OBSERVATOR – Entwicklung eines digitalen Zwillings für sensorarme, hochbelastete Flugzeugbauteile
Projektinformationen
- Auftraggeber: Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi)
- Programm: nationales Luftfahrtforschungsprogramm LuFo VI‑1
- Programmlinie: (D) Industrie 4.0 / Künstliche Intelligenz
- Fachbereich: (2) Leistungsfähige, sichere und sparsame Systeme
- Förderziel: (3) leistungsfähige und effiziente Luftfahrt
- Verbundpartner: Lufthansa Technik AG (Koordinator), Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V., Technische Universität Hamburg, Liebherr‑Aerospace Lindenberg GmbH
- Projektlaufzeit: 39 Monate, beginnend ab Dezember 2020
Zielstellung
Übergeordnetes Projektziel ist die Modellierung und Bewertung von Belastungen sowie des Gesundheitszustandes sensorarmer Komponenten von Luftfahrzeugen (LFZ). Hierbei wird auf die Anwendung neuer Technologien, im vorliegenden Projekt die des digitalen Zwillings, zurückgegriffen. Der zu entwickelnde virtuelle Sensor wird dabei einerseits von Luftfahrzeugdaten (bspw. ADS‑B, FDR) und andererseits von akquirierten Daten aus Umwelteinflüssen des LFZ (bspw. Wetterinformationen, Zustand von Flugbetriebsflächen etc.) gespeist. Auf Grundlage dieser zusammengefassten Daten und den hieraus generierten Informationen wird im Rahmen einer prädiktiven Instandhaltung (Predictive Maintenance) angestrebt, Wartungsprozesse zu optimieren und langfristig Ressourcen zu schonen.
Hauptzielstellung der Professur ist die Bereitstellung einer Datenbank bestehend aus Realdaten und generisch erzeugten Daten in Bezug auf Bodenprozesse (bspw. Landung, Rollvorgang, Ground Handling) sowie die Modellierung hierbei auf die Bauteile einwirkenden Lasten in Abhängigkeit spezifischer Betriebsszenarien. Die erzeugten virtuellen Messdaten (sog. Beobachter) dienen der anschließenden Bewertung des zeitaktuellen sowie prognostizierten Bauteilzustandes (sog. Diagnose- und Prognoseagenten) und werden innerhalb eines digitalen Zwillings abgebildet.
Forschungsschwerpunkte und Vorgehensweise
Fokussiert wird auf Modellierung und Bewertung der mit LFZ‑Rollvorgängen im Zusammenhang stehenden Wirklasten über einen datengetriebenen Ansatz. Hierzu erfolgt die Analyse historischer LFZ‑Nutzungsprofile, von Umlauf-/Flotteneinsatzplänen sowie analytischen Korrelationen zwischen operationellem Vorgang und Belastung/Beanspruchung zur Integration in eine Datenbank. Die Datenakkumulation erfolgt dual, indem einerseits Realdaten und andererseits generisch erzeugte Daten einfließen. Hierdurch soll eine verzögerungsarme Erforschung aller folgenden Methoden erreicht werden. Mittels umfänglicher Bestandsaufnahme werden die verfügbaren Realdaten erfasst, festzustellende Defizite beschrieben und Schnittstellen zur Datenbank implementiert. Die Daten zur Lastbemessung umfassen sowohl Umgebungsparameter (insb. Wetterdaten gemäß METAR, TAF etc.) als auch die Rolltrajektorie des LFZ in Abhängigkeit spezifischer Betriebszustände (bspw. auf Basis von ADS-B, FDR). Nicht verfügbare Realdaten werden simulativ als generische Daten erzeugt, bspw. mittels Rolltrajektorienprädiktor, welcher u. a. anhand der Infrastruktur und Betriebsverfahren des Flughafens sowie LFZ‑Zuständen/-Eigenschaften technisch mögliche Bodenbewegungen generiert. Hierbei kommen auch Verfahren der künstlichen Intelligenz (KI) und des maschinellen Lernens zum Einsatz (bspw. Entscheidungsbäume wie Random Forest, C4.5‑Algorithmus und Mustererkennung wie Regression, Bayesian Networks, Hidden Markov Model).
