Querschnitt-AG "Soziale Positionierung"
Die AG Soziale Positionierung konstituierte sich unter Beteiligung von Angehörigen fast aller Teilprojekte des SFB Anfang des Sommersemesters 2018 und tagte in monatlichem Rhythmus bis zum Wintersemester 2019/20. Eine SFB-öffentliche Präsentation der AG, in der erste Ergebnisse zur Diskussion gestellt wurden, fand im Januar 2019 statt.
Die Arbeitsgruppe hatte von Beginn an das Ziel, von den konkreten Gegenständen der empirischen Arbeit in den Teilprojekten auszugehen, die allen Mitgliedern wechselweise erst einmal vermittelt werden mussten, als theoretische wie inhaltliche Verständigung quer durch die Teilprojekte und Disziplinen. Entsprechend wurden im Verlauf des Sommersemesters 2018 und der ersten Sitzung des Wintersemester 2018/19 Präsentationen aus jeweils zwei bis drei Teilprojekten diskutiert, in denen in Form von Schlaglichtern Gegenstand, Fragestellung und Vorgehensweise der Forschungsarbeit umrissen wurden. Vor diesem Hintergrund wurden in der AG sowohl divergierende Verständnisse als auch Konzeptualisierungsbedarfe zum Begriff der Sozialen Positionierung (vgl. Glossar zentraler Begriffe) gesammelt und diskutiert.
Das Wintersemester 2018/19 stand dann im Zeichen der vergleichenden Synthetisierung, mit dem Ziel, in der Präsentation am Ende dieses Semesters eine von den empirischen Fragestellungen der Arbeit in den Teilprojekten und Dissertationen aufsteigende, aber über diesen Kontext hinaus verallgemeinerte Konzeptualisierung des Begriffs der Sozialen Positionierung vorzulegen. Ausgangspunkt war die Erstellung eines gemeinsamen Dokuments, in dem alle Mitglieder der AG drei (von der Ebene ihrer konkreten Arbeit losgelöste, aber mit einem Beispiel daran anknüpfende) Sätze formulierten, in denen die Bedeutung des Begriffs der Sozialen Positionierung im eigenen Projekt zum Ausdruck kommt. Zusätzlich wurden drei bis fünf abstrakte Begriffe benannt, die benötigt werden, um das beispielhafte Phänomen zu beschreiben. Darauf aufbauend wurde in den weiteren AG-Sitzungen eine Reihe von allgemeinen Annahmen über soziale Positionierung sowie sieben unterschiedliche Dimensionen identifiziert, in die sich die in den Teilprojekten und Dissertationen relevanten Phänomene sozialer Positionierung einschreiben lassen. Eine Gruppe bestehend aus Anna Häusler, Ken Heuring, Mei-Chen Spiegelberg, Ludovica Sasso und Lisa-Marie Richter übernahm hier die Federführung. Sie erarbeitete auch die Finalisierung der Ergebnisse der AG-Diskussion für die Präsentation im Januar 2019 in Form einer Powerpoint-Präsentation sowie eines ausführlichen Handouts, in dem die Mehrzahl der in der AG diskutierten Beispielfälle aus der Teilprojektarbeit benannt, kommentiert und in ihrem Charakter als Positionierungsakte scharfgezeichnet werden. Bei der Präsentation selbst übernahmen Lisa-Marie Richter und Anna Häusler die Vorstellung des theoretischen Rahmens und die Moderation. Ausgewählte Bespiele sozialer Positionierung wurden vorgestellt von Ken Heuring, Guiseppe Peterlini, Ludovica Sasso, Dominik Schrage, Jan Siegemund und Mei-Chen Spiegelberg.
Die Synthese der Arbeit dieser beiden Semester liegt vor in der erwähnten Präsentation „Soziale Positionierung. Begriffsspektrum und Aufriss eines Problemfeldes“. Sie sei hier zunächst kurz zusammengestellt:
- Soziale Positionierung ist ein grundlegender Aspekt von Invektivität; ausgehend von sozialen Positionierungsakten lassen sich Invektivität bzw. invektive Kommunikationsakte empirisch beschreiben
- Soziale Positionierung verschaltet Körper mit Identität und sozialen Bezugsrahmen
- Invektivität kann soziale Positionen steuern, dynamisieren, verändern, verfestigen
- In der Regel geht dies mit einem Affektgeschehen einher
- Das Publikum ist eine wichtige Instanz bei sozialen Positionierungsvorgängen; hier schließen die Überlegungen an die invektive Triade (vgl. Glossar zentraler Begriffe) aus dem Forschungsprogramm des SFB an
- Relevant für die Beschreibung sind die (symbolischen, textuellen etc.) Kodierungen sozialer Positionierung (Kleidung, Körper, Raum, Emotionen, Verletzungen etc.)
