Interview mit Naika Foroutan (Langfassung des Interviews aus dem Universitätsjournal 2019, 15)
Aus Anlass des dreijährigen Bestehens veranstaltete am 25. September 2019 das Zentrum für Integrationsstudien die Veranstaltung „Drei Positionen zu Integration: Inklusion. Desintegration. Zusammenhalt?“. Den Festvortrag „Ost-Migrantische Integrationsperspektiven – Grenzen und Potentiale des Integrationsbegriffs in Deutschland“ hielt Prof. Dr. Naika Foroutan, Professorin für „Integrationsforschung und Gesellschaftspolitik“ an der Humboldt-Universität zu Berlin und Leiterin des „Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung“ (DeZIM). Im Vorfeld der Veranstaltung hat sie dem Universitätsjournal der TU Dresden ein Interview zur Situation der Integrationsforschung in Deutschland und zum Wissenschaftsstandort Dresden gegeben. Die Langfassung des Interviews wird hier veröffentlicht.
Foto: Dr. Noa Ha (ZfI) und Prof. Dr. Naika Foroutan (DeZIM) bei der Veranstaltung "Drei Positionen zu Integration" am 25.9.19 in Dresden
Interview mit Prof. Dr. Naika Foroutan, September 2019
Sie haben das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung mitgegründet – wo sehen Sie derzeit die größten Forschungslücken in Deutschland?
Die Forschungsschwerpunkte der Integrations- und Migrationsforschung decken sich mit den zukünftigen globalen Herausforderungen im Bereich Zuwanderung, Flucht und Integration. Dabei wird es viel eher darum gehen, bereits bestehende Forschungsinhalte besser in die Öffentlichkeit zu kommunizieren, statt lediglich neue Forschungslücken zu identifizieren. Eines der größten Versäumnisse der Migrationsforschung war z.B. den Menschen nicht deutlich zu machen, dass ihr Lebensstil im globalen Norden Effekte auf Migrationsbewegungen weltweit haben kann. Es wäre also sinnvoll, die Migrations- und Integrationsforschung stärker mit der Klimaforschung, der Lebensstilforschung und der sozialen Ungleichheitsforschung zu vernetzen. Und was unsere Gesellschaften in Europa betrifft so ist es der Integrationsforschung nicht gelungen, die Einwanderung der letzten Jahrzehnte narrativ und politisch als eine Erfolgsgeschichte zu erzählen, auch wenn die empirischen Daten hierzu deutliche Hinweise geliefert haben. Unsere Forschung und unsere Zahlen haben also die Verknüpfung von Migration mit Bedrohung und die Wahrnehmungen der Bevölkerung von Integration als Geschichte des Scheiterns nicht verändern können. Es wäre daher unbedingt sinnvoll zu lernen, wie wir unsere Daten und Erkenntnisse besser aufbereiten und kommunizieren können, damit sie auch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich werden.
Was Deutschland im speziellen betrifft, so bedarf es dringend mehr Forschung sowohl zu gesamtgesellschaftlichen Exklusionsmechanismen auf diskursiver aber vor allem auf struktureller Ebene, um das Thema der Integration von der reinen Fokussierung auf Migration zu lösen. Integration muss in der Forschung als Teilhabeforderung unabhängig von der Art der Marginalisierung verstanden werden. Wenn es der Migrations- und Integrationsforschung gelingt, Analogien zwischen unterschiedlichen Ausgrenzungserfahrungen herzustellen, kann die Stärkung zivilgesellschaftlicher Allianzen und gesellschaftlichem Zusammenhalt als solchen gelingen.
Sollte Integrations- und Migrationsforschung gesellschaftspolitisch relevant sein?
