Spätmittelalter
Die Sächsischen Ständeversammlungen im Spätmittelalter (1438-1539)
Bearbeiter: Matthias Kopietz
Wir Graven, herren, rittere, knechte, Stete und Inwoner gemeynlichin […], Bekennen eyntrechtliclichin mit dissen vnsirm offen brive […].
Mit dieser Formel, die uns in einem Revers aus dem Jahre 1438 als bemerkenswerter Ausdruck ständischen Selbstbewusstseins entgegentritt, ließen sich die Landstände des wettinischen Kurfürsten Friedrich II. und seines Bruders Wilhelm ihren korporativen Zusammenschluss für den Fall verbriefen, dass der Landesherr den Bestimmungen des bewilligten Steuerersuchens künftig zuwider handeln würde. Die Forschung zur Sächsischen Landesgeschichte wertete diesen einträchtigen Akt als qualitative Erhebung ständischen Wirkens im Sinne eines Bundesbriefes. Fortan galt und gilt das Jahr 1438 als Ausgangspunkt wirksamen Auftretens von Grafen, Rittern und Städten gegenüber dem Landesoberhaupt sowie als erster Landtag im wettinischen Einflussbereich überhaupt; folglich als eine erste Stufe politischer Partizipation auf dem Gebiet des heutigen Sachsens.
Der Zäsurcharakter der Leipziger Ereignisse von 1438 erlaubt es, an diesem Punkt eine systematische Untersuchung der geschichtlichen Entwicklung der Sächsischen Standesversammlungen und Landtage beginnen zu lassen. Ständische Zusammenkünfte sind im 15. und 16. keine etablierten und geregelten Institutionen, sie treten uns vielmehr in unterschiedlichen Formen entgegen. Dabei stellt sich die Frage nach der Kontinuität etwaigen politischen Wirkens der Stände im Sinne einer allmählichen Emanzipierung und Etablierung als politische Kraft. Während ihre Bedeutung in dieser Hinsicht in der Mitte des 15. Jahrhunderts zunahm, fällt auf, dass die Landstände im Zuge der so entscheidenden Ereignisse von 1485, der sogenannten Leipziger Teilung und der folgenden fortwährenden Aufspaltung des wettinischen Besitzes, jedoch weitestgehend untätig blieben. Eine hinreichende Erklärung und Bewertung dieses Bedeutungsverlustes steht aus und wird ebenso angestrebt wie eine analytische Erfassung der folgenden Landtage und Ständeversammlungen im albertinischen Sachsen bis zum Jahre 1539.
Es stellen sich Fragen nach der Durchdringung von Zusammenhängen, etwa in Bezug auf die Gestaltung des Verhältnisses von Fürst und Land sowie des Wesens und des Charakters der ständischen Zusammenkünfte angesichts gewaltiger innen- und außenpolitischer Herausforderungen. Inwieweit wurden hierbei Ständeversammlungen und Landtage als Institutionen mit einem ständischen Bewusstsein etabliert? Änderten sich ihre Funktionen und Aufgabenbereiche, und wie verhielt sich die innerständische Entwicklung angesichts des Auftretens als Korporation? Ein vergleichender Blick auf die Institutionalisierung anderer Landtage, besonders in Bayern und Württemberg, kann es unter Umständen ermöglichen, solche Einordnungen vorzunehmen.
Um sich diesen Fragen und ihrer Beantwortung zu nähern, sind auf Grund der kritischen Quellenlage weitgehende Betrachtungen des Verhältnisses von Herrschaft und Land notwendig. Bis zum Herrschaftsantritt Heinrichs des Frommen (1539), des ersten protestantischen Kurfürsten in Sachsen, greifen wir fast 30 Landtage und mehrere andere Ständeversammlungen. Die Überlieferungslage zu den einzelnen Landtagen ist dabei sehr uneinheitlich und eigentliche Landtagsakten sind uns erst aus den letzten Jahren des Untersuchungszeitraums erhalten, sodass ein rein empirischer Ansatz zu kurz greift. Personengeschichtliche Untersuchungen, vergleichende Analysen und eine umfangreiche Kontextualisierung, ebenso wie eine, der Überlieferung verantwortliche, systematische Erkundung der Entwicklungsgeschichte der Sächsischen Landtage bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts – denn eine solche liegt für den betrachteten Zeitrauch bislang nicht in geschlossener Form vor – werden daher angestrebt.