Die Torgauer Landtage
Untersuchungen zur Organisations- und Alltagsgeschichte der kursächsischen Ständeversammlungen in der beginnenden Frühen Neuzeit (1547-1628)
(Arbeitstitel)
Bearbeiter: Jan Bergmann
In den von Johann Gottlob Petersell 1749 verlegten Torgauischen Merckwürdigkeiten und Nachrichten heißt es über die Stadt Torgau, „daß allhie gute Bequemlichkeit und schöne Nahrungs-Mittel zu finden, mithin in dieser Stadt sehr wohl zu leben sey. Es sind dahero auch verschiedene Chur- und Fürsten zu Sachsen schon vorlängst bewogen worden, Dero Hofhaltungen einige Zeit allhier anzustellen, desgleichen zum öfftern Chur- und Fürstliche Beylager, auch andere hohe Fürstliche Zusammenkünffte, wie nicht weniger die meisten Land-Täge vor diesem zu halten.“ Nicht zuletzt dieses und andere frühneuzeitliche Zitate deuten bereits darauf hin, dass es für die albertinischen Kurfürsten von Sachsen ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts offenkundig wichtige Gründe dafür gab, die Ständeversammlungen des Landes über einen längeren Zeitraum mehrfach nach Torgau einzuberufen, trotzdem sich bereits Dresden zu diesem Zeitpunkt als feste Residenzstadt etabliert hatte. Die Wittenberger Kapitulation hatte im Frühsommer des Jahres 1547 den Schmalkaldischen Krieg zwischen den protestantischen Reichsfürsten und -städten und dem mehrheitlich katholischen, kaisertreuen Reichsaufgebot beendet. In deren Ergebnis wechselte der Besitz der sächsischen Kurwürde und wichtiger Teile der sächsischen Herrschaftsgebiete, einschließlich der bedeutenden Residenzstadt Torgau, von den unterlegenen ernstischen in die Hände der albertinischen Wettiner, die den Kaiser trotz ihres lutherischen Glaubens im Krieg unterstützt hatten. Schon wenige Monate später hielt der nun zum Kurfürsten aufgestiegene Herzog Moritz einen ersten Ausschusstag in Torgau ab. Diesem folgten in den Jahren 1550 und 1552 je ein Landtag. Ab 1555 fanden schließlich für ein Dreivierteljahrhundert sogar ausnahmslos alle kursächsischen Landtage – 16 an der Zahl – hier statt. Dieser Befund ist zwar seit jeher bekannt, blieb aber in der Forschung bisher weitgehend unreflektiert und somit in seiner mutmaßlichen Bedeutung verkannt. Der besondere Umstand dieser langen Standortkontinuität der Ständeversammlungen in einer Nebenresidenzstadt stellt ein Bindeglied zwischen dem Einfluss der mittelalterlichen Reiseherrschaft des Landesherrn und dem der zentralisierten Institutionalisierung frühmoderner Staatlichkeit in einer festen Residenzstadt auf die sächsische Landtagsgeschichte dar.
Die Torgauer Landtage bilden damit in der langen Parlamentsgeschichte in Sachsen ein besonderes Phänomen, dass es erlaubt, sie zum Thema eines eigenen Dissertationsprojektes zu machen. Die stadtgeschichtliche Perspektive ermöglicht hier einen thematischen Zugriff auf die Landtagsgeschichte, der neue Erkenntnisse zum frühmodernen Ständeversammlungswesen jenseits der traditionellen Politikgeschichte sowie zur Aneignung lokaler und regionaler Verwaltungs-, Wirtschafts-, Logistik- und Sozialstrukturen als Basis für den parlamentarischen Prozess eines frühneuzeitlichen Territorialstaates verspricht. Damit soll der für die vormodernen Landtage in den einzelnen Herrschaftsgebieten des Reiches lange unbeachtet gebliebene Forschungsansatz der Organisations- und Alltagsgeschichte der Ständeversammlungen, wie er in der Reichstagsforschung seit längerem bekannt ist, aufgegriffen und speziell für die sächsische Situation entwickelt werden. Bisher ist weitgehend unbekannt, wie die Landtage in Torgau vorbereitet und vollzogen wurden. Das Projekt will deshalb bewusst den Blick auf jene Elemente der Ständeversammlungen richten, die die eigentlichen Verhandlungen, Ausschusssitzungen und Verlesungen rahmend begleiteten und gleichzeitig überhaupt erst die organisatorischen, wirtschaftlichen und logistischen Voraussetzungen für deren Stattfinden schufen. Verpflegung, Unterbringung, An- und Abreise der Landtagsteilnehmer, funktionale Raumaneignung, Gütertransport, Informationsverbreitung bzw. Kommunikation, Zeremoniell und Konfliktbewältigung seien hier als wesentliche Bereiche der organisatorischen Gesamtherausforderung ‚Landtag‘ genannt.