, dass von dieser Forschung so wenig in der Schule ankam, all die Theorien von diesen Wechselwirkungen, von den Neutrinos - zu verstehen, wie unsere Welt funktioniert. Das war Anfang der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts abgeschlossen. Das ist das, was wir das Standard-Modell der Teilchenphysik nennen, also weit mehr als ein Modell. Das ist die beste Theorie, die die Menschheit je hatte, über wie der Mikrokosmos funktioniert und - 73 war das fertig. Und ich hatte das Glück, einen Physik-Leistungskurs-Lehrer zu haben, der mir was von Quarks gesagt hat. Im Schulbuch stand da nix drin. Und heute noch ist da ganz wenig drin. Und wir sind 50 Jahre danach. Und das hat mich dann irgendwann so geärgert, dass ich gesagt habe, ich muss jetzt raus aus dem Campus in die Schulen. Wir müssen überlegen, was wir machen. Und wir haben dann mit Kollegen aus Großbritannien, Vereintem Königreich ein Format aufgestellt, was Masterclasses heißt und was es auch heute noch gibt. Und was wir hier in Dresden nicht nur national, sondern weltweit leiten, wo wir unsere Daten der Bevölkerung, insbesondere jungen Menschen in der Schule, zur Verfügung stellen und zwar so aufbereitet, dass sie eigene Messungen machen können. Das heißt sie erleben für einen Tag: Was heißt Wissenschaftler an so einem Experiment zu sein oder Wissenschaftlerin. Und sind dann auch unter Anleitung von unseren Masterstudierenden, von unseren Promovierenden. Also, da kommen junge Wissenschaftler:innen in die Schule und erklären mal, was sie machen. So als Rollenvorbild. Was macht man denn heute so als Physiker:in? Und das ist schon mal das erste, wo man in Verbindung kommt und denkt: Oh, wär vielleicht was für mich. Und selbst wenn man denkt: Ist nix für mich - kann man sagen: "Aber faszinierend ist es trotzdem." Und dann gibt es vielleicht auch mal - sitzt man, wenn man Politiker oder Politikerin geworden ist, im Forschungsausschuss im Bundestag und hört, ob diese Forschung vielleicht sinnvoll ist und ob die gefördert werden sollte. Und es haben einfach alle - wie Sie sagten: Für mich ist es ein Kulturgut, so wie ein Orchester oder wie eine Theater-Truppe. Ich bin absolut fasziniert von dem, was wir da finden. Aber, wenn eine Theatertruppe immer nur fasziniert vom Stück ist und vor leeren Publikum spielt - oder ein Orchester - das will man auch nicht. Man will diese Faszination raustragen, man will auftreten, und das heißt nicht, dass jeder jetzt ein Musikvirtuose sein muss, der da im Publikum sitzt. Und hier im Publikum muss nicht jeder ein Physiker, Physikerin oder Mathematiker:in sein, der jetzt die Bewegungsgleichung dieser Pendel ausrechnen kann. Aber man kann sagen: Okay ist interessant. Und das ist das, was mich antreibt. Und das mache ich eben seit 20 Jahren in nationalen und internationalen sogenannten Masterclasses.
Diringer: Auch hier wieder eine superwichtige Relevanz auch für alle. Also bleiben Sie aktuell und up-to-date und gucken Sie was es hier noch für Bildungsveranstaltungen auch gibt. Wir sind leider schon relativ am Ende von der Veranstaltung. Fragen sehe ich teilweise gibt es noch im Publikum. Würde ich auch sehr anraten, danach noch hier vorzukommen, sich das Modell auch noch einmal genauer anzuschauen und natürlich auch auf Sie dann nochmal zuzukommen. Sie sind ja auch noch ein paar Minütchen da und, ähm, ja, entschwinden nicht sofort. Den Botanischen Garten entsprechend würde ich gerne als letzte Frage auch noch mal an Sie stellen. Sie hatten den internationalen Rahmen gerade auch schon angesprochen. Wie sieht es denn - ich sage jetzt mal weltweit - in dem Forschungsbereich in der Zukunft aus? Was können wir da vielleicht noch erwarten? Wie sind so die Nationen aufgestellt? Wo sollten wir unseren Blick hinwenden, wenn wir weiter ja in im Blick bleiben wollen, wie es jetzt weitergeht?
Kobel: Ja, es gibt - von den Forscherinnen und Forschern sind wir wirklich weltweit auf allen Kontinenten aktiv. Das Atlas-Experiment, was hier im Publikum erwähnt wurde, was in Genf steht, hat Institute aus 38 Ländern, die mitarbeiten. Die Personen, die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen kommen allerdings aus 92 Ländern, das heißt in 92 Ländern mindestens wird man ausgebildet, dass man auch an so einem Experiment arbeiten kann, auch wenn man im eigenen Land vielleicht keine Universität findet, die das macht, dann wechselt man als Doktorand irgendwohin, wo es ist. Und vielleicht tragen wir das ja dann auch in andere Länder. Die Gerätschaften sind in der Tat sehr konzentriert. Hamburg war ein großes Zentrum, geht jetzt mehr in Richtung Anwendungen der Teilchenbeschleuniger und weniger in die Teilchenbeschleuniger, also jedenfalls nicht mit Gerätschaften, die in Hamburg stehen. Die machen natürlich auch in Genf mit, und an anderen Orten der Welt. Die Japaner sind gerade in der Neutrino-Physik weltweit seit vielen Jahren sehr führend. Die Amerikaner haben im Fermi National Lab bei Chicago eine große Forschungseinrichtung, die sehr viel auch mit Antiprotonen geforscht haben, die jetzt dieses eigentlich alltägliche Myon erforschen, weil dessen magnetische Moment nicht so ganz stimmt, wie es vorhergesagt ist. Ist gerade durch die Presse gegangen. Arbeitet auch in Dresden ein Theorie-Kollege dran. Die Abweichung ist zwar nur ein Milliardstel, aber sie wird ernst genommen. Und das könnte so auch auf diese dunkle Materie hindeuten. Vielleicht findet man die indirekt im Magnetismus des Myons. Sehr spannend. Und das wird auch in die Richtung - würde es ja weitergehen. Ich kann fast vorhersagen - also glaube ich, vorhersagen zu können - was die nächste große Entdeckung sein wird, weil man da schon sehr weit ist. Vergleich wie verhalten sich Neutrinos und Antineutrinos. Verhalten die sich unterschiedlich oder verhalten die sich gleich? Und da wage ich zu sagen, dass vielleicht schon in fünf Jahren - aber spätestens am Ende der 20er-Jahre wird man das wissen. Und da bin ich schon sehr gespannt drauf, weil man da vielleicht ein Hinweis kriegt, ob auch dieses kosmologische Antimaterie-Ungleichgewicht mit den Neutrinos zusammenhängt, das ist sozusagen ein Gewinn, ein Experiment-Ergebnis, was kommt - ganz sicher im nächsten Jahrzehnt. Die anderen, die wird diskutiert, haben: Keine Ahnung. Wann man Dunkle Materie nachweisen wird? Vielleicht in fünf Jahren, vielleicht nie - je nachdem, was sie für Eigenschaften hat. Es ist das Wesen der Forschung, dass man nicht weiß, wann die Ergebnisse gekommen und dass man viel Geduld haben müssen.
Diringer: So haben wir trotzdem schon einen kleinen Blick in die Zukunft gewagt und die Glaskugel so ein bisschen für uns transparent dargestellt. Und entsprechend möchte ich mich auch bei Ihnen bedanken. Bei ihnen, liebes Publikum. Wir haben uns von eine Billiarde Grad heißen Erzählungen entlanggehangelt über die Erklärung eines gewissen Anteils des Rauschens im Radio - das war für mich auch neu, dass man da auch so ein bisschen sagen kann: "Ach ja, das kommt jetzt durch die Hintergrundstrahlung". Auch sehr interessant. Wir haben einen ganz neuen Aggregatzustand kennengelernt. Also zumindest auch für mich - und viele andere vielleicht auch - einer, der noch nicht so bekannt war. Der eben noch nicht in der Schule, im Chemieunterricht gelehrt wird. Und sitzen tatsächlich noch im Botanischen Garten, der vielleicht aber auch der Anti-Botanische Garten ist. Wer weiß?! Ganz, ganz herzlichen Dank für ihre Beiträge. Für ihr Experiment. Ich möchte sie nun noch einmal auffordern: Kommen sie gerne mit ihren Rückfragen hier noch mal nach vorne. Schauen Sie sich hier das Modell noch an. Ganz, ganz herzlichen Dank, dass Sie da waren. Und wir freuen uns natürlich auch, wenn sie bei der nächsten Veranstaltung sich wieder hier einfinden, um unter den Koniferen die Koryphäen kennenzulernen. Und entsprechend wünsche ich Ihnen noch einen schönen Sonntagnachmittag. Genießen Sie die Sonne und bis zum nächsten Mal
Bäume in der Literatur - Dr. Solvejg Nitzke
Diringer: Auch von meiner Seite aus noch mal ganz herzlich Willkommen. Ich bin Lilith Diringer, unter anderem auch Studierende oder Studentin an der TU Dresden und eben in „der bühne“ aktiv, dem Theater der TU und moderiere dort auch sehr viele Live- und Onlineformate , falls Sie oder Ihr da auch mal vorbeischauen möchtet. Aber heute geht es vor allem um unsere Gästin Solvejg Nitzke. Wir hatten uns auch im Voraus schon auf das „Du“ geeinigt, von daher dürft ihr das auch sehr gerne so übernehmen, auch dann nachher bei der Fragerunde. Es wird eben so sein, dass das ganze sehr offen gestaltet ist, das heißt, wir möchten viele Fragen von eurer Seite aus hier aufgreifen und diskutieren. Dennoch möchte ich einen kleinen Input einleiten von deiner Seite, um erst mal einen kleinen Überblick über deine Arbeit zu bekommen. Wie kam es denn dazu, wie hast du deinen Weg gefunden, was ist gerade so spannend, was du neues entdeckst jeden Tag. Überleiten möchte ich mit einem Zitat, das ich gefunden habe und sehr spannend fand, und zwar: „Wir leben in der Welt der Bäume, nicht umgekehrt.“ Was hat es denn damit auf sich und wie kannst du dazu?
