Philosophiebegriff
Als ich 1968 an der Freien Universität Berlin mein Studium fortsetzte, machte das Schlagwort vom »Elfenbeinturm« die Runde, in den sich die Philosophie zurückgezogen habe. Dieser Kritik entsprach die Forderung vieler Studentinnen und Studenten, Philosophen mögen sich doch mehr als bisher den Problemen der »Praxis« stellen. Unter diesem Schlagwort wurden allerdings recht unterschiedliche Lebensbereiche verstanden: Zunächst ging es um Hochschulpolitik, dann um allgemeinere politische und soziale Fragen wie Friedenspolitik, Demokratisierung der Gesellschaft und soziale Gerechtigkeit.
Inzwischen habe ich gelernt, dass die Philosophie der Immanenz bedarf, um ihr begriffliches und argumentatives Instrumentarium entfalten zu können. Ohne eine gewisse Selbständigkeit gelangt sie zu keiner Professionalität. Aber zugleich habe ich den Wunsch nach externen Bezügen wach gehalten. Das trifft nicht nur auf meine Forschungen zu, in denen ich das philosophische Denken in sozial- und wissenschaftsgeschichtliche Kontexte gestellt habe. Das trifft ebenso auf mein Engagement in der Lehre zu, die für mich vor allem seit meinen Erfahrungen in Schule und Lehrerbildung eine besondere Rolle spielt. Diese Erfahrungen schlagen sich auch in meiner Forschung und Lehre zur Didaktik der Philosophie nieder. Als Mitherausgeber der Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik sowie als Autor eines Schulbuchs und entsprechender Artikel mache ich den Philosophie- und Ethikunterricht zu einem eigenen Reflexionsgegenstand, um dafür neue Themen und Methoden zu entwickeln.
Einiges von den früheren Forderungen scheint heute selbstverständlich zu sein, wie etwa interdisziplinäre Forschungsprojekte, an denen sich zunehmend auch Philosophen beteiligen. Aber ein Blick in Vorlesungsverzeichnisse genügt, um zu erkennen, wie sehr die Realität immer noch hinter dem Anspruch zurückgeblieben ist. So ist es meine Absicht, nach wie vor mit anderen Disziplinen - im Augenblick mit Historikern und Literaturwissenschaftlern - zu kooperieren. Ebenso ist sich nicht zuletzt die Philosophenzunft mittlerweile darüber im klaren, dass sie verstärkt »nach außen« treten und in der Öffentlichkeit Präsenz zeigen muss. Das ist nicht allein eine Frage des Überlebens angesichts knapper Kassen, sondern ist dringend geboten, um in die gegenwärtigen Diskussionen um Orientierungsfragen bis hin zum Ethikboom in der Bildungspolitik einzugreifen. Auch auf diesem Feld sehe ich meine speziellen Aufgaben.
Wenn ich einen Rat an Studierende der Philosophie und Ethik geben soll: Da der Philosophie die Isolation weder fachlich noch institutionell bekommt, wählen Sie dieses Studium mit einer intelligenten und ausbaufähigen Kombination. Und wenn Sie ein für Sie geeignetes anderes Fach gefunden haben, versuchen Sie, möglichst konkrete Verbindungen mit philosophischen Methoden und Inhalten herzustellen, damit aus dieser Beziehung interessante und vielleicht auch anwendungsfähige Erkenntnisse entstehen können. Leider eröffnet das Fach Philosophie alleine so gut wie keine Berufschancen, während bestimmte Kombinationen manchem weiter geholfen haben.
Von meinen gegenwärtigen Forschungsvorhaben möchte ich ein Projekt zur Geschichte der Philosophie im Frankreich des 18. Jahrhunderts hervorheben, genauer zur Beziehung von »Aufklärung und Aufklärungskritik« während dieser Epoche. Ziel ist es, die Vorstellung der Aufklärung als eines monolithischen Blocks aufzusprengen und stattdessen in exemplarischen Studien zu zeigen, dass sich dasjenige Phänomen, das wir heute als Aufklärung bezeichnen, im wechselvollen Spiel von Kritik und Gegenkritik entwickelt hat, in dem nicht eindeutig festzustellen ist, welche Seite mehr zu den damals neuen Erkenntnissen in den Bereichen Politik, Gesellschaft, Kultur und Geschichte beigetragen hat. Wenn sich der Prozess der Aufklärung als ein solcher diskursiver Zusammenhang herausstellen sollte, dürfte dies auch Konsequenzen für einen systematischen Begriff von Aufklärung haben.
Auch in meinen systematischen Forschungen zur Geschichtsphilosophie knüpfe ich an Entwürfe des 18. Jahrhunderts an, die sich als Beiträge zu einer »Universalgeschichte« verstanden haben, und versuche, diese sicherlich problematische Konzeption im Hinblick auf unsere Gegenwart zu aktualisieren. Meine Grundidee besteht darin, dass mit dem Kernbereich des wissenschaftlich-technischen und wirtschaftlichen Fortschritts so etwas wie ein Kristallisations- und Bezugspunkt gewonnen werden kann, an dem sich jede geschichtsphilosophische Reflexion, wie positiv oder negativ sie ihn auch immer bewertet, abgearbeitet hat und sich auch heute weiter abarbeiten muss. Es geht mir also darum, den gegenwärtigen Debatten um die Ambivalenzen dieses Fortschritts eine spezifisch geschichtsphilosophische Dimension zu verleihen.