Referierende: Abstracts und Kurz-CVs
Literaturunterricht in der Migrationsgesellschaft. Eine Fallrekonstruktion aus dem Lyrikunterricht einer 6. Klasse
Die Forderung nach mehrsprachigen Bildungssettings wird in Diskursen zu sprachlicher Bildung sowie in machtkritisch angelegten Unterrichtskonzeptionen immer lauter. Fachdidaktiken öffnen sich zunehmend für den Einbezug verschiedener Sprachen und Sprachregister neben der deutschen Bildungssprache. Auch für den DaZ- und Regelunterricht des Fachs Deutsch gibt es mittlerweile einige didaktische Ausarbeitungen, die nutzbar gemacht werden können (vgl. u.a. Rösch 2017). Literarisches Lernen anhand von mehrsprachiger Literatur ist allerdings noch nicht empirisch erforscht worden. Deshalb soll im Vortrag eine Unterrichtseinheit analysiert werden, in der Mehrsprachigkeit im Lyrikunterricht einer 6. Klasse am Gymnasium zu beobachten ist. Welche Form literarischer Mehrsprachigkeit tritt hier wie zu Tage? Welche Subjektpositionen werden durch den Einsatz der literarischen Texte angeboten, angenommen oder auch abgelehnt und wie stehen sie im Bezug zur Kategorie Sprache? Diese Fragen sind vor allem aus einer migrationspädagogischen und subjektivierungskritischen Perspektive (vgl. Dirim et al. 2013) auf den Literaturunterricht relevant, in dem Sprach- und Kulturreflexion jenseits von Zuschreibungen möglich werden soll. Abschließend soll gezeigt werden, wie derartige Fallrekonstruktionen, also die Arbeit mit und anhand von Unterrichtstranskripten, für die Lehrer*innenbildung (mit Fokus auf DaZ) fruchtbar gemacht werden können und welchen Mehrwert eine qualitativ-rekonstruktive Forschungspraxis innerhalb der Deutschdidaktik haben kann. Literatur:
- Dirim, İnci/ Eder, Ulrike/ Stringsits, Birgit (2014): Subjektivierungskritischer Umgang mit Literatur in migrationsbedingt multilingual-multikulturellen Klassen der Sekundarstufe. In: Gawlitzek, Ira/ Kümmerling-Meibauer, Bettina (Hg.): Mehrsprachigkeit und Kinderliteratur. Stuttgart: Filibach, 121-141.
- Rösch, Heidi (2017): Deutschunterricht in der Migrationsgesellschaft. Eine Einführung. Stuttgart: J.B. Metzler.
Denise Büttner ist seit 2017 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt ProDaZ – Deutsch als Zweitsprache in allen Fächern, angesiedelt am Institut für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache der Universität Duisburg-Essen. Zwischenzeitlich vertrat sie eine Stelle im vom BMBF geförderten Projekt ProViel im Arbeitsfeld Sprachförderung. Zuvor studierte sie die Fächer Deutsch und Philosophie auf Lehramt in Köln und Essen. Zu ihren Lehr- und Forschungsschwerpunkten gehören sprachliche Bildung in mehrsprachigen Lerngruppen, machtkritische Schul- und Unterrichtsforschung, Qualitative Forschungsmethoden im Forschungs- und Arbeitsfeld DaZ/DaF und migrationspädagogische Perspektiven für die Lehrer*innenbildung. Zurzeit promoviert sie zum Thema „Über Mehrsprachigkeit und Migration nachdenken und sprechen – migrationspädagogische Perspektiven auf den Einsatz sogenannter Migrationsliteratur im Deutschunterricht“.
Deutsch als Zweitsprache zwischen sprachlichem Essentialismus und Sprachwandel
Viele Orte in den als „deutschsprachige Länder“ geltenden Regionen sind von Migration geprägt, was im Alltag unschwer beobachtbar ist. Soziolinguistische Studien haben gezeigt, dass durch den migrationsbedingten Sprachkontakt neue Formen von Sprechweisen und Ausdrucksmöglichkeiten entstehen, die sich verschiedener Sprachen, Register und Codes bedienen. Äußerungen wie „Gib mir Messer“, die stellvertretend für den Sprachwandel immer wieder zitiert werden, greifen ihn vielleicht syntaktisch, rücken ihn und damit eine Sprecher_innen in eine sie skandalisierende Richtung. Im geplanten Vortrag soll zunächst ein sachlicher Überblick über die Phänomene des Sprachwandels versucht werden, um anschließend sich an Hand von Werken von Feridun Zaimoğlu mit der Literalisierung dieser Phänomene zu befassen. Entstand im Werk von Zaimoğlu eine Ästhetik der Sprachmischungen und welche sozialen Botschaften liefert sie? Wer wird mit den Sprachmischungen angesprochen und wer wird auf welche Weise (mit)adressiert? Der Vortrag wird letztlich vermutlich in eine schwierige Diskussion der Verantwortung von Kunst münden, zu der die Zuhörer_innen eingeladen werden werden.
Prof. Dr. İnci Dirim, Deutschlehrerin, Übersetzerin, Germanistin, Erziehungswissenschaftlerin. Erststudium in Ankara; Zweitstudium in Bremen; Promotion 1997 an der Universität Hamburg, Erziehungswissenschaft. 2003-2007 Juniorprofessorin an der Leibniz Universität Hannover (W1 Schulpädagogik); 2007-2010 Professorin an der Universität Hamburg (W2 Erziehungswissenschaft); seit März 2010 Universitätsprofessorin für Deutsch als Zweitsprache an der Universität Wien. Arbeitsschwerpunkte: Spracherwerb und -gebrauch unter Bedingungen von Migration, Didaktik und Methodik des Deutsch als Zweitsprach-Förderunterrichts und der sprachlichen Bildung, bilinguale und mehrsprachige Unterrichtsmodelle, migrationspädagogische Zugänge zu Deutsch als Zweitsprache.
