Große Stahlbau-Exkursion 2019
Autoren: Christoph Schäfer, M.Sc. , Prof. Dr.-Ing. Richard Stroetmann
Kurz vor Beginn des Wintersemesters 2019/2020 fand vom 30. September bis zum 02. Oktober 2019 die siebte große Stahlbau-Exkursion des Instituts für Stahl- und Holzbau der TU Dresden statt. Den insgesamt 19 Studierenden des 4. bis 10. Fachsemesters, begleitet von Prof. Dr.-Ing. Richard Stroetmann und dem wissenschaftlichen Mitarbeiter Christoph Schäfer, wurde auf der Reise durch Sachsen, Thüringen und Bayern ein anspruchsvolles und abwechslungsreiches Programm geboten: die Herstellung des Stahls, das Walzen von stabförmigen Bauteilen, die Werkstattfertigung von Stahlbauteilen und die Montage dieser Elemente im Baufeld. Es wurden Baustellen des Stahlhochbaus, des Stahlbrückenbaus und des Stahlwasserbaus besucht, um den Studierenden einen möglichst breiten Blick auf die Anwendungsgebiete des Stahlbaus zu ermöglichen.
Nach einem frühen Start war Plauen Stahl Technologie im Voigtland das erste Ziel des Tages. Nach einer kurzen Einführung in die Geschichte, der Vorstellung des Leistungsspektrums sowie der Tätigkeitsfelder für Bauingenieure im Stahlbauunternehmen erfolgte ein Rundgang durch die Fertigungsstätten. Hierbei konnten die verschiedenen Bearbeitungsschritte, vom Grobblech bis zur beschichteten Baugruppe, besichtigt werden. Das Unternehmen besteht seit dem Jahre 1885 am Standort Plauen und wurde im Laufe seiner Geschichte mehrmals umfirmiert. Dies ist unter anderem auf die Teilung Deutschlands nach dem 2. Weltkrieg und der Wiedervereinigung zurückzuführen ist. Nach dem Wegfall des Neubaus konventioneller Kohlekraftwerke konzentriert sich das Leistungsportfolio des Unternehmens vor allem auf die Bereiche Stahl- und Verbundbrückenbau sowie Stahlhoch- und -wasserbau. Unter den ca. 200 Mitarbeitern befinden sich zahlreiche an der Technischen Universität Dresden ausgebildete Bauingenieure.
Nach einem gemeinsamen Mittagessen ging es für die Teilnehmer weiter zum zweiten Exkursionsziel, nach Unterwellenborn bei Saalfeld in Thüringen. Dort erwartete die Exkursionsteilnehmer das Stahlwerk Thüringen mit seinem Elektrolichtbogenofen und dem angeschlossenen Walzwerk. Die Führung im Stahlwerk Thüringen begann für die Gruppe zunächst mit einer kurzen Übersicht zur Unternehmensgeschichte und einer Einführung in die Stahlherstellung. Anschließend ging es zum Rundgang durch das Werk beginnend mit dem Schrottplatz. Als Ausgangsmaterial wird Stahlschrott in unterschiedlichen Größen verwendet, der im Lichtbogenofen aufgeschmolzen wird. Während des Rundgangs war es den Exkursionsteilnehmern möglich, einen Eindruck vom Schmelzprozess zu erhalten. Ein Aufenthalt in der Ofenhalle war ohne Gehörschutz kaum möglich. Ist der Stahlschrott vollständig aufgeschmolzen, geht der Flüssigstahl weiter zum Pfannenofen. Hier konnten die Exkursionsteilnehmer aus nächster Nähe beobachten, wie der Schmelze Legierungselemente (z.B. Aluminium) zugeführt werden. Danach ging es zur Stranggussanlage. Die Teilnehmer erhielten einen Eindruck von der extremen Hitze, als der Rundgang über einen Laufsteg führte, der über die Vorprofile (beam blanks) verläuft. Mit einer Brennschneidevorrichtung werden die Endlosstränge zu Segmenten mit Längen von 4,50 bis 