Weil das so im Lehrplan steht
Momo ist kurz davor, die Lehramtsausbildung abzuschließen. Je mehr Unterricht Momo konzipiert und gestaltet, um so öfter konfrontieren Schüler*innen sie mit der Frage, warum das Thema für sie später relevant ist. Momo ist zusehends verunsichert, wie darauf geantwortet werden soll. Alle bisherigen Versuche einer Begründung schienen von den Schüler*innen nicht angenommen zu werden. Stattdessen fragen sie nun jede Woche, welche Bedeutung das Thema für ihr Leben hat. Daher sucht Momo Rat bei Lehrer*innen und Ausbilder*innen, wie diese auf die Frage reagieren. Etwas irritiert über die Frage antworten die meisten: „Na, weil das so im Lehrplan steht. Das ist schließlich Allgemeinwissen.“
Sam hat ganz klare Berufsvorstellungen. Um das zu verwirklichen, lernt Sam besonders intensiv für die Fächer, die dafür gebraucht werden. In anderen Fächern sieht Sam jedoch oft keinen Sinn darin, dafür zu lernen und fragt sich, ob das überhaupt im späteren Leben nützlich ist. Auch Sams Mitschüler*innen hinterfragen in vielen Fächern immer mehr, warum sie dieses oder jenes lernen müssen. Sie fangen an, ihre Lehrer*innen nach dem Sinn und Zweck der Lerninhalte zu fragen. Die Antworten stellen sie nicht zufrieden und werfen oftmals nur weitere mehr Fragen auf. Sam empfindet die Antworten der Lehrer*innen oft als wenig wertschätzend. Sie fühlt sich für dumm verkauft und ist noch unmotivierter, sich mit bestimmten Themen auseinanderzusetzen. Sam hat den Eindruck, als wüssten die Lehrer*innen selbst nicht, warum sie die Themen unterrichten. Einige Mitschüler*innen sagen sogar abfällig, die machen das nur, weil es im Lehrplan steht.
Welche Fragen stellt der Fall?
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Warum ist die Frage der Schüler*innen, warum etwas gelernt werden muss, wichtig?
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Warum ist die Aussage: “Weil es im Lehrplan steht.” so unbefriedigend für die Schüler*innen?
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Warum weiß die Referendarin nicht, wozu man das wissen muss?
Weiterführende Fragen:
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Was hat es mit dem Lebensweltbezug auf sich und warum ist er so bedeutsam? Mehr dazu erfahren Sie unter Lebenswelt einbeziehen.
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Welche Konsequenzen hat es, wenn die Ideen und Fragen der Schüler*innen nicht aufgenommen werden. Lese Sie dazu mehr im Fall „Beton-Bunker“.
Warum fragen die Lernenden danach, warum sie etwas wissen oder können müssen?
Die Frage danach, warum etwas gelernt werden soll, ist am Ende immer die Frage danach, welchen Sinn und welche Bedeutung das Thema für jede*n Einzelne*n hat. Wir stellen diese Frage, da wir uns nur dann Neues aneignen, wenn es zum einen anschlussfähig an unsere Interessen ist und zum anderen positive Erfahrung verspricht (Jugel, Steffens 2019: 96). Das Neue muss hilfreich und bedeutsam für unser aktuelles sowie zukünftiges Handeln sein. Das trifft auch auf die Themen im Unterricht zu. Oft tappen Lehrende in die Erfahrungsfalle. Denn sie haben in den meisten Fällen einen “Wissensvorsprung” was die Bedeutung der Themen in Unterricht und Alltag angeht. Lernende hingegen müssen den Sinn für ihre Lebenswelt erst noch erschließen. Für Fragen und Probleme, die aktuell bedeutsam für die Lernenden sind, lässt sich Sinn meist durch einen Lebensweltbezug herstellen. Für andere Themen ergibt sich der Sinn erst zukünftig, wenn ihnen beispielsweise bewusst wird, dass sie für ihren Traumberuf etwas bestimmtes können müssen. Gelingt es der Lehrperson nicht, Zukunftsperspektiven von Themen zu eröffnen, wird es schwer für die Lernenden, Sinn und Bedeutung individuell herzustellen. Sinn muss also sowohl in Bezug zu aktuellen Bedürfnissen als auch mit Blick auf zukünftige Möglichkeiten hergestellt werden können. Nur durch Sinnkonstruktion werden Unterrichtsthemen bedeutsam und es kann Motivation entstehen (Leont’ev 2013: 199f). Mit anderen Worten: trifft „etwas sozial Bedeutsames den persönlichen Sinnhorizont […], entsteht Motivation“ (Ling 2013: 14).