Ferner erfolgt die Modellierung der Lastfälle und Wirklastspektren unter Nutzung der Datenbasis, kinematischer Ansätze und Manövrierfähigkeit des LFZ. Die abzubildenden Betriebsszenarien und einhergehenden Lastfälle berücksichtigen typische normale (Landung, Rollen auf Geraden und in Kurven, Bremsvorgang, Pushback etc.), abnormale (Triebwerksausfall, Rollen mit unzureichendem Reifendruck, fehlerhafte Bugfahrwerklenkung etc.) LFZ‑Verfahren und zulassungsseitige Anforderungen (bspw. One-gear und Rebound Landing Conditions gemäß EASA CS‑25).
Auch sind flugbetriebliche Ausnahmesituationen (Vor-/Unfälle) Gegenstand der Untersuchungen, die aus unvorhergesehenen Vorkommnissen an Bord und/oder am Boden bzw. in unmittelbarer Umgebung des LFZ resultieren und nicht entsprechend der SOPs gemäß FCOM/FCTM erfolgen. Beispielhaft sei diesbezüglich das Berollen gering befestigten Untergrundes beim Verlassen der versiegelten Start- und Landebahn (sog. RWY Excursion) genannt: Die durch die sog. Reifen-Untergrund-Interaktion entstehenden Einsinktiefen, Rollwiderstandskräfte und dynamischen Effekte insb. bei geringen Untergrundtragfähigkeiten können extreme Lastspitzen und somit erhebliche Bauteilbeanspruchungen bewirken. Derartige Zustände sind auch wahrscheinlichkeitstheoretisch zu beschreiben (Accident Rate und Accident Location).
Mit diesen Informationen unterstützt die Professur die Diagnosefähigkeit des digitalen Zwillings und steuert die Beanspruchungsverläufevon LFZ-Bauteilen für Bewertung und Prognose des Gesundheitszustandes einschließlich resultierender Wartungserfordernisse bei. Die angewandten Methoden werden sodann mittels Vergleich von Vorhersage und eingetretener Boden-/Wartungsereignisse validiert. Abschließend werden die Zulassungsvorgaben für spezifische LFZ-Bauteile (insb. gemäß EASA CS‑25) geprüft und Vorschläge für ein lastspezifisches Verfahren auf Basis realer Belastung in Absprache mit der Agentur der Europäischen Union für Flugsicherheit (EASA) entwickelt (siehe hierzu Webinhalte der EASA zum Projekt).
Zusammengefasst wird auf folgende Bearbeitungsschwerpunkte fokussiert:
- Verbundweite Bereitstellung von LFZ-Bewegungsdaten (bspw. Rollverlauf, Pushback, Towing) und Umweltdaten (bspw. Wetter, Oberflächenzustand der Flugbetriebsflächen) aus vielfältigen Datenquellen;
- Präzise Modellierung historischer Rolltrajektorien vor dem Hintergrund teils fehlerhafter und unvollständiger Datenlage (bspw. ADS-B, FDR);
- Berechnung von Lasten, die auf die LFZ-Komponenten im bodenseitigen Betrieb einwirken;
- Ableitung von Wirklastspektren für standardisierte Bodenprozesse hinsichtlich Normal und Abnormal/Emergency Procedures (SOPs gemäß FCOM/FCTM) sowie Ausnahmebedingungen in Form von Vor-/Unfällen (bspw. RWY Excursions);
- Mitwirkung bei der Bewertung dieser Lasten hinsichtlich der Abnutzung von Bauteilen;
- Entwicklung eines zuverlässigen Rolltrajektorien- und Wirklastprädiktors entlang des geplanten Umlaufs des LFZ zur Bewertung des Gesundheitszustandes spezifischer LFZ-Bauteile im vereinbarten Prognosezeitrahmen und
- Diskussion von Zulassungsspezifikationen mit dem Verbundpartner Liebherr-Aerospace Lindenberg GmbH und der Zulassungsbehörde EASA (siehe Webinhalt zum Projekt) auf Basis tatsächlicher Belastungen und Sicherheitsbewertungen.
Veröffentlichungen
- Fricke, H., Schlosser M., Garcia, M. A. and Kaliske, M. (2019): Embedding aircraft system modeling to ATM safety assessment techniques: The runway excursion safety case for runway strips with reduced strength. Transportation Research Interdisciplinary Perspectives, Vol. 3, TRIP‑100026. DOI: 10.1016/j.trip.2019.100026
Ansprechpartner
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
NameDipl.-Ing. Martin Schlosser
Eine verschlüsselte E-Mail über das SecureMail-Portal versenden (nur für TUD-externe Personen).
Professur für Technologie und Logistik des Luftverkehrs
Besuchsadresse:
Gerhart-Potthoff-Bau (POT), Raum 167A Hettnerstraße 1-3
01069 Dresden