Angriffe auf die politische Bildung
Seit geraumer Zeit nehmen Angriffe auf Angebote, Organisationen und konkrete Bildner:innen der (außerschulischen) politischen Bildung zu. Insbesondere aus rechtsradikalen, revisionistischen und verschwörungstheoretischen Motiven heraus kommt es bspw. sowohl zu Wortergreifungen in Bildungsveranstaltungen, digitalen Shitstorms oder Boykottaufrufen als auch zu persönlichen Morddrohungen, wie aktuelle Studien der JoDDiD (Jugel/Lewerenz 2022) und der Otto-Brenner-Stiftung (Laux/Lindenauer 2024) zeigen. Erstere stellte ebenso fest, dass mehr als die Hälfte der Befragten mit solchen Angriffen bereits vereinzelt oder regelmäßig konfrontiert waren/sind. Die Tatsache, dass sogar Morddrohungen und physische Übergriffe zu verzeichnen sind, ist dabei zutiefst beunruhigend, stellen diese doch längst nicht mehr nur eine legitime Meinungsvielfalt oder kontroverse inhaltliche Auseinandersetzungen dar, sondern sind offensichtlich strafrechtliche Angriffe auf Bildner:innen.
Neben den Angriffen auf konkrete Träger:innen und Bildungsanbieter verzeichnet das Feld der politischen Bildung seit dem Aufkommen der Partei Alternative für Deutschland (AfD) auch auf politischer und gesamtgesellschaftlicher Ebene Angriffe. Diese reichen wiederum von Pressemitteilungen über Einzelbriefe an Bildungsinstitutionen bis zu parlamentarischen Anfragen (Borstel 2021,14). Dabei wird unter Rückbezug auf ein angebliches "Neutralitätspostulat" versucht, demokratische politische Bildung zu delegitimieren und somit zu einer Verschiebung des Sagbaren hin zu einer Normalisierung und Akzeptanz von demokratiefeindlichen Ansichten zu bewirken (Sämann 2021; Jugel/Besand 2023). Dass dies eine übergreifende Strategie der AfD ist, zeigt Jana Sämanns Studie über Einflussnahmeversuche der AfD auf die außerschulische politische Jugendbildungsarbeit in verschiedenen deutschen Landesparlamenten (Sämann 2021). Breitenwirksam wurde auch die Einrichtung von sog. "Meldeportalen" durch die AfD im Jahr 2018, auf denen Lehrer:innen und deren Unterricht von Schüler:innen und Eltern 'gemeldet' werden sollten, wenn deren Meinung nach (zu) kritisch über die Partei gesprochen wurde. "Die AfD monierte eine gesellschaftliche Ausgrenzung und pochte auf Integration und Anerkennung ihrer weltanschaulichen Perspektiven als normale, demokratisch legitimierte Position unter anderen. Bildungsministerien, Verbände, Gewerkschaften sowie der Fachdiskurs reagierten sofort und wiesen darauf hin, dass das im Beutelsbacher Konsens enthaltene und schulgesetzlich gerahmte Kontroversitätsgebot nicht im Widerspruch zu einer kritischen Haltung gegenüber menschenverachtenden und demokratiefeindlichen Positionen stehe (u. a. GPJE et al. 2018; NDC & HBS 2020; SMK 2018) und dass politische Bildung nicht neutral ist, sondern immer auf der Wertebasis von Menschenrechten und der freiheitlichen demokratischen Grundordnung basiere (Cremer 2019, 20ff.)" (Jugel/Besand 2023).
Dennoch scheinen die Angriffe auf schulische und außerschulische politische Bildungsangebote und deren Bildner:innen Wirkung zu zeigen. Dokumentierte Fälle zeigen, wie innerhalb von Lehrer:innenkollegien der Umgang mit der AfD und mit kontroversen politischen Debatten zu heftigen Diskussionen und Verunsicherungen führen (Behrens et al. 2021, 106; Georg 2021, 26). Ähnliches lässt sich auch im Bereich der non-formalen politischen Bildung wiederfinden, wo ein erhöhter Rechtfertigungsdruck und Angst vor dem Entzug der Gemeinnützigkeit teilweise dazu führt, dass Anträge und Angebote vorsichtiger konzipiert werden (Jugel/Lewerenz 2022, 12).