Literarische Textualität und ästhetische Medialität in Deutsch als Zweitsprache – Einführung in das Tagungsthema
Die Diskussion im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache über Rolle und Funktion von literarischer Textualität und ästhetischen Medien wurde lange Zeit fast ausschließlich aus der Perspektive von DaF geführt (vgl. Ehlers 2010), dessen Entstehung - zumindest in der Bundesrepublik Deutschland - eng an eine literaturwissenschaftliche Richtung gebunden war, die als Interkulturelle Germanistik den Literaturdiskurs im Fach in der Folgezeit maßgeblich prägte. Demgegenüber spielten und spielen in DaZ literarische Texte und ästhetische Zugänge zwar immer eine Rolle (vgl. z.B. Belke 1999), eine systematischere und differenziertere Reflexion darauf entwickelte sich jedoch erst in den letzten Jahren (vgl. Rösch 2017). An diese anknüpfend skizziert der Vortrag das Spektrum des Umgangs mit literarischer Textualität in DaZ. Dabei wird auch auf die in diesem Zusammenhang nur selten thematisierten staatlichen Vorgaben wie das Rahmencurriculum für Integrationskurse DaZ oder den Lehrplan DaZ für sächsische Schulen eingegangen, die mit ihren Konzepten von Sprache, Zweitspracherwerb und Integration das Arbeitsfeld DaZ stark beeinflussen. Auf der Basis und vor dem Hintergrund dieser Rekonstruktionen und Interpretationen soll sodann diskutiert werden, worin das Potential literarischer Textualität und ästhetischer Medialität in DaZ-Kontexten denn genau besteht.
Belke, Gerlind (1999): Mehrsprachigkeit im Deutschunterricht: Sprachspiele, Spracherwerb und Sprachvermittlung. Baltmannsweiler: Schneider-Verl. Hohengehren.
Ehlers, Swantje (2010): Literarische Texte im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterricht: Gegenstände und Ansätze. In: Krumm, Hans-Jürgen u.a. (Hrsg.): Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Ein internationales Handbuch, Berlin: de Gruyter, 1530-1544.
Rösch, Heidi (2017): Literaturunterricht und sprachliche Bildung. In: Beate Lütke u.a. (Hrsg.): Fachintegrierte Sprachbildung: Forschung, Theoriebildung und Konzepte für die Unterrichtspraxis. Berlin: de Gruyter, 151-168.
Dr. Michael Dobstadt hat Geschichte und Germanistik in Bonn studiert und in Spanien als DAAD-Lektor gearbeitet. Von 2006 bis 2017 war er am Herder-Institut der Universität Leipzig tätig. Seit April 2017 vertritt er die Professur für Deutsch als Fremdsprache an der TU Dresden. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind die Funktionen des Literarischen und literarischer Textualität in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, ästhetische Medien in DaF/DaZ sowie Erinnerungsorte als Lernorte einer kulturwissenschaftlich orientierten Fremdsprachendidaktik. Zusammen mit Dr. Renate Riedner (University of Stellenbosch/Südafrika) arbeitet er an einer "Didaktik der Literarizität für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache".
Prof. Dr. Dr. Konrad Ehlich ist Linguist. Seine Hauptarbeitsgebiete liegen in den Bereichen Allgemeine und Angewandte Sprachwissenschaft, Linguistische Pragmatik, Diskurs- und Textlinguistik, Wissenschaftssprache, Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, Spracherwerb, Institutionelle Kommunikation, Interkulturelle Kommunikation, Sprachsoziologie, Sprachpolitik und Hebraistik. An der Entwicklung der Funktionalen Pragmatik ist er maßgeblich beteiligt. Konrad Ehlich promovierte 1976 über das hebräische deiktische System, im Rahmen seiner Düsseldorfer Habilitation in Allgemeiner Sprachwissenschaft (1980) analysierte er Interjektionen. Er war von 1992 bis 2007 am Institut für Deutsch als Fremdsprache / Transnationale Germanistik in München tätig und war dessen Vorstand. Bevor er an die Ludwig-Maximilians-Universität München berufen wurde, arbeitete er an der Freien Universität Berlin sowie den Universitäten Düsseldorf, Tilburg (Niederlande) und Dortmund. Er ist jetzt als Honorarprofessor am Institut für Deutsche und Niederländische Philologie der Freien Universität Berlin tätig.
Francesca Gregori, Lehramtsstudium an der Universität Salzburg/Österreich, 2004 Magister in Deutscher Philologie und Romanistik (Italienisch), 2009 Abschluss als diplomierte Erwachsenenbildnerin in Salzburg/Österreich. Berufserfahrungen in Italien als Lehrbeauftragte in der Erwachsenenbildung für Deutsch als Fremdsprache, Dozentin für Deutsch als Fremdsprache an der Universität Trieste/Italien und Dozentin für Italienisch mit Schwerpunkt Tourismus an der Fachhochschule Salzburg/Österreich. Tätigkeit am Center für berufsbezogene Sprachen (CEBS) in Salzburg/Österreich als Jurorin, Referentin und Mitglied des Veranstaltungsteams des landesweiten Sprachencontests für berufsbezogene Schulen und des landesweiten Sprachkongresses 2007 für österreichische Fremdsprachenlehrer. Aktuell ist sie Grundschullehrerin an der 117. Grundschule in Dresden und Fachberaterin für Migration und Deutsch als Zweitsprache an Grundschulen beim Landesamt für Schule und Bildung in Dresden.