Selbstverständlich. Forschung sollte immer gesellschaftspolitisch relevant sein. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass damit auch große Herausforderungen einhergehen. Denn es ist unser Ziel, gerade durch Daten und empirische Forschung das allgemeine Wissen in Gesellschaften zu steigern und zu einer Versachlichung von emotionalisierten Debatten beizutragen. Die Daten erheben den Anspruch wissenschaftlicher Neutralität – jedoch wissen wir spätestens seit dem Positivismusstreit, dass jede Wissenschaftlerin und jeder Wissenschaftler aus einem eigenen Umfeld, mit vorgeprägten Wissen und auch Nichtwissen kommt. Zudem sind die Erwartungshaltungen an die Migrationsforschung oftmals zu groß: sie soll in der Lage sein, Flucht- und Migrationsursachen zu erklären und möglicherweise präventiv vorauszusagen, sie soll Vorlagen für Integrationspolitiken entwickeln, Hinweise zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts geben und den Anstieg von migrationsfeindlichen und rechtspopulistischen Einstellungen, Bewegungen und Parteien erklären und bestenfalls Maßnahmen entwickeln, um sie zu verhindern. Kurz: die Migrationsforschung wird aufgefordert sich mehr einzumischen, dabei muss sie gleichzeitig das Vertrauen in die empirische Nüchternheit aufrechterhalten.
Auch sind die Erwartungshaltungen oftmals zu groß. Spätestens mit der hohen Fluchtmigration im Sommer 2015 rückte die Migrationsforschung in den Fokus der Öffentlichkeit und sieht sich seitdem mit ebendiesen großen gesellschaftspolitischen Erwartungen konfrontiert: Die Erwartungshaltung ist nicht nur, dass die Migrationsforschung in der Lage sein sollte Flucht- und Migrationsursachen zu erklären und möglicherweise präventiv vorauszusagen. Es wird auch von ihr verlangt, Vorlagen für Integrationspolitiken zu entwickeln, Hinweise zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts zu geben und den Anstieg von migrationsfeindlichen und rechtspopulistischen Einstellungen, Bewegungen und Parteien zu erklären und bestenfalls Maßnahmen zu entwickeln, um sie zu verhindern. Diese gesellschaftspolitischen Anforderungen an die Migrationsforschung sind flankiert von der Hoffnung, repräsentative und aktuelle Zahlen könnten für eine Versachlichung der gesellschaftlichen Debatten sorgen – kurz: die Migrationsforschung wird aufgefordert sich mehr einzumischen, dabei muss sie gleichzeitig das Vertrauen in die empirische Nüchternheit – als Kriterium für wissenschaftliche Objektivität aufrechterhalten.
Wie bewerten Sie die spezifischen Herausforderungen in den neuen Bundesländern, auch angesichts der letzten Wahlen in Brandenburg und Sachsen?
In den neuen Bundesländern wird es seitens der Politik und der Forschung darum gehen müssen, das Wissen über Migration auszuweiten und Integration paradigmatisch neu zu wenden und aktive integrationspolitische Forderungen zu stellen, für mehr Anerkennung, Chancengleichheit und Teilhabe auch für abgehängte Regionen in Ostdeutschland. Die Integrationsforschung wird in den neuen Bundesländern die Fragen von Pluralitätsangst und Migrationsabwehr vor dem Hintergrund bestehender struktureller, sozialer und affektiver Ungleichheiten reflektieren müssen ohne über grundlegende und höchst problematische Einstellungen hinweg zu forschen. Es ist gut möglich, dass wir uns in den neuen Bundesländern wieder mehr jenen Themen annehmen müssen, die übergreifend alle Menschen betreffen, wie zum Beispiel Mieten, Arbeitsverhältnisse und Infrastruktur. Es wird in Zukunft wieder mehr um Teilhabe und gesamtgesellschaftliche Integration gehen müssen, bei welcher der Fokus auf der strukturellen, identifikativen, kulturellen und sozialen Integration aller Gruppen liegt.
Welche Bedeutung messen Sie dem Standort des ZfI in Dresden und in Sachsen für bundesweite Debatten bei?
Dresden und das Land Sachsen erhielten in den letzten Jahren besonders im Schatten der PEGIDA-Demonstrationen und anderer rechtspopulistischer oder neurechter Akteure vermehrt negative Aufmerksamkeit. Dieses Image wird dem Großteil der Bevölkerung, der sich gegen Fremdenfeindlichkeit und für eine offene Gesellschaft ausspricht, nicht gerecht. Die Gründung des ZfI in Sachsen verspricht nun eine wissenschaftliche Position zur Integrationsforschung, die deutlich macht, dass Integration viel weiter gefasst werden muss. Denn im westdeutschen Narrativ hat sich Integration die letzten Jahrzehnte fast ausschließlich mit der Integration von Migrant*innen befasst. Dabei ist Integration in seinem ursprünglichen Sinne als teilhabeorientierte Gesellschaftspolitik zu verstehen – so hat es auch Klaus Bade, der Begründer der Migrationsforschung in Deutschland formuliert.
