Direkte Ermittlung der Zugkräfte in Seilen mit Hilfe von dynamischen Messungen (D838)
Allgemeine Angaben:
- Diplomarbeit Nr. D838
- Bearbeiter: Susanne Matthes
- Verantwortl. Hochschullehrer: Univ.-Prof. Dr.-Ing. Manfred Curbach
- Betreuer: Steffen Marx, Ronald Stein (GMG-Ingenieurgesellschaft mbH)
- Bearbeitungszeitraum: 06/2008 - 09/2008
Thesen
- Haupteinsatzgebiete von Seilen im Bauwesen sind Brücken- und Hochbauten, z. B. bei Schrägkabel- und Stabbogenbrücken, externen Spanngliedern sowie Seilabspannungen von Stadiondächern. Seile sind dabei mehr oder weniger biegeschlaffe Bauteile, die zur Übertragung von Zugkräften dienen.
- Die direkte Ermittlung der Zugkräfte ist zwingend erforderlich, um eine Überbeanspruchung der Seile zu vermeiden und die in das Gesamttragwerk eingetragenen Seilkräfte zu kontrollieren.
- Die dynamische Analyse des Schwingungsverhaltens der Seile stellt im Vergleich zur Seilkraftbestimmung mit Hilfe von hydraulischen Pressen oder auf der Grundlage von Durchhangsmessungen das genaueste Verfahren dar.
- Als Ausgangspunkt der Schwingungsuntersuchung werden die Beschleunigungen am angeregten Seil gemessen. Das Ergebnis der Schwingungsmessung sind Messsignale, die als Beschleunigungs-Zeit-Verläufe dargestellt werden können
- Ein aufgezeichnetes Messsignal besteht aus überlagerten Frequenzen der Seileigenschwingungen und der Schwingungen aus Störeinflüssen. Eine Überführung des Messsignals aus dem Zeit- in den Frequenzbereich mittels schneller FOURIERTransformation (FFT) ist hilfreich, um die Charakteristika des Schwingungsverhaltens der Seile zu ermitteln.
- Das Ergebnis der schnellen FOURIER-Transformation ist das Frequenzspektrum, das die im Messsignal enthaltenen Frequenzen und deren zugehörige Amplituden aufzeigt. Die Schwingungsamplituden der Seileigenschwingung sind um ein Vielfaches größer als die der Störeinflüsse und können infolgedessen eindeutig bestimmt werden.
- Für die Seilkraftberechnung auf der Grundlage der Seileigenfrequenzen sind zwei Berechnungsansätze zu unterscheiden.
- Bei dem ersten Berechnungsansatz, der Theorie der schwingenden, idealen Saite, wird ein beidseitig gelenkig gelagertes, straff gespanntes Seil ohne Durchhang und Biegesteifigkeit vorausgesetzt. Dieses vergleichsweise einfache Berechnungs-verfahren bildet besonders gut die dynamischen Charakteristika von langen Seilen, wie z. B. Kabel von Schrägkabelbrücken, ab.
- Das zweite Berechnungsmodell beschreibt das Seil näherungsweise als beidseitig eingespannten, biegesteifen Zugstab mit Durchhang und Biegesteifigkeit. Die Seilkraft wird mit Hilfe eines Minimierungsverfahrens ermittelt. Hauptsächlich kurze und straff gespannte Seile, wie z. B. Stäbe von Stabbogenbrücken, werden durch diesen Berechnungsansatz gut beschrieben.
- Das im Rahmen der Diplomarbeit entwickelte Programm EIS wertet Schwingungsmessungen effektiv, anschaulich und qualitativ hochwertig aus. Es beinhaltet beide Berechnungsmodelle und bildet damit reale Verhältnisse gut ab.
- Eine hohe Genauigkeit der Auswerteergebnisse kann nur dann garantiert werden, wenn die Analyse von einem fachlich kompetenten Bauingenieur, der mit der Problematik der Schwingungscharakteristika von Seilen vertraut ist, durchgeführt wird.
- Die Seilkraft, die mit Hilfe von Schwingungsuntersuchungen ermittelt wird, kann von der im Seil vorhandenen, realen Zugkraft u. a. aufgrund der Ungenauigkeit der eingesetzten Messtechnik sowie der unzureichend genauen Bestimmung des Seileigengewichts abweichen.
- Die Funktionalität des Programms EIS konnte anhand der Messdatenauswertung von Schwingungsmessungen an drei ausgewählten Brückenbauwerken gezeigt werden.
