Inklusive politische Bildung - Ausgangslage, Herausforderungen und Ziele im Projekt „Schule inklusiv gestalten“
Inhaltsverzeichnis
Abstract
Mit dem SING-Projekt soll auch erforscht werden, wie politische Bildung innerhalb der Schule so gelingen kann, dass sie für alle auf ihre eigene Weise interessant ist, jede und jeden befähigt, sich über Fragen des Zusammenlebens ein eigenständiges Urteil fällen und in die Gestaltung des gemeinsamen Zusammenlebens selbst eingreifen zu können. Dabei soll sowohl auf die Bedürfnisse aller Schüler*innen, wie auch auf die wichtigsten Inhalte und Themen des Faches eingegangen werden. Das Projekt wird dazu mit Studierenden in Schulen Modelle und Methoden erforschen, die eine solche politische Bildung ermöglichen könnten. Hierfür müssen sowohl Instrumente entwickelt werden, die es erlauben die individuellen Bedürfnisse der einzelnen Schüler*innen hinsichtlich der Inhalte der politischen Bildung sowie der individuellen Lernvoraussetzungen sichtbar zu machen als auch Konzepte erprobt werden, die eine inklusive politische Bildung ermöglichen. Dazu kooperiert die TU Dresden intensiv mit Schulen und Lehrer*innen in Sachsen um vor Ort gemeinsam neue Wege zu entwickeln.
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Analysiert man den Diskurs um Inklusion, so vermittelt sich schnell der Eindruck, dass es hier um ein sehr breites – nahezu unüberschaubares Feld geht. Aufgrund der Popularisierung des Inklusionsbegriffs als öffentliches Schlagwort, scheint eine immer weitreichendere, unscharfe Verwendung ja gar „Verwahrlosung von Inklusion“ voranzuschreiten (Katzenbach 2015, S. 19).
Es scheint folglich nicht überraschend, dass auch die seit 2014 einsetzende Diskussion um eine inklusive politische Bildung bisher weder ein einheitliches Verständnis noch fundierte Konzepte für einen inklusiven Politikunterricht hervorgebracht hat. So hat die Bundeszentrale 2015 unter den Titel „Didaktik der inklusiven politischen Bildung“ sich erstmals dem Thema breiter gewidmet (Dönges/Hilpert/Zustrassen 2015). Schwerpunkte bilden dabei Beiträge zur inklusiven politischen Bildung in der Schule ( u.a. Weißeno 2015, Richter 2015) und zum Umgang mit Menschen mit Behinderungen ( u.a. Schiefer/Schlummer/Schütte 2015, Hufer 2015). Insgesamt setzen sich die meisten Artikel mit Fragen nach didaktischen Ansätzen, einem Umgang mit bestimmten Zielgruppen, der Passung konzeptioneller Elemente wie Sprache oder Medien oder bestimmter Inhalte sowie Kompetenzen für eine inklusive politische Bildung auseinander. Zusammenfassend geht es also um Fragen nach inklusiven politischen Lehr- Lernprozessen und das häufig für Menschen mit Behinderungen im schulischen Kontext. Hier soll kurz auf den derzeitigen Diskursstand um inklusive politische Bildung eingegangen werden und aufgezeigt werden, warum es einer konsequenten ausschlusssensiblen und subjektorientierten Perspektive bedarf, die den Gegenstand der politischen Bildung aber nicht aus dem Blick verliert. In diesem Kontext sollen die Ziele des SING Projekts hinsichtlich inklusiver politischer Bildung dargestellt werden.
Ausgangslage - Inklusion als Transformation denken
In der breiten Debatte um Inklusion (u.a. Wocken 2015, 59f) wird nicht selten darauf hingewiesen, dass Inklusion letztendlich nur als gesamtgesellschaftliche Wandlung und Veränderung gedacht werden könne, da die Vorstellung der Gleichwertigkeit in aller Unterschiedlichkeit nur dann existieren kann, wenn sie sich nicht nur im Bildungsbereich erschöpft (Dederich 2014). Eine fehlende bzw. verengte transformelle, als auch auf Veränderung abgestellte Sichtweise auf den inklusiven Gesamtprozess sei so nicht selten Grund des Scheiterns von Versuchen Inklusion umzusetzen (Booth 2012).
