Die Einschreibung des Anderen
Bearbeiter: Philipp Stöver M.A.
Die Einschreibung des Anderen. Neue Welten in den Texten früher Asien- und Amerikareisender (13.-16. Jh.)
Das Projekt untersucht in einem vergleichenden Umgriff Texte über Reisen, die im Mittelalter in den Fernen Osten und dann im ausgehenden 15. bis etwa zur Mitte des 16. Jh. in Südamerika unternommen wurden, und wendet sich damit Darstellungen von Fremdem zu, die zwar jeweils nur schmale Zeitfenster der Beobachtung öffneten und zumeist enge Raumhorizonte erschlossen, die jedoch dabei das höchstmögliche Maß an Unmittelbarkeit zwischen Beobachtetem und Beobachtendem erreichten. Die zur Erläuterung hier exemplarisch ausgewählten Reiseberichte verbindet alle der Sachverhalt, dass ihre Verfasser die Erfahrung machten, in einer terra incognita Neuartigem zu begegnen, und sich dadurch bewusst waren, Neues, mehr noch: Neuartiges zu vermitteln – mit vollem Risiko, unglaubwürdig zu erscheinen oder missverstanden zu werden, aber auch aus Voreingenommenheit nicht sachadäquat zu beobachten oder letztlich das Sprachvermögen nicht zu besitzen, Fremdes schriftlich in bekannte, ja vertraute Begriffe zu fassen, ohne es zu verfälschen und im Fremden nur das Eigene zu fassen. Vornehmlich in jenen Reiseberichten erschließt sich die strukturelle Differenz zwischen Beobachtetem und Niedergeschriebenem, die zudem analog auf Differenzannahmen zwischen dem fremden Objekt und den Gewissheiten des Eigenen aufruhte. Traditionelle Mythen, Gewissheiten (Endoxa) aus antiken oder biblischen Ressourcen der Gelehrsamkeit, Topoi oder einfach die Begrenztheit des Eigenen kompensierende Wunschvorstellungen von mirabilia und unendlichen Reichtümern in den fremden Welten waren Bausteine von Beobachtung und Bericht, die der Wirklichkeitstreue hier mehr entgegenstanden als bei anderen Themen, die aber durch die Reisenden (vor allem Johannes de Plano Carpini, Wilhelm Rubruk, Marco Polo, Hans Staden und Jean de Léry sind unter den hier heranzuziehenden Autoren dabei hervorzuheben) gleichfalls eine kritische Entlarvung hatten erfahren können und dabei zum Zeugnis auch einer hohen (Lern-)Fähigkeit zur Empirie gestützten rationalen Analyse wurden.
Bei der Auswahl der Texte ist nicht zu vermeiden, dass sich darunter sehr bekannte und teilweise bereits vielfach untersuchte Werke befinden, denn der für eine Auswahl zur Verfügung stehende und hinsichtlich hinreichender Aussagekraft wirklich relevante Fächer ist eng begrenzt. Dies sollte indes kein Grund sein, auf die Heranziehung solcher Texte ganz zu verzichten und damit weitere, sich auf diese stützende Forschungen einzustellen. Das Projekt geht davon aus, durch den geplanten Vergleich im Umgriff von mittelalterlichen Asien- und frühneuzeitlichen Amerika-Reiseberichten auch anhand dieser „klassischen“ Texte zu beträchtlich weiterführenden Ergebnissen gelangen zu können.
Konkrete Wirkungswege einzelner Texte nachzuzeichnen (was sicherlich wünschenswert wäre), würde allerdings den Rahmen des Projektes sprengen, gestaltete sich doch bereits die zeitgenössische Rezeption von Reiseberichten bisweilen schwierig, wie es etwa die Zweifel an der Glaubwürdigkeit z. B. von Carpini, von Rubruk oder von Marco Polo belegen. Zudem brachten mittelalterliche Reiseberichte vorwiegend isolierte Rezeptionsgeschichten hervor, wenn bestimmte Werke nicht gerade von Kompilatoren im ‚Bestseller‘-Format wie Jean de Mandeville (der jedoch wie später Karl May die größten Teile der beschriebenen Länder selbst nie bereiste), aufgegriffen worden waren. Systematische Sammlungen von Berichten über Reisen in die terra incognita entstanden erst im 16. Jh. (z. B. zusammengestellt von Giovanni Battista Ramusio zwischen 1550 und 1559). Folglich beschränkt sich der Projektteil hier auf den vergleichenden Einbezug des Speculum Historiale des Vinzenz von Beauvais (1184/94-1264) für Asien und der Cosmographia des Sebastian Münster (1488-1552) für Amerika als zwei für diese Fragestellung paradigmatisch grundlegende enzyklopädische Werke.
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