Warum fragen die Lernenden danach, warum sie etwas wissen oder können müssen?
Die Frage danach, warum etwas gelernt werden soll, ist am Ende immer die Frage danach, welchen Sinn und welche Bedeutung das Thema für jede*n Einzelne*n hat. Wir stellen diese Frage, da wir uns nur dann Neues aneignen, wenn es zum einen anschlussfähig an unsere Interessen ist und zum anderen positive Erfahrung verspricht (Jugel, Steffens 2019: 96). Das Neue muss hilfreich und bedeutsam für unser aktuelles sowie zukünftiges Handeln sein. Das trifft auch auf die Themen im Unterricht zu. Oft tappen Lehrende in die Erfahrungsfalle. Denn sie haben in den meisten Fällen einen “Wissensvorsprung” was die Bedeutung der Themen in Unterricht und Alltag angeht. Lernende hingegen müssen den Sinn für ihre Lebenswelt erst noch erschließen. Für Fragen und Probleme, die aktuell bedeutsam für die Lernenden sind, lässt sich Sinn meist durch einen Lebensweltbezug herstellen. Für andere Themen ergibt sich der Sinn erst zukünftig, wenn ihnen beispielsweise bewusst wird, dass sie für ihren Traumberuf etwas bestimmtes können müssen. Gelingt es der Lehrperson nicht, Zukunftsperspektiven von Themen zu eröffnen, wird es schwer für die Lernenden, Sinn und Bedeutung individuell herzustellen. Sinn muss also sowohl in Bezug zu aktuellen Bedürfnissen als auch mit Blick auf zukünftige Möglichkeiten hergestellt werden können. Nur durch Sinnkonstruktion werden Unterrichtsthemen bedeutsam und es kann Motivation entstehen (Leont’ev 2013: 199f). Mit anderen Worten: trifft „etwas sozial Bedeutsames den persönlichen Sinnhorizont […], entsteht Motivation“ (Ling 2013: 14).
Es ist also wichtig, dass die Lernenden Fragen zum Thema im Unterricht aushandeln können, die sich auf ihrer persönliche Lebenswelt, ihren Alltag sowie die Gesellschaft beziehen. Nur so können Lernende Sinn, Bedeutung und damit Motivation entwickeln (Steffens 2019: 40f). Lehrpersonen müssen diese Aushandlungsprozesse ermöglichen und einen Rahmen schaffen, in dem die Lernenden nicht nur Fragen stellen, sondern vor allem auch Antworten darauf finden können. Die Antworten auf Fragen nach Sinn und Bedeutung eines Themas können bei den Lernenden unterschiedlich ausfallen (Kracke 2021: 38). Das bedeutet aber auch, dass die Antworten nicht deckungsgleich mit den Antworten der Lehrenden sein müssen. Das ist weniger problematisch als erfreulich, denn durch unterschiedliche Antworten, werden unterschiedliche Bedürfnisse, Interesse und Perspektiven sichtbar. Diese Vielfalt eröffnet wiederum neue Diskussionsräume, in denen gemeinsame Erkenntnisse, die über individuelle Erkenntnisse und Fähigkeiten hinausgehen, hervorgebracht werden können. Es entsteht ein überindividueller Entwicklungsraum (Feuser 2012: 6).
Der Fundus bietet im Bereich „Verstehende Perspektive“ Materialien und Impulse an, um Kenntnisse über die Lebenswelt und Bedürfnisse der Lernenden zu entwickeln. Unter dem Reiter „Interesse wecken“ erfahren Sie mehr zu Sinn, Bedeutung und Motivation.
Warum ist die Aussage: “Weil es im Lehrplan steht.” so unbefriedigend für die Schüler*innen?
Ausgehend von den Ausführungen zur ersten Frage lässt sich schnell folgende Antwort ableiten: Die Aussage „Weil es im Lehrplan steht“ ermöglicht weder individuellen Sinn noch gemeinsame Bedeutung am Gegenstand entwickeln zu können. Statt der Aushandlung dieser Frage Raum zu geben, wird eine Antwort vorgegeben. Diese Antwort ist jedoch für die Schüler*innen wenig aussagekräftig. Die Lehrperson könnte auch sagen, „Weil ich das so entschieden habe“. Der Effekt und Inhalt, der transportiert wird, ist der Gleiche. Der Sinnhorizont (Bereich der individuellen Wahrnehmung, in der ein Mensch urteils- und entscheidungsfähig ist) der Schüler*innen wird nicht berührt. Bedeutung kann nicht entwickelt werden und somit kann auch keine Motivation entstehen. Dann machen Schüler*innen, wie im Fall von Momo, die Erfahrung, dass ihre Sicht auf die Welt, ihre Fragen sowie ihre Bedürfnisse in Lehr-Lern-Kontexten keine Bedeutung haben. Das führt zu negativen Erfahrungen, welche Lern- und Entwicklungsprozesse verhindern. Mehr zu negativ konnotierten Emotionen im Lernprozess können Sie im Fall „Wohin mit den Emotionen“ nachlesen.
