GROSSE STAHLBAU-EXKURSION 2009
Autoren: Dipl.-Ing. Lars Sieber, Prof. Dr.-Ing. Richard Stroetmann
Vom 02.06. bis 04.06.2009 fand die diesjährige große Stahlbau-Exkursion statt. Die 36-köpfige Gruppe aus Studenten des 2. bis 10. Semesters und Mitarbeitern des Lehrstuhls für Stahlbau startete pünktlich am 02.06. um 6.30 Uhr am Beyerbau zu ihrer Busreise durch Mittel- und Westdeutschland.
Das erste Exkursionsziel war die Baustelle des Tropenhauses „Gondwana-Land“ im Leipziger Zoo, die wir pünktlich gegen 8 Uhr erreichten. In den Räumen der Bauleitung hörten wir zunächst einen Vortrag des Architekten, welcher das Hallen- und Nutzungskonzept vorstellte. Anschließend brachten uns die Projektleiter Herr Kiehn und Herr Mehnert der Firma Eiffel Deutschland Stahltechnologie GmbH mit Ihrem Vortrag die statische und wirtschaftliche Seite des Projektes näher.
Die Dachkonstruktion als Stabwerkskuppel besteht aus einer primären und einer sekundären Konstruktion, welche sich mit 154 m Spannweite und einem Stich von 35 m umlaufend auf 42 Pendelstützen abstützt. Die Primärkonstruktion mit maßgebend tragender Funktion als Stabwerkskuppel besteht in der Geometrie aus Dreiecken. Alle Stäbe werden aus spiralnahtgeschweißten Rundrohrprofilen mit einem konstanten Durchmesser von 813 mm hergestellt. Die Wandstärken der Rohre variieren zwischen 8 und 40 mm. Von dieser Kuppel wird die Sekundärkonstruktion abgehängt, welche über darin befestigte ETFE-Kissen den Raumabschluss der Halle bilden wird. Anders als die Primärstruktur besteht diese aus viereckigen Elementen, was in erster Linie mit den Grenzen der Herstellbarkeit dreieckiger ETFE-Kissen begründet ist.
Zum Zeitpunkt unserer Besichtigung waren bereits die umlaufenden Stützen gestellt und erste Randelemente der Dachschale montiert. Am Boden konnten wir einen Blick auf interessante Knotendetails der Primärstruktur werfen, welche in der statischen Berechnung durch aufwendige FEM-Berechnungen nachgewiesen worden sind. Die Montage der Konstruktion erfolgt durch die Verschweißung der am Boden ausgerichteten Elemente zu Bauteilen bestehend aus bis zu 9 Stäben und anschließend das Einheben in Endlage und Verschweißen in luftiger Höhe. Dabei wird die Konstruktion im Bauzustand von einer Reihe konstruktiv aufwendiger Hilfsstützen getragen, die nach vollständiger Montage wieder abgesenkt werden sollen. Um im Endzustand die gewünschte Tragwerksgeometrie zu erreichen, wurden neben der üblichen, in der Werkstatt vorgenommenen Überhöhung der Bauteile, die Pendelstützen nach innen geneigt, um die Horizontalverformungen der Kuppel auszugleichen. Die vor Beginn der Montagearbeiten am Boden der Halle eingebrachte Schotterschicht zur Aufnahme der Hilfsstützengründungen und zum Schutz des Erdreiches gegen Verunreinigungen im Bauprozess wird nach Abschluss der Montage wieder komplett entfernt, bevor der Innenausbau und die Landschaftsgestaltung der Tropenhalle beginnen kann.
Mit tollen ersten Eindrücken und gestärkt durch ein überraschendes zweites Frühstück mit belegten Brötchen, zu dem wir von der Firma Eiffel eingeladen wurden, setzen wir unsere Fahrt in die Nähe von Eisenach fort, um uns dort die Nesseltalbrücke, einen Brückenneubau im Zuge der Umverlegung der BAB A4 anzuschauen. Die 416 m lange, neunfeldrige Stahlverbundbrücke mit Hohlkastenquerschnitt und Stützweiten von bis zu 52 m besteht aus zwei getrennten Überbauten, von denen sich der nördliche bereits in Endlage befindet und der südliche im Moment montiert und eingeschoben wird.