Literatur
Behrens, Rico; Besand, Anja; Breuer, Stefan (2021): Politische Bildung in reaktionären Zei-ten. Plädoyer für eine standhafte Schule. Frankfurt/M. Online verfügbar.
Besand, Anja (2018): Beutelsbach als Waffe. Über die Einschüchterungsversuche von ganz Rechts und wie die Schule, Staat und Lehrkräfte darauf reagieren können, in: SOWI Online. Online verfügbar.
Besand, Anja (2019): Vom Nutzen (neuerer) Populismusforschung für die politische Bildung Sachsen als Labor, in: GWP–Gesellschaft (Hrsg.): Wirtschaft. Politik 3/2019, Leseprobe online verfügbar.
Besand, Anja (2020): Politische Bildung unter Druck - Zum Umgang mit Populismus in der Institution Schule. In: APuZ 14-15/2020, S. 4-9. Online verfügbar.
Borstel, Dierk (2021): Zivilgesellschaft unter Druck. Netzwerkarbeit zwischen (konstruktiver) Kritik und offenen Angriffen. Unter Mitarbeit von Jennifer Brückmann. Mainz. Online verfügbar.
Cremer, Hendrik (2019): Das Neutralitätsgebot in der Bildung. Neutral gegenüber rassisti-schen und rechtsextremen Positionen von Parteien? Berlin: Deutsches Institut für Menschen-rechte (Analyse / Deutsches Institut für Menschenrechte). Online verfügbar.
Däuble, Helmut (2019): In Zeiten digitaler Meldeplattformen – Der Angriff auf demokratische (politische) Bildung und liberales Schulsystem. In: GWP 4/2019, S. 523-534. Online verfügbar.
Georg, Eva (2021): Haltung zeigen. Reagieren auf Diskriminierung, Rechtspopulismus und Rassismus in der Schule. Frankfurt/M.
Gesellschaft für Politikdidaktik und politische Jugend- und Erwachsenenbildung; Deutsche Verinigung für Politische Bildung; Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft (2018): Gemeinsame Stellungnahme von GPJE, DVPB und DVPW-Sektion zur AfD-Meldeplattform „Neutrale Schulen“. Online verfügbar.
Jugel, David/ Lewerenz, Rico (2022): Wie Gehts der außerschulischen politischen Bildung in Sachsen - eine Feldexploration. Online verfügbar.
Jugel, David/ Besand, Anja (2023): Zwischen Akzeptanz und Abgrenzung – Herausforderungen im inklusiven Umgang mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und rechten Angriffen in und auf Schule. In: Hinz, Andreas/ Jahr, David/ Kruschel, Robert (Hrsg.): Inklusive Bildung und Rechtspopulismus. Analysen und Handlungsmöglichkeiten.
Laux, Thomas / Lindenauer Theresa (2024): Engagiert und gefährdet. Ausmaß und Ursachen rechter Bedrohungen der politischen Bildung in Sachsen. Otto-Brenner-Stifftung – OBS Arbeitspapier 68. Online verfügbar.
Netzwerk für Demokratie und Courage/ Heinrich-Böll-Stiftung (2020): #nichtneutral. Schule unter Druck. Courage – Werkstatt für demokratische Bildungsarbeit e.V. / Weiterdenken – Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen (Hrsg.). Online verfügbar.
Sächsisches Staatsministerium für Kultus (2018): AfD will gegen politisch missliebige Lehrer vorgehen. Unter Mitarbeit von Dirk Reelfs. Online verfügbar.
Sämann, Jana (2021): Neutralitätspostulate als Delegitimationsstrategie. Eine Analyse von Einflussnahmeversuchen auf die außerschulische politische Jugendbildungsarbeit. Frankfurt/M.
Schroeder, Wolfgang et. al. (2022): Einfallstor für rechts? Zivilgesellschaft und Rechtspopulismus in Deutschland. Frankfurt/New York.