Forschungsprojekte
Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe: Common Informing: Arbitrary Enforcement in Early Modern England
Leitung: Prof. Dr. Hannes Ziegler, Mitarbeiterinnen: Christine Gerwin, Nina Opgen-Rhein
Die Durchsetzung herrschaftlicher Gesetzgebung erfolgte im frühneuzeitlichen England in hohem Maße über den Rechtsgrundsatz qui tam und die damit verbundene Technik des common informing: die private Anklage und Strafverfolgung ökonomischer, sozialer, religiöser und politischer Devianz wurde finanziell belohnt. Vom Rechtsverstoß persönlich unberührte Personen wurden auf diesem Weg zu Sachwaltern des Gemeinwohls mit exekutiven Befugnissen, denn alle Rechtsentscheide waren auch für die Krone bindend. Rechtshistorikern wohlbekannt, ist diese dem common law eigene Form der Strafverfolgung hinsichtlich ihrer Herrschaftswirkungen bislang unbeachtet geblieben und in ihrer politischen und sozialen Dimension wenig erforscht. Hier verspricht sie jedoch neue Erkenntnisse: Unter Verzicht auf einen entsprechenden Amtsapparat delegierten Herrschaftsträger die Ausübung obrigkeitlichen Zwangs erfolgreich an die Untertanen, eröffneten diesen jedoch unfreilliwig Zugang zu Herrschaftsrechten. Entsprechend erlaubten Formen des informing für einzelne Untertanengruppen zahlreiche Partizipationsmöglichkeiten, führten allerdings durch ihren denunziativen Charakter zugleich zu einer Verschärfung sozialer Antagonismen und zu neuen vertikalen Abhängigkeiten. Über informing hergestellte und geregelte Herrschaftsbeziehungen waren folglich für beide Seiten ambivalent und verweisen auf strukturelle Dilemmata auch moderner Staatlichkeit.
Das Projekt verfolgt die Absicht, im Rahmen dreier Fallstudien erstmals eine eigenständige und zusammenhängende Geschichte von common informing im frühneuzeitlichen England zu schreiben; insbesondere soll informing in den Kontext frühneuzeitlicher englischer Staatlichkeit gestellt werden. Wesentliches methodisches Anliegen ist es dabei, die strukturelle Ambivalenz solcher Arrangements ernst zu nehmen. Konzeptionell arbeitet das Projekt daher mit dem Begriff der Eigenmächtigkeit: Common informer waren zu ihrem Handeln befugt, handelten aber ohne Amt und Auftrag und unter Hinwegsetzung über politische und soziale Normen. Die Effekte solchen Handelns wiederum lassen sich weder eindeutig auf etablierte Narrative der Untertanen-Emanzipation noch der Staatsbildung reduzieren. Ihre strukturelle Ambivalenz wird folglich unter dem Begriff der Herrschaftswirkungen gefasst. Insgesamt zielt das Projekt auf die Emergenz von Herrschaft aus einem vom common law bestimmten Zusammenspiel obrigkeitlicher Impulse und Artikulationen von Untertanenseite. Das Projekt erlaubt es damit in konzeptioneller Hinsicht, einen Beitrag zur Debatte um vormoderne Staatsbildung zu leisten und bietet andererseits Anschluss für aktuelle Debatten um surveillance, private policing und governance. Mehr erfahren
Invektive Asymmetrisierung. Schmährededuelle im italienischen und deutschen Humanismus
Antragsteller: Prof. Dr. Uwe Israel †, Projektleitung: Prof. Dr. Gerd Schwerhoff, Prof. Dr. Christian Jaser (kooptiert)
Mitarbeiter: Dr. Marius Kraus, Pablo Maria Borgialli, M.A.
Was bedeutet ‚Humanismus‘, und wer gehört zur Gruppe der ‚Humanisten‘? Diese Fragen wurden von den Zeitgenossen nicht zuletzt in actu unter Einsatz von Invektiven geklärt, so die Ausgangsthese des Vorhabens.
Intellektuelle, die seit Mitte des 14. Jahrhunderts Rhetorik als vornehmste Methode der Tugendförderung, Wahrheitssuche und Gotteserkenntnis betrachteten, sahen im Einsatz von persönlichen Herabsetzungen ein geeignetes Mittel zur Durchsetzung und Verteidigung ihrer Werte, Ansichten und Positionen. Dies wird von der Forschung erst in jüngerer Zeit wahrgenommen und in voller Tragweite für ein angemessenes Verständnis des Humanismus bewertet. Lange wurden die humanistischen Invektiven von der Forschung ausgeblendet, gar stiefmütterlich behandelt. Als pubertär oder gar obszön empfundene Streitschriften gegen einzelne Personen oder Gruppen wollten nicht in das hehre Bild passen, das man sich gern von den Protagonisten einer auf Klassiker rekurrierenden Bildungsbewegung machte – dabei verspricht gerade die Untersuchung dieses scheinbaren Widerspruchs neue Erkenntnisse in Bezug auf den Humanismus.
Das Vorhaben geht dabei aus einem Teilprojektantrag für die zweite Laufzeit des Dresdner Sonderforschungsbereichs 1285 „Invektivität. Konstellationen und Dynamiken der Herabsetzung“ hervor. In dem von 2017-21 gelaufenen Projekt „Agonale Invektiven. Schmährededuelle im italienischen und deutschen Humanismus“ interessierte besonders die grundsätzliche Bedeutung von Agonalität und Ritualität streithafter Auseinandersetzungen im invektiven Geschehen. Es standen die mit Invektiven dynamisierten Gruppenbildungsprozesse im Humanismus im Vordergrund, und zwar in Weiterführung von Untersuchungen, welche die Bedeutung kompetitiver Praktiken für die soziale Gruppenbildung bereits deutlich zeigen. Mehr erfahren
Abgeschlossene Projekte
- Zivilisierung der Gewalt? Eine kritische Sekundäranalyse vormoderner Quellengrundlagen
- No Country for Old Men
- Normbegründung, Normgenese und Öffentlichkeit der "guten" Policey
- Sonderforschungsbereich 804 – Teilprojekt F
- Adlige Beamte
- Das Duell als kulturelle Praktik
- Europäisches Internationales Graduiertenkolleg 625
- SFB 1285 "Invektivität". Ein geistes- und sozialwissenschaftlicher Forschungsverbund an der TU Dresden
- Totes Kapital? Die Ökonomie des Leichnams auf den Britischen Inseln (ca. 1600–1830)