Reflexion von Sprache als Differenzkategorie in mehrsprachiger Literatur: Potenziale für die
Ausbildung von Critical Language Awareness in Lehrer*innenbildung und Unterricht
Im Kontext der Diskurse um Migration, Bildung und Integration hat sich Sprache in den letzten Jahren zu einer machtvollen Differenzkategorie entwickelt, die kulturelle Hierarchien stützt und die ausgrenzt, die nicht die ‚richtige‘ Sprache sprechen oder Sprache nicht richtig sprechen (Dirim/Mecheril et al. 2018). Ob Mehrsprachigkeit positiv oder negativ beurteilt wird, hängt dabei maßgeblich von der kulturpolitischen Bewertung einer Sprache ab.
Der Beitrag geht davon aus, dass ein Sprachunterricht und/oder Literaturunterricht, der einer vielfältigen Gesellschaft gerecht werden will, das monolinguale Selbstverständnis der Gesellschaft und ihrer Institutionen (Gogolin 1994; Yıldız 2012) kritisch betrachten und ein Umdenken hin zum Normalfall Mehrsprachigkeit und einer Gesellschaft der Vielfalt initiieren sollte. Dafür ist es notwendig, ein kritisches Bewusstsein gegenüber dem Konzept der ‚natürlichen‘ Muttersprache und dem Machtpotenzial von Sprache sowohl bei Lehrenden als auch bei Lernenden zu schaffen. Mehrsprachige literarische Texte bieten hier ein besonderes Potenzial, da „[d]ie Verarbeitung sprachlicher Differenzen in der Literatur“ oftmals einhergeht mit der „Demontage einer nationalstaatlichen Sprachideologie“ und der „Hervorhebung sprachlich-kultureller Grenzüberschreitungen im Text“ (Sepp 2017: 57). Der Beitrag lotet vor diesem Hintergrund das Potenzial mehrsprachiger literarischer Texte der Gegenwartsliteratur für die Ausbildung eines kritischen Sprachbewusstseins in Bildungsinstitutionen aus.
Literatur:
- Dirim, İnci/ Mecheril Paul et al. (2018): Heterogenität, Sprache(n), Bildung. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt.
- Gogolin, Ingrid (1994): Der monolinguale Habitus der multilingualen Schule. Münster: Waxmann.
- Sepp, Arvi (2017): Ethik der Mehrsprachigkeit. In: Till Dembeck/ Rolf Parr (Hg.): Literatur und Mehrsprachigkeit. Ein Handbuch. Tübingen: Narr/Francke/Attempto, 53-65.
- Yıldız, Yasemin (2011): Beyond the Mother Tongue: The Postmonolingual Condition. Fordham University Press.
Martina Kofer (M.A.) hat Germanistik, Politologie und Gender Studies in Berlin studiert und befindet sich derzeit in der Abschlussphase ihres Promotionsprojekts zur Gegenwartsliteratur türkisch-deutscher Autorinnen. Seit 2018 ist sie Lehrbeauftragte für Literatur- und Sprachdidaktik an der Universität Paderborn; von 2012 bis 2016 war sie dort auch als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft tätig. Daneben arbeitet sie seit 2007 im Bereich Deutsch als Zweitsprache als Dozentin für Deutschkurse und Fortbildungen an verschiedenen Bildungsinstitutionen im In- und Ausland. Von 2006 bis 2010 war sie Co-Projektleiterin des Literaturfestivals Literatürk in Essen und übernahm für das Jahr 2011 die kuratorische Leitung des Literaturfestivals Dildile an der Berliner Volksbühne. Publikationen u.a. zur Sprachförderung mit literarischen Texten, literarischer Mehrsprachigkeit, interkultureller Gegenwartsliteratur und interkultureller Literaturdidaktik.
„Spring“ – Sprachförderung mit Musik als Schlüssel zur Integration
SPRING ist ein von Prof. Dr. Gaul und Eva Nagel entwickeltes musikbezogenes Sprachförderprogramm. Im Rahmen eines Feldexperimentes entstand das Konzept in der multikulturellen Praxis an Grundschulen und Kindertagesstätten unter Einbezug von Experten im Jahr 2015 zu Zeiten großer Migrationsbewegungen. Musikalische Arbeit wird als ein Weg gesehen, um das Innere der Kinder rasch zu erreichen, Hemmungen in der Sprachanwendung abzubauen und freudvoll in der Gemeinschaft sprachliche Muster unverkrampft zu trainieren. Lieder generell sind ein grundlegendes Element der Elementarpädagogik im In-und Ausland und somit allen Heranwachsenden vertraut. Musik lässt uns auf emotionaler Ebene zusammenfinden, berührt und regt die phonologische Bewusstheit an. Der Lehrplan Deutsch als Zweitsprache fordert, sich „in einer positiven Lernatmosphäre mit der deutschen Sprache auseinanderzusetzen“. Die Kinder hören sich ein in den deutschen Sprachduktus und erfahren die gebräuchlichen Sprachmelodien. Gemeinsames Singen führt zu einer Verinnerlichung und bewusster Sprachgestaltung. Grundlegende Prinzipien sind u.a. das Lernen in der Wiederholung, diverse sprachdidaktische Interventionen (nach Belke) und der Halbschluss.