Solvejg Nitzke: Ja vielen Dank erst mal, dass Sie alle da sind. Ich freue mich so sehr richtige Menschengesichter zu sehen und tatsächlich Adressat:innen für meine Worte vor mir zu haben und nicht irgendwie versetzt. Also diese Romantik bin ich noch nicht ganz los, dass es so schön ist manchmal. Was es damit auf sich hat, dass wir in einer Welt der Bäume leben, ist erstmal eine triviale Feststellung. Bäume sorgen - Bäume und alle anderen Pflanzen - für all das, was wir überhaupt zum Leben brauchen, d. h. ziemlich existenzielle Feststellung. Für eine Literaturwissenschaftlerin ist es aber durchaus eine, die auch – jetzt könnte ich natürlich die vielen Papierwitze machen, denn nicht zuletzt all das was, was ich für meine Arbeit brauche - Papier - und Tinte wurde lange auch aus Baumprodukten hergestellt. Also auch wir sind darauf angewiesen, aber das ist eine ziemlich weit reichende Feststellung für jemanden, die sich von Berufs wegen mit Literatur beschäftigt. Jetzt komme ich relativ schnell in die großen Fragen. Was ist denn eigentlich diese Literatur und wie kommt man eigentlich von da aus an den Punkt einem anfängt, etwas über Bäume zu sagen? Literatur im fast schon engeren Sinne müssten ja solche Dinge sein: Also, wir haben hier ein Buch - relativ viel Text drin und darauf steht Roman. Das ist für mich das einfachste womit ich arbeiten kann. Wenn da Roman draufsteht, darf ich davon ausgehe, dass sich jemand hingesetzt hat, eine Geschichte erfunden hat und ich damit leben kann, dass all die Dinge, die in dem Text sind, innerhalb dieses Textes eine Wirklichkeit beanspruchen, die nicht unbedingt mit der Wirklichkeit außerhalb übereinstimmen muss, d. h. in so einem Buch können Bäume sprechen und dann stimmt das auch. Also, ich gucke schon direkt rüber (lacht). Man nennt sowas Willing suspension of disbelief. Also wir einigen uns in dem Moment, in dem wir so einen Roman aufschlagen - vielleicht nicht direkt mit der Autor:in, aber zumindest sozusagen mit uns selbst - darauf, dass wir für die Zeit wir jetzt lesen, die Plausibilität, die innerhalb eines Textes hergestellt wird, annehmen. Jetzt bin ich sozusagen schon mittendrin, denn da können Dinge passieren, die außerhalb nicht passieren können. Wie gesagt, Bäume sprechen; manche Bücher erzählen auch von von herumlaufenden Bäumen. Das sind dann Dinge, die innerhalb dieser Erzählung funktionieren können, auch wenn wir eigentlich „wissen“ - ich mache Anführungsstriche (sag ich mal für die Aufnahme dazu) -, dass das ja ganz in echt gar nicht sein kann. Da hör ich aber mit Literatur nicht auf. Was mich interessiert und das kommt so ein bisschen auf deine Frage zurück, wie ich da eigentlich hingekommen bin, ist, wie das, was in Literatur sozusagen kein Problem ist - also, dass jemand anfängt eine Geschichte zu erzählen, die aufzuschreiben, dass die geformt ist, ja dass, man nicht am Anfang anfängt und in der Mitte weitermacht und am Schluss hört man auf. Sondern man kann Rückblenden machen. Vorblenden. Ja, man kann damit spielen, dass man gar nicht weiß, wer gerade erzählt. Und wir sind alle irgendwie eher bereit, in der Literatur uns darauf einzulassen. Und, das sollte ich vielleicht dazu sagen, damit meine ich jetzt nicht nur die sogenannte hohe Literatur, also nicht nur irgendwie Goethe und Schiller, sondern durchaus auch alles, was irgendwie dieses Label, zum Beispiel „Roman“ hat. Da sind wir irgendwie einverstanden mit dieser Art von Vertrag, die uns sagt, dass da dann Dinge passieren können, mit der wir arbeiten. So. Mich interessiert jetzt genau der Ort, wo das sozusagen ausfranzt, ja, wo entweder solche Romane für sich beanspruchen - nicht nur Romane, aber fiktionale Erzählungen zum Beispiel - beanspruchen, dass sie auch über Dinge sprechen, die in der Wirklichkeit passieren.
Stichwort: Science-Fiction. Ja da kommen dann plötzlich ganz viele wissenschaftliche Dinge vor.
Hier in „Betrunkenen Bäume“ passiert das auf eine ziemlich klassische Weise. Das ist Ada Dorians „Betrunkene Bäume“. Ich lass die Bücher hier auch nachher nochmal liegen, wenn sich jemand weiter dafür interessiert. Das ist eine Geschichte, die spielt sich zwischen einer jungen Frau, die von zu Hause abhaut, und einem seit Jahren pensionierten Forstwissenschaftler, bei dem man nicht so ganz sicher ist, ob er seinen Verstand verliert oder ob er eigentlich gerade erst so richtig tief in seiner Forschung ist. Das ist – so viel darf ich vielleicht sagen - auch im echten Leben bei Forschern nicht immer ganz deutlich trennbar, sondern immer so vom Ende her erst klar. Hier jedenfalls, und das nehme ich jetzt mal vorweg, es ist ein schönes Buch und eine der tollen Sachen, die hier passieren, ist die, dass dieser Wissenschaftler zu Forschungszwecken, aber auch, um sich zu umgeben mit dem, was er liebt, einen Wald in seinem eigenen Schlafzimmer anlegt. Und allein wie er versucht, das vor seiner Tochter, die eigentlich gern hätte, dass er langsam in ein Altersheim zieht, zu verbergen. Entspinnt Beziehungen zwischen diesen Menschen und den Bäumen, die für mich ganz interessant sind. Aber noch mal zurück zu der Frage, wo das sozusagen ins wirkliche Leben reicht. Dieser Wissenschaftler erklärt der jungen Frau relativ viel über die Forstwissenschaft, die er macht. So, und da kann man dann relativ gut sich hinsetzen, man könnte jetzt nachvollziehen, gibt es das wirklich? Gibt es die Wissenschaftler, auf die sich bezogen wird, stimmen diese Sachen? Diese betrunkenen Bäume sind welche, wo der Boden sich aufgelöst hat. Also, so steht‘s im Buch. Wo der Boden so weich geworden ist, dass die schief anfangen zu wachsen und dann in ganz seltsamen Formen. All das, woran wir sozusagen bei Bäumen als erstes denken, dieses gerade nach oben wachsen, nicht mehr stimmt. Und diese Eigensinnigkeit ist was, was mich interessiert. Um das sozusagen nochmal hervorzubringen.
Was ich also mache, ist weder mir anzuschauen, welche Bäume als Motiv irgendwo auftauchen. Das könnte ich wunderbar machen, irgendwie vom ersten Mal als jemand irgendwas aufgeschrieben hat, relativ bald, kam auch ein Baum vor. Bis jetzt. Ja, dann hätte ich so eine Kulturgeschichte, wie Alexander Demandt. Und dann kann man schöne Sachen sagen. Der Mann ist Historiker - ja das Schöne an Bäumen ist, dass man dann auch als Historiker endlich was gefunden hat, was sich nicht so viel bewegt.
Das ist nicht mein Ansatz bei Bäumen, sondern ich guck mir an, wo bestimmte Dinge die jetzt in Baumwissenschaften in Bewegung kommen, vor allem im öffentlichen Diskurs, in der Wissenschaftskommunikation dieser neueren Erkenntnisse oder dem, was sich vielleicht auch nicht etablieren wird, anfangen sozusagen zu verändern, was da überhaupt stattfinden kann. Und da komme ich tatsächlich sozusagen jetzt von meiner Wissenschaftsbiografie her aus der literarischen Katastrophenforschung über das Klima zu den Bäumen und frage mich eben immer genau - hier jetzt auch wie vorher schon - an welchen Stellen Literatur sozusagen Räume öffnet, um Wirklichkeit zu diskutieren. In genau diesem Modus, in dem etwas sein kann, was wir vielleicht noch nicht kennen. Das muss dann nicht heißen, dass wir etwas lernen aus der Literatur und hinterher ganz viel schlauer sind, sondern dass bestimmte Sachen verunsichert werden. Diese Verunsicherung ist was, was ich dann – das darf ich vielleicht in diesem Format auch sagen – für ein sehr produktives Format halte.
Was ich da konkret tue, jetzt und in den nächsten sagen wir mal zwei Jahren, ist dieses Buch und den Rest des Regals den ich zu Hause gelassen habe, weiterhin darauf zu untersuchen und auch noch ein Buch zu schreiben,
Diringer: Das klingt auf jeden Fall super spannend und ich glaube wir freuen uns alle schon auf die Ergebnisse dann im Buch oder auf das Zwischenfazit. Vielleicht schon mal so weit: Es ist es ja auch immer die Frage, wann ist jetzt ein Wald ein Wald, wann sind es nur einzelne Bäume. Ist das dann Definitionen, die in der Literaturwissenschaft, gefällt werden oder sind das tatsächlich forstwirtschaftliche Definitionen? Wo ist da also die Grenze zwischen „Was ist jetzt wie wahr“ und aus welcher Disziplin kommt es jetzt?
