Tobias Adolph
Tobias Adolph hat von 2006-2012 Gemeinschaftskunde an der TU Dresden studiert und anschließend noch bis 2015 Ethik als Drittfach belegt. Nach einer langen Reise steht er heute kurz vor dem Abschluss seines Referendariats in Berlin.
Nach dem Studium bin ich für das Referendariat nach Berlin gezogen. In Berlin wird in der Ausbildung nicht zwischen Realschulen (Realschulen heißen ISS - Integrierte Sekundarschulen) und Gymnasien unterschieden. Beide Schulformen werden gemeinsam ausgebildet, sodass man auch als Gymnasiallehrer an Integrierten Sekundarschulen eingesetzt werden kann, wie es bei mir der Fall ist. Um eine vollständige Ausbildung zu bekommen, gehen diese Referendar*innen im letzten halben Jahr an ein Kooperationsgymnasium, um dort in der Oberstufe Unterrichtserfahrung zu sammeln. In Berlin angekommen, musste ich mit Erschrecken feststellen, dass ausgerechnet in der Bundeshauptstadt Politik bzw. Gemeinschaftskunde kein eigenständiges Schulfach ist, sondern mit Geschichte zusammengelegt wurde. Dadurch müssen alle Politiklehrer*innen Geschichte unterrichten und alle Geschichtslehrer*innen Politik.
In der Theorie soll ein Drittel der Unterrichtszeit des Geschichtsunterrichtes für Politische Bildung verwendet werden. Die Praxis sieht jedoch anders aus. Wenn – wie an meiner Ausbildungsschule – Geschichte nur als einstündiges Fach unterrichtet wird, haben die Lehrer*innen bereits riesige Probleme, das Geschichtscurriculum umzusetzen, sodass der Politikunterricht häufig ganz unter den Tisch fällt oder nur sehr stiefmütterlich behandelt wird.
In meinem ersten Jahr unterrichtete ich daher nur Deutsch und Geschichte. Meine Ausbildungsschule befindet sich im Osten der Stadt und kann getrost als „Brennpunktschule“ bezeichnet werden. Die Schüler*innen kommen zumeist aus schwierigen familiären Verhältnissen. Sie verbringen den Großteil ihrer Zeit mit „Zocken“ und bekommen zu Hause wenig Zuwendung und Impulse. Die Folge sind eine sehr geringe Aufmerksamkeitsspanne, eine kaum vorhandene Frustrationstoleranz und ein problematisches Sozialverhalten. Das Unterrichten in diesem Umfeld ist anstrengend, kostet Nerven, Geduld und ist auch manchmal frustrierend. Gleichzeitig schätzen es vor allem diese Kinder sehr, wenn man ihnen aufgeschlossen, freundlich und fair begegnet und sie so annimmt, wie sie sind, statt sie abzuschreiben. Die Erfolge, die man als Lehrer hat, sind kleiner und vielleicht auch seltener, aber dafür umso schöner. Eine schöne Erinnerung ist beispielsweise, dass ein Schüler in einem Feedbackbogen schilderte, dass er nach einem langen Gespräch mit mir viel lieber zur Schule gehe und auch viel motivierter sei, was sich dann auch tatsächlich in seinen Leistungen widerspiegelte. Auch freue ich mich jedes Mal, wenn ehemalige Schülerinnen und Schüler im Schulflur fröhlich auf mich zukommen, mich grüßen und fragen, wie es mir geht. Denn bei einem kann man sich sicher sein: diese Kinder machen das nicht, um sich beim Lehrer „einzuschleimen“. Sie zeigen einem sehr deutlich, wenn sie etwas schlecht finden und sie würden nie etwas sagen, nur weil es sozial erwünscht ist. Man bekommt immer ein direktes und ehrliches Feedback, was sehr erfrischend ist.
Seit diesem Schuljahr bin ich zudem noch an einem Gymnasium eingesetzt, wo ich in einer 11. Klasse endlich auch Politik unterrichten kann, was mir sehr viel Spaß macht. All die schlauen Sachen, die ich im Studium gelernt habe, kann ich jetzt weitergeben und es ist eine Freude mit Schüler*innen zu arbeiten, die motiviert sind, Eigeninitiative zeigen und sich für politische Zusammenhänge interessieren. Jetzt, wo sich das Referendariat dem Ende entgegen neigt, mache ich mir natürlich viele Gedanken über die Zukunft. Da mich die Abenteuerlust in die Ferne zieht, werde ich mich an verschiedenen deutschen Schulen im Ausland bewerben und – wenn alles klappt – die nächsten zwei Jahre im Ausland unterrichten.
Blick zurück auf das Studium
Im Bezug auf mein Studium hätte ich mir gewünscht, dass die Verschränkung zwischen Theorie und Praxis größer gewesen wäre. Der Fokus im Studium lag ganz klar auf der fachwissenschaftlichen Ausbildung während die Fachdidaktiken, die allgemeine Didaktik und die pädagogische Psychologie ein Schattendasein gefristet haben. Für den Lehrerberuf sind es aber vor allem diese Teilbereiche des Studiums, die besonders wichtig sind. Daher würde ich Lehramtsstudierenden empfehlen ggf. zusätzliche Lehrangebote in diesen Bereichen zu besuchen. In meiner Idealvorstellung müsste es eine Laborschule geben, an der nicht nur während der SPÜ und Praktika, sondern im ganz normalen Universitätsalltag im Seminar gemeinsam geplante Unterrichtsreihen von den Studierenden ausprobiert werden. Ich halte es für unsinnig, Stunden für nicht existente Lerngruppen zu planen, die nie den Praxistest im Unterrichtsalltag standhalten müssen. Unterricht lässt sich nur im Bezug auf bestimmte Lerngruppen vorbereiten und vor allem das Ausprobieren im Unterrichtsalltag schafft die besten und nachhaltigsten Lerngelegenheiten für die Studierenden.
Grundsätzlich kann ich allen Studierenden im Lehramt sagen, dass sie sich für einen tollen Beruf entschieden haben. Es gibt viele Herausforderungen zu bestehen, manche Rückschläge einzustecken, aber jungen Menschen etwas beizubringen, in schwierigen Situationen zu helfen und zu ihnen eine Beziehung aufzubauen, gehört zu den schönsten Aufgaben, die ich mir vorstellen kann.