In SPRING wird didaktisch reduziert, das positive Lehrerecho ist erwünscht, das Lernen in Szenarien, das implizite Lernen und die Einbindung der Muttersprache haben ihren Platz. SPRING versucht Hilfe zur Identitätsfindung, und zum Wortschatzaufbau zu geben, das Chorsprechen mit Freude zu praktizieren, SPRING ist handlungsorientiert sowie ganzheitlich. Insgesamt sieht das Konzept das Kind als Ganzes und hilft ihm, in der neuen Umgebung Halt und emotionale Balance zu finden.
Literatur:
- Gaul, Magnus/ Nagel, Eva (2016): SPRING. Sprache lernen durch Singen, Bewegung und Tanz. Kassel: Bosse Verlag.
- Belke, Gerlinde (2012): Mehr Sprachen für alle. Sprachunterricht in einer vielsprachigen Gesellschaft. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.
- Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (2001): Lehrplan Deutsch als Zweitsprache. Grundschule. Lernfelder Grundkurs. München ISB.
Eva Barbara Nagel, geb. 1976 in Regensburg, Abitur 1995, Freiwilliges Soziales Jahr in Nürnberg, Studium der Grundschulpädagogik (2001) und Erweiterungsstudiengang Deutsch als Zweitsprache (2002), Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Grundschulpädagogik an der Universität Regensburg/Forschungen in Spanien (2002-2004), Referendariat in Regensburg (2004-2006), seit 2006 Klassenleitung einer jahrgangsgemischten Übergangsklasse 3/4, seit 2017 Klassenleiterin 1./2. Klasse mit aktueller Tätigkeit als Beraterin Migration an der Regierung der Oberpfalz für den Raum Regensburg.
Lesung die dinge, die ich denke, während ich höflich lächle
Sie hat einen deutschen Mann geheiratet, den schönsten Mann, und seinen Namen stolz getragen, bis sich herausstellt, dass seine andere Frau ausgewiesen wird. In die dinge, die ich denke, während ich höflich lächle erzählt Sharon Dodua Otoo von einem bitteren Verlust, einer schonungslosen Bilanz und einer mutigen, trotzigen und willensstarken Frau, die sich neu erfindet.
Sharon Dodua Otoo wurde 1972 in London geboren und lebt in Berlin. Sie ist Schwarze Britin, Mutter, Aktivistin und Autorin (‚Schwarz‘ wird als politischer Begriff verstanden und daher mit großem S geschrieben). Sie ist zudem Herausgeberin der englischsprachigen Buchreihe Witnessed in der edition assemblage. Ihre erste Novelle die dinge, die ich denke, während ich höflich lächle erschien 2012 auf Englisch und 2013 auf Deutsch, es folgte Synchronicity, 2014 in deutscher Übersetzung, 2015 als the original story auf Englisch. Sie hat mit dem Text Herr Gröttrup setzt sich hin den Ingeborg-Bachmann-Preis 2016 gewonnen.
Migration erzählen? Überlegungen zum ‚authentischen‘ und literarischen Erzählen in Deutsch als Zweitsprache am Beispiel von Kursmaterial aus „100 Stunden Deutschland: Orientierungskurs Politik, Geschichte, Kultur” (Stuttgart 2017)
In meinem Beitrag möchte ich am Beispiel des Erzählens der Frage nachgehen, welche Rolle ein literarischer Zugang zur Sprache in Deutsch als Zweitsprache auch jenseits von Literatur und ästhetischen Medien im engeren Sinne einnehmen kann. Den Ausgangspunkt bildet die Auseinandersetzung mit neuerem Kursmaterial zum Modul „Geschichte und Verantwortung“ (Sturm/Sum 2017) für das staatlich geregelte Programm der Orientierungskurse für Zugewanderte, das einen narrativen und migrationsgeschichtlich orientierten Zugang zur deutschen Geschichte verfolgt und darin das seit langem als nicht lerner-, sondern rein faktenorientierte Konzept der Orientierungskurse zu übersteigen sucht. Der im Lehrerhandbuch formulierte Anspruch auf Partizipation und eine eigene Subjektposition der Lernenden findet sich – wie in der kritischen Analyse des Materials gezeigt werden soll – jedoch sowohl in den vermeintlichen Erzählungen, die ein auf Assimilation angelegtes Integrationsverständnisses reproduzieren, ohne es als solches offen zu legen (Krannich 2019), wie in der Art der Inszenierung des Erzählens, das dem Authentizitätskonzept des kommunikativen Fremdsprachenunterrichts verpflichtet ist, konterkariert. In Abgrenzung davon und im Rückgriff auf Überlegungen zu einer Didaktik der Literarizität (Dobstadt/Riedner 2016 u.a.) und zu komplexeren narrativen Zugängen der Geschichtsvermittlung (Kramsch 2011 u.a.) soll nach einem literarischen Konzept von Erzählen gefragt werden, das seine eigene Konstruktivität nicht verdeckt, sondern ausstellt und reflektiert und auf Ambiguität und Vielstimmigkeit hin ausgelegt ist. Dessen Möglichkeiten und Spielräume im Rahmen des Konzepts der Orientierungskursen wird dabei zu hinterfragen und auszuloten sein.
