Resilienzvorstellungen in der Klostergeschichtsschreibung des Hochmittelalters (11.-13. Jahrhundert)
In den Geistes- und Sozialwissenschaften versteht man unter Resilienz allgemein die Anpassungs- und Widerstandsfähigkeit von Individuen und sozialen Gruppen gegenüber Krisen. Bislang nahm die Kloster- und Ordensforschung das Resilienzkonzept kaum ins Blickfeld. Jene Leerstelle möchte dieses Promotionsvorhaben ein Stück weit schließen. Das vorstellungsgeschichtlich ausgerichtete Projekt erforscht, inwieweit sich Resilienzvorstellungen von Mönchen und Kanonikern in der Klostergeschichtsschreibung des 11.-13. Jahrhunderts nachweisen lassen. Da Bewältigungs-, Anpassungs- und Transformationsleistungen im Zuge von krisenhaften Phasen verschiedene Bereiche betreffen konnten, bietet sich eine heuristisch weite Definition des Begriffs der Resilienzvorstellungen an: Von diesen kann gesprochen werden, wenn die Autoren die Fähigkeit von Mönchen beziehungsweise Kanonikern zur Entwicklung politischer, sozialer, ökonomischer und kultureller Handlungsoptionen aufzeigen, die es aus der Sicht der Zeitgenossen ermöglichen, auf Bedrohungen und Gefahren zu reagieren.
Als Untersuchungsobjekte dienen insgesamt 16 hagio- beziehungsweise historiographische Werke aus drei unterschiedlichen monastischen und kanonikalen Lebensmodellen („klassische Benediktiner“, Zisterzienser, Prämonstratenser). Allen diesen Texten ist gemein, dass die jeweiligen Autoren die früheren Notsituationen ihrer Häuser nicht verschweigen, sondern teilweise ausführlich schildern und ihren Mitbrüdern exemplarisch Lösungswege für krisenhafte Phasen vor Augen führen. Daher ließe sich fragen, ob solche narrativen Quellen als beispielhafte Anleitungen zum Erlernen resilienten Verhaltens dienten.
Die überlieferten disruptiven Ereignisse werden in drei Bedrohungs- und Gefahrenlagen eingeteilt (A: Physische Gewalt gegen Konvente; B: Krankheiten, Brand- und Naturkatastrophen; C: Rechtliche Auseinandersetzungen mit weltlichen und geistlichen Personen). Mithilfe eines Analyse-Instrumentariums, das von der Trierer Sonderforschungsgruppe 2539 „Gesellschaftliche Umbruchphasen im Dialog zwischen Mediävistik und Soziologie“ erarbeitet wurde, gilt es die aufgeworfenen Handlungsoptionen der Autoren genauer zu betrachten: Sogenannte Resilienzstrategien stellen Maßnahmen dar, die auf den Schutz und die Aufrechterhaltung der monastischen oder kanonikalen Ordnung während oder nach einer Störung abzielten. Für die Verwirklichung dieser Vorhaben bedurfte es materieller oder immaterieller Resilienzressourcen. Ebenfalls floss das aus möglichen früheren Krisen erworbene Erfahrungswissen der Akteure, das als Resilienzdisposition bezeichnet wird, in die Werke ein. Aus den Biographien der Autoren könnten sich Rückschlüsse hinsichtlich ihrer Erfahrung mit disruptiven Ereignissen ergeben.
Darüber hinaus beleuchtet das Promotionsprojekt, inwieweit verschiedene Lebensentwürfe der vita religiosa auf die Resilienzvorstellungen der mittelalterlichen Akteure zurückwirkten. Die prämonstratensischen und zisterziensischen Konvente hatten aufgrund ihrer Einbindung in eine Ordensstruktur einen höheren Grad der Institutionalisierung als die „klassischen Benediktiner“. So soll einerseits eruiert werden, ob die entsprechenden Autoren auf die Ordensinstanzen (Generalkapitel, Statutengebung, Visitation) in Bezug auf die Überwindung disruptiver Ereignisse rekurrieren. Andererseits wird untersucht, ob sich die angestrebte Uniformität der Zisterzienser und Prämonstratenser auch in einheitlichen Resilienzvorstellungen widerspiegelt.
Bearbeiter: Cornelius Caspar
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