Nitzke: Ähm, mit all den Dingen arbeite ich. Also, ich kann mir anschauen, wenn ich - also das tue ich dann auch - dann gucke ich in populärwissenschaftliche Bücher, in Bestimmungsbücher. Ich stöbere auch ab und zu mal im botanischen Teil unserer Bibliothek und schau mir dann an, was es da gibt. Ich freue mich immer, dass gerade so Definitionen von Wald und Baum ja relativ offen sind an verschiedenen Stellen. Es gibt eben das, was auch hier so drin steht, wenns dann an die Kinder geht. Das ist übrigens meine große Leidenschaft, meine Fünfjährige, die heute aufgrund von Hitze keine Lust hatte, mitzukommen, als Ausrede zu benutzen, die ganzen schön gestalteten Kinderbücher anzuschaffen. Weil brauch ich natürlich zuhause, ist klar. Naja, aber da steht dann eben drin, dass Bäume dann eben große Pflanzen sind, die einen holzigen Stamm ausbilden und auch Breitenwachstum – äh Dickenwachstum haben usw.,
Aber eben das, was ich gerade meinte, mit dem Willing suspense of disbelief, also diesem Vertrag zwischen Autor:in und Leser:in, wenn in dem Buch steht: „Das ist ein Baum“, dann kann ich damit ja erst mal arbeiten und ab und zu ist dieses „Das“, worum es dann geht, zum Beispiel eine Frau. Das passiert immer mal wieder. Ja, dass es Frauen gibt, die sich in Bäume verwandeln und am Ende des Textes Bäume sind, obwohl alle Beteiligten im Buch und alle, die das Lesen, eigentlich wissen die Menschenform ist nicht verlassen. Trotzdem ist das ein Baum, also d. h. ich komme sozusagen von zwei Seiten. Ich guck mir einerseits an, was in den Texten steht. Also es geht weniger um die Literaturwissenschaft, die das macht. Es gibt natürlich auch viele Untersuchungen gerade zum sogenannten „deutschen Wald“ in der 19.-Jahrhundert-Literatur. Da gibt es relativ viel zum Wald in Märchen, was die unterschiedlich können usw., was die unterschiedlich mit dem jeweiligen Forstwissen angestellt haben. Aber ich kann mir diese Definition sozusagen aus jedem einzelnen Text ziehen. Ich kann gucken auch, wie sich das innerhalb eines Textes verändert, und ich kann das dann abgleichen und finde meistens ähnlich viele Vorstellungen. Da habe ich natürlich auch aufgrund meines Standpunktes den großen Vorteil, dass mich nur bedingt interessieren muss, was sozusagen Lehrmeinung ist, sondern ich mir sozusagen die ganze Breite dessen angucken kann, was so unter dem Label „Wissenschaft“ läuft. Was, das sag ich dazu, nicht heißt, dass ich nicht sehr, sehr genau gucke, an welchen Stellen was publiziert wird. Das ist auch in meiner Dissertation zur Produktion der Katastrophe schon wichtig, dass ich mir angucke, ob jemand - wie schnell jemand zufrieden damit ist, dass es doch die Aliens waren oder dass es doch irgendwie… man das alles so selbst spürt. Und da mache ich natürlich schon Unterscheidung.
Diringer: Sehr spannend auf jeden Fall. Ich hatte auch noch zwei Begriffe aufgeschnappt bei Online-Publikationen, und zwar „Arboreale Poetik“ und „Nature Writing“. Kannst du dazu vielleicht noch ein bisschen was sagen?
Nitzke: Genau, das ist der Punkt, wo ich so subtil auf meinen eigenen Sammelband hinweisen kann. Also, „arboreale Poetik“ ist sozusagen mein Vorschlag an die Literaturwissenschaft. Das ist dann der Punkt, wo man in der Literaturwissenschaft… Wir sind ja auch nicht arm an Fachbegriffen. Wo es um Poetik geht ist einerseits der Versuch, mir anzuschauen, welchen Einfluss Bäume auf Texte haben. Also das, was ich gerade meinte, ich guck mir das nicht nur als Motiv an, also nicht nur „In soundsoviel Gedichten taucht ein Baum auf“ und dann steht der Kirschbaum für dieses und die Eiche steht wie jenes und so und so. Sondern ich versuche sozusagen mit der Annahme, der Hypothese zu arbeiten, dass wenn man Texte daraufhin liest, dass Bäume für Bäume stehen und nicht immer automatisch für Menschen, dass das etwas mit dem Text macht. Und Poetik heißt dann - also im Grunde hätte man auch Baumpoetik schreiben können, und ich hatte auch am Anfang noch was mit „romantischer Dendrographie“ untendrunter, das habe ich mir dann doch gespart -, also die „aboreale“ wäre dann sozusagen die bäumische oder die Baumpoetik, d. h. Texte, die tatsächlich sozusagen aus den Eigenschaften, die sie Bäumen zuschreiben oder die sie über Bäume erlesen, entwickeln, wie Texte funktionieren.
Hier ist zum Beispiel Esther Kinskys Roman „Hain“. Ein tolles Beispiel. Das ist ein Roman, der heißt auch Geländeroman. Da kann ich auch gleich direkt auf Nature Writing kommen. Wo eine Protagonistin nach Norditalien fährt, um zu trauern um ihren verlorenen Partner. Und sie tut es auf verschiedene Weisen. Einerseits indem sie sich Bäume anguckt, und zwar ganz explizit keine besonderen Bäume, sondern einfach, was da halt so steht und indem sie fotografiert. Und wie das zum Beispiel zusammengebracht wird, wie die Baumfotografie zum Beispiel anders funktioniert und in dem Text beschreibt, wie der Text funktioniert: Das ist das, was ich mir angeguckt habe.
Und was ganz spannend ist, wo das dann mit dem Nature Writing zusammenkommt, ist zum Beispiel hier in dem Buch von Sumana Roy „Wie ich ein Baum wurde“ aus der Reihe Naturkunde. Also auf deutsch ist das bei den Naturkunden bei Matthes & Seitz erschienen. Das ist ja auch so eine Zwischenform zwischen fiktionalen Literatur und Sachtext. Das gibt es eigentlich im deutschsprachigen Raum erst seit Matthes & Seitz diese Reihe haben und einen Preis dafür verleiht. Das ist immer ein ganz guter Weg ein neues Genre einzuführen, indem man einen Preis dafür verleiht. Dann sind die Autor:innen oft selbst überrascht, dass ist diesem Genre zugehören, aber ich meine, wer lehnt schon so einen Preis ab, also funktioniert das ganz gut.
Sumana Roy macht was ganz interessantes. Das ist kein literaturwissenschaftliches Buch, das ist auch kein literarisches im Sinne von fiktionaler Erzählung, sondern so eine Art Selbsterkundung, also eine Autobiografie mit Bäumen. Und am Anfang steht auch da so eine Hypothese: „Ich möchte ein Baum werden“. Sie hat dieses Bild, dieses Begehren ein Baum zu werden, was ich dann zurückbinden kann an die Geschichte von Daphne aus Ovid, die ja auch ein Baum werden will, um Apollon zu entkommen. Und auch hier erzählt eine Frau, die Geschichte davon, wie sie sozusagen zu einer Pflanze, einem Baum werden möchte, um bestimmten menschlichen Erwartungen an ihr Frausein zu entkommen. Das ist schon relativ… ähm ja „innovativ“… das Wort immer so sehr eingebunden in diese ganzen fancy Wissenschaftssprechsachen, ja wenn man irgendwas innovativ, neu macht. Es ist eigentlich sehr alte Weise zu erzählen, ohne notwendigerweise eine geschlossene Geschichte zu erfinden, sondern ein „Ich“ in einen Naturzusammenhang zu setzen und dann zu gucken, was passiert. Das kann man auch als Nature Writing verstehen. Und es ist für mich deswegen so interessant, weil es genauso eine Randform von Erzählen ist. Und was ich mir in diesem „Aboreale Poetik“-Artikel angeguckt habe, ist, dass Menschen, die diese Texte schreiben, dass, was er hier - Peter Wohlleben kennen bestimmt einige - in „Das geheime Leben der Bäume“ tut, nämlich Bäume zu anthropomorphisieren, also in Menschenform zu bringen… Die sind dann befreundet und die sind dann Nachbarn und die passen aufeinander auf und alles solche Sachen… kehren diese Autor:innen, zum Beispiel Robert McFarlane, um und zeigen, wie die Menschen, die in diesen Texten vorkommen, nicht versuchen zu Bäumen zu werden … ähm nein, andersrum: Nicht die Bäume zum Menschen machen, sondern selbst versuchen mehr wie ein Baum zu werden. Das muss dann nicht so weit gehen wie bei Sumana Roy, die diese Grenzen des Baumwerdens auch feststellt, am Ende. Ja, also das ist jetzt nicht so, dass sie das am Ende wirklich von sich glaubt und man denkst so: „Ja, klar, nein, du bist ein Baum, ja sicher“. Sondern die sozusagen mit diesem Scheitern arbeiten. Das ist was, was ich interessant finde, also das Scheitern, der Versuch, ein Baum zu werden, von dem man weiß, dass er nicht gelingen kann.
Und das ist das, was dann Literatur oder literarisches Schreiben kann, also Nature Writing, weil es das versuchen darf und weil es nicht gelingt. Es ist eben kein wissenschaftlicher Artikel. Da muss am Ende nicht „was rauskommen“, was verallgemeinerbar ist, nachvollziehbar ist, sondern etwas, was für diesen Text funktioniert und was dann vielleicht auch andere anregt.
Diringer: Besonders interessant, ich hatte auch eine Geschichte über meinen Namen „Lilith“ mal gelesen, die auch im Sumerischen mal aus einem Baum herausgewachsen ist, wie auch immer. Also sehr spannend, dass du hier jetzt auch nochmal auf die Götterwelten verwiesen hast, welche alte Tradition es auch dort gibt.
Ihr könnt euch alle schon mal darauf vorbereiten, wenn wir gleich die ersten Fragen entgegennehmen.
Aber davor darfst du noch kurz möglichst prägnant zusammenfassen, was von der einen Seite vielleicht deine hauptsächliche Motivations-, auf der anderen Seite dein größter Demotivationsfaktor innerhalb deiner gesamten Arbeit bisher - vielleicht schon vorausschauend – ist oder sein wird.