11,00 Meter getrennt. Diese rollen dann weiter zur nächsten Station, dem Walzwerk, oder werden zwischengelagert, um später nach der Wiedererwärmung im Stoßofen den Walzprozess zu durchlaufen. Bevor es für die Beam Blanks in die verschiedenen Walzgerüste geht, werden sie durch Hochdruckreinigung im Zunderwäscher von oxidierten Anhaftungen befreit. Nun konnten sich die Teilnehmer ein Bild davon machen, wie lang ein vorher knapp zehn Meter langer Beam Blank wird, wenn er zu einem Walzprofil ausgewalzt wird. In diesem Falle handelte es sich um einen Querschnitt IPE240, der insgesamt ca. 75 Meter lang wurde. Im Stahlwerk Thüringen sind Walzlängen von bis zu 100 Metern möglich, wobei der Prozess selbst mehrstufig ist. Nach dem Walzen werden die noch bis zu 950 °C heißen Profile vermessen und das Material mittels Probenentnahme werkstofftechnisch geprüft. Das Walzprofil wird anschließend zum Abkühlen auf ein 100 Meter langes Kühlbett geschoben, das die Walzanlage mit der Adjustage verbindet. In dieser werden die abgekühlten Profile gerichtet und anschließend in einer Sägeanlage auf die Transportlänge gekürzt. Nach der sehr interessanten zweistündigen Besichtigung fuhr die Gruppe nach Suhl im Thüringer Wald. Nach dem Check-In ins Hotel ließen die Teilnehmer bei einem gemeinsamen Abendessen in einer nahegelegenen Gaststätte den Tag ausklingen. Am nächsten Morgen ging es mit dem Bus in Richtung Würzburg. Nach einer neunzigminütigen Fahrt erreichten sie das erste Tagesziel, die Talbrücke Heidingsfeld. Dies ist eine Großbrücke in Stahlverbundbauweise, die im Zuge des Ausbaus der Bundesautobahn A3 bei Würzburg vollständig neu errichtet wird. Die Exkursionsteilnehmer wurden am Baufeld durch die für die Talbrücke zuständige Baurätin Frau Lewandowska der Autobahndirektion Nordbayern und Herrn Gumbel und Herrn Schulz der Arbeitsgemeinschaft „Talbrücke Heidingsfeld“ in Empfang genommen. Die Arbeitsgemeinschaft besteht aus den Firmen Ed. Züblin AG Direktion Brückenbau Süd-Ost aus Dresden und der Firma Donges Steeltec GmbH aus Darmstadt. Zunächst wurden den Teilnehmern zwei Kurzfilme gezeigt, die die allgemeine Planung und den geplanten Bauablauf der Brücke sowie den Abriss des Bestandsbauwerkes beinhalteten. Beim Abriss gab es zahlreiche Schwierigkeiten, da die Talbrücke über eine Bahnlinie sowie eine Landstraße führt. Außerdem befinden sich in unmittelbarer Nähe Wohngebäude, die es ebenfalls zu schützen galt. Zur Zeit der Exkursion liefen gerade die Vorbereitungen zum Vorschub des letzten Feldes. Zunächst ging es in den Taktkeller, wo die Teilnehmer die Idee des Taktschiebeverfahren kennenlernen und die Umsetzung im Baufeld erleben konnten. Anschließend ging es in ein Brückenwiederlager des sich im Betrieb befindlichen ersten Überbaus, indem die Brückenlager und der Fahrbahnübergang aus nächster Nähe besichtigt werden konnten. Besonders eindrucksvoll war für die Teilnehmer hier die Lautstärke, die durch die Überfahrt der Fahrbahnübergänge, insbesondere durch LKW, entsteht. Zum Abschluss ging es auf den noch nicht fertiggestellten Überbau, auf dem zahlreiche Kopfbolzendübel herausragten. Diese Dübel dienen der Sicherstellung eines ausreichenden Verbundes zwischen der Fahrbahnplatte aus Stahlbeton und dem Hohlkasten aus Baustahl.
