Normbegründung, Normgenese und Öffentlichkeit der "guten" Policey – die Reichsstadt Ulm in der Frühen Neuzeit
Dissertationsprojekt (abgeschlossen):
Sebastian Frenzel: Die Abwendung des göttlichen Zorns. Zur Begründung von Policeygesetzen im Zeichen von Teuerung, Seuche und Krieg in der Frühen Neuzeit. Das Beispiel der Reichsstadt Ulm (ca. 1500 – 1802), Masch. Dissertation TU Dresden 2022.
Abstract:
Hungersnöte, Seuchen und Kriege haben fast alle Menschen in der Frühen Neuzeit erlebt. Unbestritten ist auch, dass diese Ereignisse als Strafe Gottes gedeutet wurden. Gott strafte, wenn sich die Menschen nicht anders von der Sünde abhalten ließen. Nicht nur in Predigten wurde deshalb vor Normbrüchen gewarnt. Auch die weltlichen Gesetzgeber verwiesen in ihren Gesetzesvorreden auf das Strafgericht Gottes. Hier setzt meine Arbeit an. Sie untersucht auf breiter empirischer Basis die Normbegründungen frühneuzeitlicher Policeygesetze. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Begründungen von Notmaßnahmen, die im Kontext von Hungersnot, Seuche und Krieg erlassen wurden, da hier eine Bezugnahme auf die göttliche Bestrafung in den Policeyordnungen besonders wahrscheinlich ist. Ein zentraler Befund ist, dass der Ulmer Magistrat mit straftheologischen Begründungen eher sparsam umging. Dieser Erkenntnis folgend sind die bisherigen Thesen der Forschung zu straftheologischen Gesetzespräambeln zu überprüfen. Bisher wurde vor allem auf die häufigen und stereotypen Wiederholungen hingewiesen, die der religiösen Propaganda den Weg geebnet hätten. Demgegenüber schlage ich vor, genauer hinzuschauen. Meine quantitative Analyse revidiert die vermutete Häufigkeit. Auch die Formulierungen waren keineswegs so stereotyp wie es bislang angenommen wird, sondern wurden in vielen Fällen überarbeitet und den „Umständen der Normen“ (A. Holenstein) angepasst. Einschlägig ist auch die These, dass sich an den Präambeln ein Säkularisierungsprozess ablesen lasse. Diese Annahme konnte nicht bestätigt werden. Die Arbeit lotet die verschiedenen Typen von Normbegründungen aus und zeigt ihre unterschiedlichen Funktionen auf. Sie dienten unter anderem als diskursive Markierung äußerster Not. Ferner waren sie Bestandteil der symbolischen Kommunikation, da der notwendige Beistand Gottes mit angemessenem Aufwand erbeten werden sollte. Gegenüber Feinden konnten sie Kampfbereitschaft oder Friedensbereitschaft signalisieren. Abschließend wird eine vergleichende Typologie alternativer Normbegründungen gegenübergestellt. Insgesamt zeigt die Arbeit, dass die Rhetorik der „guten“ Policey keineswegs starr war. Sie war in verschiedene Diskurse eingebettet. Die Arbeit plädiert dafür, diesen Teil der politischen Sprache in Zukunft genauer zu untersuchen. Die Drucklegung der Arbeit wird vorbereitet. (gez. Sebastian Frenzel, Mai 2023)
Förderung:
Gerda-Henkel-Stiftung, Leibniz-Institut für Europäische Geschichte, Graduiertenakademie TU Dresden
Schlüsselwörter:
Early Modern History, Urban History, Law, Order, Gute Policey, Cultural Norms and Values, Famine, Plague, War, Rite of Penance, Rite of Prayer
Ursprüngliche Projektvorstellung:
Das Projekt untersucht die Begründungszusammenhänge von Policeynormen vom Ausgang des Mittelalters bis zum Ende des Alten Reichs. Dabei soll zunächst die bisher vielfach in der Policeyforschung vertretene These überprüft werden, wonach es einen fundamentalen Wandel in der Begründung policeylicher Normen gab, der sich auf die Formulierung reduzieren ließe: Von der Abwehr des göttlichen Zorns hin zu Wohlfahrt und Glückseligkeit. Die erkenntnisleitende Frage lautet demnach: Wurden in der "Ära der 'guten' Policey" religiöse Begründungsmotive zunächst entkräftet und wenn ja, wie wandelten sich policeyliche Normbegründungen anschließend? Bisher wurde der Wandel von politischen Ordnungs- und Zielvorstellungen vorrangig ideengeschichtlich untersucht. Unbeachtet blieb jedoch bislang eine Perspektive, die die Bedeutung policeylicher Topoi im politischen Alltag in den Blick nimmt. Hieran anschließend geht das Projekt von der Prämisse aus, dass sich die Fragestellung nicht durch eine auf den reinen Wortlaut der Policeygesetze fokussierte Analyse operationalisieren lässt. Es soll überprüft werden, ob sich neben der Darstellung der Normen auch die Bedingungen änderten, unter denen über sie kommuniziert und reflektiert wurde. Dafür werden sowohl die Kommunikationsformen über Policeynormen im Normentstehungsprozess, als auch die Reaktionen auf Normsetzungen untersucht.
Kontakt:
Sebastian Frenzel
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Professur für Geschichte der Frühen Neuzeit
Professur für Geschichte der Frühen Neuzeit
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