Nitzke: Naja, da ich ja noch wissenschaftliche Mitarbeiterin bin und immer mal gucken muss, wie das so weitergeht, ist der Demotivationsfaktor all das, was so zu organisieren ist, damit ich diese Forschung machen kann. Also, gucken, dass man eine Stelle hat. Dass - ich bin mit meiner Familie hierhingezogen - dass auch mein Mann irgendwie unterkommt. Also, dass man all das irgendwie zustandebekommt, was nötig ist, damit man sich in Ruhe hinsetzen und forschen kann. Das war, wie Sie sich denken können, im letzten Jahres super spitze, mit geschlossenen Kitas, hab ich total produktiv gearbeitet, war noch nie so toll. Also, das ist tatsächlich das, was es wirklich frustrierend macht und was es dann auch frustrierend macht, dazu gehört eben auch, dass ich - was auch Spaß machen kann - ständig erklären muss, was ich da eigentlich mit zu schaffen hab. Ich bin weder Botanikerin, noch ist es so „richtige Germanistik“, was ich hier mache. Und wenn ich auf dem Germanistentag sowas vorstelle, dann ist das immer „hübsch“. Die Frau Nitzke, die macht was mit Bäumen, das ist auch schön, das kann die auch gern mal machen, aber es ist immer sehr viel Arbeit, bis die Leute das richtig ernst nehmen. Da kommt dann halt so eine „arboreale Poetik“ mal um die Ecke und dann wissen die Leute schon: „Jaja, die kann die Worte schon schmeißen, wenns sein muss“.
Und der Motivationsfaktor ist… Also erstens hab habe ich noch ein Regal voller so schöner Bücher kaufen „müssen“ und es sind wirklich bemerkenswerte Dinge, die in Texten passieren und die zeigen, was tatsächlich auch eine interdisziplinäre Herangehensweise an Wissen – und jetzt bewusst nicht nur formalisierte „Wissenschaft“ - sondern an Wissen bringen kann. Wo man einfach ein bisschen rührt. Und was gerade im Moment, wo aus verschiedenen Richtungen - auf mir sehr unangenehme Weise -wissenschaftliches Wissen angezweifelt wird, glaube ich auch sehr sehr wichtig ist, dass man gucken kann, welche Weisen gibt es eigentlich, Skepsis zu äußern, zu zweifeln. Alternativen zu erzählen, die eine Berechtigung haben, weil sie eben sozusagen etwas öffnen und nicht immer eindampfen. Das ist für mich - also da erlaube ich mir meine eigene Arbeit tatsächlich wirklich wichtig zu finden.
Diringer: Ja sehr sehr schöne Einordnung und gute Darstellung dann auch dieses Struggles. Aber wir hoffen natürlich, dass solche Veranstaltungen auch ein weiterer Motivationsfaktor sind. Und dementsprechend würde es mich freuen, wenn von eurer Seite aus auch Interesse gezeigt wird, im besten Fall in Form von Fragen. Gibt es denn schon erste Gedanken, Kommentare?
Gast: Bei Ovid sind dass, ich sag jetzt nicht Figuren, Bäume, ja, also Lebewesen außer Menschen, die aber selbstständig handeln, es ist eine reale Situation, die dringt nicht in eine Subebene ein, sondern hat dort ihre eigene Lebenswelt, wie meinetwegen Menschen. Aber was sie hier vorstellen, das ist ja was völlig anderes. Dort lebt ja der Baum oder was weiß ich wer, in der Welt des Menschen, notfalls als Erzählung, als quasi Subebene. Und führt dort ein eigenständiges Leben. Versucht eine Verbindung herzustellen. Mit der andern Hauptebene meinetwegen. Und da sehe ich auch einen ganz gravierenden Unterschied zu Ovid. Bei Ihnen sind das Pflanzen, speziell Bäume.
Wenn man dann mal E.T.A. Hoffmann nimmt, wo das ja fast immer Tiere sind. Also meinetwegen bei „Meister Floh“, da ist es der Floh. Oder duie Schlange hier bei… wie heißt die Geschichte schnell… oder bei Prinzessin Brambilla. Da spielt das ja immer fast in ner zweiten Ebene, in einer dritten Ebene. Der Leser weiß zum Schluss nicht mehr, in welcher Ebene bin ich denn. Er weiß bloß genau, in der Ebene kann die Geschichte nicht enden. Wie macht ers denn, dass es nun wieder in die Realität zurückkommt. Und plötzlich knallt eine Tür und da sagt der Johann, zu dem er die Geschichte erzählt, und plötzlich ist es wieder in der Ebene eins. Wie verhalten Sie sich denn in Ihren Erzählungen oder Geschichten oder Romanen oder was weiß ich?
Nitzke: Also, das ist ein ganz großartiger Strauß von Fragen und genau im Zentrum meines Buchs, weil das eine sehr unterschiedliche Literatur macht. Also bei Ovid würde ich es am besten andersrum sehen. Das Tolle an Ovid ist genau das, was sie beschrieben haben. Da kann eine Figur wie Daphne zu einem Baum werden, da werden die Finger zu Ästen, die Füße zu Wurzeln, die Haare zu Blättern. Das passt und dann ist der Baum sozusagen schon in der Figur angelegt, aber eben tatsächlich sozusagen kontinuierlich, sie muss nicht magisch verwandelt werden, sondern sie kann das sozusagen schon werden. Und ich hab - noch mal zur Motivation - ich hab neulich in einem Kolloquium vorgestellt, was ich da gerade so mache und hab mich anstatt mich mit den Kollegen in meinem Kolloquium sozusagen, in den Medienwissenschaften und Germanistik, habe ich mich bei den Altphilologen mit hineingeschlichen, um mal auszuprobieren, ob das, was ich so zu Ovid zu sagen habe auch hält. Und das, was bei Ovid interessant ist, ist das ja eigentlich umgekehrt ein Schuh draus wird. Ovid erzählt ja fast rückwirkend, weil die Geschichte von Daphne zum Beispiel ist die Frage, warum tragen eigentlich alle Leute Lorbeerkränze, um bis sich besonders zu rühmen. So, und dann fängt man zu erzählen: Ja gut, da war mal der Apollon, und der hat sich verliebt in diese Nymphe, die wollte ihn aber nicht, weil er sich vorher mit Amor angelegt hat und da gibt es diesen Liebespfeil und diesen Entliebenspfeil. Jedenfalls rennt Sie vor ihm weg, er kann sie nicht bekommen. Es ist aber klar, das wird nicht lange gut gehen. Sie bittet ihren Vater, den Flussgott, sie zu retten und dann wird sie zu einem Baum. Und Apollon liebt sie trotzdem noch, weil er ihre menschliche Gestalt in dem Baum noch erkennt. Er hört ihr Herz noch schlagen unter der Rinde. Das ist aus heutiger Perspektive gelesen auch so ein bisschen – nicht so ein bisschen – es ist massiv unangenehm, wenn man das liest, wie er sich dann trotzdem auf dem Baum setzt, obwohl sie gerade dachte entkommen zu sein. Aber es ist genau das, was sie sagen, ja, das ist eine gerade Linie auf der das stattfinden kann. Es gibt einen Roman vom amerikanischen Autor Richard Powers, der heißt in der deutschen Übersetzung „Die Wurzeln des Lebens“. Ich muss immer so lange überlegen, weil es auch einen Pflanzenphilosophen gibt, Emanuele Coccia, da heißt das Buch „Die Wurzeln der Welt“, weil auf Deutsch muss immer alles Wurzeln haben. In diesem Roman jedenfalls wird Ovid als Intertext, also d. h. als Bezugstext genommen, um genau diese Kontinuität wieder zu zeigen. Der macht also nicht nur… da kommt ein ähnliches Buch wie das von Wohlleben vor, also ein Buch im Buch. Womit wir fast schon bei Hoffmann sind, ich komm noch dahin. Der versucht aber sozusagen von diesem antiken Text - 2000 Jahre alt - mitzunehmen, dass es eine Kontinuität gibt, dass es keinen Kategorialen Unterschied gibt zwischen der Welt, in der die Bäume leben und der Welt, in der die Menschen leben. Und da sind wir auch wieder bei der Nachfrage vom Anfang. Wir leben also in einer Baumwelt und nicht nur ist der eine beim anderen zu Gast, sondern man ist eben auch verbunden. In dem Roman von Richard Powers gibt es dann auch eine Wissenschaftlerin, die dann eben sagt, wie viel die Gene identisch sind usw. Das wird dann eben auch in einem anderen Modus gemacht, weil da eben keine Nymphen herumlaufen. Das ist zwar nicht plausibel für den Realismus dieses Textes. Da wird es über andere Sachen hergestellt. Was das bei so Ovid so interessant macht, ist dass Ovid ja nun alles andere als ein altvorderer Mythentext ist, das ist ja hochkomplexe Literatur. Also das ist wirklich, ich meine, wenn man anfängt in Hexametern zu schreiben, dann ist es kein spontanes Erzählen mehr. Und da und da genau zwischen bewegt sich das. Hoffmann ist ein anderes Problem. Denn diese Romantik, die muss damit leben, das eigentlich diese Kontinuität nicht mehr sein darf. Industrialisierung beginnt, Institutionalisierung von Wissenschaften beginnt, oder sowas. Und d. h. jedes Mal, wenn E.T.A Hoffmann erzählt, wie man in … „Die Elixiere des Teufels“ ist das glaube ich mit der Serpentina, oder? Jetzt weiß ich auch nicht, ob ich das gerade durcheinander werfe. Also da, da macht man halt so die Studierzimmer, das sind dann auch oft Gelehrte, die sich dann aber plötzlich, wenn man die richtige Tür zwischen den richtigen Bücherregalen aufmacht, ist das doch schon ein chemisches Ding und sind die doch Zauberer, und doch mit dem Teufel im Bunde und solche Sachen. Und da muss man aber schon am Anfang genau diese … da gibt es eben so Zimmern die gestapelten - apropos Poetik - ja also da ist dann ein Zimmer mit einer Geheimtür hinter der sich ein geheimes Zimmer befindet, das dann noch geheime Tür hat, wo man dann sozusagen beim Teufel ankommt. Ja, aber die genau diese Welten sozusagen übereinander stapeln und die immer wieder damit leben müssen, dass das eben eigentlich nicht sein darf, sondern Kontinuität. Und wie ich damit umgehe, ist erstens: Sehr lange zu erzählen, wie ich gerade wieder feststelle. Und zweitens zu schauen, wo Autor:innen heutzutage in ganz vielen - und es ist wirklich also aus einer Arbeitsperspektive erschreckend, wie viel allein in den letzten zwei Jahren an Baumtexten erschienen ist - wirklich versuchen, sich das Recht auch für die Literatur wieder herauszunehmen, zu sagen, „Da wird jemand ein Baum“. Das ist ein unerhörter Satz. Wir sind absolut bereit, dass bei Ovid zu akzeptieren, weil das ist ja 2000 Jahre alt, was wussten die denn schon. Also, das bisschen Hexameter und römische Kultur - pfff. Aber, das ist eben ein völlig unerhörter Satz und dann realistische Roman draufzuschreiben, das ist eben so eine Art von Störung, an der arbeite ich. Also, Sie haben im Grunde meinen Problemaufriss geschildert.