Es ist also wichtig, dass die Lernenden Fragen zum Thema im Unterricht aushandeln können, die sich auf ihrer persönliche Lebenswelt, ihren Alltag sowie die Gesellschaft beziehen. Nur so können Lernende Sinn, Bedeutung und damit Motivation entwickeln (Steffens 2019: 40f). Lehrpersonen müssen diese Aushandlungsprozesse ermöglichen und einen Rahmen schaffen, in dem die Lernenden nicht nur Fragen stellen, sondern vor allem auch Antworten darauf finden können. Die Antworten auf Fragen nach Sinn und Bedeutung eines Themas können bei den Lernenden unterschiedlich ausfallen (Kracke 2021: 38). Das bedeutet aber auch, dass die Antworten nicht deckungsgleich mit den Antworten der Lehrenden sein müssen. Das ist weniger problematisch als erfreulich, denn durch unterschiedliche Antworten, werden unterschiedliche Bedürfnisse, Interesse und Perspektiven sichtbar. Diese Vielfalt eröffnet wiederum neue Diskussionsräume, in denen gemeinsame Erkenntnisse, die über individuelle Erkenntnisse und Fähigkeiten hinausgehen, hervorgebracht werden können. Es entsteht ein überindividueller Entwicklungsraum (Feuser 2012: 6).
Der Fundus bietet im Bereich „Verstehende Perspektive“ Materialien und Impulse an, um Kenntnisse über die Lebenswelt und Bedürfnisse der Lernenden zu entwickeln. Unter dem Reiter „Interesse wecken“ erfahren Sie mehr zu Sinn, Bedeutung und Motivation.
Warum ist die Aussage: “Weil es im Lehrplan steht.” so unbefriedigend für die Schüler*innen?
Ausgehend von den Ausführungen zur ersten Frage lässt sich schnell folgende Antwort ableiten: Die Aussage „Weil es im Lehrplan steht“ ermöglicht weder individuellen Sinn noch gemeinsame Bedeutung am Gegenstand entwickeln zu können. Statt der Aushandlung dieser Frage Raum zu geben, wird eine Antwort vorgegeben. Diese Antwort ist jedoch für die Schüler*innen wenig aussagekräftig. Die Lehrperson könnte auch sagen, „Weil ich das so entschieden habe“. Der Effekt und Inhalt, der transportiert wird, ist der Gleiche. Der Sinnhorizont (Bereich der individuellen Wahrnehmung, in der ein Mensch urteils- und entscheidungsfähig ist) der Schüler*innen wird nicht berührt. Bedeutung kann nicht entwickelt werden und somit kann auch keine Motivation entstehen. Dann machen Schüler*innen, wie im Fall von Momo, die Erfahrung, dass ihre Sicht auf die Welt, ihre Fragen sowie ihre Bedürfnisse in Lehr-Lern-Kontexten keine Bedeutung haben. Das führt zu negativen Erfahrungen, welche Lern- und Entwicklungsprozesse verhindern. Mehr zu negativ konnotierten Emotionen im Lernprozess können Sie im Fall „Wohin mit den Emotionen“ nachlesen.
Schüler*innen sollten ermutigt werden, Fragen nach Sinn und Bedeutung immer wieder zu stellen. Denn diese Frage bestimmen jeden Lern- und Entwicklungsprozess. Darüber hinaus wird den Schüler*innen so die Möglichkeit gegeben, „die Welt in der [sie] leb[en], erklären und verstehen zu können“ (Feuser 2012: 2).
Im Fundus finden Sie unter „Interesse wecken“ Impulse, wie Sie diese Prozesse gestalten können. Außerdem bietet der Fundus im Bereich „Kommunikation“ anregendes Material zur Gestaltung von Aushandlungsprozessen. Auch Kooperation ist bedeutsam für die Aushandlung von Fragen hinsichtlich Sinn, Bedeutung und Motivation. Dazu finden sie Anregungen im Fundus unter „Kooperation“.
Woran kann es liegen, wenn man die Frage nach dem "Warum?" als Lehrperson nicht beantworten kann?