Am späten Vormittag fuhr die Exkursionsgruppe weiter zur zweiten Station des Tages, die Fertigungshallen der Firmengruppe Max Bögl in Sengenthal. Nach einer zweistündigen Fahrt und einer sehr freundlichen Begrüßung durch Herrn Wulf erwartete die Teilnehmer zunächst ein Mittagessen im firmeninternen Entwicklungszentrum. Danach wurden die Firmengruppe und die Stahlbaufertigung vorgestellt. Eine Kapazität von bis zu 35.000 Tonnen Stahl ist in Deutschland ein absoluter Spitzenwert, der bei Max Bögl vor allem durch die Herstellung der Turmröhren des von Max Bögl Wind AG entwickelten Hybridturms für Windenergieanlagen (WEA) erreicht werden kann. Darüber hinaus werden in Sengenthal auch Brücken, Hallen, Geschossbauten und weitere Stahltragwerke hergestellt. Nach der Präsentation fuhr die Exkursionsgruppe mit dem Bus zur anderen Seite des Werkgeländes. Dabei ging es an der Betonfertigteilherstellung vorbei, in der neben den üblichen (Halb-)Fertigteilen des Massivbaus auch Tübbinge für Tunnelröhren und die erwähnten Betonsegmente für WEA-Hybridtürme gefertigt werden. An den Fertigungshallen für Stahlbauteile angekommen, wurden die Exkursionsteilnehmer zunächst durch die Fertigung der Turmsegmente für Windenergieanlagen geführt. Beeindruckend war der besonders hohe Automatisierungsgrad bei der Herstellung dieser Bauteile. Danach erfolgte eine Führung durch die Hallen, die die „klassische“ Stahlbaufertigung beinhalteten. Hier konnten die Teilnehmer den Zusammenbau der Konstruktion der Donaubrücke in Linz (Österreich) bestaunen. Der Brückenneubau zeichnet sich durch eine räumliche Bogenstruktur aus, die zu sehr anspruchsvollen Knotenpunkten führt. Nach den Stationen des Zusammenbaus ging es noch in die Beschichtungsanlage, in der unter anderem große Brückenteile sowie Maschinenträger für große Offshore-WEA mit einem Eigengewicht von bis zu 65 Tonnen beschichtet werden. Von der Beschichtungsanlage ging es dann zum Reisebus. Das letzte Reiseziel des zweiten Tages war das niederbayrische Landshut mit seinem sehr schönen, historischen Stadtkern. Nach der zweistündigen Busfahrt und dem Einchecken im Hotel erfolgte das zweite gemeinsame Abendessen mit Weißbier und typischen bayrischen Spezialitäten. Der dritte und letzte Exkursionstag begann mit einer ca. 20 Kilometer langen Busfahrt nach Vilsbiburg. Hier bestaunten die Studierenden einen Hallenbau der Firma Christmann & Pfeiffer, der als neue Betriebsstätte des Maschinenbauunternehmens Flottweg dienen soll. Später sollen an diesem Standort Zentrifugen zur Trennung von Fest- und Flüssigstoffen produziert werden. Diese Maschinen können Zentrifugalkräfte bis zum 3.000-fachen der Erdanziehung erreichen. Bei der Projektvorstellung wurden die Phasen der Ausschreibung und Vergabe besonders hervorgehoben, die für die Wirtschaftlichkeit einer Baumaßnahme eine hohe Bedeutung haben. Häufig treffen in den Vergabeverhandlungen unterschiedliche Vorstellungen über die Herstellungskosten aufeinander. Dies war auch bei diesem Projekt der Fall. Durch eine teilweise Änderung der Entwurfs- und Genehmigungsplanung konnten die unterschiedlichen Zielvorstellungen zusammengebracht werden. Es folgte anschließend der Rundgang über die Baustelle, bei dem die technische Ausführung und Reihenfolge der Montagemaßnahmen im Vordergrund der Erläuterungen standen. Teil des Dachtragwerkes sind größere Fachwerkträger, die nicht am Stück an die Baustelle transportiert werden konnten. Sie wurden zunächst am Boden vormontiert und anschließend mit Mobilkränen an den Einbauort gehoben. Danach wurden dann die Dachpfetten montiert und die Fachwerkträger dadurch senkrecht zu ihrer Ebene stabilisiert. Im üblichen Stahlhallenbau beginnt man mit einem Verbandsfeld, an dem die