Gast: Aber was würden Sie sagen, wann der Umschwung vom Tier, bei E.T.A. Hoffmann beispielsweise, zur Pflanze erfolgt.
Nitzke: Das ist eine eher eine Frage, wann Literaturwissenschaften auf was aufmerksam werden. Also die Romantiker arbeiten fast genauso viel mit Pflanzen, wenn Sie an „Das kalte Herz“ denken von Hauff oder an Tieck, „Den Runenberg“. Und die ganzen Wälder, die wieder was können. Das ist eher eine Spezialität der einzelnen Autoren zu der Zeit oder Autorinnen. Bettina von Günderode hat super viel dazu gemacht. Ähm, jetzt habe ich sie durcheinandergebracht: Die Günderode von Bettina von Arnim, so. Ja, die arbeiten mit beidem. In der Literaturwissenschaft kann man das relativ genau sagen, da hat sich die… wo ich ja jetzt auch so dazu gehöre… also einerseits hat sich die ökologisch orientierte Literaturwissenschaft seit den 1990er Jahren institutionalisiert und das Interesse für Pflanzen ist in den letzten zehn Jahren wirklich groß geworden.
Diringer: Also ein ganz aktuelles Thema. Wir hatten hier noch eine weitere Frage.
Gast: Der Unterschied ist aber meines Erachtens doch, dort ist es immer in Form eines Märchens erzählt.
Nitzke: Nicht immer...
Gast: Aber als Realität, weil das bei E.T.A Hoffmann ja völlig anders ist, dort ist es Realität und dort spinnt sich die Realität, in eine immer andere Ebene.Und plötzlich denkt man dann, das kann ja wohl nicht mehr funktionieren. Wie will der das auflösen?
Nitzke: Aber das ist genau die Art von Zuordnung, gegen die ich mich setze, weil das ist wirklich sehr unterschiedlich und mit der Perspektive, aus der ich arbeite, stellt sich das tatsächlich differenzierter noch mal dar. Also das ist auch der Effekt - das, was sie gerade gesagt haben, ist nicht falsch. Aber dass das immer als Märchen erzählt wird, liegt auch daran, dass das in der Schule und in der Universität usw. immer als Märchen unterrichtet wird. Da stehen dann Leute wie ich und sagen ihren Studierenden: „Ja, aber im Endeffekt ist das natürlich ein Märchen“ und die müssen das dann aufschreiben, denn wenn sie es nicht aufschreiben, kriegen sie halt ne Vier. Das ist jetzt ein bisschen sehr vereinfacht, aber – Frau Flecks guckt schon - ja aber, das ist eher eine Frage, wie mit diesen Texten gearbeitet wurde, als was in diesen Texten drinsteckt. Weil wenn man die noch mal anguckt und noch mal liest, dann öffnen sich da wirklich noch mal ganz andere Welten. Also, da verweise ich jetzt mal auf mein Buch, das dann irgendwann erscheinen wird.
Diringer: Ich denke auch, dass wir auch im Zuschauerraum alle unsere Bücher nochmal anders reflektieren werden. Noch ein kurzer Hinweis. Wir nehmen das Ganze auch als Audiodatei auf, damit es im Nachhinein auch einem größeren Publikum zugänglich ist. Von daher würde ich euch alle bitten, wenn ihr die Frage formuliert, ganz kurz zu warten auf das Mikrofon und dann haben wir auch die ganze Frage immer schön auf der Aufnahme mit drauf. Denn ich kann auch schwer unterbrechen und die Frage nochmal wiederholen, weil hier ja ein Dialog entstehen soll. Also ganz kurz gedulden und dann kommt das Mikro zu euch geflogen durch unsere Helferin. Jetzt würde ich sagen, die nächste Frage…
Gast: Ja, also du hattest es grad schon angesprochen, dass es mehr und mehr Literatur über Bäume gibt. Was mich interessieren würde: Zum einen, was sagt es aus, dass so viele Bücher über Bäume jetzt entstehen und wie werden Bäume unterschiedlich in unterschiedlichen Zeiten vielleicht verarbeitet, ohne dass es jetzt ein Motiv sein muss, sondern einfach, was heißt das und was sagt das dann, wie der Diskurs der Öffentlichkeit verläuft. Und das ist vielleicht die zweite Frage: Welche öffentlichen Diskurse - oder gibt es öffentliche Diskurse, die gerade diese Baumbücher anstoßen?
Nitzke: Also, wenn ich das aus der Literaturperspektive beantworte, Literatur im engeren Sinne, da sind die Bäume im Moment deswegen auch ein besonders dankbares Sujet, weil sie durch die öffentlichen Diskurse nach, denen du auch fragst, ganz neue Fähigkeiten zur haben scheinen. Ja, also ich hab Alexander Demandt erwähnt, der eben als eines seiner letzten Großwerke als Historiker diese Geschichte des Baums schreibt, weil das so schön ist, weil die Bäume sich nicht verändern. Das ist halt überhaupt nicht mehr der Stand der Dinge. In der öffentlichen Diskussion - dient nicht zuletzt also gerade in Deutschland massiv um Peter Wohlleben kreist und eben dieses „Geheime Leben der Bäume“ - aber eben auch gerade aus den USA und England, aus Italien durch Stefano Mancuso und „Die Intelligenz der Pflanzen“ heißt dessen Buch - massiv in Bewegung geraten ist. Und da ist gar nicht so sehr interessant, ob das jetzt stimmt, was die sagen oder nicht nicht. Das ist für die meisten - also gerade für Literaten ist es voll „Who cares?“, also ganz ehrlich, aber die Vorstellung, das es plausibel genug ist, über Bäume als intelligent, als kommunikativ und als sozial zu sprechen, ist eine Infragestellung dessen, was man meint ja sehen zu können. Die macht es literarisch interessant, und die macht es vor allem literarisch interessant, um Geschichten zu erzählen, von Leuten oder von Figuren, die sonst nicht romanfähig sind. Also warum sollte man - es gibt, das haben wir in dem Metamorphosen-Seminar ja gelesenen, den südkoreanischen Roman „Die Vegetarierin“ von Han Kang. Wo auch eine Frau eben zum Baum wird. Und was daran erzählt wird, an diesem skandalösen Bedürfnis, sich in einen Baum zu verwandeln, ist, wie eingeschränkt ihre Entscheidungsfreiheit ist. Die hört am Anfang auf, Fleisch zu essen und das ist die eigentlich schon vollkommen aus der Gesellschaft ausgestiegen. Ihre Familie versucht, sie dann zu zwingen. Dann geht es um die Frage, ob sie selbst begehren kann. Das kann sie dann erst als Pflanze. Und auch hier, in „Die Betrunkenen Bäume“ ist das, was den Baum so interessant macht, das, was ich Dendromorphisierung nenne. Dass Menschen sich aus ihrer Menschlichkeit heraus begeben können. Und das macht es auch so interessant bei Pflanzen und Bäumen eben im Vergleich zu Tieren, also wenn man das vergleicht. Baum-Mensch, Baum-Tier. Wenn man also einen Hund nimmt. Das ist aus der Perspektive schon fast dasselbe, also ob man jetzt ein Hund ist, oder nicht. Das ist natürlich schon ein bisschen was anderes. Aber der Weg vom Mensch zum Hund, zum Wolf, zum Affen - das sind ja die typischen Tiere, die vorkommen - aber selbst zum Käfer oder zum Ungeziefer, wenn man an Kafka denkt – ist nicht halb so weit wie der zu einem Baum. Weil da alles anders ist und gerade eben auch eine Form von Hypermoderne-Kritik sich mit verbindet. Ja, also wenn wir über Beschleunigung reden, wenn wir über unsere Vernetzung reden, wenn wir über die Arten und Weisen, wie kommuniziert wird oder nicht sprechen, dann können Bäume sozusagen einen Perspektivenwechsel einläuten, der eben auch für die literarische Form interessant ist. Und da passieren total aufregende Sachen. Wenn man sich die Lyrik von Marion Poschmann anguckt, zum Beispiel, dann ist es Nichts, was jetzt plötzlich ganz neue Formen herausbringt. Sondern gerade da, wo es um Bäume geht - Christian Lehnert ist auch so ein Fall – sind es plötzlich ganz alte Formen. Da gibt es dann Sonettenkränze. Ja, ich dachte, ehrlich gesagt, sowas gibt's nur noch irgendwie im Germanistik-Grundkurs. Ja, aber da werden plötzlich so alte Formen reaktiviert. Oder sowas wie Ovid wird plötzlich wieder ein ganz moderner Text und man kann da ganz anders drüber reden. Das hat mit der Dennis Pausch aus der Latinistik auch erzählt, dass seine Studierenden ganz anders solche Texte noch mal lesen. Und das ist das, was es so interessant macht. Und die öffentlichen Diskurse um die es da geht, sind, welche, die für mich auch so interessant sind, weil sie noch mal neu diskutieren, was Literatur eigentlich kann.