Inklusion ist also ein Wandlungsprozess? Aber um wen geht es dabei? Die Frage nach den Menschen, die Inklusion betrifft, kann eng beantwortet werden, indem man sich dabei auf Menschen mit Behinderungen konzentriert. Oder man umreist dieser Gruppe größer, indem man weitere Menschen mit Teilhabeerschwernissen dazuzählt: Menschen unterschiedlicher kultureller oder sozialer Herkunft, Menschen unterschiedlichster sexueller Identität oder Orientierung, unterschiedlichsten Alters usw. Letztlich kann aber auch argumentiert werden, dass es sich dabei um alle Menschen handeln müsse, da es auch um eine Veränderung des Denkens und Handels jener geht, die in bestimmten Kontexten nicht ausgeschlossen sind (Jugel 2015).
Bleibt die Frage offen, was das Ziel von Inklusion sein sollte. Hier finden sich immer wieder verschiedenste Antworten. So wird diesem Kontext immer wieder Barrierefreiheit, Zugang, Gerechtigkeit, Abbau von Diskriminierung u.ä. gefordert (Jugel/Hölzel 2016). Es bietet sich an, diese Begriffe unter Partizipation oder Teilhabe zusammenzufassen, denn alle anderen Ziele sind entweder Vorbedingung oder elementarer Teil von Partizipation oder Teilhabe. Daraus ergibt sich folgende Vorstellung von Inklusion: Inklusion ist ein gesamtgesellschaftlicher Transformationsprozess, der darauf abzielt, für alle Menschen Teilhabe zu ermöglichen (siehe dazu Jugel 2015).
Es stellt sich davon ausgehend jedoch die Frage, wie ein solcher Veränderungsprozess in der Praxis politischer Bildung in Schule aussehen kann und welchen Bedingungen und Dimensionen er unterliegt.
Empirische Befunde partizipativer und gestaltungsorientierter Forschung konnten solche Dimensionen und erste Thesen über deren Beschaffenheit herausarbeiten. So wurden Hypothesen über die Veränderungsbedarfe (siehe dazu Jugel 2015) empirisch in einem iterativen Verfahren überprüft, differenziert und in einem Transformationsmodell zusammengefasst (Jugel/Hölzel 2016). Das Modell besteht aus drei Ebenen, einer Subjektebene (den Handelnden), einer Strukturebene (den Rahmenbedingungen) und einer Prozessebene (der Planung und Durchführung politischer Bildungsangebote).
Das SING-Projekt wird sich vor allem den Herausforderungen der Planung und Durchführung, also der Prozessebene inklusiver politischer Bildung stellen. Gleichwohl müssen Subjekt-und Strukturebene als wichtige Randbedingungen immer wieder mit einbezogen werden.
