Wende und Nachwende
Der Sächsische Landtag: Die Entstehung einer parlamentarischen Institution im Spiegel ost- und westdeutscher Erinnerungshorizonte
Bearbeiterin: Caroline Förster M.A.
Am 27. Oktober 1990 konstituierte sich in Dresden der Sächsische Landtag nach knapp 38 Jahren wieder. Vorausgegangen war neben der starken Bürgerbewegung der Friedlichen Revolution ein Ringen um politische Einflussnahme zwischen alten, im DDR-Regime etablierten Machthabern und neuen, basisdemokratischen Kräften. Das Ergebnis war in Sachsen eine Art Vorparlament, der Koordinierungsausschuss, der entscheidende Grundlagen für den Verwaltungsaufbau und den Institutionentransfer legte. Im Zusammenspiel zwischen basisdemokratischen Ideen aus Ostdeutschland und den Transfer- und Kooperationshilfen aus Westdeutschland entstand die neue alte demokratische Institution Sächsischer Landtag.
Die Studie untersucht den Entstehungsprozess des Sächsischen Landtages auf genau dieser Grundlage: dem Zusammenspiel zwischen ost- und westdeutschen Akteuren. Quellenbasis der Untersuchung sind das empirische Aktenstudium und lebensgeschichtliche Interviews. Die zentralen Fragen der Untersuchung lauten: Wie gestaltete sich dieses Zusammenspiel? Welche Einflüsse und Erfahrungen, wie viel westdeutsches und wie viel ostdeutsches Wissen prägten den Aufbau des Sächsischen Landtages? Die theoretische Verortung der Studie ergibt sich somit auf unterschiedlichen Ebenen. Inhaltlich sind unter anderem Ergebnisse der Transformations- und der Ostdeutschlandforschung von Bedeutung. Durch die Konzentration auf die Akteure finden auch Elitentheorien Berücksichtigung. Die Frage nach dem Einfluss der ost- bzw. westdeutschen Identität kann nur vor dem Hintergrund ost- und westdeutscher Identitätskonstruktionen erfolgen. Methodisch sind Erörterung zu Biografie- und Erinnerungskonzepten sowie der Ansatz der Oral History von Bedeutung.
Am Aufbau des Sächsischen Landtages nahmen im Wesentlichen drei Akteursgruppen einen entscheidenden Einfluss. Kehrt man an Hand von Fotografien in die Dreikönigskirche zur konstituierenden Sitzung des 27. Oktober 1990 zurück, kann man alle drei Akteursgruppen deutlich erkennen: Die Parlamentarier, die im Zentrum des Raumes sitzen, und den Nukleus dieses neuen Landtags darstellen, die Verwaltungsmitarbeiter, die im Hintergrund agieren und soufflieren; und die Öffentlichkeit, die eifrige Journalisten, die dichtgedrängt von der Empore aus beobachten. Diese drei für den Sächsischen Landtag wichtige Akteursgruppen: die Verwaltungsmitarbeiter, die Parlamentier und die Journalisten stehen im Mittelpunkt der Untersuchung. Ihre Erinnerungskonstruktionen bilden die zu diskutierenden Erinnerungshorizonte. Drei Untersuchungsebenen bieten sich daher für das Quellenmaterial an: die Erinnerungsdimension, die Erinnerungsvalidität und der Erinnerungskontext. Die Ebene der Erinnerungsdimension ergibt sich aus der inhaltlichen Interviewanalyse. Welche Prozesse werden von den befragten Zeitzeugen beschrieben, wie wird der Aufbau erklärt? Wie ist das West- und Ostbild? Wie der „Stand der inneren Einheit“ beim Aufbau des Sächsischen Landtages? Wie sind diese Konstruktionen vor dem Hintergrund der einzelnen Biografien zu verstehen? Auf der Ebene der Erinnerungsvalidität, d.h. der Einordnung der Narrative im Verhältnis zur Rekonstruktion aus der empirischen schriftlichen Quellenbasis, ergeben sich Fragen nach den speziellen Zugriffen, Sichtweisen und Konstruktionen, die aus der Erinnerung und dem Bezug zur Gegenwart heraus gewählt werden und damit auch die Frage, worin die Ursachen dafür liegen. Letztendlich kann die Studie auch Ergebnisse hinsichtlich des Erinnerungskontextes liefern, d.h. nach der Anwendbarkeit der Methode der Oral History im Zusammenhang mit zeitgeschichtlichen Transformationsfragen.
Die Dissertation ist erschienen im Thorbecke Verlag unter dem Titel Beamte, Politiker, Journalisten. Akteure der Erinnerung.