Indigene Kinder als Träger der Evangelisierung – Das franziskanische Erziehungsprojekt im kolonialen Mexiko am Beispiel der Halbinsel Yucatán
Beschreibung des Promotionsvorhabens:
Vorläufiger Arbeitstitel: „Indigene Kinder als Träger der Evangelisierung – Das franziskanische Erziehungsprojekt im kolonialen Mexiko am Beispiel der Halbinsel Yucatán“
Mitte des 16. Jahrhunderts gelangten die Franziskaner im Zuge der sich ausbreitenden Kolonialisierung Mexikos auf die Halbinsel Yucatán, Region der indigenen Maya. Das Ziel der Ordensmänner: die Verbreitung des christlichen Glaubens bei der einheimischen Bevölkerung.
Hierfür hatten die Franziskaner bereits im mexikanischen Zentrum Erfahrungen sammeln können. Dort trafen die franziskanischen Ordensleute auf Ethnien, denen das monotheistische Christentum fremd war.
Die prähispanischen Kulturen Mesoamerikas, darunter die im mexikanischen Zentrum ansässigen Azteken (ihrer Eigenbezeichnung gemäß eigentlich Mexica) und die Maya, kannten eine Vielzahl an Gottheiten. Diesen zu Ehren errichteten sie monumentale Bauwerke, die sich als Ruinen bis in die heutige Zeit erhalten haben. Auch huldigten sie den Göttern in aufwendig gestalteten Zeremonien und mit Opferungen.
Der für die Europäer fremde Glauben der Indigenen wurde bald als heidnischer Aberglauben, als Idolatrie und Götzendienst abgestempelt, seine Ausübung zunehmend systematisch geahndet und bestraft. Hoffnungen auf eine Befreiung der Einheimischen und die Überbringung des christlichen Seelenheils motivierte die Missionare. Ebenso beflügelten Gedanken an den Aufbau einer idealen Gemeinschaft urchristlichen Stils die Ordensleute, wobei auch eschatologische Vorstellungen von einem herannahenden Ende der Welt spielten eine Rolle.[1]
Aber ein so tief verwurzelter Glaube, wie der der Indigenen, konnte nicht einfach in Massentaufen durch das Christentum ersetzt werden. Die Franziskaner erkannten, dass die Indigenen für eine dauerhafte Annahme und für ein Verständnis des Christentums und der europäischen Werte, in das europäisch-christliche Kultursystem eingegliedert werden mussten.[2] Ferner sollte die prähispanische Erinnerung (memoria) unterdrückt und durch eine europäisch-christliche ersetzt werden.[3] Dafür musste die einheimische Bevölkerung von den Ordensleuten gewissermaßen „erzogen“ werden, so die Erkenntnis – der Grundstein zum franziskanischen Erziehungssystem im kolonialen Mexiko.
Das franziskanische Erziehungssystem im kolonialen Mexiko konzentrierte sich vornehmlich auf die Erziehung der indigenen Kinder, galten diese doch als noch „unbeschriebene Blätter“[4], frei von den Einflüssen des alten Glauben. Sie zu unterweisen sollte helfen, den christlichen Glauben und das europäische Kultursystem an die Elterngeneration weiterzutragen. Die Kinder wurden je nach Geschlecht und sozialem Stand auf den Kirchhöfen (patios) der neu errichteten Klöster sowie in den Klosterschulen erzogen. Darüber hinaus gab es Eliteschulen zur Berufsausbildung und höheren Bildung. Ebenso variierend konnte der Unterrichtsinhalt die Grundkenntnisse des Christentums und die Standardgebete bis hin zur höheren Instruktion in Latein und Spanisch sowie in Bereichen der septem artes umfassen. Besondere Beachtung wurde der Erziehung der noblen Söhne geschenkt, galten diese doch als zukünftige Herrschergeneration und damit als bei der einheimischen Bevölkerung besonders einflussreich.[5]
Im Verlauf des 16. Jahrhunderts breiteten sich die Franziskaner auf vier Provinzen aus, darunter die Provincia de San José de Yucatán.[6] Mit dem Übertritt der Franziskaner nach Yucatán soll das Promotionsvorhaben ansetzen. In einer vorausgegangenen Masterarbeit (2023) wurde das mexikanische Zentrum in den Blick genommen, die Betrachtung des franziskanischen Erziehungssystems auf der Halbinsel Yucatán soll diesen nun zusammenhängend erweitern. Es lohnt sich, die Region Yucatán und die Evangelisierung und Erziehung der Maya zu betrachten. Einerseits hat sich die Forschung bisher – bis auf wenige Ausnahmen wie Martín Ramos Díaz und John F. Chuchiak IV[7] – vornehmlich auf das mexikanische Zentrum konzentriert, andererseits herrschten bei den Maya auf Yucatán andere Voraussetzungen wie beispielsweise die Hieroglyphenschrift und damit das Vorhandensein einer Schreib- und Lesekompetenz – eine Grundvoraussetzung für die Evangelisierung in Mexiko. Und auch die Eroberung der Halbinsel war ein langwieriger und unvollständiger Prozess, anders als im Zentrum.
