Titel
Förderkennzeichen | 20003/653 |
Finanzierung | Deutsche Bundesstiftung Umwelt |
Bearbeitungszeitraum | 2003 - 2006 |
Projektleitung | Prof. Dr. sc. techn. Peter Krebs |
Projektbearbeitung | Dipl.-Ing. Winnie-Kathrin Ahlendorf Dr.-Ing. Volker Kühn |
Kooperationspartner | HST-WKS-Dresden |
Zusammenfassung
Derzeit stellt das aerobe Belebtschlammverfahren in der kommunalen Abwasserreinigung die am häufigsten angewendete Verfahrenstechnik dar. Mit zunehmenden Anforderungen an die Nährstoffelimination sind die nach dem Belebtschlammverfahren arbeitenden Kläranlagen durch das vermehrte Auftreten oder regelrechte Massenwachstum von Fadenbakterien wie z.B. Microthrix parvicella oder nocardioforme Actinomyceten in ihrer Funktion beeinträchtigt. Dies führt sowohl im Belebungs- als auch im Nachklärbecken zur Ausbildung von Blähschlamm, Schwimmschlamm und Schaum. Das Auftreten von Fadenbakterien im Belebtschlamm kann derzeit praktisch nicht zuverlässig verhindert werden. Der Stoffwechsel der beteiligten Organismen verläuft durchaus im Sinne des Zieles der Abwasserreinigung mit hoher Nährstoffelimination.
Durch einen großen Anteil von Fadenbakterien wird den Belebtschlammflocken eine sperrige Struktur aufgeprägt, so dass diese ein wesentlich größeres Volumen aufweisen als Schlammflocken mit relativ wenigen Fadenbakterien. Während unter normalen Bedingungen der Schlammvolumenindex (ISV) ganzjährig unter 100 ml/g bleibt, liegt er in Schlamm mit einem hohen Anteil von Fadenbakterien um 150 ml/g und auch weit höher. Derartiger Schlamm wird als Blähschlamm bezeichnet (Eikelboom und van Buijsen, 1981).
Die hauptsächlich hydrophoben Oberflächeneigenschaften fadenbildender Mikroorganismen haben zusätzlich zur Folge, dass sie als Sammler für Gasbläschen wirken. Die Gasblasen bleiben an den Bakterienzellwänden haften, so dass die spezifische Dichte der Schlammflocke zum umgebenden Abwasser weiter herabgesetzt wird und die fadenbakterienreichen und gasgefüllten Schlammflocken an die Oberfläche der Belebungsanlage aufsteigen und sich als Schaum bzw. Schwimmschicht anreichern (Lemmer et al., 2000).
Mit dem verstärkten bzw. massenhaften Auftreten von Fadenbakterien ist verbunden, dass spätestens im Falle übermäßigen Auftretens von Bläh- und Schwimmschlamm die Anforderungen an die Qualität des Ablaufes aus der Kläranlage nicht mehr erfüllt werden können, da der direkte Schlammabtrieb das gereinigte Abwasser organisch belastet. Gleichzeitig reicht die im Kreislauf verbliebene Menge an Belebtschlamm teilweise nicht mehr aus, um die geforderte Eliminationsleistung einzuhalten (Madoni et al., 2000).
Vor diesem Hintergrund wurde im Rahmen dieser Forschungsarbeit ein neuartiges Verfahren zur selektiven Entfernung von Fadenbakterien aus dem Belebtschlammgemisch untersucht. Das Ziel der selektiven Entfernung fadenförmiger Mikroorganismen (SEFMO) besteht in der permanenten Verringerung von Blähschlamm, Schwimmschlamm und Schaum. Gleichzeitig besteht die Notwendigkeit, dass die Selektionstechniken praktisch anwendbar sind und keine zusätzlichen Kosten für die Kläranlagenbetreiber entstehen.
Zu diesem Zweck wurde kommunaler Belebtschlamm im Voll- und Teilstrom des Belebtschlammbeckens einer permanent oder zeitweise wirkenden Klassierung unterzogen, wobei die Klassierung durch die Ausbildung einer Zone mit schnell und einer Zone mit langsam oder nicht sedimentierenden Belebtschlammflocken erfolgte. Die Separierung zwischen langsam oder nicht sedimentierenden und schnell sedimentierenden Flocken erfolgte direkt im Belebungsbecken oder im Nebenschluss zur Belebung, so dass der fadenbakterienreiche Schlamm mit hohem Anteil an langsam oder nicht sedimentierenden Flocken bereits aus dem Belebungsbecken als Überschussschlamm entnommen wurde. Durch eine permanente oder zeitweise Klassierung besteht die kosteneffiziente Möglichkeit, die Massenentwicklung verschiedenster Fadenbildner bereits im Entwicklungsstadium dauerhaft zu unterbinden.