Zunächst gerieten wir jedoch auf der Fahrt in einen Stau, durch den wir leider mit 1,5 stündiger Verspätung nahe Eisenach eintrafen. Hier wurden wir erst einmal durch Herrn Schulz, dem Bauleiter und Mitarbeiter der Firma Donges SteelTec GmbH zum Mittagessen mit Bratwurst und belegten Brötchen eingeladen. Im Anschluss fuhren wir zum östlichen Widerlager des Brückenzuges, wo sich der Vormontageplatz für die Stahlüberbauten befindet. Die Lieferung der Stahlsegmente zur Baustelle – ein Segment entspricht hierbei dem halben Brückenquerschnitt – erfolgt über Schwertransporte. Neben den Querstößen erfolgt baustellenseits so nur ein mittiger Längsstoß. Leider war der Vorschub eines zuvor hinter dem Widerlager montierten Brückenabschnittes gerade abgeschlossen, so dass wir den Überbau nur auf dem Widerlager anschauen konnten.
ach einer kurzen Busfahrt zum westlichen Widerlager, konnten wir dort die bereits begonnene Fahrbahnplatte des nördlichen Überbaus in Augenschein nehmen. Die Betonage der quer vorgespannten Platte erfolgt im üblichen Pilgerschrittverfahren, wobei ein erster Betonierabschnitt am östlichen Ende des Überaus notwendig war, um die erforderliche Auflast am Widerlager gegen ein Abheben des Überbaus zu gewährleisten.
Nachdem die zahlreichen Fragen der Studenten zu diesem imposanten Bauwerk beantwortet waren, machten wir uns auf den Weg nach Frankfurt am Main. Hier erwartete uns die Besichtigung des Zeil Forums mitten in der Innenstadt als letztes Tagesziel. Mit einem Gesamtinvestitionsvolumen von ca. 1 Milliarde Euro, getragen durch das holländische Unternehmen MAB Development und mit Gebäudehöhen von bis zu 130 m – in diesem Hochhaus soll in naher Zukunft ein Hotel entstehen – war dieses Projekt sicher das teuerste und höchste auf unserer Exkursion. Nach der Besichtigung des Hochhauses und einem beeindruckenden Blick aus dem 24. Geschoß auf die Frankfurter Skyline besuchten wir die bereits eröffnete Shopping-Center MyZeil mit seiner imposanten Stahl-Glas-Dachkonstruktion.
Nach einem gemütlichem Ausklang des ersten Exkursionstages bei einem gemeinsamen Abendessen in der Innenstadt von Frankfurt fuhren wir mit dem Bus in unser Hotel nach Roßdorf östlich von Darmstadt. Unser erstes Exkursionsziel am zweiten Tag war die Donges Steeltec GmbH in Darmstadt, die wir pünktlich um 9 Uhr erreichten. Dort wurden wir vom Geschäftsführer Herrn Schmidt und seinem Mitarbeiter Herrn Isselmann persönlich in Empfang genommen.
Endlich in Luxemburg bei Arcelor Mittal angekommen, führte unser Weg zunächst durch große Industriebrache, bevor wir vor dem dreistöckigen Empfangsgebäude Halt machten. Nach einer Einführung durch Herrn Marc May, in der uns die Grundlagen der Stahlproduktion ins Gedächtnis gerufen wurden, begaben wir uns auf Werksbesichtigung. Zuvor wurde die Gruppe zweigeteilt und jeder Einzelne mit Schutzkleidung, inklusive Helm und Brille, sowie Gehörschutz ausgerüstet. Nach kurzer Fahrt mit unserem Bus auf dem Werksgelände erreichten wir die zwei Fertigungshallen des Stahl- und Walzwerks.
Unsere Führung begann mit dem Schrottplatz, der durch Schiffe mit einem Einzugsradius von 500km und durch LKWs und Züge mit einem Einzugsradius von 250km beliefert wird. Nach einer Vorsortierung je nach Größe der Teile werden die Wannen für die Schmelze im Elektrolichtbogenofen zunächst mit 90t kleinteiligem Schrott gefüllt und im Ofen geschmolzen. Danach werden weitere 80t größere Stahlteile nachgefüllt. Hieraus werden rund 145 t Stahlschmelze gewonnen. Die restlichen 35t Schlacke werden im Straßenbau als Splitt wiederverwertet.
Wir verfolgten nun die Herstellung des Stahls und bestaunten unter ohrenbetäubendem Lärm den Elektrolichtbogenofen, den Pfannenofen, in dem die richtige Temperatur und die Legierung des Schmelzbades eingestellt werden, und die Stranggussanlage. In dieser werden zeitgleich in bis zu 6 Strängen „Beam Blanks“ (endabmessungsnahe Halbzeuge) gefertigt. Abhängig vom daraus herzustellenden Doppel-T-Profil werden Querschnitt und Länge der Beam Blanks so eingestellt, dass diese im Walzwerk anschließend auf eine Länge von bis zu 120m ausgewalzt werden können. Anschließend kühlen die Träger an der Luft ab, Profilverformungen aus dem Herstellungsprozess werden auf der Richtanlage beseitigt, die Träger werden auf die vom Kunden bestellte Länge abgesägt und danach direkt zum Versand vorbereitet.
