Querschnitt-Arbeitsgruppe "Formen- und Medienwandel"
Im Mittelpunkt der Querschnitt-AG stand das Problem des Wandels von Formen und Medien des Invektiven, wobei zwei Perspektiven im Mittelpunkt standen: Einerseits ist aus historischer Perspektive ein Wandel von Formen und Medien des Invektiven zu verzeichnen , andererseits treten jedoch Invektiven in unterschiedlichen Formen und Medien als Faktoren des Wandels sozialer Ordnungen in Erscheinung und werden wirksam. Invektivität kann mithin als Effekt ebenso wie als Katalysator gesellschaftlicher und kultureller Dynamisierungsprozesse begriffen werden. Um Fragestellungen zu präzisieren und eine gemeinsame Grundlage zu schaffen, widmete sich die AG im Sommersemester 2018 und im Wintersemester 2018/19 zunächst verschiedenen Formbegriffen aus den Literatur-, Sozial- und Kulturwissenschaften, die auf Grundlage von Lektüretexten sowie der konkreten Begriffsverwendungen in den an der AG beteiligten Teilprojekten diskutiert wurden.
Als produktiv erwies sich das Konzept der kommunikativen Gattungen, das bereits im Ausgangskonzept angelegt war und das in verschiedenen Formaten weiter vertieft wurde (vgl. bes. die Tagung "Invektive Gattungen" im Februar 2020, die parallel eröffnete Ausstellung „Schmähung – Provokation – Stigma. Medien und Formen der Herabsetzung“ sowie das bald erscheinende Sonderheft der Kulturwissenschaftlichen Zeitschrift 2/2021 "Invektive Gattungen. Formen und Medien der Herabsetzung"1 ). Zudem „entdeckte“ die AG die Produktivität des Konzeptes der Affordanz für eine kommunikationstheoretische Kontextualisierung des Invektivitäts-Ansatzes. Im Anschluss an die Literaturwissenschaftlerin Caroline Levine (2015)2 könnte der Begriff bei der Analyse des Wechselspiels von Dynamik und Verfestigung invektiver Kommunikationsprozesse helfen. Materiale Formen werden im Rahmen des Konzeptes der Affordanz nicht von den formalen Merkmalen her gedacht, sondern von den Nutzungsmöglichkeiten, die in sie eingeschrieben sind. Die Diskussionen der AG kreisten u.a. um die Frage, inwieweit sich in Bezug auf invektive Formen und Gattungen bzw. bestimmte Medien in ähnlicher Weise Affordanzen identifizieren ließen, etwa in Gestalt von rhetorischen Mitteln, narrativen Strukturen oder auch Ikonographien.
Die Überlegungen zum Zusammenhang der Konzepte mit der Invektivitätsperspektive des SFB wurden auf dem Plenum am Ende des Wintersemesters 2018/19 sowie im Rahmen der Klausurtagung diskutiert. Im Sommersemester 2019 wurden diese Diskussionen vertieft. In von AG-Mitgliedern erstellten Papieren wurde vorgestellt, wie verschiedene, disziplinär gebundene Gattungs- und Affordanzbegriffe in den Forschungen ausgewählter Teilprojekte verwendet werden und davon ausgehend herausgearbeitet, welchen Beitrag sie für die invektivititätszentrierte Perspektive der interdisziplinären Arbeit im SFB leisten können. In diesen Diskussionen, die Form- wie Medienaspekte gleichermaßen einbezogen, rückte darüber hinaus das Problemfeld des Öffentlichen in den Blick, das als Bedingungs- wie als Realisierungszusammenhang invektiver Kommunikation angesehen werden kann. Der Begriff der Öffentlichkeit und seine verschiedenen Derivate (z.B. Teil- oder Gegenöffentlichkeit) stellen eine Perspektive zur Verfügung, mit der die drei titelgebenden Aspekte der AG verknüpft und teilprojektübergreifend fruchtbar gemacht werden können.