Frau Renate Riedner, Studium von Deutsch als Fremdsprache/Transnationale Germanistik, Neuere deutsche Literatur und Ethnologie LMU München (Promotion 1996). DAAD-Lektorate an der Ain Schams-Universität (1996-1999) und der Heluan-Universität (2003-2007) in Kairo; Wissenschaftliche Mitarbeiterin an den Instituten für Deutsch als Fremdsprache an Universitäten in München (2002-2003), Leipzig (2008-2015) und Jena (2015); Visiting Scholar an der University of Arizona, Tucson (Spring Term 2014); seit August 2016 Senior Lecturer für den Deutschen Akademischen Austauschdienst an der Stellenbosch University, Südafrika. Arbeitsschwerpunkte im Bereich der Literatur- und Kulturstudien und der Fremdsprachendidaktik des Faches Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, aktuelle Projekte und Publikationen zur Didaktik der Literarizität für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, zum Erinnerungsdiskurs und zur Entwicklung einer postkolonialen machtkritischen Perspektive auf Deutsch als Fremd- und Zweitsprache.
Graphic Novels und mehr sprachliche Bildung
Im Fokus stehen aktuell weit verbreitete und durchaus migrationspädagogisch umstrittene Graphic Novels wie Eine Hand voller Sterne von Rafik Schami (Ursprungstext) und Markus Köninger (Graphic Novel), die textlose Graphic Novel von Shan Tan The Arrival, die mittlerweile auch digital mit Musik und anderen Tönen unterlegt auf Youtube vorliegt, sowie der mittlerweile 4-bändige Comic L'Arabe du futur von Riad Sattoufs in der deutschen Übersetzung von Andreas Platthaus Der Araber von morgen, der in Frankreich zum Bestseller avancierte und neben Deutsch in viele andere europäische und asiatische Sprachen, nicht aber in Türkisch und Arabisch übersetzt wurde.
Die Analyse basiert auf einem literaturwissenschaftlichen und literaturdidaktischen Konzept, das sich kritisch mit rassismuskritischen Ansätzen auseinandersetzt, die häufig Werke oder Images in literarischen Werken als rassistisch etikettieren, weil sie das durch naturalistische Inszenierung rassismuskritische Potential nicht erkennen (wollen) oder leugnen, weil ihre Zugriffsinstrumente eben nicht ästhetisch, sondern pädagogisch sind, um es pointiert zu formulieren. Insofern geht es auch um den Versuch, Sprach- und Kulturreflexion anhand poetischer Werke und mit poetologischen Mitteln zu betreiben, die die poetische (Bild-)Sprache ins Zentrum rückt und Literatur als materialisierte Kultur(reflexion) versteht, die eher Fragen aufwirft, als Antworten zu liefern.
Dr. Heidi Rösch ist Professorin für (interkulturelle) Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. Davor hat sie an der Technischen Universität Berlin gearbeitet und war Gast- bzw. Vertretungsprofessorin an Universitäten in China und der TU Dresden. Sie hat über Migrationsliteratur promoviert und mit einer Arbeit über Rassismus in der Kinder- und Jugendliteratur habilitiert. Ihre Venia Legendi umfasst Deutschdidaktik, Deutsch als Zweit- und Fremdsprache. Neben ihrem Engagement im Lehramtsstudium hat sie den Masterstudiengang Interkulturelle Bildung, Migration und Mehrsprachigkeit an der Pädagogischen Hochschule mit aufgebaut und 10 Jahre geleitet. Ihre Drittmittelforschung fokussiert sprachlich-literarische Bildung in der Migrationsgesellschaft sowie die empirische Überprüfung ihres Ansatzes Literature und Language Awareness (LiLa).
Wanja Saatkamp leitet das Montagscafé am Staatsschauspiel Dresden – einem interkulturellen Treffpunkt und Forum des Austauschs für alle Bürger*innen aus der Stadt und der Region. Nach Abschluss des Studiums der Angewandten Kulturwissenschaften in Hildesheim und ‚Kunst und Medien‘ an der UdK Berlin mit Studienaufenthalten in Toulouse und Liverpool, startete sie ihre berufliche Laufbahn als Kulturmanagerin eines EU-Kulturprojekts. Es folgten einige Jahre als Producerin und Produktionsleitung für Dokumentarfilme für Arte und die Gründung des Performance-Kollektivs MAIDEN MONSTERS. Zwischen 2007 und 2017 war sie als Künstlerin auf Theater-Festivals, an Stadt- und Staatstheatern mit MAIDEN MONSTERS aber auch solo als Videokünstlerin, Musikerin und Theaterschaffende unterwegs (darunter: Festival Politik im freien Theater, treibstoff Basel; AUA wir leben Bern, X-Wohnungen Istanbul/Mannheim, Thalia Theater Hamburg, Schauspiel Hannover, Deutsches Theater Berlin, Impulse Theaterfestival, WUK Wien, Schauspielhaus Graz, Kulturhauptstadt Marseille 2013, Nationaltheater Mannheim).
Von Klang der Sprache. Zur Förderung von sprachlichen Kompetenzen durch Musik
In dem Vortrag werden zwei Forschungsprojekte zur Verbindung von Sprache und Musik vorgestellt: Zum einen eine interdisziplinäre empirische Studie mit Vorschulkindern, deren sprachlich-musikalische Grundfähigkeiten und Vorläuferfähigkeiten der Lesekompetenz durch ein spezifisches Programm gefördert wurde. Zum Anderen ein HipHop-Projekt (Funky Wisdom – Sprache – HipHop – Rap), das geflüchteten Jugendlichen einen ersten Einstieg in die deutsche Sprache durch eine enge Verknüpfung von Sprache mit Bewegung/Tanz und Musik auf eine nachhaltige und integrative Weise eröffnete.