Also die öffentlichen Diskurse sind, ich habe das gerade schon angedeutet… Andreas Roloff, Forstbotaniker hier in Tharandt, da war ich. Der fragte mich auch gleich so: „Na, wie halten Sie’s denn mit dem Wohlleben? Was finden Sie denn?“. Und da saß ich da… Und ich so: „Hm, naja, also mich muss das ja inhaltlich nicht so interessieren, da brauche ich mich ja nicht so zu positionieren.“ Natürlich kann man sich schön ausreden, aber mich interessiert tatsächlich eher die Art und Weise, wie das jemand erzählt und dann hier, so eine wirklich zum Teil auch sehr – man kann jetzt radikal vereinfacht sagen - man kann auch irgendwie „heruntergebrochen“ sagen. Je nach dem wie man das gerade findet. Weil so Sozialleben unter Bäumen zu erzählen, ist einerseits so ein bisschen mit der Brechstange, andererseits aber eben auch was, was - nicht nur bei Wohlleben, sondern auch bei anderen, aus der Verzweiflung gegenüber der Ignoranz von echten Menschen gegenüber wirklichen Bäumen, also im Sinne von, „Wenn ich mit dem Knie dagegen haue, tuts weh“ – das meine ich jetzt mit wirklich. Und da geht es dann tatsächlich auch um die Art und Weise, wie kann man sich eigentlich in einer Welt bewegen – deswegen sag ich das auch immer: „Wir leben in einer Welt der Bäume, nicht umgekehrt“. In der wir - ich hab es als Kind schon ständig gehört: „Der Regenwald, der Regenwald und es gibt bald keinen mehr“ - und das war die große Zeit von saurem Regen und sonstigen Sachen. Und man sitzt da und man schwitzt und es ist das vierte Jahr in dem man denkt: „Ja, gut, also so richtig, mit regnerischem Sommer ham wers nun auch nicht mehr“. Und trotzdem wird wieder eine Fläche freigegeben, wo komplett abgeholzt wird – ich darf gar nicht anfangen - wird ein Wiederaufforstungsprogramm gemacht, wo der komplette im Boden mit allem, was irgendwie abgebrannt ist, abgetragen wird. Mit diesen riesigen Harvestern, um dann neue Pflanzen zu setzen, von der gleichen Art, die vorher schon nicht funktioniert hat. Da geht es dann tatsächlich auch um Ffragen, wo Leute sich bemächtigt fühlen, zu sagen, „Ja, aber ist das nicht so?“. Und das, was mich, interessiert, was mich auch so ein bisschen freut, ist das, weil zum Beispiel jemand wie der Wohlleben, so erzählt, wie er erzählt, spricht der Leute nicht nur an, sondern er gibt den auch was in die Hand, um so richtig zu nerven und so richtig zu stören und so richtig Leute zu zwingen, zu erklären, warum das eigentlich so ist, und nicht anders. Und da ist glaube ich wirklich gerade was in Bewegung.
Diringer: Das ist da auch in den öffentlichen Diskursen. Und „Die Vegetarierin“ zum Beispiel hat meine Mutter mir geschenkt, unter anderem weil ich mich eben auch vegetarisch-vegan ernähre. Wer genau ist denn so das Klientel, die das jetzt in letzten 10 Jahren, wo so viel aufkam, gelesen hat, lesen wird. Studierende? Auch Jugendliche von Fridays for Future? Die Literaten? Die Forstwirtschaftler? Kann man das irgendwie abgrenzen?
Nitzke: Also das kommt auf das Buch an. Ich muss jetzt sagen, wenn man jetzt hier so eine Reihe nimmt, von Matthes und Seitz. Judith Schalansky, die das gestaltet, sagt, das ist so ein doppeltes Biotop. Einerseits ist es sozusagen eine bestimmte Naturauffassung. Das sieht man hier auch, die sind unheimlich schön gestaltet. Die sind illustriert und so ein Ding kostet dann 35 oder 38 €. Das richtet sich jetzt nicht direkt an eine große Öffentlichkeit, muss man mal so sagen. Man könnte auch sagen, das schließt viele Leute aus. Also, viele von den Sachen lesen die Leute, die sowieso lesen und die sich dann auch schöne Bücher in den Schrank stellen. Das gilt im gewissen Maße auch für diese Kinderbücher. Ich hab hier Piotr Sochas „Bäume“ mitgebracht. Der hat auch ein ganz schönes Buch über Bienen, was mit ganz tollen Infografiken gemacht ist. Das ist jetzt für alle Audio-Zuhörer doof. Also, da geht’s dann von Stammbäumen über die Tiere, über Baumhäuser und alles mögliche.
Diringer: Ja die Zuhörer können ja mal vorbeikommen und dein Regal begutachten.
Nitzke: Ja, juhu. Oder mir auf Twitter folgen, da poste ich sowas auch ständig. Also natürlich kaufen nicht alle Eltern ihren Kindern diese Bücher. Andersrum: Nicht alle Eltern machen das so wie ich und kaufen SICH diese Bücher und halten Sie Ihren Kindern vor die Nase, damit sie einen Grund haben, die Bücher zu kaufen. Aber sowas steht dann eben auch in Bibliotheken, also gerade die Bücher, die sich an Kinder richten.
Ich möchte auch nochmal zu Wohllebens Ehrenrettung sagen: Die Wohlleben Kinderbücher sind mit Abstand besser als die, die sich an Erwachsene richten. Offenbar muss man Erwachsenen Sachen – wenn ich das so sagen darf - ein bisschen blöder verkaufen als Kindern. Kindern wird in diesem Sachen mehr zugetraut, auch weil die eben kein Problem damit haben, wenn anthropomorphisiert ist und in echt redet. Also gerade bei den Kinderbüchern habe ich schon den Eindruck, dass das eine große Reichweite hat. Robert McFarlane, hat ein Buch gemacht, das heißt „The lost words“ – „Die verlorenen Wörter“. Das ist hier auch bei Matthes und Seitz erschienen. Aber die haben in England eine ganz große Aktion gemacht, wo sie per Crowdfunding dieses Buch an praktisch alle Schulen in Klassensätzen verteilt haben. Weil das Prinzip dieses Buchs ist, dass sie Worte, die aus dem Oxford English Dictionary gestrichen wurden, weil man sie nicht mehr braucht, sowas wie King Fisher, also der Eisvogel verschwindet dann für sowas wie Smartphone – das geht natürlich gar nicht. Da ist kulturkritisch direkt die Hölle los. Ich freu mich immer über solche Geschichten.
Aber die haben dann eben auch so eine alte Form. ABC Gedichte, die eben früher auch genutzt wurden, um Schülern was beizubringen. Wunderschön illustriert. Und die haben die Bücher einfach verschenkt. Ja, sowas gibt es auch. Lange Rede, kurzer Sinn. Also dass ist mit den meisten Büchern und Literaturen so: Das lesen die Leute, die eh lesen. Also ich möchte mir jetzt auch nichts vormachen. Ja, das ist jetzt nicht plötzlich, dass alle Leute anfangen und sagen: „Oh, Literatur! Sonettenkranz!. Das ist es doch!“. Aber es bringt auch mehr Leute - und da würde ich mich jetzt mal unbescheiden selber zu zählen - mehr Leute dazu, davon zu erzählen und dann plötzlich anzufangen, Formate zu machen, in denen… Letztes Jahr war im Brechthaus zum Beispiel was… in denen über Ökologie gesprochen wird und ganz selbstverständlich ist dann Literatur dabei, sind dann Wissenschaftsjournalistinnen dabei. Und diese Mischung, die macht’s, glaube ich.
Und dann habe ich noch so ein Buch, das vielleicht auch noch… Ja, also gut, der Wohlleben hat natürliche eine Riesenreichweite, aber hier Caroline Ring hat dieses Buch geschrieben: „Die Botschafter des Lebens. Was Bäume in Städten erzählen“. Und das ist eine Mischung aus Nature Writing und Reiseführer. Die ist mit Bus und Bahn - was ich sehr sympathisch fand, weil sie gesagt hat, sonst kommt man ja doch nicht zu den Sachen - zu verschiedenen Bäumen in Deutschland gefahren, hat deren Geschichten gesammelt. Und wirklich so „Was macht ein Maulbeerbaum? Aber warum steht der auch in dieser und jener Stadt? Und dann gibt’s eben die Mammutbäume in Stuttgart, weil der Stuttgarter Fürst zu der Zeit hat zu viele Samen bestellt und hat die dann all seinen Freunden verschenkt und die wussten nicht, was sie machen, haben die dann einfach in den Garten geworfen und mittlerweile kann man, wenn man an einer bestimmten Stelle steht, in Stuttgart sehen, wenn die dann mal so 200 Jahre wachsen dürfen, sieht man schon die werden höher als so der übliche Baum der da halt rumsteht. Und solche Sachen.
Und diese Sachen haben auch, sozusagen eine Form des Nature Writings, die schon noch mal weiterreicht, weil sie eben nicht mit dem großen Tatatata - Bachmann Preis war ja jetzt gerade – Literaturding. Ganz ehrlich, ich les sowas ja auch nicht so gerne, wenn da groß draufsteht: „Das ist jetzt hier Literatur“ und dann muss man sich anstrengen. Ist jetzt auch nichts, was ich unbedingt machen muss. Und ich glaube gerade so in diesen Formaten, die von vornherein auf Kommunikation ausgerichtet sind und die auch was über Bäume erzählen wollen, damit die da einfach weiter wachsen dürfen. Da passiert schon viel. Und dann passiert natürlich auch viel darüber, dass wenn jetzt die nächste Diskussion über den Hambacher Forst ist. Leute einfach was machen. Fridays for Future. Was interessanterweise sich gar nicht so sehr sich auf Literaturen bezieht, und das halte ich für sehr kluge Idee, dass man nicht schon wieder irgendwie so intellektuelles Movement macht, wo dann die klugen Leute mit den Büchern kommen und sagen, so jetzt müsst ihr alle mal zuhören. Sondern die das halt auch selber sehen. Aber dieses sehen lernen und hören lernen und auch riechen lernen. Es gibt tolle Bücher über den Geruch von Bäumen. Das ist schon was, was man auch weitererzählen kann.