Innerhalb des epochen- und kulturübergreifenden Promotionsvorhabens soll neben der europäischen Betrachtung des franziskanischen Erziehungsprojekts im Quellenstudium – insofern möglich – auch der indigene Blick auf die Geschehnisse herausgefiltert werden. Für das Quellenstudium liegen u.a. Berichte von Chronisten, Briefe an die spanischen und religiösen Obrigkeiten sowie Verwaltungsdokumente vor. Aus indigener Perspektive heraus gibt es dokumentierte Fälle, in denen sich die Indigenen an die Obrigkeiten wandten. Darüber hinaus gab es auch indigene Chronisten.
Als weiteren und grundlegenden Aspekt gilt es, einen Blick auf die Voraussetzungen der Franziskaner im mittelalterlichen Europa zu werfen und zu betrachten, wie sie zur Bildung im Allgemeinen und zur christlichen Erziehung der Bevölkerung standen. Dabei soll ebenso die Ausbildung der Ordensleute beleuchtet und ein Vergleich zur Situation in Yucatán gezogen werden – ein Ansatz, den zuletzt Chuchiak 2021[8] verfolgte.
[1] Vgl. Righetti-Templer, Stephanie: Der spanische Franciscanismo in der Neuen Welt. Eine Untersuchung zum Transfer der franziskanischen Theologie im 16. Jahrhundert nach Lateinamerika anhand der Werke von Fray Toribio de Benavente Motolinía, in: Melville, Gert (Hg.): Vita regularis. Ordnungen und Deutungen religiosen Lebens im Mittelalter, Berlin 2019; S. 95 und S. 98.
[2] Vgl. Kobayashi H., José María F. Kazuhiro: La educación como conquista: empresa franciscana en México, México D.F. 1997 [19741]; S. 155-156.
[3] Vgl. Cuesta Hernández, Javier: La educación indígena y la memoria en Nueva España en el siglo XVI; in: Boletín de Antropología, Vol. 33, Núm. 56 (2018), S. 103-116; S. 106-107 und S. 115.
[4] Vgl. González Cicero, Stella María: Perspectiva religiosa en Yucatán 1517-1571. Yucatán, los franciscanos y el primer obispo fray Francisco de Toral, México D.F. 1978; S. 116.
[5] Vgl. López de la Torre, Carlos Fernando: El trabajo misional de fray Pedro de Gante en los inicios de la Nueva España, in: Fronteras de la Historia, Vol. 21 (2016), S. 90-116; S. 95.
[6] Vgl. Rubial García, Antonio: Estudio preliminar Fray Gerónimo de Mendieta. Tiempo, Vida, Obra y Pensamiento, in: Fray Gerónimo de Mendieta: Historia Eclesiástica Indiana I (Joaquín García Icazbalceta), México D.F. 2002, S. 15-52; S. 27.
[7] Vgl. Ramos Díaz, Martín: Idólatras y mentores. Escuelas en el Yucatán del siglo XVI, in: Estudios de Historia Novohispana, 28 (2008), S. 37-60. Und vgl. Ramos Díaz, Martín: Libros, ideas y educación en la frontera sureste de la Nueva España, in: Macias Richard, Carlos/ Ramos Díaz, Martín/ Bracamonte y Sosa, Pedro/ Solís Robleda, Gabriela (Hg.): El Caribe mexicano. Origen y conformación, siglos XVI y XVII, México D.F. 2006, S. 529-405. Sowie vgl. Chuchiak, John F.: Sapientia et Doctrina: The structure of Franciscan Education in San José Province and the Teaching of Alphabetic Literacy among the Yucatec Maya, 1545-1650, in: Cohen, Thomas M./ Harrison, Jay T./ Galindo, David Rex (Hg.): The Franciscans in Colonial Mexico, Norman/Oceanside 2021, S. 127-155.
[8] Vgl. Chuchiak 2021; S. 129-140.