Dem Forschungsansatz liegt die Annahme zugrunde, dass Sprache und Musik in einer besonderen Beziehung zueinander stehen, die als eine Art ‚geschwisterliche Verbundenheit‘ bezeichnet werden kann. Sprache und Musik sind demzufolge hinsichtlich ihres gemeinsamen Ursprungs, ihrer gemeinsamen neuronalen Verarbeitungsmechanismen, ihrer strukturellen Gemeinsamkeiten und Parameter aufs Engste verbunden; gegenüber der Sprache ist die Musik ein die gemeinsamen Parameter verdichtendes System. In Sprache sind andererseits viele musikalische Aspekte enthalten – sie wird durch musikalische Merkmale strukturiert, in ihrer Bedeutung verändert und individuell geprägt. Satzmelodie, Sprachrhythmus, Tempo, Klangfarbe, aber auch kleinere lautliche Einheiten formen die Sprache und lassen sie klingen. Den Klang und Rhythmus einer Sprache wahrnehmen und nutzen zu können, beruht auf sprachlichen und musikalischen Grundfähigkeiten.
Dr. Daniela Schwarz studierte Deutsch an der Universität Essen und Musik an der Folkwang Hochschule Essen. Nach ihrer Tätigkeit als Studienrätin in Krefeld und Wülfrath wurde sie im Jahr 2011 an die Folkwang Universität der Künste abgeordnet, wo sie heute als Oberstudienrätin im Hochschuldienst im Bereich Fachdidaktik/Musikpädagogik sowie als Dozentin für das künstlerische Fach Klavier tätig ist. Nach ihrer Promotion zum Themenkomplex ‚Förderung von Lesekompetenz‘ untersuchte sie in ihrem Habilitationsprojekt die Möglichkeit einer interdisziplinären sprachlichen-musikalischen Förderung sprachlich-musikalischer Grundfähigkeiten. Ihr wissenschaftliches Interesse liegt in der Erforschung der neurokognitiv-evolutionären Gemeinsamkeiten von Sprache und Musik und deren psychologisch-didaktisch wechselseitiger Anwendung.
„Literarische Wege zu sprachlicher Selbstermächtigung“
Eine der Aufgaben von DaZ-Unterricht ist es, Lernende in der Erweiterung ihres sprachlichen Handlungsspielraums im Deutschen zu unterstützen. Dazu gehört eine kritische Sprachaufmerksamkeit ebenso wie die Fähigkeit, Prozesse der Bedeutungsherstellung zu verstehen und mit Mehrdeutigkeit und Ambiguität konstruktiv umzugehen. Zur Disposition stehen Fragen wie jene nach sprachlichen Normen, ihrem Zustandekommen, ihrer Wirkmächtigkeit und der Möglichkeit zu ihrer Veränderung. Wer setzt Normen, wie werden sie durchgesetzt und welche Folgen haben Normabweichungen? Und wie verändern sich sprachliche Normen in der Migrationsgesellschaft? Literarische Texte können nicht nur Anlass zur Reflexion und Diskussion dieser und anderer Fragen sprachlicher Selbstermächtigung bieten, sie können aufgrund ihrer Literarizität auch sprachliche Handlungsmöglichkeiten eröffnen, die auf die Verstärkung gesellschaftlicher Teilhabe abzielen. Literatur stellt machtvolle Sprache in Frage, die Eindeutigkeit herstellen und eine bestimmte Deutung durchsetzen soll. Ihr widerständiges Moment kann sie im DaZ-Unterricht gerade dann entfalten, wenn sie als Medium der kritischen Auseinandersetzung mit sprachlichen und kulturellen Zuschreibungen und Normalitätskonstruktionen eingesetzt wird. Welche Texte sich für einen dergestalt ausgerichteten Unterricht in besonderer Weise eignen und wie mit ihnen im Sinne eines selbstermächtigenden Unterrichts, in dem die Lernenden auch ihre mitgebrachten Sprachen einbringen können, gearbeitet werden kann, sind die zentralen Fragen dieses Vortrags, die anhand von Textbeispielen u.a. von Irena Brežná, Zsuzsanna Gahse, Tomer Gardi, Anna Kim oder Julya Rabinowich diskutiert werden sollen.
Hannes Schweiger ist Assistenzprofessor am Institut für Germanistik (Fachbereich Deutsch als Fremd- und Zweitsprache) sowie am Zentrum für LehrerInnenbildung der Universität Wien. Davor war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Literaturarchiv und Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek und unterrichtete Deutsch und Englisch am BRgORg Henriettenplatz in Wien sowie Deutsch als Fremd- und Zweitsprache in der Erwachsenenbildung. Seine Schwerpunkte sind Literaturvermittlung, Literatur im DaF-/DaZ-Unterricht, Literatur der Migration, kulturreflexives Lehren und Lernen, migrationspädagogische Perspektiven auf DaZ sowie sprachliche Bildung in der Schule.
Kontakt:
Irgendwo im Nirgendwo. Erwachsenwerden im neueren österreichischen Film
Kommunikation mittels visueller Zeichensysteme prägt zusehend öffentliche und private Räume. Filme wiederum generieren Bedeutung durch das Zusammenspiel verschiedener Codes, von denen nur ein Teil sprachgebunden ist. Beide Aspekte erleichtern ihre Zugänglichkeit für den DaZ-Unterricht. Die Arbeit mit dem Medium Film ermöglicht Außen- und Innenwelten, Realitäten und Imagination der Lernenden miteinander zu verbinden. Auf diese Weise werden verschiedene Erfahrungshorizonte und -situationen authentisch in den Unterricht einbezogen und Reflexionen initiiert. In filmischen Angeboten offerieren sich intendiert geformte Wirklichkeitsentwürfe, die zum Ausgangspunkt von Aushandlungsprozessen über Bedeutungszuschreibungen werden können.