Im Rahmen dieser Forschungsarbeit wurde eine neuartige Technologie zur Bekämpfung des Massenwachstums von Fadenbakterien in der Belebtschlamm-Biozönose untersucht. Vor dem Hintergrund, dass Belebtschlammflocken, welche mit unterschiedlich hohen Anteilen von Fadenbakterien durchsetzt sind auch unterschiedliche Absetzeigenschaften aufweisen, wurde das Konzept eines vertikal durchströmten Säulenreaktors entwickelt und technisch umgesetzt. Dies wurde durch die Ausbildung einer Zone mit gut sedimentierenden (fadenbakterienarmen) Belebtschlammflocken und einer Zone mit schlecht sedimentierenden (fadenbakterienreichen) Belebtschlammflocken forciert. Der zu klassierende Belebtschlamm wurde dabei auf mittlerer Höhe in den Säulenreaktor eingelassen und am Reaktorboden erfolgte die Rückführung der gut sedimentierenden Schlammfraktion (Klassierrücklauf) in das Belebungsbecken. An der Reaktoroberfläche wurde die schlecht sedimentierende Schlammfraktion als Überschussschlamm dauerhaft aus dem System entfernt.
Die Integration des Reaktors ist in das Belebungsbecken, bzw. als Klassierung im Nebenstrom zur Belebungsanlage möglich. Im Gegensatz zu derzeit angewendeten Verfahren zur Blähschlammbekämpfung, wie z. B. die verstärkte Dosierung von Fällmitteln, wurden bei der Klassierung im Säulenreaktor lediglich auf der Klaranlage vorhandene Anlagenkomponenten genutzt.
Im Versuchszeitraum wurde u. a. untersucht, inwieweit die Hydrophobizität verschiedener Fadenbakterien durch den gezielten Eintrag von Luftblasen beeinflusst werden kann. Mit den für Kläranlagen typischen Gasblasendurchmessern von 2-3 mm und den auf Kläranlagen eingesetzten Membranbelüftern konnte kein Erfolg hinsichtlich einer verbesserten Klassierbarkeit von hydrophoben Fadenbakterien (z.B. Microthrix parvicella) nachgewiesen werden. Als wesentliches Problem kristallisierte sich der zu geringe Luftdurchsatz durch die Membranbelüfter heraus, wodurch Gasblasen die Mindestablösegeschwindigkeit für Belüftermembranen nicht erreichten und Belebtschlamm auf den Membranen sedimentierte.
Die Klassierbereiche im groß- und halbtechnischen Maßstab wurden daher ohne zusätzliche Luftzufuhr betrieben und hinsichtlich ihrer hydraulischen Gestaltung beurteilt. Im halbtechnischen Maßstab wurde das zu klassierende Belebtschlammvolumen mit 600 l/h festgelegt, der oberflächennahe ÜS-Abzug, als fadenbakterienreiche Schlammfraktion betrug 130 l/h und der bodennahe Klassierrücklauf ergab sich zu 470 l/h. Bei einem Strömungsverhältnis von QÜS/QKRL = 1/3,6 wurde davon ausgegangen, dass keine signifikanten Kurzschlussströmungen auftraten.
Im großtechnischen Betrieb betrug das zu klassierende Schlammvolumen durchschnittlich 58 m3/h, der oberflächennahe ÜS-Abzug zwischen 5 und 8 m3/h und entsprechend der bodennahe KRL 40 m3/h. Das Verhältnis von QÜS/QKRL betrug 1/6,3. Deutliche Unterschiede ergaben sich bei der Gestaltung der Klassierzonen hinsichtlich deren Fläche/Höhen-Verhältnis. Während das Verhältnis im halbtechnischen Maßstab gleich 1/70 betrug, verursachte die verhältnismäßig größere Grundfläche im großtechnischen Betrieb ein Verhältnis von A/h = 1/2,25. Allein durch die Betrachtung dieser hydraulischen Gesichtspunkte war eine Übertragbarkeit der halbtechnischen Versuchsergebnisse auf den großtechnischen Betrieb nicht gegeben.