Neben der symbolischen Bedeutung des Standortes, zeichnet sich außerdem eine empirische Relevanz ab: Obwohl nur knapp 5% aller Personen, die statistisch unter die Kategorie „Migrationshintergrund“ fallen in Ostdeutschland leben, deuten Studien auf eine deutlich höhere Angst vor Überfremdung gerade in ostdeutschen Städten hin. Zusätzlich lassen sich sozialwissenschaftlich relevante Analogien der Abwertung zwischen Ost-Deutschen und Migrant*innen beobachten, die beide seit Jahrzehnten außerhalb eines Normalitätsparadigmas platziert werden. Für beide Phänomene besteht aktuell ein enormer Forschungsbedarf. Die Gründung des ZfI in Sachsen stellt dabei einen bedeutenden Schritt für den Ausbau der Migrations- und Integrationsforschung in den neuen Bundesländern dar.
Was wünschen Sie sich für die bundesweite Integrations- und Migrationsforschung? Und wie ordnen Sie das ZfI hier ein?
Die Migrationsforschung in Deutschland hat in den letzten Jahrzehnten in zwei konkurrierenden Lagern teilweise aneinander vorbeigeforscht. Auf der einen Seite jene, die vorrangig die Performanz der Migrant*innen und ihrer Nachkommen beforschten und jene, die vor allem die Ausschlüsse von Migrant*innen und ihren Nachkommen durch die Gesellschaft in den Blick nahmen. Die Interaktion zwischen beiden ist eingeschränkt und teilweise aversiv. Dem vorrangig quantitativ, empirisch-analytisch forschenden Lager, das überwiegend aus Soziolog*innen und Politikwissenschaftler*innen besteht, wird vorgeworfen, dass systemische Fehlfunktionen aus dem Blick gelassen werden und der Fokus zu sehr auf Migrant*innen als Akteur*innen basiert, wobei diese vor allem unter dem Fokus der Devianz untersucht werden würden. Dieser etablierten Migrations- oder wohl eher Integrationsforschung in Deutschland steht ein rassismuskritisches, dekonstruktivistisches Lager gegenüber, dem Normativität und somit Distanzlosigkeit vorgeworfen wird und das vor allem Kultur- und Erziehungswissenschaftler*innen sowie Ethnolog*innen und Anthropolog*innen vereint. Mit sehr unterschiedlichen, sich teils widersprechenden Prämissen, Methoden und Fragen nähern sich die Kolleg*innen dem gleichen Forschungsgegenstand an: der durch Migration pluralisierten Gesellschaft. Zu selten wird die Möglichkeit genutzt, die quantifizierbaren Fakten der empirischen Sozialforschung mit den theoretisch komplexen Annahmen der kritischen Migrationsforschung zu verknüpfen, die geschärft ist darin zu hinterfragen, zu dekonstruieren und neu zu betrachten, der aber gleichzeitig der Vorwurf geringer Empirie-Dichte gemacht wird.
Mit der Gründung des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung, DeZIM, ist ein besonders wichtiges Schritt zur Überwindung dieser Lücke getan: Die sieben Gründungsinstitute des DeZIM gehören zu den führenden Migrationsforschungsinstituten in Deutschland. Im Rahmen der DeZIM-Gemeinschaft kommen nun also Wissenschaftler*innen in gemeinsamen einrichtungsübergreifenden Projekten und Kooperationen zusammen. Die daraus entstehende Vernetzung wirkt der bisher existierenden Dezentralität der Forschung entgegen und eröffnet die Möglichkeit für methodische und thematische Vernetzung. Das ZfI wäre ein sehr guter Partner für das DeZIM – vor allem weil das DeZIM im Moment nur aus West-Standorten besteht.