Herausforderungen auf der Prozessebene inklusiver politischer Bildung
Die Planung und Durchführung von politischer Bildung werden von Lehrer*innen häufig als größte Herausforderung wahrgenommen. Dies wird mit dem „Unbekannten“ begründet - man wisse nicht, wie man mit diesen und jenen Schüler*innen umgehen müsse. Einerseits fehlen nicht selten diagnostische Kompetenzen (Hierbei geht es nicht um Kompetenzen bestimmte Krankheitsbilder oder Defizite zu ermitteln, sondern eine Fähigkeit individuelle Bedarfe zu erheben.) und andererseits das Wissen, wie man adäquat und adaptiv auf diagnostische Erkenntnisse reagiert (Besand/Hölzel/Jugel 2018). Gelingt dies, müssen Projekte und Lernumgebungen so gestaltet werden, dass sie flexibel sind und auf die individuellen Bedarfe der einzelnen Teilnehmer*innen jederzeit angepasst werden können (ebd.). Dem steht jedoch häufig ein weit verbreiteter Planungsdogmatismus entgegen – eine Unterrichtseinheit sei dann gut, je besser sie geplant und die Umsetzung so planungsgetreu wie möglich durchgeführt wurde. Können dabei jedoch individuelle Bedürfnisse nicht erfüllt werden, geraten Teilnehmende schnell in isolierende Bedingungen oder Isolation (Jantzen zit. n. Steffens 2016). Die Folgen können verschiedene Kompensationshandlungen sein, die sich zunächst in Form von Rückzug, Aggression oder selbststimulierenden Verhalten (beispielsweise nervöses Kippeln, Zappeln oder Klopfen) manifestieren können (Steffens 2016). All diese Reaktionen werden weithin aber nicht als Reaktion auf Ausschluss, sondern als Störung wahrgenommen (Störmer 2013). Dies nicht zu tun, sondern adaptiv zu handeln stellt sich als höchst herausfordernd dar. Gleichzeitig zeigt sich, dass es sowohl Lehrer*innen, also auch Fachdidaktiker*innen schwer gelingt individuelle Bedürfnisse der Lernenden und Themen sowie Inhalte der politischen Bildung zusammen zu denken (Besand/Hölzel/Jugel 2018). Ansatzpunkte zur Individualisierung, Differenzierung und zu methodischen Überlegungen, die besonders mit heterogenen Lernausgangslagen umgehen, wurden im Fachdiskurs der politischen Bildung bisher nur am Rande verschiedener Ansätze dargelegt (u.a. Frech et al. 2010; Ziegler 2009; Kühberger/Windischbauer 2013). Eine gesättigte theoretische und empirische Fundierung für politische Bildung in heterogenen Lerngruppen bleibt der Diskurs bisher schuldig. Erste empirisch fundierte Ansätze für inklusives politisches Lernen finden sich jedoch in den Ergebnissen des Projektes „Inklusives politisches Lernen im Stadion“ (Besand/Hölzel/Jugel 2018). Hier werden erste wichtige Prinzipien für das Gelingen inklusiver politischer Bildungsprozesse sowie Ansätze für situative und gerichtete diagnostische Prozesse in diesem Kontext vorgestellt. Was jedoch fehlt, sind konkrete und praxiserprobte Instrumente auf Basis derer individuelle Bedürfnisse erhoben werden können. Darüber hinaus bedarf es Techniken sowie Kompetenzbeschreibungen, die den Transferprozess zwischen individuellen Bedürfnissen und konkreten Planungsentscheidungen sowie praxistaugliche Routinen für eine inklusive politische Bildung beschreiben.
Projektziele bezüglich inklusiver politischer Bildung
Ziel ist es, innerhalb des SING-Projektes diese Leerstellen zu füllen. Dabei soll es nicht um eine reine Evakuationsforschung gehen, sondern um ein entwicklungsorientiertes, partizipatives und kooperatives Vorgehen, dass zwischen der Ausbildung von Lehrer*innen an der Universität und dem Praxisfeld „Schule“ stattfinden soll. So sollen Lehramtsstudierende sowie Lehrer*innen für Heterogenität und Ausschluss sensibilisiert werden und sich entwicklungstheoretische und diagnostische Kompetenzen aneignen. Mithilfe dieser Kompetenzen entwickeln sie selbstständig diagnostische Instrumente für eine inklusive politische Bildung, die sie direkt in der Schule erproben und weiterentwickeln. Dabei erwerben sie gleichzeitig Kompetenzen in empirischen Forschungsmethoden. Die Ergebnisse der Diagnostik bieten die Grundlage für die Planung und Durchführung von inklusivem Unterricht im Fach „Gemeinschaftskunde“ (Politische Bildung). Hierbei werden ebenfalls die Lehrer*innen an den Schulen sensibilisiert und einbezogen. Letztlich wird diese Umsetzung evaluiert und bildet Grundlage für Weiterentwicklungen und Modellierung für Instrumente und Theorien inklusiver politischer Bildung.