Invektive soziale Positionierungsphänomene lassen sich sinnvoll mit Hilfe der Unterscheidung von sieben Dimensionen beschreiben und fallübergreifend vergleichen. Diese Dimensionen sind dabei jeweils durch ein polares, aber kontinuierliches Spannungsverhältnis zu erfassen, in welches das jeweilige Phänomen eingeordnet und mit anderen verglichen werden kann. Folgende Dimensionen wurden herausgearbeitet:
- Positionierungsziel: Zwischen Stabilisierung und Transformation sozialer Ordnung
- Richtung I: Zwischen Fremd- und Selbstpositionierung
- Richtung II: Herabsetzung von Gruppen oder Individuen
- Richtung III: Verhältnis Invektierte/Invektierende: Horizontal versus vertikal
- Publikum: Zwischen Aktivität und fluiden Rollen sowie Passivität und starren Rollen
- Erfahrens- und Beobachtungsverhältnis: Zwischen Anwesenheit und Abwesenheit
- Referenzrahmen (kulturell und sozial): Invektierende mit wenig oder viel Prestige (symbolischem Kapital)
Im Sommersemester 2019 wurden zwei für die Arbeit in den beteiligten Teilprojekten bzw. an den Dissertationen besonders relevante Dimensionen der Synthesebildungen zum Konzept der Sozialen Positionierung des vorangegangenen Semesters diskutiert: „Publikum“ sowie das Begriffspaar „Transformation und Stabilisierung“. Hierfür wurden von allen beteiligten Personen jeweils schriftliche Ausarbeitungen aus der Teilprojektarbeit von wenigstens einer halben Seite zusammengetragen und in der AG gemeinsam erörtert. Dabei wurde die Vielfalt der Aspekte des Publikumsbegriffs je nach Zugriff und Gegenstandsbereich offenbar, die Statusschwankungen zwischen Aktivität-Passivität, Anwesenheit-Abwesenheit, Enge-Weite, Mündlichkeit-Schriftlichkeit, Inszeniertheit/Konstruiertheit-agency, das Verhältnis zu Begriffen wie Affizierung, Potentia/potestas/Potentialität, Macht, Medialität oder zum Pathischen, ebenso wie die Nähe zu oppositionellen Begriffen wie ‚Zeugenschaft’, ‚Voyeurismus’, ‚Mittäterschaft’ oder ‚Öffentlichkeit’. Das Begriffspaar von ‚Transformation’ und ‚Stabilisierung’, unter dem Aspekt sozialer Positionierung lesbar als diametrale prozessuale Polarität, als getrennte Begriffsareale (Transformation vs. Statik und Stabilisierung vs. Zerstörung), als entgegengesetzte Pole einer performativen Ergebnis-Skala von Positionierungshandlungen, oder aber als zwei simultane Seiten eines identischen Positionalisierungs-Prozesses, ließ zudem die enge Verbindung zu Ordnungsbildung, Konkurrenz- und Konfliktdynamiken sowie zu Zeit- und Raumaspekten deutlich werden. In den Diskussionen schien, als Komplement der Perspektivierungen aus unterschiedlichen Disziplinen, zudem immer wieder die Frage nach der Unterscheidung von Invektivität in erzählten Welten oder anderen medialen Umgebungen wie Bildern auf der einen Seite, sowie Invektivität im Realraum oder sozialen Situationen auf der anderen auf. Durch Invektivität operationalisierte soziale Positionierung muss deshalb stets auf ihre Einbettung in mediale Settings hin befragt und beschrieben werden. Findet sich Invektivität innerhalb kultureller Artefakte inszeniert, müssen diese jeweils mit Blick auf die jeweilige ästhetische Modellierung untersucht und hinsichtlich der intra- und extradiegetischen Instanzen, der Rückkoppelungen zwischen medialem Produkt und Realraum, der Rezeptionsstrukturen sowie der kulturellen Effekte befragt werden. Eine umfangreiche Ausarbeitung von Gabriel Deinzer und Lisa-Marie Richter zur Plenums-Präsentation Ende des Sommersemesters liegt vor.
Soziale Positionierung hat sich in der Arbeit der AG als ein Konzept erwiesen, mit dem konkrete, empirisch bearbeitete Fälle aus den Teilprojekten und Dissertationen in Vergleichszusammenhänge gebracht werden können und dabei insbesondere die Produktivität invektiver Akte in Hinblick auf die Beeinflussung sozialer Ordnungsmuster und -vorstellungen (Stabilisierung/Transformation, Horizontalität/Vertikalität) beobachtbar und vergleichbar wird. Bedeutsam an dem in der AG entwickelten Modell ist weiterhin, dass sowohl individuelle und kollektive invektive Akte, die Perspektiven von Invektierenden und Invektierten, deren jeweilige (unterschiedliche oder ähnliche) sozialen Rollen und Statuspositionen, situativen Bedingungen (An-/Abwesenheit) und die verschiedenen Rollen des Publikums als variabel konzipiert wurden. Das Modell erweist sich also als vielfältig anwendbar, es verfängt sowohl mit Blick auf realräumliche Beispiele als auch auf mediale Produkte und deren kulturelle Funktionen, und es kann unterschiedlichste invektive Phänomene durch den Bezug auf in der Situation oder Konstellation vorgefundene hierarchische Positionen bzw. in der Situation oder Konstellation mobilisierte Ordnungsvorstellungen vergleichen. Damit lässt sich ein sehr breiter Fundus von Fällen heranziehen, um die theoretische Frage nach dem Beitrag von Invektivität zur Stabilisierung und Transformation intersubjektiver Konstellationen oder sozialer Ordnungen fundiert anzugehen.