Zivilisierung der Gewalt? Eine kritische Sekundäranalyse vormoderner Quellengrundlagen
(gefördert von der DFG)
Kurzbeschreibung des Projektes
In der historischen Gewaltforschung nehmen Tötungen eine Sonderstellung ein. Aufgrund der Schwere dieser Verbrechen geht man gemeinhin davon aus, dass sie in den vorhandenen Quellen verhältnismäßig gut dokumentiert sind und die Dunkelziffer gerade im Vergleich zu anderen Delikten gering ist. Darüber hinaus scheint es durch seit dem Spätmittelalter überlieferte Kriminal- und Gerichtsakten möglich, Tötungen quantitativ zu erfassen und zur jeweiligen Bevölkerungszahl ins Verhältnis zu setzen. Die so ermittelte Homizidrate verheißt, die historische Entwicklung von Gewalthandlungen „messbar“ zu machen. Ausgehend von aus verschiedenen regionalen Studien zusammengetragenen Homizidraten wurde anschließend die Hypothese aufgestellt, dass zumindest in der westlichen Welt ein deutlicher Rückgang der Gewalt vom Spätmittelalter bis zur heutigen Zeit zu beobachten sei (decline of violence). Diese Behauptung erhielt mit der Zivilisationsthese Norbert Elias’ zudem einen theoretischen Überbau.
Selbst starke Bedenken anmeldende Stimmen zu diesem besonders im anglophonen Raum als Konsens postulierten Paradigma wurden bisher weitgehend überhört – nicht zuletzt deshalb, weil meist von einem mikrohistorischen Standpunkt aus nur die theoretischen Erklärungsansätze und nicht die zugrundeliegenden Daten selbst im Fokus der Kritik standen. Das Projekt soll dies ändern, indem es die empirische Basis der Niedergangs-These einer intensiven Quellenkritik unterzieht.
Zu fragen ist, ob man aufgrund der bislang von der historischen Forschung erhobenen Daten tatsächlich behaupten kann, es habe einen langfristigen Rückgang der Gewalt seit dem Spätmittelalter gegeben. Der Umgang mit Lücken in der Quellenüberlieferung sowie mit unvollständigen Daten(-reihen), die Heterogenität der ausgewerteten Kriminal- und Gerichtsakten aus verschiedenen Gebieten und die Ermittlung von Bevölkerungszahlen in bestimmten räumlichen und zeitlichen Grenzen sind nur einige der vielfältigen Ansatzpunkte für eine Sekundäranalyse. Eine solche kritische Überprüfung der Datengrundlage ist mithin die Voraussetzung für eine fruchtbare und weiterführende Diskussion über die These vom Rückgang der Gewalt.
Mitarbeitende
Prof. Dr. Gerd Schwerhoff, Projektleitung
Dr. Alexander Kästner, wissenschaftlicher Mitarbeiter
Benjamin Seebröker M.A., wissenschaftlicher Mitarbeiter
Wiebke Voigt B.A., studentische Hilfskraft
Kontakt:
Seniorprofessor
NameProf. Dr. Gerd Schwerhoff
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