Das macht glücklich!!!
(Text von Marie Luise Lange)
Ich stimme BBB Johannes Deimlings Darstellungen in allen Teilen vorbehaltlos zu und möchte diese durch einige eigene Überlegungen und Beobachtungen ergänzen.
Die Ziele eines Performanceworkshops bestehen natürlich nicht nur in der erfolgreichen Abschlusspräsentation einer stark wirkenden Performance, sondern vor allem auch darin, sinnlich-handelnd erarbeitete eigene Erfahrungen zu sammeln:
- mit der Belastbarkeit, Variabilität und Ausdruckshaftigkeit des eigenen Körpers
- mit der leiblich-energetischen "Besetzung" von Räumen und Orten
- mit den komplexen und teilweise surrealen Umgehensmöglichkeiten mit Materialien und Gegenständen, sowie
- mit der wirkungsästhetischen Kraft von Zeit und Dauer von Handlungen.
Gleichzeitig, zunächst im Anschluss an eigene Handlungsschritte, dann aber zunehmend parallel, muss eigenes körperliches Erleben in reflektiertes Erfahrungs-, Körper- und Bildwissen transportiert werden. Es geht also um entscheidend mehr als um Performance. Oder besser - all das gehört zum Wissen über Performances dazu.
Es geht zunächst darum, bei den Teilnehmern psychische und physische Bedingungen des eigenen Zulassens von ungewöhnlichen, nicht alltäglichen Bewegungen, Gängen, Gesten, Handlungen und Aktionen zu schaffen. Dadurch wird eine Offenheit für das oszillierende Dasein des Spiels, das eigentlich im rationalisierten Alltag eines Erwachsenen zunehmend abhanden gekommen ist, wie für das Ungewöhnliche absurder, surrealer, nicht-alltäglicher Handlungen erzeugt. Werden Übungen mit diesen Intentionen organisch aufeinander aufbauend angeboten, stellt sich - wie wir es bei unseren Teilnehmerinnen erlebt haben - eine Art Sog, eine unhintergehbare Lust am immer weitergehen mit sich, am immer neuen Entdecken der eigenen Potenziale und am Hinausschieben der körperlichen wie geistigen Grenzen ein.
Was in solchen intensiven Übungssequenzen bei den meisten der Teilnehmenden (nicht bei allen) geschieht, ist oft ein sich einstellendes "Umbewerten aller bisherigen Werte". Was "draußen" - im Leben - normal war, scheint hier nicht mehr zu gelten. Und dennoch gehen wir ja alle mit unserem Alltagswissen und unseren körperlichen Alltagserfahrungen an die Beurteilung der wahrgenommenen Handlungen und Bilder heran. Wie könnte ich ein Bild - und Performances sind aneinandergereihte lebende Bilder - beurteilen, wenn ich nicht wüsste, dass z.B. das Tragen von 12 Ziegeln als Körperkleid über mehrere Stunden die Akteurin ungeheure Kraft und Ausdauer kostet, weil diese Ziegel ein hohes Gewicht haben?
Was ist Performance? "Der Begriff Performance bezieht sich auf das Flüchtige, schwer Feststellbare, Fließende, sich in Veränderung Befindende, das sich in Prozessen, Vorgängen und Ereignissen äußert. ( ) Performance Art ist als eine Form von Aktionskunst ein prozessästhetisches Ereignis, bei dem die Handlung eines im "Echt-Zeit-Raum" agierenden Künstlers zum Kunstwerk wird. Sie ist im weitesten Sinne ein übergreifendes Synonym für alle Formen von Kunst, die "bilderzeugende Handlungen" vorführen. Zwangsläufig funktionieren Performances nur intermedial, denn sie benutzen neben dem handelnden Körper des Künstlers, neben der Dauer und dem Ort des Sich-Ereignens auch Materialien und Mittel aus ehemals traditionell anders definierten Kunstgattungen wie der Musik, dem Theater, dem Tanz aber auch aus dem Sport, dem Varieté, den elektronischen Medien uam." (Marie-Luise Lange: Über Lebendigkeit oder die Präsenz des (Un)-Sichtbaren In: Marie-Luise Lange (Hg.): Performativität erfahren. Aktionskunst lehren - Aktionskunst lernen. Schibri Verlag Berlin Milow 2006, 101/ 104)
Außer diesen den "inneren Raum" betreffenden Optionen geht es in Performanceworkshops auch darum, den äußeren Raum und das personale Umfeld bewusster als je zuvor wahrzunehmen und spielerisch-experimentierend zu erproben. Zu diesem Umfeld gehören sowohl die räumlichen Gegebenheiten der Orte, an denen geübt, gehandelt, gespielt und agiert wird. Zu ihm gehören aber auch in besonderem Maße die anderen Workshopteilnehmenden und nicht zuletzt die Workshopleiter.