später montierten Binder über Pfetten angeschlossen werden. Bei dieser Baumaßnahme war dies nicht der Fall, da die Hallendachbinder durch Stahlbetonwände (hier Brandwände im Sinne der Industriebau-Richtlinie) stabilisiert werden. Ein weiterer Schwerpunkt der Erläuterungen war die Montage und Ausrichtung der Kranbahnträger. Diese mit aufgeschweißter Flachstahlschiene ausgeführt Träger bilden die Fahrbahn der später zu betreibenden Brückenkräne: Daher wurden höhere Anforderungen an deren Maßgenauigkeiten gestellt, als für andere Bauteile. Nach der Besichtigung der Baustelle erfolgte eine Werksführung im Stammwerk der Flottweg SE. Der Name entstammt aus der Gründerzeit, als der Betrieb noch Motoräder herstellte. Man wäre mit dem Motorrad eben flott weg, sodass der Firmenname „Flottweg“ für die Gründer naheliegend schien. Beim Rundgang durch das Stammwerk des Maschinenbauers wurden die Unterschiede zu den zuvor besuchten Stahlbauunternehmen deutlich. Während bei den Stahlbaubetrieben aus Grobblechen größere Bauteile zusammengefügt wurden, werden die Bauteile im Maschinenbauer meist durch „spanende“ Fertigungstechniken wie Drehen, Fräsen und Schleifen hergestellt. Zentrifugen haben eine schnell drehende Welle, die in einer Nabe gelagert wird. Es ergeben sich sehr hohe Anforderungen an die Fertigungsgenauigkeit und Betriebsfestigkeit. Der kurze und sehr interessante Einblick in die Fertigung des Maschinenbauunternehmens endete mit einem gemeinsamen Mittagessen, das durch die Firmen Flottweg und Christmann & Pfeiffer organisiert wurde.
Nach dem Essen ging es zur letzten Baustellenbesichtigung nach Viereth-Trunstadt in der Nähe von Bamberg. Dort erwartete die Exkursionsteilnehmer bereits Herr Dietrich vom Wasserstraßen-Neubauamt Aschaffenburg, der Baubevollmächtigte für die Erneuerung der Wehranlage Viereth. Dabei handelt es sich um eine Staustufe des Mains mit einer Fallhöhe von sechs Metern. Gebaut wurde das Walzenwehr im Jahre 1925 und wird seitdem durchweg genutzt, sodass nun Modernisierungsarbeiten an der Anlage durchgeführt werden müssen. Es war bereits eines der zwei alten Walzenwehre entfernt, die Baugrube lag trocken und der Einbau des neuen Drucksegmentverschlusses wurde vorbereitet. Zunächst wurde das alte ausgebaute Walzenwehr besichtigt, das trotz des Alters noch in einem optisch guten Zustand war. Das Wehr selbst war auch nicht das Bauteil, das an dieser Anlage Probleme machte. Vielmehr waren es die Walzenverschlüsse und die zugehörigen Zahnschienen, an denen es immer wieder zu Schäden kam. Deshalb werden nach der Instandsetzung der Wehranlage nicht mehr Walzenwehre sondern Drucksegmentverschlüsse verwendet. Der neue Verschluss stand vormontiert zur Hubmontage bereit. Herr Dietrich erklärte die Funktionsweise dieses Verschlusses genauer. Danach ging es über die alten Stege in das trockengelegte Wehrfeld. Dieses wurde oberwasserseitig durch einen schwimmenden Revisionsverschluss trockengelegt. Im Falle eines Hochwasser kann die Regulierung durch das Öffnenden von Segmentschützen erfolgen. Ferner müssen die Baugrube geräumt und die unterwasserseitig vorhandenen Hubschütze geöffnet werden. Nach der neunzigminütigen Besichtigung ging es für die Teilnehmer zurück nach Dresden.
Die Stahlbauexkursion 2019 wurde finanziell durch die Fakultät Bauingenieurwesen, die Gesellschaft der Freunde und Förderer der Technischen Universität Dresden und dem Institut für Stahl- und Holzbau unterstützt. Ein besonderer Dank geht zudem an die einladenden Unternehmen und Behörden , die die Baustellen- und Werksbesuche ermöglichten, für die fachliche Ausgestaltung Firmenvertreter und Mitarbeiter bereitgestellt und nicht zuletzt für eine gute Verpflegung der Exkursionsgruppe gesorgt haben.