Im Wintersemester 2019/2020 sowie im Sommersemester 2020 wurden Texte diskutiert, die im Rahmen eines Sammelbandes des TP P (Kruse/Müller-Mall 2020)3 zum Zusammenhang von Öffentlichkeit und Invektivität von AG-Mitgliedern erstellt wurden. Leitend waren dabei u.a. die Fragen, inwiefern invektive Kommunikation Dynamisierungen (in) der Öffentlichkeit erzeugt und zu gesellschaftlichen Transformationsprozessen beiträgt, und wie jeweils neue Medien der Veröffentlichung an der Entstehung neuer Formen des Invektiven beteiligt sind.
Das Problem der Öffentlichkeit sollte überdies im Zentrum der wesentlich von der Querschnitt-AG gestalteten Jahrestagung des SFB im Mai 2020 stehen, die bedingt durch Covid-19 leider nicht stattfinden konnte.
Die Konzeption dafür war folgendermaßen formuliert:
Denkt man Öffentlichkeit nicht als hermetische normativ aufgeladene Sphäre, sondern als pluralistisches Gebilde, das viele Abstufungen, Modi und Sektoren kennt, stellen sich die Bezugspunkte zur invektiven Kommunikation vielfältig und komplex dar. Einerseits prägen spezifische Erscheinungsformen von Öffentlichkeit invektives Verhalten: Teilöffentlichkeiten etwa kennen spezifische Grenzen und Lizenzen für Invektivität und virtuelle Öffentlichkeiten präjudizieren bestimmte Formen und Medien invektiver Kommunikation. Andererseits fordert die Prozesshaftigkeit des Öffentlichen immer wieder den Einsatz invektiver Mittel. Denn für die Herstellung von Öffentlichkeit spielen Provokation, Herabsetzung und Ausgrenzung eine wichtige Rolle. Sie generieren Aufmerksamkeit und konstituieren Schmähgemeinschaften, während grenzverletzende Äußerungen über die Etikettierung öffentlicher Relevanz Legitimität beanspruchen. Der Sektion „Invektivität und Öffentlichkeit“ soll es darum gehen, dieses ambivalente Verhältnis von Öffentlichkeit und Invektivität genauer zu bestimmen. Zu diesem Zweck soll der konstitutive Charakter von Invektivität für die Herstellung von Öffentlichkeit fokussiert werden. Im Zentrum stehen dabei folgende Fragen: Wie wird Öffentlichkeit durch invektive Kommunikation hergestellt und geprägt? Welche Formen und Medien kommen dabei zum Einsatz? Wie wird invektives Verhalten durch die Behauptung öffentlicher Relevanz legitimiert? Was passiert, wenn „Invekivitätsspiralen“ öffentliche Debattenkulturen prägen? Um sich diesem Fragekomplex anzunähern, sollen systematische Zugänge mit empirisch-analytischen Zugängen verschränkt werden. So vermittelt Jan-Philipp Kruse einen konzeptionell-theoretischen Ausblick auf „Semantische Krisen der Öffentlichkeit“ und Gerd Schwerhoff referiert aus einer empirisch-analytischen Perspektive über das Verhältnis von Öffentlichkeit und Invektivität in der Frühen Neuzeit. Im Anschluss werden Fallbeispiele von Lea Hagedorn, Sonja Engel und Albrecht Dröse medienhistorische Dimensionen vertiefen. |
Fußnoten
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Antje Sablotny / Marina Münkler / Albrecht Dröse (Hgg.): Invektive Gattungen. Formen und Medien der Herabsetzung. Sonderheft der Kulturwissenschaftlichen Zeitschrift 2/2021 (im Erscheinen).
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Caroline Levine: Forms. Whole, Rhythm, Hierarchy, Network. Princeton/Oxford 2015.
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Jan-Philipp Kruse / Sabine Müller-Mall (Hgg.): Digitale Transformationen der Öffentlichkeit. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2020.