Zielstellung
Im Bauwesen finden Seile eine vielfältige Anwendung. Sie werden im Brückenbau (Schrägkabelbrücken, Stabbogenbrücken, Netzwerkbogenbrücken, externe Spannglieder) und im Hochbau (Stadiondächer, Mastabspannungen) eingesetzt.
Die Bestimmung der vorhandenen Seilkräfte z. B. mit Hilfe von hydraulischen Pressen während und nach dem Seilanspannprozess oder zur Überprüfung älterer Bauwerke gestaltet sich zumeist arbeitsaufwendig und kostenintensiv. Daher sind einfache Methoden zur Seilkraftbestimmung gefragt. Durch die dynamische Analyse des Schwingungsverhaltens der Seile auf der Grundlage von Schwingungsmessungen an den Seilen kann zerstörungsfrei und mit hoher Genauigkeit auf die im Seil vorhandene Zugkraft geschlussfolgert werden.
Doch in den letzten zehn Jahren hat sich die Messtechnik im Bauwesen in Bezug auf die Benutzerfreundlichkeit und Erschwinglichkeit in großem Umfang entwickelt. Das führte dazu, dass heutzutage auch für Ingenieurbüros, die nicht auf die Anwendung von Messtechnik spezialisiert sind, die Möglichkeit besteht, Messungen qualitativ hochwertig durchzuführen und auszuwerten.
Die GMG Ingenieurgesellschaft nutzt die Messtechnik um die Beschleunigungen von Seilen mit geeigneter Messsoftware aufzuzeichnen. Bisher wurden bei der Messsignalauswertung mit Hilfe von Microsoft® Excel Beschleunigungs-Zeit-Verläufe erstellt und unter Verwendung des in Microsoft® Excel implementierten Algorithmus’ der schnellen FOURIER-Transformation die Frequenzzusammensetzung des Messsignals ermittelt. Mit der ersten Eigenfrequenz kann dann in erster Näherung die im Seil vorhandene Zugkraft ermittelt werden. Die Auswertung mit Microsoft® Excel gestaltet sich jedoch sehr zeitaufwendig, da Microsoft® Excel keine spezielle Signalanalysesoftware darstellt.
Ziel der Diplomarbeit soll deshalb sein, zunächst die Themen der Durchführung der Messung, Signalanalyse sowie Seilkraftberechnung zu beleuchten, abzugrenzen und anschließend zur effektiveren Gestaltung der Auswertung mit Hilfe der Entwicklungsumgebung LabVIEWTM ein Programm zu erstellen, das eine automatische Ermittlung der Frequenzzusammensetzung aus aufgezeichneten Beschleunigungs-Zeit-Verläufen ermöglicht und die Messergebnisse in anschaulicher Form ausgibt.
Das Programm soll durch die Messung an verschiedenen Bauwerken getestet werden. Zum Abschluss sollen im Rahmen einer Fehlerdiskussion die Messungen und Auswertealgorithmen bewertet werden.
Ergebnisse
Das im Rahmen der Diplomarbeit entwickelte Programm EIS bietet die Möglichkeit, Schwingungsmessungen effektiv, anschaulich und qualitativ hochwertig auszuwerten. Zu beachten ist, dass die damit scheinbar einfache Interpretation der Messergebnisse von der Kompetenz des beurteilenden Bauingenieurs abhängig ist. Eine hohe Genauigkeit der Auswertergebnisse kann nur dann garantiert werden, wenn die Analyse mit fachlichem Ingenieurverständnis durchgeführt wird.
Die Funktionalität des Programms EIS konnte anhand der Messdatenauswertung von Schwingungsmessungen an drei ausgewählten Brückenbauwerken gezeigt werden. Anhand von Anwendungsfällen in der Bauingenieurpraxis werden in anschaulicher Form die Erkenntnisse zur Seilkraftermittlung auf der Grundlage von Schwingungsmessungen bestätigt. Es stellt eine Software für die Auswertung von Schwingungsmessungen an Seilen dar und kann für vielfältige Anwendungen programmtechnisch erweitert werden. So könnte z. B. die Berechnung der Seildämpfung aus Ausschwingvorgängen implementiert werden. Weiterhin ist eine Programmerweiterung für die Dauerüberwachung an Seilen (Langzeitmonitoring) oder während des Seilanspannprozesses denkbar.