„Primero se iba a Europa a aprender, después a mostrar." („Zuerst ging man nach Europa, um zu lernen, dann, um zu zeigen.“)
Mit seiner Aussage weist der argentinische Künstler Luis Felipe Noé auf eine Entwicklung hin, die sich in Lateinamerika mit der Gründung nationaler Museen und Sammlungen institutionell manifestierte und darüber hinaus auch ästhetisch-politische Konsequenzen im Selbstverständnis der lateinamerikanischen Künstler*innen mit sich führte. Während sich die Künstler*innen im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf Forschungs- und Lehrreisen in die europäischen Metropolen – vorwiegend nach Paris, Rom und Madrid – begaben, um von den Meister*innen zu lernen, sollte sich diese Praxis ab Mitte des 20. Jahrhunderts ändern. Argentinische Künstler*innen reisten gezielt nach Paris, um ihre Kunst zu zeigen und sich damit in den europäischen künstlerischen Kanon einzuschreiben. Anhand derartiger Künstlerreisen lassen sich durch die Moderne hindurch transkulturelle Prozesse beobachten und beschreiben.
Die allgemein mit der Kolonialgeschichte eintretende Mobilisierung von Techniken und Objekten deutet darüber hinaus auf weitere ästhetisch-politische Aspekte der Transkulturalität hin, welche in der kritischen Erörterung der Kunstgeschichtsschreibung mit Ansätzen aus den Medien,- Kultur- und Bildwissenschaften erweitert und ergänzt werden soll. So hat u.a. Christian Kravagna anhand der Erforschung künstlerischer Kontaktzonen darauf hingewiesen, dass sich die ‚Zentren der Moderne‘ durch den transkulturellen Austausch verschieben und transformieren. Aus einer postkolonialen Perspektive werden entgegen einer eurozentrischen nun andere Kunstgeschichten und damit zugleich auch andere ‚Räume der Kunst‘ ins Bild gerückt. Wie sich derartige Verschiebungen im genaueren ereignet haben, wie Künstler*innen sie in ihren Arbeiten verhandeln, und wie sich die Praxis der Kunstgeschichtsschreibung vor dem Hintergrund antikolonialer Bewegungen radikal wandelt – diese Fragen sollen im Seminar kritisch behandelt werden. Dabei wird der Rückgriff auf verschiedene Ansätze postkolonialer Theorien von besonderer Bedeutung sein. Parallel wird auch eine intensive Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Theorien zur sinnlichen Wahrnehmung angestrebt.
Spanisch- und/oder Portugiesischkenntnisse sind für das Seminar von Vorteil, werden jedoch nicht vorausgesetzt.
Literatur (Auswahl):
- Anderson, Benedict. Die Erfindung der Nation: Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts. Frankfurt/Main: Campus-Verl., 2005.
- Belting, Hans. Hybride Kunst? Ein Blick hinter die globale Fassade, in: Herzog, Samuel (Hg.), Total Global - Umgang mit nicht-westlicher Kunst. Basel: Merian.
- Bhabha, Homi K. Die Verortung der Kultur. Tübingen: Stauffenburg-Verl., 2000.
- Borsò, Vittoria. Lateinamerika anders Denken: Literatur, Macht, Raum. Düsseldorf: düsseldorf university press, 2015.
- Borsò, Vittoria and Reinhold Görling, Hrsg. Kulturelle Topografien. M & P-Schriftenreihe für Wissenschaft und Forschung Kulturwissenschaften. Stuttgart: Metzler, 2004.
- Castro Varela, María do Mar und Nikita Dhawan. Postkoloniale Theorie: Eine kritische Einführung. Cultural studies. Bielefeld: Transcript, 2005.
- Karentzos, Alexandra; Reuter, Julia. Schlüsselwerke der Postcolonial Studies, Wiesbaden: Springer, 2012.
- Flusser, Vilém. Von der Freiheit des Migranten: Einsprüche gegen den Nationalismus. Bensheim: Bollmann Verlag, 1994.
- García Canclini, Néstor. Hybrid Cultures – strategies for entering and leaving modernity, University of Minnesota press, 1995.
- Kravagna, Christian. Transmoderne: Eine Kunstgeschichte des Kontakts. Berlin: B-Books, 2017.
- Latour, Bruno. Den Kühen ihre Farbe zurückgeben - Interview ANT. Weimar: Felix Meiner Verlag, 2013.
- Latour: Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft: Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2014.
- Waldenfels, Bernhard. Sinnesschwellen. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2013.
- Waldenfels: Grundmotive einer Phänomenologie des Fremden. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2006.
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