DEUTSCHDIDAKTIK UND INKLUSION
Inhaltsverzeichnis
Abstract
Für uns im Projekt "SING" kann inklusiver Deutschunterricht dann gelingen, wenn jedes Kind im Lernen auf seinem individuellen Niveau gefördert wird und gleichzeitig alle Schüler*innen im Unterricht die Möglichkeit zum gemeinsamen Lernen haben. Damit das individuelle Niveau jedes Kindes ermittelt werden kann, wird gemeinsam mit Studierenden die derzeitige Diagnosepraxis im Deutschunterricht analysiert und eine eigene Diagnostik entwickelt, die sich besonders an den Potentialen und nicht an den Defiziten von Schüler*innen orientiert. Ebenso werden im Projekt die Inhalte und Gegenstände des Deutschunterrichts daraufhin untersucht, wie sie gestaltet werden müssen, damit viele unterschiedliche Schüler*innen ihre Fähigkeiten daran gemeinsam weiterentwickeln können.
Sowohl die Instrumente zur Diagnostik als auch einzelne Lernumgebungen zu verschiedenen Gegenständen des Deutschunterrichts sollen an verschiedenen Schulen in Dresden getestet werden. In Zusammenarbeit mit den dortigen Deutschlehrer*innen werden so neue Handlungsweisen für inklusiven Deutschunterricht entwickelt.
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Inklusive Bildung wurde lange Zeit vor allem aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive gedacht. Im Projekt "SING" sollen nun gezielt Kooperationen aufgebaut werden, die die fach- bzw. berufsdidaktische mit der inklusionspädagogischen Perspektive verknüpfen, um so Kompetenzen für die Gestaltung eines inklusiven Fachunterrichts bei Lehramtsstudierenden aufzubauen und inklusive Lehr-Lernsettings gemeinsam mit Schulen im Raum Dresden zu erproben und weiterzuentwickeln.
Ziel des Projekts ist es dabei, die Lehr-Lernsettings so zu gestalten, dass eine möglichst große Zahl der Schüler*innen in die Zone der nächsten Entwicklung begleitet werden kann und damit unabhängig der Vorerfahrungen und Einschränkungen an einem Gegenstand kooperieren kann. Wenn Lernprozesse hauptsächlich in der Kooperation mit anderen entstehen und die Grundlage für einen gelingenden Aneignungsprozess daher ein gelingender Dialog ist, nimmt die Deutschdidaktik in der inklusiven Didaktik eine Doppelrolle ein. Sprache (in all ihren Formen – computerunterstützt, Gebärden-, Laut-, Schriftsprache) fungiert in Schule und Alltag als wichtigstes Mittel des Dialogs über Gegenstände; sprachlicher Unterricht ist damit eine wesentliche Quelle zur Teilhabe an Bildung. Gleichzeitig leitet der Literaturunterricht Sinnbildungsprozesse an, bietet Identifikationsmomente für von Exklusion bedrohte Schüler*innen und damit Möglichkeiten der Wiederaufnahme eines beeinträchtigten Dialogs.
Im Forschungsfeld der Fachdidaktik Deutsch werden dazu bereits seit einigen Jahren die fachlichen Aneignungsgegenstände des Sprach- und Literaturunterrichts hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit einer an Heterogenität wachsenden Schülerschaft untersucht und teilweise in inklusiven Settings erprobt. (Als beispielhaft können die unten aufgeführten Sammelbände gelten: Frickel/Kagelmann 2016; Gebele/Zepter 2016; Hennies/Ritter 2014.) Fachdidaktische Studien setzen dazu häufig bei der Auseinandersetzung mit Gegenständen des Deutschunterrichts an und versuchen im zweiten Schritt die Relevanz dieser für mögliche/ gedachte Subjekte zu beleuchten.
Im Projekt "SING" wird sich deshalb in konsequent dialogischem Prozess mit der inklusiven Pädagogik und anderen Fachdisziplinen des Projekts der Frage gewidmet, ob die Gegenstandsorientierung in der Fachdidaktik Deutsch derzeit mehr Präsenz genießt als die konkreten Subjekte. Damit wird sich der Kritik Georg Feusers, dass unsere Didaktik auf dem Kopf stehe und eigentlich bei den Interessen und Begabungen von Schüler*innen ansetzen solle, gewidmet. (Feuser 1989) Im Projekt soll also einerseits der Subjektorientierung bei der Planung, Durchführung und Erforschung von Deutschunterricht stärkere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Da gerade sprachliche Fähigkeiten und die Anleitung literarischer Sinnbildungsprozesse einen wichtigen Einfluss auf Teilhabe in unserer durch Sprache geprägten Kultur haben, sollen andererseits die „traditionellen“ Aneignungsgegenstände des Deutschunterrichts nicht aus dem didaktischen Blickfeld gedrängt werden.
Um diesem Anspruch gerecht zu werden, wird im Projekt auf die bereichernde Zusammenarbeit mit Deutschlehrer*innen und ihren Klassen gebaut. Ausgehend von einer Diagnostik, die nicht die Defizite von Schüler*innen bezogen auf eine scheinbare Norm fokussiert, sondern im Sinne inklusiver Bildung und der Anerkennung aller Individuen einer Klasse auf die Überwindung der Defizitorientierung zugunsten einer Wahrnehmung von Fähigkeiten und Interessen von Schüler*innen setzt, sollen fachdidaktische Gegenstände analysiert und die Lernbereiche des Deutschunterrichts so angereichert werden, dass sie einen inklusiven Unterricht für jeden einzelnen Lernenden einer Klasse ermöglichen. Dieses Vorgehen der Betrachtung deutschdidaktischer Forschungsfelder vor der Brille eines Kompetenz- und Fähigkeitsraums real existierender Klassen, findet auch Einzug in die universitäre Lehre, sodass Lehramtsstudent*innen Handlungsmuster geboten werden, Deutschunterricht für heterogene Klassen zu planen.