Gehen wir davon aus, dass die Referendarin in ihrer Schulzeit auf ebendiese Frage nach Sinn und Bedeutung die gleichen Antworten bekommen hat, wie die Schüler*innen in dem Fall. Und nehmen wir weiterhin an, dass es während ihres Studiums auch kaum Möglichkeiten gab, Fragen nach Sinn und Bedeutung für sich und den schulischen Alltag auszuhandeln. Dann kann es sein, dass Momo möglicherweise selbst keinen Bezug zu diesen Fragen hat. Sie hat sich zu diesen Fragen bislang keine Gedanken gemacht. Wird Momo dann von ihren Schüler*innen hinsichtlich der Bedeutsamkeit der Lerninhalte gefragt, führt das zu Unsicherheit und Irritation bei ihr. Die Frage kommt unerwartet. Momo hat nicht nur für sich selbst keine Antworten, ihr fehlen auch Strategien dazu, wie sie mit diesen Fragen im Schulalltag umgehen kann. Wenn Referendar*innen und Studierende nicht selbst die Chance bekommen, diese Fragen zu stellen und zu beantworten, können sie die Schüler*innen auf diesem Weg nicht unterstützen (Erfahren Sie mehr dazu im Kontext des Lehramtsstudiums im Fall „Keine Praxisrelevanz“). Anstatt Räume in Schule und Ausbildung zu schaffen, in denen Sinn und Bedeutung ausgehandelt werden kann, werden diese Fragen mit einfachen Antworten abgewiegelt. Der Lehrplan als unhinterfragte Antwort auf das, was und warum gelernt werden muss, wird zur universellen Antwort. Und gleichsam zum Zeitdruck erzeugenden Grund, warum man der Frage keinen Raum zur Aushandlung lässt: Es gibt schließlich “einen Haufen” Inhalte zu vermitteln.
Dabei werden die Fragen und Bedürfnisse der Schüler*innen ignoriert. Das bedeutet nicht, dass die festgesetzten Themen irrelevant sind. Die Bedeutung der Themen bspw. an einer späteren Arbeitswelt sichtbar zu machen, ist oft zu weit weg von der Lebenswelt der Schüler*innen. Dabei bringen sie selbst, durch ihre Fragen vielfältige Zugänge zu den Themen mit. Diese können sich dann durch weitaus mehr Facetten erschließen lassen, als im Lehrplan aufgezeigt wird. Der Lehrplan soll und muss an der Stelle nicht verteufelt werden. Jedoch lohnt sich eine Neubetrachtung der Themen und den Mut, sie aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Impulse, wie das gelingen kann, finden Sie unter „Lerngegenstände”. Mit der Ausgestaltung von Lehr-Lern-Angeboten in Form von Projekten, kann der Einbezug verschiedener Interessen sowie individuelle Sinnkonstruktion gelingen. Dazu stellt der Fundus die Projektmethode noch einmal vor.
Warum ist die Frage der Schüler*innen, warum etwas gelernt werden muss, wichtig?
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Wie viel Raum geben ich meinen Schüler*innen, Fragen nach Sinn und Bedeutung zu stellen und Antworten zu finden?
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Ermutige ich meine Schüler*innen, diese Fragen zu stellen?
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Wie reagiere ich auf Fragen, Impulse meiner Schüler*innen, wenn sie etwas aus ihrem eigenen Lebensalltag in den Unterricht einbringen?
Warum ist die Aussage: “Weil es im Lehrplan steht.” so unbefriedigend für die Schüler*innen?
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Kann ich auf die Frage “Warum machen wir das eigentlich?”, mehr entgegnen als: “Weil das im Lehrplan steht?“
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Welchen Stellenwert hat der Lehrplan für mich?
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Habe ich versucht, die Themen im Lehrplan aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten?
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Habe ich selbst schon einmal die gesellschaftliche und lebenspraktische Relevanz der Themen im Lehrplan hinterfragt?
Warum weiß die Referendarin nicht, wozu man das wissen muss?
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Kann ich mich daran erinnern, wann/durch was das Thema bedeutungsvoll für mich wurde?
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Welche Bedeutung hat das Thema für mich?
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Wie beantworte ich selber die Frage nach Sinn und Bedeutung des Themas?
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Habe ich evtl. Angst/Unbehagen vor der Frage, warum Schüler*innen etwas lernen sollten?
Erfahrungsfalle
Nehmen Sie Fragen nach dem Warum etwas gelernt werden soll ernst. Möglicherweise haben Sie auf Grund Ihres Alters und Ihrer Erfahrung Antworten darauf finden können. Die Lernenden hatten diese Zeit noch nicht. Geben Sie Ihnen diese Zeit nicht, stecken Sie in der Erfahrungsfalle. Vielleicht können Sie sich erinnern: Haben Sie in der Schule gelernt, warum etwas wichtig ist? Helfen Sie ihren Lernenden, die Bedeutung zu erfahren und Sinn zu entwickeln.