Ansatz und Ausgangspunkt meines Vortrags ist die Überzeugung, dass die Einbeziehung bzw. Thematisierung ästhetischer Artefakte, wie z.B. filmische Texte, sowohl der Persönlichkeitsentwicklung und -entfaltung als auch der Sprachentwicklung und Sprachbeherrschung zugutekommen.
Dieses Potenzial sollen Produktionen neuerer österreichischer ‚coming-of-age‘-Filme verdeutlichen. Sie zeigen Jugendliche im städtischen sowie im ländlichen Milieu bei ihrer Suche nach einem Platz in der Gesellschaft. Zentral dabei sind Identitätsfragen und Zuweisung von sozialen Rollen – Herausforderungen, die universell sind und somit auch DaZ-Lernende betreffen.
Tina Welke, Studium der Sprachwissenschaft, Politikwissenschaft und Deutsch als Fremd- und Zweitsprache an der Universität Wien, Promotion. Auslandspraktikum in Georgien. Sprach- und Studienaufenthalte in St. Petersburg. Postdoc am Fachbereich DaF/DaZ der Universität Wien. Unterricht an verschiedenen Institutionen der Erwachsenenbildung DaF und DaZ. Lehrbeauftragte für DaF/DaZ an der Universität Wien und in der Lehrer*innenaus- und -fortbildung im In- und Ausland tätig. Lehrbeauftragte an den postgradualen Zertifikatskursen der Universität Wien: DaZ/DaF-unterrichten und Kompetenzfeld Auslandslektorat. Ausgebildete Prüferin und Trainerin für das Österreichische Sprach-Diplom. Derzeit Koordinatorin für Deutsch als Fremdsprache an der Diplomatischen Akademie Wien. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Film, Filmvermittlung, Bildverstehen; zahlreiche Publikationen.
Bildungssprachlichkeit und sprachlich-literarisches Lernen in und durch Lyrik?!
(Bildungs-)Sprachlichkeit wird seit jüngster Zeit verstärkt im Hinblick auf fachliches Lernen untersucht, so beispielsweise in den naturwissenschaftlichen Fachdidaktiken. Zweifellos ist es zu begrüßen, dass Sprachlichkeit als durchgängiges Prinzip in Schule und Unterricht Einzug hält. Gleichzeitig ist aber auch festzustellen, dass damit nicht selten eine (noch) recht eindimensionale Funktionalisierung des sprachlichen Lernens einhergeht, indem Sprache vornehmlich auf seinen fachlichen Gebrauchs- und Funktionswert reduziert wird (vgl. Steinbrenner 2018, Wildemann 2018). Konträr dazu scheint der Literaturbegriff zu sein, der mit Attributen wie fiktional, künstlerisch und ästhetisch „die schöne Literatur“ zu beschreiben versucht (vgl. Fix 2009 2013). Daraus ergibt sich die existenzielle Frage, ob Bildungssprachlichkeit und Literaturdidaktik per se keine Berührungspunkte aufweisen oder ob nicht vielmehr die Auseinandersetzung mit Formen literar-ästhetischer Sprache einen Weg in die Bildungssprachlichkeit eröffnen kann und sollte (Wildemann 2018, i.D.). In dem Vortrag wird daher in einem ersten Schritt der Frage nachgegangen, ob es eine Sprachlichkeit in der Literatur, hier am Beispiel der Lyrik entfaltet, gibt, die zum einen eine Nähe zum Konstrukt «Bildungssprache» aufweist, wie es derzeit in den Fachdidaktiken und der Erziehungswissenschaft diskutiert wird und der zum anderen eine eigene (Bildungs-)Sprachlichkeit inne ist, die als literar-ästhetische Sprache Anforderungen an ihr Verstehen stellt. Am Beispiel der Lyrik, einer hoch verdichteten, metaphorischen Sprachstruktur, wird überlegt, an welchen Schnittstellen sprachliches Lernen als auch literarisches Lernen zu verorten sind. In einem zweiten Schritt geht es um die Verbindung sprach literar-ästhetischer Erfahrung und Mehrsprachigkeit im Sinne einer transkulturellen Literaturdidaktik, wie sie von Wintersteiner (vgl. 2010) diskutiert wird. Dabei geht es weniger um eine Instrumentalisierung poetischer Sprache für das zweitsprachliche Lernen als vielmehr um eine spielerische und reflexive Auseinandersetzung mit Sprache, Form und Funktion. Oder wie Zirfas es zusammenfasst: „Gedichte haben kontemplatives, spielerisches und imaginatives Potential. Sie geben uns Zeit, weil sie uns in mehrfacher Hinsicht zum Verweilen einladen. Nicht nur, dass in dem Gedicht ein Verweilen beschrieben wird, es fordert auch ein Verweilen durch seine Form.“ (Zirfas 2015, S. 30).
Literatur:
- Fix, Ulla (2013): Sprache in der Literatur und im Alltag. Ausgewählte Aufsätze. Berlin: Frank & Timme.
- Steinbrenner, Marcus (2018): Sprachliche Bildung, Bildungssprache und die Sprachlichkeit in der Literatur. In: Leseräume 4/18, S. 7-21. Abrufbar unter: http://leseräume.de/wp-content/uploads/2018/05/lr-2018-1a-steinbrenner.pdf.