Trotz der verfahrenstechnischen Unterschiede zwischen HTVA und GTVA konnte die Effizienz der einzelnen Klassieranlagen beurteilt werden. Ebenso konnten erste Aussagen zur Klassierbarkeit verschiedener Fadenbakterientypen getroffen werden. Die Bewertung der Klassierzone erfolgte durch die Beurteilung des Schlammvolumenindex und der Absetzgeschwindigkeit der Schlammmatrix:
- im großtechnischen Betrieb wurde nach plötzlichen Trockensubstanzabsenkungen von 14; 18; 47 und 55 % eine Verbesserung des Schlammvolumenindex um durchschnittlich 15 % beobachtet
- die zugehörigen Schlammvolumenindizes zu Beginn des Klassierereignisses betrugen 180; 182; 190 und 130 ml/g
- anhand der Schwankungsbreite von 130 und 190 ml/g konnte davon ausgegangen werden, dass die Effektivität der Klassierung unabhängig von der anfänglichen Fadenbakterienkonzentration erfolgt
- im halbtechnischen Betrieb konnten erste Klassiereffekte schon im Bereich von einem Ausgangs-ISV von 100 ml/g nachgewiesen werden
- mit der Inbetriebnahme der Klassierung verbesserte sich der ISV um 17 %, die Absetzgeschwindigkeit, der Schlammmatrix um 33 %
In beiden Versuchsanlagen wurden Klassiereffekte nur in von Microthrix parvicella dominierten Belebtschlämmen nachgewiesen. Microthrix parvicella besitzt einen Selektionsvorteil bei Temperaturen < 12 °C und Schlammbelastungen < 0,1 kg BSB5/(kgTS d). Die Selektionsmerkmale wurden überwiegend in den Wintermonaten des Versuchszeitraumes nachgewiesen, weshalb auch ein saisonaler Trend des Klassiereffektes im Frühjahr 2005 und 2006 zu erkennen war. Mit steigenden Temperaturen verringerte sich die Gesamtfädigkeit des Belebtschlammes von 5 auf 2-3 mit einhergehender Verringerung von Microthrix parvicella. Die ganzjährige Grundfädigkeit von 2-3 wurde vom Fadenbakterium Typ 0041/0675 verursacht, bei dem keine wesentlichen Klassiereffekte beobachtet wurden. Dieses Ergebnis lässt darauf schließen, dass eine Klassierung nicht für alle Blähschlammbildner anwendbar ist.
Anhand dieser ersten Ergebnisse kann das Verfahren ,Klassierung' als innovatives und effektives Verfahren zur Minderung des Problems Blähschlamm in kommunalen, von Microthrix parvicella dominierten Klaranlagen bezeichnet werden.
Die Effektivität der Klassierung wird vor allem durch die hydraulische Gestaltung hinsichtlich der Verhältnisse QÜS/QKRL und A/h beeinflusst, wobei das Verhältnis von A/h sehr groß zu wählen ist, um die Strömungen hinreichend genau beurteilen zu können. Im Gegensatz zu bisher durchgeführten Studien (Pretorius und Laubscher, 1987 oder Hiraoka und Tsumura, 1984) erfolgte die Klassierung durch gleichzeitigen Schlammabzug am Boden und an der Oberfläche des Klassierreaktors, wobei die Luftzufuhr zur Unterstutzung der Hydrophobizität von Fadenbakterienzellwänden von untergeordneter Bedeutung war.
Aus diesen ersten Ergebnissen wird deutlich, dass vor allem die hydraulische Variabilität der Klassierzone anhand weitergehender halbtechnischer Versuchsreihen untersucht werden muss. Dabei bildet die Variation des Verhältnisses von QÜS/QKRL einen wesentlichen Schwerpunkt. Des Weiteren muss für eine genaue Beurteilung der Klassiereffekte eine genauere Kenntnis über die Ausbildung eines ISV-Gradienten während des Sedimentationsvorganges von Blähschlämmen beschrieben werden.
Abschließend muss für eine umfangreiche Verifikation der großtechnischen Versuchsergebnisse im halbtechnischen Maßstab die Klassierung mit Trockensubstanzabsenkung um 50 % und die Klassierung mit kontinuierlichem ÜS-Abzug zur Schlammalterregelung gegenübergestellt werden, wobei die halbtechnischen Versuchsreihen mit unterschiedlichen Anfangs-Schlammvolumenindizes durchgeführt werden sollten.
Literatur
- Eikelboom D.H. und van Buijsen H.J.J. (1981). Microscopic sludge investigation manual. TNO Report A 94a, 2nd edition.
- Eikelboom D.H., Andreadakis A., Andreasen K. (1998). Survey of filamentous populations in nutrient removal plants in four European countries. Water Science and Technology 37 (4-5) 281-289.
- Hiraoka M. und Tsumura K. (1984). Suppression of Actinomycete scum production - A case study at Senboku wastewater treatment plant. Water Science and Technology 16 83-90.
- Lemmer H., Lind G., Müller E., Schade M., Ziegelmayer B. (2000). Scum in activated sludge plants: impact of non-filamentous and filamentous bacteria. Acta hydrochimica et hydrobiologica 28 (1) 34-40.
- Madoni P., Davoli D., Gibin G. (2000). Survey of filamentous microorganisms from bulking and foaming activated-sludge plants in Italy. Water Research 34 (6) 1767-1772.
- Pretorius W.A. und Laubscher C.J.P. (1987). Control of biological scum in activated sludge plants by means of selective flotation. Water Science and Technology 19 1003-1011.
Schlagwörter
Belebtschlammverfahren, Blähschlamm, Schwimmschlamm, Fadenbakterien, Klassierung, Betriebsoptimierung, SEFMO