Geschichte der Psychologie in Dresden
Die wissenschaftliche Psychologie hat an Dresdens akademischen Bildungsstätten eine lange Vorgeschichte, die bis auf Carl Gustav Carus Beiträge zur Entwicklungspsychologie zurückreicht. Regelmäßige und thematische Lehrveranstaltungen zur Psychologie wurden seit der Berufung von Fritz Schulze bereits 1876 am Königlich-Sächsischen Polytechnikum für Studierende der Pädagogik und der Technischen Wissenschaften angeboten. Theodor Elsenhans, bekannt durch sein verbreitetes Lehrbuch der Psychologie, setzte Schulzen's Wirken einschließlich der vielfältigen Vortragszyklen für Dresdens Öffentlichkeit fort.
In den Zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurden gleich zwei psychologische Institute an der Technischen Hochschule Dresden gegründet: 1922 das Psychotechnische Institut und 1926 die Psychologische Abteilung des Philosophisch-Pädagogischen Seminars.
Die Gründung des Psychotechnischen Instituts wurde sowohl von Karl Bühler als auch dem Betriebswissenschaftler Sachsenberg vorangetrieben; Blumenfeld und Dolecal konnten mit ihrer ingenieurtechnischen und psychologischen Doppelausbildung bedeutende Ergebnisse zur Psychotechnik beisteuern und leisteten umfangreiche Arbeiten für die Sächsische Industrie. Als weitere bedeutende Psychologen, die in Dresden wirkten, sind Charlotte Bühler zu nennen, die sich 1919 als erste Frau in der deutschen Psychologiegeschichte als Privatdozentin habilitierte, sowie Karl Bühler, Gustav Kafka, Walter Blumenfeld sowie ihre Assistenten Jan Dolecal und Philipp Lersch. Neben herausragenden Publikationen zur vergleichenden Entwicklungs- und zur Sprachpsychologie sowie später auch zur Ausdrucks- und Persönlichkeitspsychologie wurde ein beispielhaftes Lehrangebot, insbesondere mit den 1920 von Karl Bühler begründeten psychologischen Praktika hauptsächlich für die akademische Volksschullehrerausbildung, ausgebaut.
Der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg brachten die psychologische Arbeit in Dresden weitgehend zum Erliegen. Kafka, Blumenfeld und Dolecal mussten die Technische Hochschule Dresden auf Grund der Naziherrschaft (1933 bzw. 1934) verlassen. Erst 1936 wurde Lersch zum Lehrstuhlinhaber berufen und konnte die Arbeit unterstützt von Werner Straub, fortsetzen. Straub's Wirken als Nachfolger Lersch's ab 1938 wurde kriegsbedingt von 1939 - 1947 unterbrochen. 1940 wurden alle Psychologieeinrichtungen der Technischen Hochschule in ein Institut für Psychologie eingeordnet. 1942 wurde dort ein Studiengang für Diplom-Psychologen eingerichtet.
Straub setzte die insbesondere von K. Bühler, W. Blumenfeld und G. Kafka begründete Integration grundlagenpsychologischer mit praxiswirksamer Forschung und die differenzierte, auf Praktika gestützte Methodenausbildung an der Technischen Hochschule/Technischen Universität mit Arbeiten zunächst zur Willenspsychologie fort. Während des Neuaufbaus der Hochschule nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Psychologie auf Betreiben von Werner Straub der Fakultät Mathematik und Naturwissenschaften zugeordnet. Orientiert an der russisch kulturhistorischen Schule (Leontjew, Rubinstein) erarbeitete er erste Ansätze einer handlungsbezogenen Regulationstheorie und trieb die Forschung zur Lern- und Arbeitsprozessgestaltung voran. Erwin Gniza und Ursula Köhler als Assistenten Straub's entwickelten dazu eigene Beiträge u.a. mit gewichtigem Einfluss auf die Theorie des Arbeitsschutzes und die Methodik der psychologischen Arbeitsanalyse.
Als Nachfolger Straub's wurde 1967 Winfried Hacker berufen. Sein 1973 erstmals erschienenes Buch "Allgemeine Arbeitspsychologie" gilt als ein wichtiger Meilenstein in der Entwicklung der deutschsprachigen Arbeitspsychologie. Die handlungstheoretisch begründete Verbindung von Allgemeiner und Arbeitspsychologie erwies sich nicht nur für Dresden als überaus fruchtbar. Untersetzt durch die seit 1980 herausgegebene Reihe "Spezielle Arbeits- und Ingenieurpsychologie" wurden zentrale inhaltliche und methodisch/methodologische Fragen der Analyse und Gestaltung von Arbeitstätigkeiten geklärt. Vor diesem Hintergrund entstand eine eigenständige Dresdener Verfahrensfamilie, die sich am Konzept der vollständigen, gesundheits- und persönlichkeitsförderlichen Tätigkeit orientierte. Dies war nicht denkbar ohne die breit gefächerte angewandte und grundlagenorientierte Forschungsarbeit der Schüler und Mitarbeiter Winfried Hackers. Stellvertretend für viele seien hier genannt: Bärbel Bergmann (Matern), Rolf Görner, Jürgen Neubert, Peter und Wolfgang Quaas, Hans-Eberhard Plath, Harald Raum und Peter Richter.
1968 führte die Hochschulreform in der DDR zur Einordnung der Psychologie in eine arbeitswissenschaftliche Sektion, die das Profil der anwendungsseitigen Lehr- und Forschungstätigkeit bis 1989 bestimmte. Nach 1989 wurde die Fachrichtung Psychologie an der Fakultät Mathematik und Naturwissenschaften der TU Dresden neu gegründet. Dieser Neuaufbau konnte 1994 abgeschlossen werden. 12 Professuren und nunmehr 2 Stiftungsprofessuren vertreten jetzt das gesamte Profil der Psychologie einschließlich der drei Hauptvertiefungsrichtungen.
Buchtipp
Westhoff, K. (Hrsg.) (2003). Entscheidungen für die Psychologie an der TU Dresden. Lengerich: Pabst. 219 Seiten.