Schüler*innen sollten ermutigt werden, Fragen nach Sinn und Bedeutung immer wieder zu stellen. Denn diese Frage bestimmen jeden Lern- und Entwicklungsprozess. Darüber hinaus wird den Schüler*innen so die Möglichkeit gegeben, „die Welt in der [sie] leb[en], erklären und verstehen zu können“ (Feuser 2012: 2).
Im Fundus finden Sie unter „Interesse wecken“ Impulse, wie Sie diese Prozesse gestalten können. Außerdem bietet der Fundus im Bereich „Kommunikation“ anregendes Material zur Gestaltung von Aushandlungsprozessen. Auch Kooperation ist bedeutsam für die Aushandlung von Fragen hinsichtlich Sinn, Bedeutung und Motivation. Dazu finden sie Anregungen im Fundus unter „Kooperation“.
Woran kann es liegen, wenn man die Frage nach dem "Warum?" als Lehrperson nicht beantworten kann?
Gehen wir davon aus, dass die Referendarin in ihrer Schulzeit auf ebendiese Frage nach Sinn und Bedeutung die gleichen Antworten bekommen hat, wie die Schüler*innen in dem Fall. Und nehmen wir weiterhin an, dass es während ihres Studiums auch kaum Möglichkeiten gab, Fragen nach Sinn und Bedeutung für sich und den schulischen Alltag auszuhandeln. Dann kann es sein, dass Momo möglicherweise selbst keinen Bezug zu diesen Fragen hat. Sie hat sich zu diesen Fragen bislang keine Gedanken gemacht. Wird Momo dann von ihren Schüler*innen hinsichtlich der Bedeutsamkeit der Lerninhalte gefragt, führt das zu Unsicherheit und Irritation bei ihr. Die Frage kommt unerwartet. Momo hat nicht nur für sich selbst keine Antworten, ihr fehlen auch Strategien dazu, wie sie mit diesen Fragen im Schulalltag umgehen kann. Wenn Referendar*innen und Studierende nicht selbst die Chance bekommen, diese Fragen zu stellen und zu beantworten, können sie die Schüler*innen auf diesem Weg nicht unterstützen (Erfahren Sie mehr dazu im Kontext des Lehramtsstudiums im Fall „Keine Praxisrelevanz“). Anstatt Räume in Schule und Ausbildung zu schaffen, in denen Sinn und Bedeutung ausgehandelt werden kann, werden diese Fragen mit einfachen Antworten abgewiegelt. Der Lehrplan als unhinterfragte Antwort auf das, was und warum gelernt werden muss, wird zur universellen Antwort. Und gleichsam zum Zeitdruck erzeugenden Grund, warum man der Frage keinen Raum zur Aushandlung lässt: Es gibt schließlich “einen Haufen” Inhalte zu vermitteln.
Dabei werden die Fragen und Bedürfnisse der Schüler*innen ignoriert. Das bedeutet nicht, dass die festgesetzten Themen irrelevant sind. Die Bedeutung der Themen bspw. an einer späteren Arbeitswelt sichtbar zu machen, ist oft zu weit weg von der Lebenswelt der Schüler*innen. Dabei bringen sie selbst, durch ihre Fragen vielfältige Zugänge zu den Themen mit. Diese können sich dann durch weitaus mehr Facetten erschließen lassen, als im Lehrplan aufgezeigt wird. Der Lehrplan soll und muss an der Stelle nicht verteufelt werden. Jedoch lohnt sich eine Neubetrachtung der Themen und den Mut, sie aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Impulse, wie das gelingen kann, finden Sie unter „Lerngegenstände”. Mit der Ausgestaltung von Lehr-Lern-Angeboten in Form von Projekten, kann der Einbezug verschiedener Interessen sowie individuelle Sinnkonstruktion gelingen. Dazu stellt der Fundus die Projektmethode noch einmal vor.