Diringer: Es ist auch sehr schön, mit allen Sinnen zu erfahren, hier mitten im botanischen Garten, haben wir das natürlich auch. Wir hoffen, die Audio-Zuhörer dann vielleicht auch auf Balkon oder Ähnlichem. Ich möchte gern nochmal in die Runde blicken.
Gast: Ich hab gleich zwei Fragen. Die erste Frage, da möchte ich ein bisschen was vorher sagen. Also ich kann mich gut erinnern, als Kind hatte ich ne besondere Beziehung zu Bäumen. Ich bin auf dem Dorf groß geworden und da gab es immer so Bäume, wo ich gern hingegangen bin und die so ein bisschen mein Seelentröster und mein Beichtvater waren. Jetzt im Alter fange ich wieder an mich mit Bäumen zu beschäftigen und Wohlleben ist gerade bei mir in meiner aktuellen Bücherliste mit drin, den lese ich gerade. Für mich ist jetzt mal interessant: Wieso haben Sie sich einem solchen Thema verschrieben? Was gab es bei Ihnen für einen Auslöser? Gab es da irgendetwas? Und die zweite Frage, welcher Baum sind Sie?
Nitzke: Bei der zweiten Frage bin ich froh, dass Sie mir nicht als erste die Frage stellen. Als man mir erstmals diese Frage gestellt hat, bin ich beinah vom Stuhl gefallen, weil ich bei allem Reden darüber, wie sehr ich mich gerne an den Grenzen bewege, natürlich schön in meiner Wissenschaftsposition sitzen bleibe.
Also zur ersten Frage. Ich mochte Bäume auch immer schon, aber da bin ich auch nicht alleine, also, das ist auch das Schöne an dem Thema. Die meisten Leute unterhalten sich gerne auch über Bäume und eigentlichem haben fast alle solche Bäume. Ich hatte auch… Also bei uns gabs so eine schöne Buche im sogenannten „Sumpf“, also da war so ein unbebautes Gebiet hinter dem Haus, wo ich aufgewachsen bin - das gibt es jetzt natürlich nicht mehr – und da konnte man ganz gut drauf klettern und lesen und da hab ich immer geschmollt, als ich 13 war. Das war ein guter Baum. Wie das gekommen ist, ist ganz profan. Ich musste mir ein Habilitationsprojekt suchen und meine Chefin damals in Wien hat ganz klar gesagt, „Jetzt kannste nicht wieder sowas abgefahrenes mache. Jetzt musst du dir mal was vernünftiges suchen, was auch nach Germanistik aussieht“. Ja, ist kein Spaß. „Guck doch mal, ob du Klima irgendwie mit Österreich zusammenkriegst, weil wir sind ja in Wien“. Und dann bin ich über die Dorfgeschichten zum Wald gekommen. Und das ist auch ein tolles Thema, ja keine Frage, ich finde dann auch da irgendwie coole Sachen. Und dann sieht das Buch von außen aus wie Germanistik, und da krieg ich schon noch was rein was Spaß macht. So und dann kam eine Kollegin aus Bochum über Facebook - also auch die bösen sozialen Medien – und sagte „Wär doch eigentlich mal witzig, wenn mal einer was über Bäume macht.“ Daraus ist dieses Buch entstanden. Und dann hab ich angefangen zu lesen, konnte echt nicht mehr aufhören. Weil da eben auch solche Sachen kommen… Dann kann ich jetzt noch einen Literaturtipp geben: „Der Gesang der Bäume“ von David G. Haskell. Das wird Ihnen richtig gut gefallen. Kann ich gleich nochmal sagen.... Weil das auch so ein Zwischending ist. Der ist auch Forstökologe und machte diese Sachen.
So und ich muss zugeben, seit ich das mit den Bäumen mache, mach ich auch Sachen im Selbstversuch. Also ich steh viel öfter nah dran und fass auch mal an. Ich gucke immer, dass nicht so viele Leute das sehen, wenn ich allzu umarmig werde. Und auch aus Prinzip. Ja, wenn mich das nächste Mal beim Germanistentag einer fragt „Fängste jetzt auch an, mit dem Bäume umarmen“, sag ich: „Klar, du nicht?“-
So, welcher Baum ich wäre? Also, gestern habe ich behauptet, ich wäre gerne eine Zitterpappel. Weil, wie man in einer völlig windstillen 38°-Hitze stehen kann und trotzdem noch so elegant vor sich hin rauscht…. Das würde ich gern auch können. Also, ich muss gar nicht so ein ganz uralter sein, aber so ne Pappel, das wär schon so ein Ding.
Gast: Sie haben ja nun gesagt, dass Sie ein ganz gut gefülltes Bücherregal mit jeder Menge Baumbüchern haben und haben Sie denn da ein Lieblingsbuch?
Nitzke: Ja jede Woche ein Neues! Also ja, auch so ein Zwischending zwischen Literatur und Nature Writing. Das gibt es jetzt leider noch nicht in deutscher Übersetzung von Fiona Stafford, die ist Literaturwissenschaftlerin in Oxford. „The long long life of Trees“ – Das lange lange Leben der Bäume. Und da geht sie so die Baumarten durch und sammelt eben auch alle Geschichten, die man dazu so finden kann. Das finde ich wirklich, wirklich toll und ansonsten bei den Romanen kann ich mich nicht so festlegen. Also Esther Kinski hat mich schon sehr sehr beeindruckt. Aber das ist jetzt nicht so ein Lieblingsbuch wo ich sagen würde, da setze ich mich mal gemütlich in meinen Sessel. Das ist wirklich eins, das hat mich wirklich beeindruckt, weil es einen auch aufwühlt, auf eine besondere Weise. Und die Haskell-Bücher sind toll. Die sind wirklich toll.
Diringer: Also auch wieder eine breite Empfehlung. Wir setzen uns dann auch die nächsten Tage gleich an den Schreibtisch, um uns eine Prioritätenliste zu schreiben
Gast: Dann vielleicht eine gute Anschlussfrage. Und zwar würde mich interessieren, wie du aussuchst, mit welchen Büchern du dich beschäftigst. Gerade auch, wenn du sagst, dass die Auswahl so groß ist. Und das andere, was ich mit in die Diskussion bringen wollte. In den letzten Tagen hatten wir von der tuuwi aus einen Projekttag zu Wildnispädagogik organisiert. Und da Wahrnehmungsübungen gemacht. Und das rundet das ganze jetzt ganz gut ab. Und ich find das auch ganz spannend, denn ich habe gerade auch Martha Nussbaum gelesen. Und das scheint sich auch so viel auf emotionstheoretischere oder emotionshaftere Forschung zu begeben. Also zu verstehen, dass wir die Sachen rational betrachten können, aber auch Emotionen mit ienbeziehen sollen. Das wollte ich mit anbringen, weil ich glaube, dass das etwas ist, das du auch mit anstoßen möchtest. Aber ansonsten würde mich interessieren, wie du die Auswahl überhaupt triffst.
Nitzke: Also von hinten her beantwortet: Das ist so. Du warst ja bei mir auch schon im Seminar, du weißt das auch. Also, beim ganz schmusigen hör ich auf. Ich mag schon, auch wenn das dann literaturwissenschaftlich fundiert ist, wenn man weiß… Also, es ist für mich schon auch was anderes, wenn ich in so einer Runde hier drüber rede. Also von jetzt aus glaube ich nicht, dass ich sage, welcher Baum ich bin, in dem Buch was ich schreibe. Ich möchte es nicht ausschließen. Aber das ist schon so, dass diese Emotionssachen… und das ist natürlich, wenn man Martha Nussbaum dazu nimmt, hat man eine Gewährsform um diese Sachen. Aber es gibt eben verschiedene Wege, Dinge zu wissen, die auch verschiedene … Also die müssen nicht einfach nur, weil ich das halt so finde, sondern die eben auch bestimmte Sachen auslösen. Und da glaube ich, braucht es tatsächlichen Diskurs, auch zu sagen, dass auch Emotionen nicht total beliebig sind. Also nur weil ich gerade finde „Das und das wirkt bei mir nicht“. Wenn dann 20 Studien zeigen: „Doch“. Dann kann ich das finden, wie ich will, dann ist das Blödsinn. Also, das ist mir wirklich wichtig, dass das dazu kommt.
Aber mit dem Aussuchen... Das ist jetzt gerade die ganz große Aufgabe, vor der ich stehe. Also ich suche natürlich überhaupt nicht aus, wie man auch an meinen langen Antworten merkt. Sondern ich quetschte einfach so viel ich kann in so Sachen rein. Aber ich ordne das systematisch, also ich guck mir zum Beispiel… Hier „Hain“ interessiert mich, weil das um Mediatisierung von Bäumen geht. Ja, das gibt es bei Richard Powers zum Beispiel auch. Und dann suche ich mir einen Vergleichspunkt aus. Also, ich gucke mir zum Beispiel an, in dem Fall ist das „Fotografieren und Bäume“. Welche Medien, welche Techniken, welche Technologien setzen Texte ein, um Bäume oder bestimmte Eigenschaften von Bäumen plausibel zu machen in einem Text. Und hier ist es eben die Kamera, die bestimmte Dinge festhält und da geht es im Trauer, um die Frage eben auch „Kann man Erinnerungen eigentlich festhalten“.
Und interessanterweise, da ist sie nicht die einzige, sind solche Lebensbäume, die man hat, ja, also zu denen man eine Beziehung hat - wahrscheinlich ist der Baum im Garten bei der Oma ein wichtigerer Erinnerungs-Bezugspunkt als die Fotoalben. Bisschen runtergebrochen, aber das… Oder es gibt so eine Szene bei Richard Powers, wo dann jemand ein Daumenkino aus Bäumen macht, irgendwie über sechs Generationen. Ja, und am Ende hat man 1000 Fotos und kann sehen, wie der halt im Zeitraffer wächst. Und sowas guck ich mir eben an. Also ich guck mir Zeit an und ich guck mir Baumverwandlung an. So mach ich das. Also ich bin ja studierte Komparatistin, also vergleichende Literaturwissenschaftlerin. Und Äpfel und Birnen vergleicht man, indem
Man ein Drittes des Vergleichs, ein tertium comparationis, findet. Man sagt, das ist alles Obst und dann kann man diese Dinge alle zusammenbringen. Aber es wird ziemlich… ich fürchte das wird wie bei meinen Vorträgen und solchen Sachen auch… das wird halt ziemlich dicht. Also das wird wirklich sehr viel zusammenziehen und das ist mir auch wichtig. Also ist glaube, es bringt nichts, wenn ich da drei Close Readings mache und drei Romane sehr schön ausinterpretiere. Sondern ich will ja auch zeigen, dass es wirklich eine Literatur ist, die eben auch, sich über die Bäume so verschiedene Texte verbindet, die dann bestimmte Themen sozusagen nach vorne bringen.