- Wildemann, Anja (2018): Alltagssprache- Lyrische Sprache – Bildungssprache: Zur Bedeutung des Lyrischen für die Entwicklung von (Bildungs-) Sprachlichkeit. In: Leseräume 4/18, S. 22-34. Abrufbar unter: http://leseräume.de/?page_id=692.
- Wildemann, Anja (2018): Lyrisches lernen ist bildungssprachliches lernen – Grundsätzliches und eine Perspektive für die Primarstufe. Erscheint in: Leseräume 2/19.
- Wintersteiner, Werner (2010): Transkulturelle Literaturdidaktik. Theoretische Begründungen, didaktische Ziele, literarische Beispiele. In: Rösch, Heidi (Hg.): Literarische Bildung im kompetenzorientierten Deutschunterricht. Freiburg i.B.: Fillibach, S. 33-48.
- Zirfas, Jörg (2015): Liminität. Zur Erfahrung des ästhetischen Verweilens. In: Pompe, Anja (Hg.): Kind und Gedicht. Wie wir lesen lernen. Freiburg i.B.: Rombach, S. 21-32.
Anja Wildemann ist Universitätsprofessorin für Grundschulpädagogik (Schwerpunk Sprache) an der Universität Koblenz-Landau. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Mehrsprachigkeit und Sprachbewusstheit, Sprachbildung und sprachsensibler Unterricht, Sprachlicher Anfangsunterricht. Ihre Dissertation trägt den Titel „Kinderlyrik in der Vorschule. Kinder zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit“ und ist bei Peter Lang erschienen. Im Kontext der Debatte um Bildungssprachlichkeit beschäftigt sie sich mit der Frage, wie die Sprache der Literatur (auch) bildungssprachlich verortet und für sprachliches lernen etabliert werden kann.
Sprach- und Kulturreflexion in der DaF-/DaZ-Didaktik und in den Studiengängen Deutsch als Fremd- und Zweitsprache am Beispiel der Inszenierungen von Mehrsprachigkeit und Kulturkontakten in Erzählungen Yoko Tawadas
Welchen Stellenwert können literarische Texte und literarisches Lernen in der internationalen Germanistik und in den Studiengängen des Deutschen als Fremdsprache haben? Während die eine – spracherwerbsorientierte – Seite gerne „Literatur ‚als zu schwierig, zu lang, zu weit weg von den Anforderungen alltäglicher Kommunikation‘“ (Altmayer/Dobstadt/Riedner 2014:3, nach Ehlers 2010: 1530) abstempelt, befürchtet die andere – literar-ästhetisch orientierte – Seite, „dass sich die Rolle von Literatur im Fremdsprachenunterricht […] auf die Nutzung für Fremdzwecke reduzieren lässt“ (Schiedermair 2017: 7). Dabei kann die Arbeit mit literarischen Texten sehr wohl Sprachbildung, Landeskundekenntnisse, interkulturelles und literarisches Lernen fördern. Wie das gelingen kann, soll am Beispiel der japanisch-deutschen Autorin Yoko Tawada aufgezeigt werden. Sie versteht es, in ihren Erzählungen Sprach- und Kulturreflexionen anzuregen, indem sie Zusammenhängen von sprachlichem und kulturellem Wissen nachspürt, dominanzkritisch eurozentrische Perspektiven reflektiert und dekonstruiert und im Kontext impliziter und expliziter Sprachvergleiche Sprachbewusstheit und Sprachsensibilität schärft.
Literatur:
- Altmayer, Claus/Dobstadt, Michael/Riedner, Renate (2014): Literatur in sprach- und kulturbezogenen Lehr- und Lernprozessen im Kontext von DaF/DaZ. Eine Einführung in den Themenschwerpunkt. In: Deutsch als Fremdsprache Jg. 51, Heft 1, 3-10.
- Ehlers, Swantje (2010): Literarische Texte im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterricht: Gegenstände und Ansätze. In: Krumm, Hans-Jürgen/ Fandrych, Christian/ Hufeisen, Britta/ Riemer, Claudia (Hg.): Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Ein internationales Handbuch. Band 2. Berlin/New York 2010: De Gruyter Mouton, 1530-1543.
- Schiedermair, Simone (2017): Zur Einführung. Literaturvermittlung in internationaler und interdisziplinärer Perspektive. In: Dies. (Hg.): Literaturvermittlung. Texte, Konzepte, Praxen in Deutsch als Fremdsprache und den Fachdidaktiken Deutsch, Englisch, Französisch. München: Iudicium.
- Tawada, Yoko (1996): Talisman. Literarische Essays. Tübingen: konkursbuch, 52-57.
- Tawada, Yoko (2002): Überseezungen. Tübingen: konkursbuch, 15-17.
Dr. Cornelia Zierau ist seit April 2012 Oberstudienrätin am Institut für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft der Universität Paderborn und lehrt in den Bereichen der Literaturdidaktik und Literaturwissenschaft. Ihre Schwerpunkte liegen in der Lesedidaktik, der zeitgenössischen Kinder- und Jugendliteratur sowie der Interkulturellen Literaturwissenschaft und -didaktik. Im Rahmen des Projektes Vielfalt stärken. Sprachliche und kulturelle Heterogenität in der Lehrerausbildung nutzen lernen, dessen wissenschaftliche Leiterin sie ist, forscht sie im Überschneidungsbereich von DaZ-/DaF-, (Interkultureller) Literatur- und Mehrsprachigkeitsdidaktik.