Am frühen Abend begaben wir uns dann, um viele wunderbare Eindrücke reicher, wieder auf den Weg zurück nach Deutschland. Mit 1 ½ stündiger Verspätung erreichten wir unser Hotel in Bad Breisig direkt am Rhein. Nach einem gemeinsamen Abendessen in gemütlicher Runde konnten wir zwar die Sauna und den Pool des Hotels nicht mehr genießen, doch die großzügigen Zimmer konnten über diesen Umstand leicht hinwegtrösten.
Tag drei unserer Exkursion begann mit der Besichtigung der Kennedybrücke in Bonn, die sich derzeit in der Sanierung befindet. Bei der Brücke handelt es sich um eine 394 m lange, symmetrische Balkenbrücke, welche in 3 Feldern (99,20 / 195,80 / 99,20) über den Rhein spannt. Die außerordentlich starke Voutung verläuft von 11,0 m über den Pfeilern auf 3,45 m in Feldmitte. Ziel der Umbaumaßnahme ist eine Sanierung und Verbreiterung der Fahrbahn von ca. 16 m auf 27 m, indem die 4 offenen Blechträger im Bestand beidseitig durch je einen zusätzlichen Blechträger in geschweißter Ausführung mit auskragender Fahrbahnplatte ergänzt werden. Dafür wurde neben einer Sanierung auch eine umfassende Ertüchtigung der genieteten Bestandskonstruktion nötig. Außerdem machten der Zustand und die Tragfähigkeit der alten Brückenlager einen Austausch dieser erforderlich.
Vorort wurden wir vom Projektleiter Herrn Epple empfangen, der uns in einem kurzen Vortrag den Anlass und die Randbedingungen der Sanierungsmaßnahme erklärte. Er erläuterte uns die Schwachpunkte der bestehenden Konstruktion und die daraus abgeleiteten Ertüchtigungsmaßnahmen. Hierzu gehörte neben dem Austausch einzelner Bauteile in den Querverbänden auch eine ganze Reihe von Versteifungsrippen, die im Bereich der Fahrbahn und an den Stegblechen der Hauptträger anzuordnen waren. Diese wurden überwiegend mittels Baustellenschweißung am Bauwerk montiert. Die hierfür notwendige Schweißeignung des Altstahlmaterials wurde im Vorfeld durch umfangreiche Materialuntersuchungen nachgewiesen.
Den Abschluss der Stahlbauexkursion bildete die Besichtigung der noch im Bau befindlichen BayArena in Leverkusen. Hier wurden uns von Herrn Zäuner, dem Projektleiter der Firma Max Bögl für den Neubau der Stadionüberdachung, die konstruktiven und technischen Besonderheiten des Bauwerks umfassend erläutert.
Der Umbau der BayArena erfolgte nach Plänen des Düsseldorfer Architekturbüros HPP (Hentrich-Petschnigg & Partner) und begann bereits im Dezember 2007. Die Ausbauarbeiten umfassen im Wesentlichen die Erweiterung der Tribünenbereiche von 22.500 auf 30.000 Zuschauer durch einen zusätzlichen Oberrang. Hinzu kommt der Neubau des viergeschossigen Westgebäudes mit großzügigen Team- und Physioräumen und modern ausgestattetem Pressebereich. Die auffälligste Veränderung ergibt sich jedoch mit dem Bau des neuen kreisrunden Stadiondaches durch die Firma Max Bögl. Mit einem Durchmesser von 215 Metern ragt es weit über den ausgebauten Tribünenbereich hinaus und wird so den Besuchern auch vor dem Stadion Schutz vor Regen bieten. Die Tragkonstruktion des Daches beruht auf dem Prinzip des Speichenrades und war zum Zeitpunkt der Besichtigung bereits fertig montiert. Insgesamt liefert der Stahl- und Anlagenbau der Firmengruppe über 2.800 Tonnen Stahlkonstruktion und fast zehn Kilometer Stahlseile mit einer Dicke von bis zu 70 Millimetern. Als Dacheindeckung kommt ein von Bayer eigens für Großdächer entwickeltes Dreistegplatten-System der Marke Makrolon zum Einsatz. Das annähernd 28.000 Quadratmeter große Stadiondach wird weltweit das erste Dach mit diesem neu entwickelten Dachsystem sein.
Nach einer kurzen Mittagspause machten wir uns dann wieder auf den langen Rückweg nach Dresden. Nach etwa der halben Strecke machten wir jedoch noch einmal einen Zwischenstop in der Altstadt von Eisenach, um unsere Reise bei einem letzten gemeinsamen Abendessen im Restaurant „Wartburgblick“ ausklingen zu lassen.
Danach machten wir uns satt, zufrieden und um viele Eindrücke reicher endgültig auf den Weg zurück nach Dresden, wo wir gegen 23 Uhr wieder am Beyerbau ankamen.