Also suche ich nicht aus, und alles, was ich bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich mich endlich hinsetze und den Mist runterschreibe, kommt halt rein und dann wahrscheinlich noch 20 Sachen. Und dann wird es mir irgendwann ein Lektorin aus den Händen reißen müssen und schnell zum Drucker bringen und dann steht fest, was drin vorkommt. Das sollte ich natürlich jemanden, von dem ich Hausarbeiten einsammle, nicht verraten, dass ich so arbeite.
Diringer: Ein breites Thema. Wir sind auch so langsam gegen Ende der Veranstaltung. Aber ich seh jetzt noch eine Frage und dann hätte ich auch noch ein paar abschließende Worte an dich. Aber wir nehmen gern noch die letzte Wortmeldung.
Gast: Bis jetzt haben Sie ja Literatur vorgestellt. Und das Lesen ist ja eine tolle Unterhaltung. Was erwarten Sie jetzt eigentlich von den Menschen, die ihre Bücher lesen. Was erwarten Sie von den Menschen in Bezug auf die Bäume, auf die Natur und auf die Landschaftsgestaltung. Es muss sich doch auswirken irgendwo?
Nitzke: Also das ist der absolute Traum, dass es das tut. Also eins nochmal: Wenn ich Literatur sage, da meine ich, das sehr breit. Da zähle ich Wohlleben… also alles was zwischen zwei Buchdeckel passt, ist in meiner Welt Literatur erstmal. Ich guck mir auch zum Beispiel Ausstellungen an. Ich guck mir Simulationen - es gibt Computersimulation von Bäumen, wo man selbst sozusagen sich einbringt. Also ich mache das medial schon breiter. Sie trauen sich was vorauszusetzen, was ich nicht voraussetze. Ich bin Literaturwissenschaftlerin. Wenn ich es richtig gut hinkriege, dann kriege ich das Buch vielleicht bei einem großen Verlag unter. Wo es auch vielleicht mal jemand kauft. Üblicherweise lesen das die drei Leute die es hinterher begutachten müssen. Also, wenn ich wirklich Leute dazu kriege, mein Buch zu lesen, das wär schon spitze. Was ich mit dem Buch mache, aber auch sonst mit meiner Arbeit, dass ich heute hier sitze, auch immerhin am Sonntag, dass ich … ich mach viel bei Twitter. Ich hab die Kinderuni letztes, vorletztes Jahr hier gemacht. Das ist mehr sozusagen die Vermittlungsarbeit, die ich mache. Und das, was ich damit erreichen möchte und was ich - zumindest kriege ich das zurückgespiegelt - auch schon erreicht habe, ist, dass Leute anders hingucken. Und das ist ein Riesenunterschied. Das ist das Schönste, was mir bisher passiert ist in meiner Arbeit. Leute schreiben mir: „Ich gucke mir Bäume anders an, seit ich deinen Vortrag gehört hab.“ Und Leute gucken und lesen noch mal anders, finden in Texten andere Dinge, die sie vorher nicht gelesen haben, kommen da noch mal anders rein und fangen selber an zu erzählen.
Das mit den Landschaftsgestaltern, das gehe ich jetzt einfach direkt an. Ich hab mit einem Kollegen, der auch über Dörfer gearbeitet hat, eine Zusammenarbeit, da bin ich jetzt einmal im Jahr. Der Macht mit seinen Landschaftsarchitekt:innen im Kurs immer so eine Projektpräsentation. Und da bin ich quasi Jurymitglied. Und es ist total super, da bin ich einmal im Wintersemester, in der letzten Woche vor Weihnachten. Und eine total schöne Atmosphäre. Und die sollen halt Geschichten schreiben. Der hat so ein Konzept entwickelt, wo ich ehrlich gesagt auch anfangs dachte: „Oh, das ist neu?“. Der schickt seine Leute immer dahin, wo sie was planen sollen. Ich sagte so: „Habt ihr das vorher nicht gemacht.“ Und er sagte: „Nein, normalerweise kriegen Landschaftsplaner den Flurplan und dann planen was und schicken es zurück und irgendwer muss das pflanzen. Und er schickt die Leute wirklich dahin. Da gibt es dann so Wandersachen und so. Und da komme ich dann mit rein, da geht’s dann wirklich ums Geschichtenerzählen. Und dann sollen die Geschichtenerzählen und dann komm ich halt dazu – und sag ihnen nicht, was sie da eigentlich gemacht haben, sondern guck aus meiner Perspektive dort drauf. Und ich meine, das machen wir jetzt seit ein paar Jahren, und wenn das noch ein paar Jahre sind… Das ist so ein bisschen… Ich mach immer so eine „Schüler:innen-Rechung“. Wenn vor mir Lehramtsstudent:innen sitzen und sagen „Naja, ich mach ja NUR Lehramt“, sage ich: „Sie machen in den nächsten 40 Jahren diesen Job. Das kann ich von mir nicht behaupten. Da haben Sie jedes Jahr 120 Schüler:innen vor der Nase. Denen erzählen Sie über 40 Jahre immer wieder was über Literatur. SIE sind diejenige, die wirklich Einfluss hat. Und das ist bei den Landschaftsplanern auch so. Und da hoffe ich - bilde ich mir in meinen guten Tagen Motivation ein, dass man da auch was machen kann. Und am Ende ist es sonst einfach nur eine Begeisterung für Texte und Offenheit für die Fragen, die man sich damit stellt.
Diringer: Auf jeden Fall ein schönes Abschlussthema und ich würde sagen, die Stunde ist verflogen. Zumindest kam es mir so vor. Es sind auch sehr spannende Themen. Ich denke, du bleibst vielleicht auch noch fünf Minütchen hier an deinem Buchtisch. An sich glaube ich, war es ein schöner Rundumschlag von Ovid über Tiervergleiche mit E.T.A. Hoffmann. Wir haben uns methodischem Vorgehen angenähert, wie du arbeitest. Jetzt nochmal, welchen Impact, welchen Einfluss du dann auch erhoffst, zu haben. Und vielleicht nochmal als allerabschließendes Wort, um dann auch nochmal an dich zu übergeben als Hauptprotagonistin hier, dann noch die Frage: Was steht denn danach an? Gibt es denn Pläne? Du meintest ja schon, dir muss das Manuskript dann aus den Händen gerissen werden, das klang so, als würdest du nicht direkt einen Plan haben? Zumindest vielleicht zukünftige Ideen?
Nitzke: Naja, also, den Plan muss ich natürlich machen. Solange das Projekt noch läuft, bis März 23, kann ich mir ja vorstellen, ich schreib da für immer dran. Ich habe mich neulich auch gefragt, wie ich mich jemals wieder so für irgendwas interessieren soll. Und dann habe ich nächsten Antrag schon wieder in Planung. Also, die wissenschaftliche Antwort ist da ganz klar. Während ich das mache, schreibe ich die Anträge für die nächsten Stellen. Bewerbe mich. Aber ich meine ganz eindeutig, ist das so ein cooles Thema, und das wird ein Spitzen-Buch und da werden mir Professuren nachgeschmissen. Also, da habe ich keine Sorge. (Lacht) Man hört immer, wer die Wissenschaftler sind: Die, die am lautesten lachen. Naja, also, ich muss mir natürlich nen Job suchen weiterhin, aber ich werde, glaube ich, nicht grundsätzlich mehr von den Leitfragestellungen abweichen. Ich hab ein Problem – äh, ein Projekt zur Wissenschaftskommunikation. Und ich werde die Dörfer auch noch mal aufgreifen, da sitze ich an einem größeren Antrag zur prekären Natur in Europa. Und im Moment stimmen mich die Bäume optimistisch - das war sehr schön - das ist ja auch Drittmittel-gefördert von der Fritz-Thyssen-Stiftung – dass es offensichtlich langsam einen Markt gibt. Leider ist es so, als Wissenschaftlerin brauche ich das. Ich brauche einen Markt, auf dem ich mich bewegen kann, mir meine Nische suche und so was. Und ansonsten, wenn es nicht klappt, in der Universität zu bleiben, dann werde ich einfach meine Quasselfähigkeiten in die Welt nehmen und irgendwie selbst gucken, was ich da noch schreiben kann. Gibt noch viel zu tun.
Diringer: Also auf jeden Fall alle bei Twitter, haben wir ja schon gehört, schauen, was du so am treiben bist. Ich wollte dir schon eine rosige Zukunft prophezeihen, aber eine bäumige Zukunft passt da vielleicht doch ein bisschen besser. Ja, mir bleibt nur noch euch zu sagen: Vielen Dank, dass ihr alle da wart. Ihr euch so rege beteiligt habt. Sehr spannende Fragen auf jeden Fall. Auch an den Botanischen Garten für die Organisation, für die Initiative. Und es ist ja nicht die letzte der Veranstaltungen, wie wir ja schon gehört haben. Als nächstes wird Professor Michael Kobel aus der Kern- und Teilchenphysik, auch unter anderem mit spannenden Modellen, wie ich gehört habe, ganz haptisch hier Dinge vorführen und in Diskussion mit uns einsteigen. Also, merkt euch das schon mal vor, meldet euch fleißig an und wir freuen uns, wenn wieder viele Zuschauer da sind. Und insofern wünsche ich noch einen schönen Sonntagnachmittag und bedanke mich.
Nitzke: Ja, vielen, vielen Dank.