Die räumlichen Vorgaben des alten Brauerei-, Scheunen-, Stall- und Wohnkomplexes im Rehlovicer Kulturzentrum hätten anregender nicht sein können. Wir hatten mit dem phantastisch auf seine pure Architektur reduzierten, geweißten ca. 30 m langen, 10m breiten Stallgebäude einen nüchternen Ausgangsort für unsere Körperarbeit. In diesem Raum zählten nur die agierenden Körper der Teilnehmerinnen, es gab keine Ablenkung, keine räumliche Ausflucht, keinen Versteckort. Alle Energie aus den Übungen wurde hier gespeichert.
Es gab die weite, alle Gebäude verbindende Wiese, auf der warming up und Kommunikationsübungen geleistet und Sonne getankt wurde. Es gab die Brauereigebäude, welche sich selbst innen dunkel, hoch und sakral gaben und deren Dächer eine glatte Spielfläche, amorphe Wände und als Kulisse einen fensterumrahmten Überblick über die Teich- und Wiesenlandschaft des Gehöfts boten. Die Geschichte der Gebäude, ihr teilweiser ruinöser Zustand spielte atmosphärisch in allen performativen Aktivitäten mit.
Die zweite außergewöhnlich produktive Bedingung war das soziale Miteinander zwischen den Studierenden als auch zwischen Studierenden und uns Workshopleitern. Es ist ein nicht zu unterschätzender Unterschied, ob Performanceteilnehmer sich abends nach Hause, in ihr gewohntes Umfeld begeben oder wie in unserer Rehlovicewoche von morgens an bis spät in die Nacht zusammen sind. Man isst zusammen, man bereitet sich auf den Tag vor, man arbeitet zusammen und auch wenn die Performanceaufgaben offiziell beendet sind, kann jede Teilnehmerin weiter über die gesehenen Aktionen oder über das, was die andere Gruppe gemacht hat, kommunizieren. Und die Teilnehmer erleben, wie sie selbst und wie die Workshopleiter sich "entspannen". Sie erleben die unterschiedlichen Temperamente, die verschiedenen Stärken und Profile ihrer Kommilitonen. In unserem Falle wurden Pizzen gebacken und Suppen gekocht, es wurde lautkreischend und wild gekickt und chinesisch Tischtennis gespielt. Und es wurde jeden Abend im Schlafraum eine Gute-Nacht-Geschichte vorgelesen.
Offensichtlich ist es uns gelungen eine friedliche, produktive Atmosphäre zwischen den Workshopteilnehmern zu schaffen. Deren Höhepunkt gipfelte natürlich in den am Samstag über 8 Stunden aufgeführten Performances. Jede Performerin erhielt vor und während der Performance Hilfe durch die Kommilitonen oder durch Johannes und mich. Und die Leistung jeder Akteurin wurde bis in die Nacht hinein mit gleichbleibender Aufmerksamkeit wahrgenommen und mit Beifall belohnt.
Die am nächsten Tag versuchte erste Auswertung der erlebten 20 Performances - die sprachlich eigentlich kaum reflektierbar waren - und die Reflexion der Performancewoche bewies in jeder Aussage der Kunstpädagogikstudentinnen, dass sie in 6 Tagen eine extreme Persönlichkeitsentwicklung durchlaufen und eine stark erweiterte Sicht auf die verlebendigenden Schichten des Selbst sowie auf das berührende Vermögen von Performancekunst und performativen Prozessen überhaupt gewonnen haben.
Einige Studierende haben durch die Performancearbeit ein Stück weiter zu sich und zu den eigenen Wünschen und Interessen gefunden. Das macht glücklich!!!